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Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen
Wirkung, Verträglichkeit und Therapiekontrolle verschiedener Prophylaktika
URSULA KÖBERLE, MONIKA TRENDELENBURG, JOHANNA SASSE, CHRISTA GUTZMANN, MICHAEL BAUER
Bei bipolaren Störungen ist
eine sachgerechte Rezidiv-
prophylaxe entscheidend, um
langfristig Rezidive zu ver-
meiden und eine möglichst
normale Lebensführung der
Erkrankten zu gewährleisten.
Einleitung
Bipolare Störungen sind eine Erkrankungsgruppe mit grosser epidemiologischer und gesundheitspolitischer Bedeutung. Wenngleich Emil Kraepelin bereits Anfang des 20. Jahrhunderts das Interesse der Wissenschaft auf bipolare Störungen lenkte – er sprach vom «manisch-depressiven Irresein» –, besteht weltweit immer noch ein beträchtliches Defizit in der Erforschung und Behandlung dieser Erkrankung. Weit gehend unklar ist bis heute die Ätiologie, wobei eine multifaktorielle Genese mit sowohl biologischen als auch psychosozialen Faktoren angenommen wird (Müller-Oerlinghausen et al., 2002). Die genetische Komponente scheint bei bipolaren Störungen stärker ausgeprägt zu sein als bei unipolar depressiven Störungen. Neuere statistische Daten legen nahe,
dass bipolare Störungen häufig nicht frühzeitig erkannt und therapiert werden. Möglicherweise als Konsequenz einer zu selten gestellten Diagnose von Hypomanie, sind Depressionen, vor allem die unipolare Major Depression, häufig überdiagnostiziert auf Kosten bipolarer Depressionen. Hinzu kommt, dass die bipolare Erkrankung viele Facetten hat und zur Abgrenzung eine umfassende Differenzialdiagnostik notwendig ist. In der Beurteilung bipolarer Erkrankungen steht daher neben der Erhebung der aktuellen Psychopathologie insbesondere die Erfassung hypomaner beziehungsweise manischer Episoden in der Vorgeschichte im Vordergrund. Eine endgültige Diagnose kann allerdings häufig erst im Lauf der Zeit gestellt werden. Es wird geschätzt, dass sich fast jede zweite ursprünglich als rezidivierend unipolar klassifizierte Depression innerhalb von 15 Jahren als bipolare Erkrankung erweist.
Epidemiologie
Bipolare (manisch-depressive) Störungen sind schwere, wiederkehrende und häufig chronisch verlaufende Leiden mit einer Prävalenz von etwa 1 bis 2 Prozent für Bipolar-I-Störungen und von mehr als 3 Prozent für die Bipolar-II-Form (MüllerOerlinghausen et al., 2002). Fasst man die Kriterien weiter und bezieht subsyndromale Erscheinungsformen mit ein, so wird geschätzt, dass in der Bevölkerung bis zu 5 Prozent der Menschen von einer bipolaren Störung betroffen sind (Baldessarini und Tondo, 2003). Im Unterschied zur unipolaren Depression, die bei Frauen wesentlich häufiger vorkommt (Verhältnis von etwa 2,5:1), betreffen bipolare Erkrankungen Männer und Frauen gleichermassen.
Merk-
sätze
q Lithium ist immer noch Goldstandard zur Rezidivpophylaxe von bipolaren Störungen.
q Carbamazepin ist in Deutschland nur als Mittel der zweiten Wahl zugelassen.
q In Nordamerika wird Valproat sehr häufig eingesetzt, in Deutschland und in der Schweiz ist es bislang nicht zur Rezidivprophylaxe zugelassen. Patienten mit Rapid Cycling und gemischten Episoden scheinen besonders zu profitieren.
q Neu zugelassen sind Lamotrigin und Olanzapin. Lamotrigin ist hauptsächlich zur Verhinderung depressiver Episoden indiziert, Olanzapin als einziges Antipsychotikum zur Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen bei Patienten, die in der Manie auf Olanzapin angesprochen haben.
q Gelingt die Einstellung in Monotherapie nicht, sollte eine Zweier- oder gar Dreierkombination versucht werden.
q Ein abruptes Absetzen der Rezidivprophylaxe erhöht das Rückfall- und das Suizidrisiko.
q Die Rezidivprophylaxe ist in der Regel eine lebenslange Behandlung.
