Transkript
TAGUNGSBERICHT q COMPTE-RENDU DE CONGRÈS
Von der Akut- zur Langzeitbehandlung der Schizophrenie
HALID BAS
Auch im chronischen, stabilen
Stadium der Schizophrenie
besteht nach Absetzen der
Neuroleptika ein hohes Rezi-
divrisiko, sagte Professor
Franz Müller-Spahn, Basel, am
22. Januar 2004 in Baden an
der «2. cns academy» der
Firma Janssen-Cilag AG.
Die Schizophrenie beginnt mit unspezifischen Prodromalsymptomen, die in eine akute psychotische Phase münden. Erst dann erfolgt im Allgemeinen eine Therapie. Die Weichenstellung für das weitere Schicksal kann erst nach Abklingen der akuten Symptomatik erfolgen, wenn die Patienten in der Lage sind, ihre Krankheit so weit zu verstehen, dass sie die Vorteile der Behandlung gegen die Nachteile abwägen können, mit denen zu rechnen ist, wenn keine Behandlung erfolgt. Der weitere Verlauf wird in eine partielle oder vollständige Remission münden. Bei 50 bis 60 Prozent ist von einer chronischen Verlaufsform der Schizophrenie auszugehen, bei einer Minderheit von einem chronisch progredienten Verlauf. Wir sehen heute die Schizophrenie als eine Beeinträchtigung der Organisationsstruktur des Gehirns, gekennzeichnet
durch Störungen der neuronalen Entwicklung und eine verminderte neuronale Plastizität, erläuterte Professor Müller-Spahn. Da sich die neuronale Vernetzung zeitlebens laufend ändert, bedeutet die neuronale Plastizitätsabnahme eine konstante Bedrohung der Organisationsstruktur des Gehirns. Oft werden spätere Schizophrene übrigens im Alter von 10 bis 12 Jahren erstmals psychisch auffällig, da in diesem Alter physiologischerweise ein Ausreifungsschub der neuronalen Vernetzung erfolgt, der eine vulnerable Phase bedeutet.
Eine sehr teure Krankheit
Bei der Häufigkeit psychischer Erkrankungen stehen unipolare Depressionen an erster Stelle, gefolgt von Alkoholproblemen, an dritter Stelle liegen Schizophrenien. Bei der Schizophrenie handelt es sich aber um die teuerste Erkrankung, deren Gesamtkosten mit denjenigen der HerzKreislauf-Erkrankung und des Diabetes
Merk-
sätze
q Die Schizophrenie ist eine sehr teure psychische Erkrankung.
q Durch Langzeittherapie mit den neueren atypischen Neuroleptika lassen sich Symptomatik und Rezidivrisiko besser beeinflussen.
q Zur Aufrechterhaltung der angestrebten Langzeitbehandlung bieten Depotpräparate Vorteile.
mellitus vergleichbar sind. Schizophrenien beanspruchen 40 bis 50 Prozent aller psychischen Versorgungsleistungen. Die indirekten Kosten sind dabei drei- bis fünfmal höher als die direkten Kosten. Berechnungen gehen davon aus, dass die Kosten durch eine bessere Rückfallprophylaxe um
Angriffspunkte der Therapie in der Rückfallprophylaxe bei Schizophrenie
Positivsymptome Halluzinationen Wahnvorstellungen Ichstörung
Negativsymptome Sozialer Rückzug Emotionale Verflachung Antriebslosigkeit
Lebensqualität
Affektive Störungen Depressivität Angst
Kognitive Dysfunktion Aufmerksamkeit ➘ Arbeitsgedächtnis ➘ exekutive Funktionen ➘
A R S M E D I C I 7 q 2 0 0 4 303
TAGUNGSBERICHT q COMPTE-RENDU DE CONGRÈS
Von der Akut- zur Langzeitbehandlung der Schizophrenie
rund 50 Prozent reduziert werden können, sagte Franz Müller-Spahn.
