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FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
PAVK bei Patienten mit Diabetes mellitus
Eine Konsensuskonferenz zur peripheren arteriellen Verschlusskrankheit
DIABETES CARE
Eine Konsensuskonferenz der
American Diabetes Association
hat sich letztes Jahr vorge-
nommen, die besonderen
Aspekte der PAVK bei Diabetes
mellitus herauszuarbeiten.
Epidemiologie und Auswirkungen
Risikofaktoren Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) betrifft zunächst die unteren Extremitäten, ist aber ein Marker für atherothrombotische Prozesse auch in anderen Gefässbetten. Daten der FraminghamStudie zeigten, dass etwa 20 Prozent der von PAVK Betroffenen einen Diabetes hatten. Diese Zahl dürfte jedoch eine grobe Unterschätzung sein, da eine Mehrheit der an PAVK Erkrankten asymptomatisch ist. Das im Anschluss an die Konsensuskonferenz in «Diabetes Care» publizierte Konsenspapier hält fest, dass etwa die Hälfte der PAVK-Patienten asymptomatisch ist oder atypische Symptome zeigt, etwa ein Drittel an der typischen Claudicatio leidet und der Rest von schwereren Form der Erkrankung betroffen ist. Eine PAVK ist ein gewichtiger Risikofaktor für Amputationen an den unteren Extremitäten. Dies trifft besonders auf zuckerkranke Patienten zu. Selbst beim asymptomatischen Patienten ist die PAVK ein
Marker für koronare, zerebrale und renale Gefässerkrankungen, der ein erhöhtes Risiko für Ereignisse in den entsprechenden Organen anzeigt. Diabetes und Rauchen sind die wichtigsten Risikofaktoren für PAVK. Daneben kommt Blutdruck- und Lipiderhöhungen eine wichtige Rolle zu. Schliesslich ist höheres Alter ein eigenständiger Risikofaktor. Dies gilt auch für Diabetiker; bei ihnen kommt jedoch auch der Dauer der Stoffwechselerkrankung und dem Vorliegen einer peripheren Neuropathie eine grosse Bedeutung zu. Diabetes ist am engsten assoziiert mit Verschlusserkrankung der femoro-poplitealen und tibialen Arterien (also unterhalb der Knies), während andere Risikofaktoren, etwa Rauchen oder Hypertonie, mit proximalerer Erkrankung der aorto-iliofemoralen Gefässe korrelieren.
Häufigkeit Es ist schwierig, die Häufigkeit der PAVK bei Diabetes genau zu bestimmen. Indirekt hat man sich auf die Amputationsraten verlassen. Dies ergab auf nationaler Ebene in den USA eine Rate von etwa 8 auf 1000 Patientenjahre mit einer Prävalenz von zirka 3 Prozent. Es zeigten sich aber sehr grosse regionale Unterschiede. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, worauf sich die jeweilige Diagnose stützt. Dies waren sehr oft das Fehlen der peripheren Pulse und die Claudicatio, die jedoch beide wenig sensitiv sind. Als reproduzierbarer Test wird daher heute der Knöchel-Arm-Index (Ankle-Brachial Index, ABI), basierend auf der systolischen Blutdruckmessung in den Aa. dorsalis pedis, tibialis posterior und brachialis mittels Doppler propagiert. Die Sensitivität des ABI beträgt 95 Prozent, die Spezifität anhezu 100 Prozent. Der Test hat auch seine
Merk-
sätze
q Bei Diabetikern sind die Läsionen der PAVK diffuser und distaler gelegen. Die oft gleichzeitig vorliegende periphere Neuropathie beeinträchtigt die sensorische Rückmeldung, sodass weniger über klassische ClaudicatioSymptome geklagt wird.
q Die Bestimmung des KnöchelArm-Index (ABI) ist ein reproduzierbarer und hinreichend präziser Anhaltspunkt für eine PAVK.
q Der energischen Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren kommt bei Diabetikern mit PAVK besondere Bedeutung zu.
q Das Gehtraining im Rahmen überwachter Programme ist effektiv, gefässerweiternde Medikamente bringen vergleichsweise wenig.
q Die meisten Amputationen können durch die Kombination von Antibiotika, Debridement, Revaskularisation und stufenweisem Wundverschluss vermieden werden.