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Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen
Verlauf
Bipolare Erkrankungen zeichnen sich durch einen rezidivierenden und sehr variablen Verlauf aus. 60 Prozent der bipolaren Patienten erleben nach einer affektiven Episode mindestens zwei weitere innerhalb der nächsten fünf Jahre. Dabei sind eher Patienten mit einer hohen Phasenfrequenz (= Phasen innerhalb eines Zeitraumes) als Patienten mit einer hohen Absolutzahl von Phasen gefährdet (Greil und Kleindienst, 1997). Die meisten Betroffenen erkranken vor dem 30. Lebensjahr. Neuere Erkenntnisse legen aber nahe, dass der Erkrankungsbeginn häufig auch viel früher, vor dem 20. Lebensjahr, liegt (Licht et al., 2003).
Klassifikation
Man unterteilt bipolare Erkrankungen in Bipolar-I- und Bipolar-II-Erkrankungen. Erstere beziehen sich auf «klassische» Formen mit depressiven und manischen oder gemischten Episoden. Bipolar-II-Erkrankungen umfassen depressive und lediglich hypomane Episoden. Zum bipolaren Spektrum zählt ferner noch die Zyklothymie, die sich durch Stimmungsschwankungen auszeichnet, die weder die Schwere von depressiven noch von manischen Episoden erreichen (Müller-Oerlinghausen et al., 2002; Licht et al., 2003). Weiterhin wird als Sonderform das so genannte Rapid Cycling unterschieden; hierunter versteht man Verläufe mit schnellen Phasenwechseln (per definitionem müssen mindestens vier Episoden pro Jahr auftreten, entweder entgegengesetzter Polarität oder abgegrenzt durch ein genügend langes symptomfreies Intervall). 10 bis 15 Prozent aller Patienten mit bipolarer Störung erleben zumindest vorübergehend RapidCycling-Verläufe. Risikofaktoren für die Entwicklung des Rapid Cycling sind weibliches Geschlecht, hypothyreote Stoffwechsellage und eine vorausgegangene Therapie mit trizyklischen Antidepressiva (Müller-Oerlinghausen et al., 2002).
Mortalität und Suizidrisiko
Die Gesamtsterblichkeit von Patienten mit bipolaren Erkrankungen ist gegenüber
der Allgemeinbevölkerung 2- bis 3fach höher (Müller-Oerlinghausen et al., 1994). Grund hierfür ist in erster Linie die etwa 20fach erhöhte Suizidmortalität bei bipolarer Erkrankung (Baldessarini und Tondo, 2003). Aber auch die kardiovaskuläre Sterblichkeit und das Risiko für Tumorerkrankungen sind bei unbehandelten bipolaren Patienten erhöht (Angst et al., 2002). Eine weitere Gefahr besteht vor allem während manischer Episoden in einer sozialen und finanziellen Selbstschädigung durch Selbstüberschätzung, Grössenideen und Aggressivität.
Rezidivprophylaxe
Bedeutung der Prophylaxe Die grossen psychosozialen Belastungen Erkrankter und Angehöriger, das häufige Vorkommen in der Bevölkerung sowie das hohe Rezidivrisiko, verbunden mit einem hohen Suizidrisiko und der Gefahr der sozialen Selbstschädigung, machen klar, wie wichtig eine adäquate Therapie ist. Bei der medikamentösen Behandlung bipolarer Erkrankungen – und darauf beschränkt sich dieser Beitrag – wird zwischen Akuttherapie, Erhaltungstherapie (im ersten halben Jahr nach Abklingen einer akuten Episode) und prophylaktischer Therapie (Rezidivprophylaxe) unterschieden. Von entscheidender Bedeutung ist eine sachgerechte Rezidivprophylaxe, um langfristig Rezidive zu vermeiden und eine möglichst normale Lebensführung der Erkrankten zu gewährleisten.
