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FMP-Journal
FOEDERATIO MEDICORUM PRACTICORUM q FOEDERATIO MEDICARUM PRACTICARUM
Tiers garant/Datenparität
Reaktion zum Beitrag «Elektronischer Datenverkehr: Gefahr oder Chance?» in AM 2/04, S. 51–52
Sehr geehrte Frau Kollegin Wyler, besten Dank für Ihren aufschlussreichen Artikel in der kürzlich erschienenen ARS MEDICI über den elektronischen Datenverkehr. Zu den von Ihnen im Abschnitt «Chancen» genannten interessanten Standpunkten möchte ich jedoch gerne etwas anmerken. «Der freie elektronische Datenverkehr mit dem Versicherer muss parallel mit dem Tiers payant laufen»: Weite Teile der Ostschweiz kennen bereits den Tiers garant und möchten auf keinen Fall darauf verzichten. Es wird sogar laut darüber geredet, dass nach Abschluss der TarMed-Kostenneutralitätsphase weitere Kantone das System hin zum Tiers garant wechseln möchten. Es scheint mir wichtig zu bemerken, dass wir beim Tiers payant auf Gedeih und Verderb dem – unzuverlässigen – Partner Krankenkasse ausgeliefert sind. Insbesondere bei Tarifstreitigkeiten – sollte der Taxpunktwert allenfalls weiter sinken, ist dieses Szenario durchaus möglich – ergäben sich für uns existenzielle Probleme. Im Tiers garant erhalten wir das Geld direkt von unseren Kunden/Patienten: Dies erhöht einerseits das Kostenbewusstsein, andererseits wagen es nur sehr wenige Patienten, die Rechnungen nicht zu bezahlen, denn sie müssen uns auch bei anderen Gelegenheiten im Dorf wieder in die Augen sehen ...
«Gewährung vollständiger Einsicht in die Datensammlung durch Krankenversicherer»: Schliessen wir uns alle einem ärzteeigenen Trustcenter an, ist die Datenparität ebenfalls gesichert. Dies ist zwar nicht ganz kostenlos, dafür aber garantiert uneingeschränkt zugängig und nicht gefiltert durch die Krankenkassen.
Dr. med. A. Steinacher Präsident Thurgauer Grundversorger-Verein
Hintere Gärten 8 8555 Müllheim
Tel. 052-763 13 00 Fax 052-763 12 22
Replik Nicht nur in den städtischen Agglomerationen verlieren viele Ärztinnen und Ärzte teilweise mehr als 10 Prozent ihres Umsatzes im Tiers garant. Einzelne Praxen haben deshalb damit begonnen, ihre Leistungen direkt durch Kreditkarten abbuchen zu
lassen. Spitäler arbeiten seit Jahren im Tiers payant. Auch im UVG
(SUVA) rechnen Ärztinnen und Ärzte seit Jahren im Tiers payant
ab und haben praktisch keine Probleme damit. Wegen des Tarif-
schutzes kann uns bei einer Senkung des Taxpunktwerts auch der
Tiers garant nichts helfen. Ist der Taxpunktwert zu tief, müssen
wir kollektiv in den Ausstand. Im Ausstand zahlt so oder anders
immer der Patient oder die Patientin direkt die ärztliche Leistung.
Am meisten profitieren Inkassofirmen vom Tiers garant. Denn bei
uns in den städtischen Agglomerationen begegnen mir die we-
nigsten meiner Patientinnen und Patienten auf der Strasse.
In der Tat sind der Aufbau und der Betrieb der Trustcenter offen-
sichtlich nicht kostenlos. Es will mir nicht in den Kopf, dass Ärzte-
schaft und Versicherer im Gesundheitswesen zwei parallele
Datensysteme aufbauen, um ähnliche Statistiken abzubilden. Da-
von hat keine Ärztin, kein Arzt, keine Patientin und kein Patient
einen Nutzen. Am meisten profitieren unter anderem so ge-
nannte EDV-Dienstleister und beratende Ökonomen davon. Die
Präsidenten der Grundversorgerverbände wurden im Dezember
2003 vor die Assessment-Kommission (AsK) zitiert, da die Fall-
kosten bei den Hausärztinnen sechs Monate nach Einführung des
TarMed gemäss der Statistik der UVG-Versicherer über 10 Pro-
zent angestiegen waren. Die Grundversorgerverbände mussten
NewIndex für die Aufbereitung der Statistik ihrer eigenen, durch
die Basis gelieferten und bereits bezahlten Daten über 20 000
Franken abliefern, um festzustellen, dass die Zahlen der MTK
(SUVA) korrekt waren. Und dann stelle ich mir die Frage, wer
denn wohl «garantiert uneingeschränkt zugängig und nicht
gefiltert» meine Daten in einem Trustcenter einsehen darf?
Ich nehme für mich nicht in Anspruch, dass meine Meinung
stimmt. Ich denke aber, dass das unkritische Repetieren von Dog-
men keine hilfreiche Vorgehensweise ist. Nur der konstruktive
Diskurs kann uns Ärztinnen und Ärzten helfen, den richtigen
Weg für unseren Berufsstand zu finden. Vielleicht ist es tatsäch-
lich richtig, dass die Ärzteschaft ihre Daten parallel zu den Kassen
sammelt und bearbeitet. Solange Trustcenters und ihre Dienst-
leister (NewIndex AG etc.) gewinnorientierte Unternehmen sind,
bleibe ich aber skeptisch; und ich weiss, dass ich damit nicht
alleine bin.
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Dr. med. Ingrid L. Wyler-Brem Vizepräsidentin FMP
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