Grenzen: einerseits bei stark verkalkten, nicht komprimierbaren Gefässen, wo die Werte zu hoch ausfallen, andererseits bei mässigen aortoiliakalen Stenosen, die falsch-negative Werte bewirken können. Dies kann beim individuellen Patienten nachteilig sein, für die Epidemiologie hat
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der ABI jedoch wertvolle Hinweise gegeben. Danach ist bei Diabetikern über 40 Jahre von einer PAVK-Prävalenz von 20 Prozent auszugehen. Eine andere Erhebung bei über 50-jährigen Diabetikern fand sogar 29 Prozent. Dies liegt höher als die alten Schätzungen.
Auswirkungen Etwa 27 Prozent der PAVK-Patienten haben eine Progression der Symptome über einen Fünfjahres-Zeitraum, wobei etwa 4 Prozent einen Extremitätenverlust erleiden. Während die Mehrheit der Betroffenen hinsichtlich der Symptomatologie an den unteren Extremitäten stabil bleibt, springt während desselben FünfjahresZeitraums ein ausgeprägter Überschuss an kardiovaskulären Ereignissen ins Auge: 20 Prozent erleiden einen nichttödlichen Myokardinfarkt oder Hirnschlag, und die Mortalitätsrate erreicht 30 Prozent. Für Patienten mit kritischer Extremitätenischämie ist die Fünfjahres-Prognose besonders ungünstig: 30 Prozent erleiden eine Amputation, 20 Prozent sterben innerhalb von sechs Monaten.
Wichtigkeit der Diagnose Bei Diabetikern ist die Diagnose einer PAVK aus zwei Gründen wichtig: Einerseits weist sie den Weg zur Risikoabschätzung für andere kardiovaskuläre Gefährdungen, andererseits zu therapeutischen Anstrengungen, um funktionelle Behinderung und Extremitätenverlust zu verhindern. Bei Zuckerkranken sind die Läsionen der PAVK diffuser und distaler gelegen. Die oft gleichzeitig vorliegende periphere Neuropathie beeinträchtigt die sensorische Rückmeldung, sodass weniger über klassische Claudicatio-Symptome geklagt wird. Die Patienten neigen somit eher dazu, subtilere Beschwerden wie Müdigkeit in den Beinen oder langsamere Gehgeschwindigkeit einfach dem Älterwerden zuzuschreiben. So soll es bei Diabetikern häufiger zur Entwicklung einer akuten, kritischen Gefässsituation kommen. Ein weiteres Argument, aktiv nach einer PAVK beim Diabetiker zu suchen, ist die Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die Behinderung beim Gehen, die ihrerseits
Ta b e l l e :
Knöchel-Arm-Index (ABI)
q normal: 0,91–1,30
q leichte Obstruktion: 0,70–0,90
q mässige Obstruktion: 0,40–0,69
q schwere Obstruktion: < 0,40
q schlecht komprimierbare Gefässe: > 1,30
zum Konditionsverlust und zur weiteren Verschlechterung der Funktion führt.
Spezielle Aspekte bei Diabetes und PAVK
Die diabetische Stoffwechselstörung führt zu Veränderungen der Struktur und Funktion der arteriellen Gefässe, die der klinischen Diagnose der Zuckerkrankheit vorangehen können. Grundsätzlich sind die proatherogenen Veränderungen bei PAVK, über die im Detail nicht sehr viel bekannt ist, denen bei Koronar- oder Karotiserkrankung sehr ähnlich. Entzündliche Veränderungen sind sowohl Risikomarker als vermutlich auch Risikofaktoren für atherothrombotische Erkrankungen. Erhöhte Spiegel von C-reaktivem Protein (CRP) sind eng mit der Entwicklung einer PAVK assoziiert, aber auch bei Patienten mit gestörter Glukosetoleranz und Diabetes zu beobachten. Eine CRPErhöhung scheint auch für PAVK-Exazerbationen verantwortlich zu sein. Über seine Wirkung auf verschiedene Gewebemediatoren beeinflusst das CRP Gefässtonus und Gerinnungsfaktoren. Die meisten Patienten mit Diabetes, auch solche mit gleichzeitiger PAVK, zeigen Störungen der Endothelfunktion und der Gefässregulation. Die Mediatoren der Endotheldysfunktion sind vielfältig, eine zentrale Rolle spielt dabei Stickstoffmonooxid (NO). Hyperglykämie, Insulinresistenz und die Produktion von freien Fettsäuren führen alle zum Verlust der NO-Homöostase. Auch die glatten Muskelfasern der Gefäss-
wände sind bei Diabetikern stoffwechselbedingten Störungen ausgesetzt, die zur Plaquedestabilisierung und Auslösung klinischer Ereignisse beitragen. Die Blutplättchen spielen eine grundlegende Rolle in der Verbindung von Gefässfunktion und Thrombose. Auch die Thromobzyten geraten bei erhöhtem Blutzucker unter oxidativen Stress. Entsprechend ist bei Diabetes die Plättchenaggregation erhöht. Zu den Veränderungen an den Gefässwänden und der Störung der Plättchenfunktion treten bei Diabetes auch noch Erhöhungen von Blutviskosität und Fibrinogen.