Indikation Die Indikation zur rezidivprophylaktischen Behandlung bipolarer Erkrankungen wird in der Regel nach der zweiten affektiven Episode (manisch oder depressiv) gestellt. Von einer Langzeitbehandlung abgesehen werden kann bei milden Episoden ohne Suizidalität bei fehlender familiärer Belastung. Umgekehrt sollte bereits nach der ersten Episode eine phasenprophylaktische Behandlung initiiert werden, wenn die Episode schwer ist, Suizidalität auftritt oder eine familiäre Belastung besteht (Berghöfer et al., 2003). Die Rezidivprophylaxe bipolarer Erkran-
kungen ist eine Langzeitbehandlung, die häufig lebenslang fortgeführt werden muss. In Einzelfällen kann eine Beendigung der Behandlung in Erwägung gezogen werden, wenn der Verlauf einige Jahre stabil war. Die Medikation muss aber auch dann langsam, das heisst über mehrere Monate, ausgeschlichen werden, um frühe Rezidive zu vermeiden. Essenziell für eine erfolgreiche Langzeitbehandlung ist eine ausführliche und anhaltende Psychoedukation. Aktuelle Studien belegen, dass sich intensive psychoedukative Massnahmen positiv auf den Krankeitsverlauf auswirken (Colom et al., 2003).
Substanzen zur Rezidivprophylaxe
Derzeit werden für die Rezidivprophylaxe bipolarer affektiver Erkrankungen Lithium, Carbamazepin, Valproinsäure sowie neuerdings auch Lamotrigin eingesetzt. In jüngerer Zeit wurde das atypische Neuroleptikum Olanzapin in einigen Ländern in dieser Indikation zugelassen. Daneben gibt es eine Reihe experimenteller Methoden bei Prophylaxeresistenz (z.B. Kalzium-Antagonisten, Schilddrüsenhormone).
Lithium Seit dem Bericht von Cade (1949) über die Wirksamkeit bei der Behandlung der akuten Manie wurde Lithium in dieser Indikation und später auch als Phasenprophylaktikum eingesetzt.1 Bereits 1967 konnten Baastrup und Schou (1967) eine deutliche Reduktion sowohl manischer als auch depressiver Episoden bei Patienten unter Lithium im Vergleich zum Verlauf vor Lithium zeigen. Aber auch andere Studien zum intraindividuellen Verlauf vor und unter Lithium-Behandlung zeigten zumeist eine signifikante Reduktion der Episodenzahl beziehungsweise zumindest eine Abschwächung der Schwere der einzelnen Episoden; etwa die Hälfte der Patienten wurde in diesen Studien unter Lithium gänzlich rezidivfrei. Unter Miteinbezug von Patienten, die unter Lithium nur noch subklinische Phasen
1 Zur Historie der Lithium-Entdeckung siehe Internet: www.igsli.org
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erlebten, kann ein deutlicher Behandlungserfolg für etwa drei Viertel dieser Patienten beschrieben werden (Greil und Kleindienst, 1997). In kontrollierten Studien mit Beobachtungszeiträumen von über zwei Jahren traten unter Lithium signifikant weniger Rezidive auf. Vor allem manische Rezidive können durch Lithium effektiv reduziert werden (Greil und Kleindienst, 1997). Frühe Untersuchungen zeigten ResponseRaten von 70 bis 80 Prozent. In neueren Studien konnten diese optimistischen Zahlen jedoch nicht aufrechterhalten werden (Müller-Oerlinghausen et al., 2000). Dies mag unter anderem mit der Ausweitung der diagnostischen Kriterien für bipolare Erkrankungen zusammenhängen: Während atypische bipolare Erkrankungen (Rapid Cycling, stimmungsinkongruente psychotische Symptome, gemischte Episoden, psychiatrische Komorbidität) weniger gut auf Lithium respondieren, sprechen typische («klassische») Bipolar-I-Erkrankungen mit manischen und depressiven Episoden sowie interepisodischer Remission nach Ergebnissen der M.A.P.