Rückfallprophylaxe
Rückfallprophylaxe bedeutet eine dauerhafte Behandlung. Vor allem im Hinblick auf die Lebensqualität der Betroffenen sollte die Therapie nicht nur die Positivsymptome wie Wahnvorstellungen, Halluzinationen und Ichstörung (Depersonalisation) zum Ziel haben, sondern auch gegen die zunächst vielleicht unauffälligeren Negativsymptome wie Einschränkung von sozialen Kontakten, emotionale Verflachung und Antriebslosigkeit wirken und die affektiven Komponenten und kognitiven Beeinträchtigungen günstig beeinflussen (Kasten). Die Schizophreniebehandlung hat heute drei Pfeiler: q biologisch-somatisch: Pharmako-
therapie q psychologisch q Soziotherapie und rehabilitative Mass-
nahmen Im Rahmen der Langzeittherapie ist die stete Bemühung um Wissensvermittlung, die dem Patienten Hilfestellung bietet bezüglich der Krankheit, sehr wichtig. Erkennen, Beobachten und Bewältigen von Rückfallfrühwarnzeichen sind für die erfolgreiche Langzeitbetreuung ausschlaggebend. Professor Müller-Spahn wandte sich dann ausführlicher der neuroleptischen Behandlung zu.
Atypische Neuroleptika Mit den neueren, so genannt atypischen Neuroleptika ist es heute möglich, Positivund Negativsymptome, kognitive Dysfunktion und Therapieresistenz zu behandeln. Die verschiedenen Vertreter haben unterschiedliche Angriffspunkte auf Neurotransmitterebene, sie beeinflussen unter anderem dopaminerge und sero-
tonerge Neurone im mesolimbischen System und in frontal-präfrontalen Rindenregionen. In der Rezidivprophylaxe sind sie den konventionellen Neuroleptika mit Effektstärken von 0,2 bis 0,4 überlegen. Die Atypika bieten auch hinsichtlich der extrapyramidalen Nebenwirkungen Vorteile. Problematisch ist bei einigen Vertretern jedoch die zum Teil groteske Gewichtszunahme, die besonders bei Olanzapin und Clozapin therapeutisch hinderlich werden kann und zum Absetzen des Präparats zwingt.
Depot-Neuroleptika Die langfristige, ununterbrochene neuroleptische Behandlung ist für die Rezidivprophylaxe ausschlaggebend. Wie Studien gezeigt haben, ist auch im chronischen, stabilen Stadium nach Absetzen der Neuroleptika innert zwei Jahren mit einem hohen Rezidivrisiko von 60 bis 70 Prozent zu rechnen. Depotpräparate bieten sich zur zuverlässigen Dauerbehandlung daher als geeignete Darreichungsform an. Sie haben mehrere Vorteile: q bessere Compliance q Reduktion der Rezidive und stationären
Wiederaufnahmen q konstanter und regelmässiger
Patientenkontakt q grössere Unabhängigkeit vom
Medikament q bessere Bioverfügbarkeit und stabilere
Plasmaspiegel q reduziertes Intoxikationsrisiko Die bisherigen Depotpräparate hatten aber den wichtigen Nachteil der häufigen und schweren extrapyramidalen Nebenwirkungen, der diese Verabreichungsform für Patienten und Ärzte wenig attraktiv machte. Professor Müller-Spahn ging daher besonders auf die neue Depotform des Atypikums Risperidon (Risperdal Consta®) ein, das in dieser Hinsicht deutliche Vorteile verspricht: «Auch Risperdal
Atypische Neuroleptika
Clozapin Risperidon Olanzapin Quetiapin Ziprasidon* Aripiprazol* Amisulprid
Leponex® Risperdal® Zyprexa® Seroquel® Zeldox® Abilify® Solian®
Depotpräparate
Fluphenazin
Dapotum® D
Decanoat
Haloperidol
Haldol® decanoas
Decanoat
Flupentixol
Fluanxol® Depot
Decanoat
Risperidon
Risperdal Consta®
Microspheres
* in der Schweiz noch nicht im Handel
Consta® ist nicht frei von extrapyramida-
len Nebenwirkungen. Sie treten aber ins-
gesamt weniger in Erscheinung, und das
Präparat ist verträglicher als die alten De-
potpräparate.» In der Standarddosierung
von 25 mg alle 14 Tage traten beispiels-
weise bei 7,8 Prozent der Behandelten ex-
trapyramidale Symptome zu Beginn der
Therapie auf. Im weiteren Behandlungs-
verlauf mit dem Depotpräparat gingen
diese Nebenwirkungen jedoch kontinuier-
lich zurück.
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Halid Bas
Interessenlage: Die Tagung wurde ausgerichtet von der Firma Janssen-Cilag AG. Dieser Bericht wurde von der Firma weder bezahlt, noch hat sie auf den Inhalt Einfluss genommen.
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