Diagnose und Abklärung
Im Rahmen der Suche nach einer PAVK bei Diabetikern wird man sehr genau Beeinträchtigungen beim Gehen erfragen müssen, da viele Patienten die entsprechenden Informationen nicht frei äussern, so das Konsenspapier. Für Schmerzen in den Beinen kommen auch etliche andere Ursachen in Betracht (z.B. eine Spinalstenose), die es auszuschliessen gilt. Zwei wichtige Komponenten bei der Befunderhebung sind die eingehende Inspektion der Füsse und die Palpation der Fusspulse. Dabei ist auf Rötung oder Blässe bei Hochlagerung, fehlendes Haarwachstum, dystrophe Zehennägel sowie kühle, trockene und rissige Haut zu achten. Die Zehenzwischenräume sollen auf Fissuren, Ulzerationen und Infektionen inspiziert werden. Die Palpation der Pulse ist sehr erfahrungsabhängig, mit hohen Raten falschpositiver oder falsch-negativer Resultate. Der Dorsalis-pedis-Puls soll bei 8,1 Prozent der gesunden Individuen fehlen, der Tibialis-posterior-Puls bei 2,0 Prozent. Dennoch ist das Fehlen beider Pulse, wenn vom Erfahrenen erhoben, ein starker Hinweis auf eine arterielle Gefässerkrankung.
ABI Wie erwähnt ist die Bestimmung des Knöchel-Arm-Index (ABI) ein reproduzierbarer und hinreichend präziser Anhaltspunkt. Die Referenzwerte gibt die Tabelle.
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PAVK bei Patienten mit Diabetes mellitus
Ein Wert > 1,30 deutet auf eine starke Gefässverkalkung hin, bei welcher der ABI als Diagnosekriterium versagt. Das Konsenspapier schlägt vor, bei allen diabetischen Patienten über 50 Jahre einen Screening-ABI zu bestimmen. Fällt der ABI dann normal aus, kann man ihn später alle fünf Jahre wiederholen. Bei weiteren PAVK-Risikofaktoren (Rauchen, Hypertonie, Hyperlipidämie oder Diabetesdauer > 10 Jahre) sollte schon vor dem 50. Altersjahr ein Screening-ABI bestimmt werden. Ein diagnostischer ABI soll bei allen Patienten mit Symptomen einer peripheren arteriellen Gefässerkrankung durchgeführt werden. Eingehendere angiologische Untersuchungen können weitere Informationen liefern. Sie sind insbesondere indiziert bei schlecht komprimierbaren Gefässen oder bei Patienten mit normalem ABI, aber starkem Verdacht auf PAVK. Weitere Untersuchungen, wie Belastung auf dem Laufband, Messung des transkutanen Sauerstoffpartialdrucks, Duplex-Sonografie, Magnetresonanz-Angiogramm oder Kontrastmittel-Angiografie, erlauben in spezifischen klinischen Situationen die Beantwortung gezielter Fragen.