-Studie weiterhin gut auf Lithium an (Greil et al., 1998). Lithium ist bislang die einzige für die Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen verwendete Substanz, für die neben dem prophylaktischen ein eigenständiger suizidpräventiver Effekt beschrieben worden ist. So konnte beispielsweise in einer Studie mit 471 mit Lithium behandelten Patienten gezeigt werden, dass die initial 16fach erhöhte Suizidmortalität bipolarer Patienten bereits nach einem Jahr der Behandlung auf das Niveau der Allgemeinbevölkerung sinkt (Müller-Oerlinghausen et al., 1994). Eine aktuelle Arbeit untersuchte die Daten zweier grosser Versicherungsträger in den USA. Hier wurde eine 2,7fach höhere Suizidrate unter einer laufenden Behandlung mit Valproinsäure als unter einer Lithium-Langzeitbehandlung gefunden (Goodwin et al., 2003b). Andererseits zeigte eine Studie an Patienten, die eine Lithium-Behandlung beendet hatten, einen Wiederanstieg der Suizidrate (Müller-Oerlinghausen et al., 1996). Auch die erhöhte kardiovaskuläre Mortalität bipolarer Patienten lässt sich durch langfristige Lithium-Behandlung annähernd
auf das Niveau der Allgemeinbevölkerung senken (Ahrens et al., 1995). Neuerdings wird ein neuroprotektiver Effekt von Lithium diskutiert (Bauer et al., 2003). An Zellkulturen und in Tiermodellen wurde eine protektive Wirkung von Lithium gegenüber glutamaterger Exzitotoxizität gefunden. Auch Gehirnschädigungen durch Neurodegeneration und Schlaganfälle waren nach langfristiger Lithium-Applikation im Tiermodell geringer (Chuang et al., 2002). Dosierung: Lithium wird gewöhnlich nach dem Serumspiegel dosiert; es werden Spiegel zwischen 0,6 und 0,8 mmol/l angestrebt. Dies wird in der Regel unter einer Dosierung von 12–16 mmol/Tag erreicht. Bei älteren Patienten oder intolerablen Nebenwirkungen kann eine Reduktion auf 0,5 mmol/l versucht werden. Umgekehrt kann bei primärem NichtAnsprechen auf Lithium häufig eine Anhebung des Spiegels auf bis zu 1,0 mmol/l zum Erfolg führen. Steady-State-Bedingungen sind nach fünf bis sieben Tagen erreicht; danach sollte der Serumspiegel bestimmt werden. Blutentnahmen zur Spiegelbestimmungen sollten etwa zwölf Stunden nach der letzten Einnahme stattfinden (Berghöfer et al., 2003). Nebenwirkungen und Intoxikation: Bei unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) stehen Gewichtszunahme, Händetremor, vermehrtes Durstgefühl, Polyurie, Diarrhö und Schilddrüsenfunktionsstörungen (Hypothyreose, Struma) im Vordergrund. Da diese UAW in der Regel dosisabhängig sind, sollte individuell die niedrigste wirksame Dosis gewählt werden; so lassen sich bei den meisten Patienten Nebenwirkungen vermeiden. In der Regel sind diese Nebenwirkungen nach Absetzen von Lithium reversibel. Irreversible Schädigungen der Niere treten sehr selten auf und sind pathogenetisch ungeklärt. Lithium besitzt nur eine enge therapeutische Breite. Daher muss in regelmässigen Abständen (unter stabilen Bedingungen etwa alle drei Monate) der Lithiumserumspiegel bestimmt werden. In subjektiv unterschiedlichem Ausmass kann es ab Spiegeln über 1,2 mmol/l zu (neuro-)toxischen Symptomen kommen. Spiegel über 2,0 mmol/l führen fast immer zu kli-
nischen Symptomen einer Intoxikation. Typische Symptome einer Lithium-Intoxikation sind Übelkeit, Diarrhö, Tremor, kognitive Störungen, Müdigkeit, Verlangsamung, Bewusstseinsstörungen, Ataxie und Krampfanfälle. Alle unklaren Symptome bei Patienten unter Lithium-Behandlung sollten Anlass zur Spiegelkontrolle sein, da sich dahinter eine Intoxikation verbergen kann. Bei Intoxikation muss Lithium sofort abgesetzt und der Patient stationär (Intensiv/ Nephrologie) überwacht werden. Da die Nierenfunktion eingeschränkt sein kann, ist eine engmaschige Kontrolle des Lithium-Spiegels obligat. Nötigenfalls muss eine Hämodialyse durchgeführt werden. Irreversible Schäden nach einer LithiumIntoxikation können neben der Niere auch das Kleinhirn betreffen. Um Intoxikationen zu vermeiden, müssen zu Beginn der Behandlung und in regelmässigen Intervallen der Patient und seine Angehörigen sorgfältig über Symptome einer Vergiftung aufgeklärt werden. Dazu gehört auch die Aufklärung über Dehydratation durch fieberhafte Infekte, Durchfälle und Erbrechen, verminderte Flüssigkeitszufuhr, Salz- und Flüssigkeitsverlust durch starkes Schwitzen sowie die Gefahr durch salzarme Ernährung (z.B. Nulldiät) (Licht et al., 2003). Ferner ist es bei Lithium sehr wichtig, auf mögliche pharmakokinetische Nebenwirkungen zu achten. Alle Medikamente, die die renale Elimination von Lithium beeinträchtigen, können zu einer Erhöhung des Spiegels und im schlimmsten Fall zur Intoxikation führen. Zu solchen Medikamenten gehören insbesondere Diuretika (v.a. Thiazide, ACE-Hemmstoffe) und nichtsteroidale antiinflammatorische Substanzen (z.B. Diclofenac, Ibuprofen) (Licht et al., 2003). Kontrolluntersuchungen: Vor Behandlung mit Lithium sollten Elektrolyte und Kreatinin bestimmt werden. Ferner ist es sinnvoll, die Schilddrüsenfunktion vor Behandlung zu untersuchen (TSH-basal). Bei Verdacht auf eine kardiale Erkrankung und bei älteren Menschen sollte ein EKG gemacht werden. Unter Langzeittherapie sollten diese Untersuchungen in regelmässigen Abständen wiederholt werden, Routine-Laboruntersuchungen etwa vier-
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teljährlich, TSH halbjährlich, Schilddrüsensonografie jährlich (Licht et al., 2003).
Carbamazepin Carbamazepin gehört zur Gruppe der Antikonvulsiva. Als solches ist es in Deutschland seit etwa 30 Jahren zugelassen. In der Rezidivprophylaxe bipolarer affektiver Erkrankungen ist es seit Mitte der Neunzigerjahre als Mittel zweiter Wahl zugelassen. Es gibt zahlreiche Studien zu Carbamazepin in der Behandlung bipolarer affektiver Erkrankungen, vor allem zur Rezidivprophylaxe. Wie in einer Metaanalyse gezeigt wurde, zeigen ältere Studien allerdings keinen überzeugenden Effekt von Carbamazepin (Dardennes et al., 1995); die zugrunde liegenden Studien sind jedoch methodisch anfechtbar, zum Beispiel wegen des breiten Einsatzes psychotroper Komedikation. Eine Studie über 2,5 Jahre zeigte, dass Carbamazepin bei Bipolar-II-Erkrankung gleich wirksam ist wie Lithium, bei atypischer Erkrankung möglicherweise sogar besser (Greil et al., 1998). Bei Rapid-Cycling-Verläufen, wo unter Lithium deutlich weniger Erfolge zu verzeichnen sind, ist Carbamazepin eine wichtige und gut wirksame Alternative. Ein spezifischer suizidpräventiver Effekt, wie er für Lithium beschrieben ist, konnte für Carbamazepin bislang nicht beschrieben werden (Emrich und Dietrich, 1997). Dosierung: Es gibt bislang keine Studie zur optimalen Dosierung von Carbamazepin bei bipolaren Erkrankungen. Daher richtet man sich gewöhnlich nach dem in der Epilepsiebehandlung üblichen Serumspiegel von 4 bis 8 mg/dl. Bei Nicht-Ansprechen kann eine Anhebung des Spiegels auf bis zu 10 mg/dl sinnvoll sein. Gewöhnlich wird der therapeutische Spiegel unter einer Dosierung von 600 bis 1200 mg/Tag erreicht. Es wird einschleichend über zwei bis vier Wochen aufdosiert (Emrich und Dietrich, 1997; Berghöfer et al., 2003; Licht et al., 2003). Nebenwirkungen: Im Vordergrund stehen dosisabhängige, relativ ungefährliche Nebenwirkungen wie gastrointestinale (z.B. Übelkeit, Appetitlosigkeit) und neurologische Nebenwirkungen (z.B. Schwindel, Konzentrationsstörungen, Doppelbilder)