Therapie
Behandlung von Risikofaktoren Die meisten kardiovaskulären Risikofaktoren bei PAVK-Patienten sind denen von Diabetikern ohne PAVK ähnlich. Obwohl es kaum prospektive Daten gibt, die eine Verbesserung der kardiovaskulären Verläufe durch Behandlung der Risikofaktoren bei Diabetikern mit PAVK spezifisch belegen, unterstützt der Konsensus solche Interventionen ausdrücklich: Zigarettenrauchen ist der wichtigste beeinflussbare Risikofaktor für die Entwicklung und für Exazerbationen der PAVK. Rauchverzicht ist also absolut essenziell. Glykämiekontrolle: Bisher gibt es keine Evidenz, dass eine strenge Blutzuckerkontrolle die PAVK verbessert. So konnte auch die bekannte UKPDS keine signifikante Reduktion der Amputationshäufigkeit durch intensive Therapie nachweisen. Eine gute
Glykämiekontrolle ist aber auch bei Diabetikern mit PAVK unbedingt anzustreben, da sie nachgewiesenermassen gegen mikrovaskuläre Komplikationen präventiv wirkt. Hypertonie begünstigt die Atherosklerose und ist mit einem zwei- bis dreifach erhöhten Claudicatio-Risiko assoziiert. Bei Patienten mit Diabetes und PAVK ist der Einfluss blutdrucksenkender Interventionen auf die Atherosklerose und auf kardiovaskuläre Ereignisse nicht spezifisch untersucht worden. Auch hier unterstützt der Konsensus ausdrücklich eine aggressive Blutdruckkontrolle (< 130/80 mmHg), um das kardiovaskuläre Gesamtrisiko zu beeinflussen. In der HOPE-Studie hatte auch die Untergruppe der Patienten mit PAVK mit dem ACE-Hemmer Ramipril (z.B. Triatec®) weniger tödliche und nichttödliche ischämische Ereignisse. Dyslipidämie: Auch hier ist die Auswirkung von lipidsenkenden Massnahmen bei PAVK-Patienten nicht spezifisch untersucht. Studien mit Simvastatin (Zocor®) deuten auf eine Beeinflussung der Claudicatio und anderer kardiovaskulärer Ereignisse. Bei Diabetikern mit PAVK sollten erhöhte Blutfettwerte im Rahmen publizierter Guidelines gesenkt werden (z.B. Ziel-LDL-Cholesterin < 100 mg/dl). Die Autoren des Konsensus äussern die Überzeugung, dass so auch die Progression der PAVK verlangsamt werden könnte. Plättchenhemmung: Eine Metaanalyse der Antiplatelet Trialists’ Collaboration untersuchte die Auswirkung einer längerfristigen plättchenhemmenden Behandlung anhand von 145 randomisierten Studien, in denen meistens Aspirin eingesetzt wurde. Dabei konnte sie sich auf Daten von über 100 000 Patienten (davon rund 70 000 Hochrisikopatienten) stützen. Für Hochrisikopatienten ergab sich eine 27prozentige Senkung des Risikos für Myokardinfarkt, Hirnschlag und vaskulären Todesfall. Bei einer Untergruppe von mehr als 3000 Patienten mit Claudicatio waren die Behandlungseffekte jedoch nicht signifikant. Dennoch wird eine Aspirin-Behandlung für Patienten mit Diabetes empfohlen. Die CAPRIE-Studie verglich Aspirin mit Clopi- dogrel (Plavix®) bei über 19 000 Patienten mit Status nach Hirnschlag oder Herzinfarkt oder mit stabiler PAVK. Die Ergebnisse zeigten, dass 75 mg/Tag Clopidogrel im Vergleich zu 325 mg/Tag Aspirin bei einem zusammengesetzten Endpunkt aus Myokardinfarkt, Hirnschlag und vaskulärem Todesfall eine 8,7-prozentige Risikoreduktion bewirkte. Eindrücklicher war das Ergebnis bei der Untergruppenanalyse von mehr als 6000 Patienten mit PAVK. Hier erbrachte Clopidogrel im Vergleich zu Aspirin ein 24-prozentige Risikoreduktion. Clopidogrel war dabei ebenso gut verträglich wie Aspirin. In der CAPRIE-Studie hatte auch ein Drittel der PAVK-Patienten gleichzeitig einen Diabetes. Bei dieser Gruppe war Clopidogrel ebenfalls überlegen. Das Konsenspapier fasst dies so zusammen: Patienten mit Diabetes sollten entsprechend den heutigen Guidelines einen Plättchenhemmer (Aspirin oder Clopidogrel) erhalten. Patienten mit Diabetes und PAVK profitieren möglicherweise von Clopidogrel mehr. Symptomatische Therapie Bei Claudiactio intermittens gilt das Gehtraining als Grundpfeiler, allenfalls begleitet von einer pharmakologischen Therapie. Das Gehtraining hat, wie auch zahlreiche randomisierte kontrollierte Studien belegen, in Rahmen strukturierter Programme zu erfolgen, die dreimal pro Woche intermittierendes Lauffbandgehen für mindestens drei Wochen vorsehen. Diese Übungstherapie hat nur eine minimale Morbidität und dürfte auch das kardiovaskuläre Risikoprofil günstig beeinflussen. Ein nicht überwachtes Gehtraining war aber in beinahe allen Studien hinsichtlich funktioneller Verbesserung wirkungslos. Medikamente: Pentoxifyllin (Trental® und Generika) ist seit langem zugelassen. Spätere Studien deuten aber daraufhin, dass die Substanz die Gehdistanz nicht in einem klinisch bedeutsamen Ausmass zu steigern vermag. Günstigere Ergebnisse erbachte Cilostazol (in der Schweiz nicht zugelassen). Präventive Fusspflege sollten alle Patienten mit Diabetes und PAVK erhalten. A R S M E D I C I 9 q 2 0 0 4 441 FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE PAVK bei Patienten mit Diabetes mellitus Therapie beim ischämischen Fuss Eine kritische Ischämie äussert sich in Ruheschmerz, Ulzera und Gangrän und deutet beim Diabetiker auf einen drohenden Extremitätenverlust hin, der notfallmässiger Therapie bedarf. Die verminderte Schmerzwahrnehmung durch eine gleichzeitige Neuropathie führt beim Diabetiker zur Verzögerung, sodass oft viel schwerere Läsionen vorliegen als bei Nichtdiabetikern. In einem Teufelskreis bewirkt die Ischämie auch eine Verschlechterung der Neuropathie. Zudem spielen sich die Veränderungen oft weit distal ab, was zur Unterschätzung des Ausmasses der Gefässläsion weiter proximal beitragen kann. Der neuroischämische Fuss neigt eher zu traumatischer Ulzeration, Infektion und Gangrän. Im Gegensatz zum neuropathischen Fuss finden sich die Ulzera bei Ischämie nicht an der Fusssohle, sondern um die Fusskanten herum, auch an den Zehenspitzen und an der Ferse. Auslöser sind meist entweder Trauma oder völlig ungeeignete Schuhe. Zum konservativen Management gehören Debridement, Entlastung des Ulkus und weitere die Wundheilung fördernde Techniken. Das Debridement sollte alle Debris und Nekrosen entfernen, um eine Infektion weniger wahrscheinlich zu machen. Vorzuziehen ist ein häufiges scharfes Debridement mit dem Skalpell. Umfassendere chirurgische Eingriffe können bei grossen Nekrosen, lokalisierter Fluktuation oder Gasbildung notwendig sein. Beim neuroischämischen Fuss ist es das Hauptziel, den Fuss vor Druck und Scherkräften zu schützen. Daher ist äusserst wichtig, dass die Schuhe nirgends drücken. Manchmal erlaubt einfach ein weiter Schuh, der sich hoch am Fuss verschliessen lässt, die Heilung von Ulzera. Es können aber auch Spezialschuhe notwendig sein. Nichtklebende Wundverbände sollten diabetische Fussulzera zu allen Zeiten abdecken. Einen einzelnen idealen Wundverband gibt es nicht, hält das Konsenspapier fest. Therapie von Infektionen Ulzera infizieren sich oft, entsprechende Symptome und Befunde sind aber beim diabetischen Patienten abgeschwächt. Die entzündungsbedingte Rötung kann durch eine ischämiebedingte Blässe überdeckt werden. Die Ischämie führt bei herabhängendem Fuss zur Rötung, bei Hochlagerung verschwindet sie jedoch. Letzteres ist bei entzündungsbedingter Rötung nicht der Fall. An Infektionen beim diabetischen Fuss sind oft viele verschiedene Erreger beteiligt, weshalb zunächst Breitspektrum-Antibiotika indiziert sind. Schwere Infektionen verlangen intravenöse Antibiotika und eine dringliche Abklärung hinsichtlich chirurgischer Drainage und Debridements. Am neuroischämischen Fuss kann es zur trockenen oder feuchten Gangrän kommen. Die feuchte Gangrän entspricht einer septischen Arteriitis als Folge einer Weichteilinfektion oder Ulzeration. Gasbildung ist ein sehr schwer wiegendes Zeichen, das nach sofortiger chirurgischer Intervention und I.v.-Antibiotika ruft. Das Konsenspapier hebt hervor, dass eine alleinige Therapie mit Antibiotika bei der Mehrheit der diabetischen Fussinfektionen nicht ausreicht. Basiseingriff ist die Inzision und Drainage. Manchmal sind Amputationen von Zehen oder Fussstrahlen nötig, und man muss auch rekonstruktive Techniken und Revaskularisationseingriffe mit einbeziehen. Die trockene Gangrän ist Folge einer ausgeprägten Reduktion der arteriellen Perfusion (chronische kritische Ischämie). Hier sollte zunächst eine Revaskularisation erfolgen, gefolgt vom chirurgischen Debridement. Ist eine Revaskularisation nicht möglich, müssen chirurgisches Debridement oder Amputation in Betracht gezogen werden. Wenn Restperfusion und Schmerzen dies erlauben, ist das Abwarten der Selbstdemarkierung vorzuziehen, da so geringere Gewebeverluse entstehen und weniger hoch amputiert werden muss. Indikationen zur Revaskularisation Indikationen zur Revaskularisation sind invalidisierende Claudicatio oder kritische Extremitätenischämie, die auf konservative Therapie nicht ansprechen. Die schwere Claudicatio ist eine relative Indikation, und das Vorgehen muss mit dem Patienten sehr genau besprochen wer- den. Derartige Gefässeingriffe können je nach Zustand der Gefässe auch unüber- windlichen technischen Schwierigkeiten begegnen; dann bleibt nur die Wahl zwi- schen fortgesetzter medikamentöser The- rapie und primärer Amputation. Grundsätzlich stehen offene chirurgische Eingriffe oder endovaskuläre Interventio- nen zur Verfügung, die sich auch ergän- zen können. Morbidität und Mortalität der Gefässeingriffe bei Diabetikern haben sich signifikant verbessert und sind jetzt mit denen bei nichtdiabetischen Patienten vergleichbar. Von der vorgängigen koro- naren Bypassoperation rät das Konsens- papier ab, da das Risiko von zwei Eingrif- fen (Koronarbypass plus Beinbypass) dasjenige des Bypass am Bein allein deut- lich übersteigt. Nach Gefässeingriffen ist eine regelmässige Nachbetreuung zwin- gend, da viele Komplikationen und uner- wünschte Spätfolgen drohen. Die meisten Amputationen, hält der Kon- sensus fest, können durch ein kombinier- tes therapeutisches Vorgehen mit Antibio- tika, Debridement, Revaskularisation und stufenweisem Wundverschluss vermieden werden. Gelegentlich hat aber auch die Amputation Vorteile, wenn sie eine ra- schere Rückkehr zu einer nützlichen Le- bensqualität anstelle eines langwierigen Behandlungsverlaufs bedeutet. Solche Entscheidungen müssen in engem Kon- takt mit dem Patienten fallen, wobei der Rehabilitation und der Lebensqualität grösste Bedeutung zukommen. q American Diabetes Association: Perpipheral arterial disease in people with diabetes. Diabetes Care 2003; 26: 3333– 3341. Halid Bas Interessenlage: Die Konsensuskonferenz wurde teilweise gesponsert von den Firmen AstraZeneca, Aventis, Bristol-Myers Squibb, Eli Lilly, GlaxoSmithKline, Merck und Merck/ScheringPlough, Monarch, Wyeth, Novartis und Pfizer. 442 A R S M E D I C I 9 q 2 0 0 4