sowie Mundtrockenheit. Viele dieser UAW bestehen nur zu Behandlungsbeginn und bilden sich von selbst zurück. Eine langsame Aufdosierung kann derartige UAW weit gehend vermeiden. Als meist harmlos einzuschätzen sind leichte Erhöhungen der Leberenzyme bei 5 bis 15 Prozent der Patienten. Jedoch sind auch Fälle schwerer Leberschädigungen bekannt, teils mit fatalem Ausgang. Weitere seltene, jedoch potentiell bedrohliche Nebenwirkungen können schwere allergische Hautreaktionen (bis hin zu StevensJohnson-Syndrom und Lyell-Syndrom) sowie Blutbildveränderungen (bis zur Agranulozytose und aplastischen Anämie) sein. Daher ist es sehr wichtig, den Patienten und seine Angehörigen über Frühsymptome von Knochenmarkschädigungen (Fieber, Halsschmerzen, Mundulzera, Hämatome), Leberfunktionsstörungen und Hautsymptome aufzuklären (Emrich und Dietrich, 1997; Berghöfer et al., 2003; Licht et al., 2003). Pharmakokinetik und Interaktionen: Carbamazepin ist ein starker Induktor des Zytochrom-P-450-Isoenzymes CYP 3A4. Es kann sowohl seinen eigenen Abbau induzieren als auch den zahlreicher anderer Medikamente, etwa den Abbau oraler Kontrazeptiva, von Antikoagulanzien und Neuroleptika. Andererseits können Hemmstoffe dieses Isoenzymes (z.B. Fluoxetin, Valproat, Erythromycin) zu erhöhten Spiegeln von Carbamazepin führen (Emrich und Dietrich, 1997; Berghöfer et al., 2003; Licht et al., 2003). Kontrolluntersuchungen: Vor Beginn einer Behandlung mit Carbamazepin sollten Leberparameter, Blutbild und Elektrolyte bestimmt werden. Bei Verdacht auf eine kardiale Erkrankung und bei älteren Menschen sollte ein EKG abgeleitet werden (Licht et al., 2003). Wegen möglicher Blutbildveränderungen soll in der Einstellungsphase über vier Wochen hinweg einmal wöchentlich das Blutbild untersucht werden; anschliessend fünf Monate lang in vierwöchentlichen Abständen. Sinken die Leukozytenwerte unter 4000/mm3, sollte ein Differenzialblutbild veranlasst werden. Weiterhin sollten regelmässig der Natriumund Kalziumstoffwechsel sowie die Schild-
drüsenfunktion überprüft werden. Ebenso wichtig wie Laboranalysen ist die Aufklärung der Patienten und deren Angehöriger über Symptome von Leberschäden und Blutbildveränderungen sowie von dermatologischen Nebenwirkungen. Unter stabilen Bedingungen genügt die Bestimmung des Carbamazepin-Serumspiegels in etwa vierteljährlichen Abständen (Emrich und Dietrich, 1997; Berghöfer et al., 2003; Licht et al., 2003).
Valproinsäure (Valproat) Als weiteres Antikonvulsivum wird vielfach, vor allem in Nordamerika, Valproinsäure in der rezidivprophylaktischen Behandlung bipolarer affektiver Erkrankungen eingesetzt. Es ist seit 1973 als Antikonvulsivum zugelassen. Da jedoch bislang sein Nutzen in der Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen nicht eindeutig belegt werden konnte, ist es in Deutschland und anderen Ländern noch nicht in dieser Indikation zugelassen. Die bislang einzige plazebokontrollierte, doppelblinde Studie zur Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen erbrachte keinen Vorteil von Valproat gegenüber Plazebo in einem Beobachtungszeitraum von einem Jahr; allerdings war auch Lithium in dieser Studie Plazebo nicht überlegen (Bowden et al., 2000). Methodische Kritik an dieser Studie mit «negativem Ausgang» für die beiden «aktiven» Substanzen betrifft vor allem die Auswahl der Patienten, die nur mässig krank erschienen, sowie die Wahl des angestrebten Lithium-Spiegels von bis zu 1,2 mmol/l (mögliche Erklärung für die schlechtere Verträglichkeit von Lithium) (Bowden et al., 2000). Neben den gut akut antimanischen Effekten scheint Valproinsäure auch bei Patienten mit Rapid Cycling effektiv zu sein. Dies geht aus einer Studie mit über 100 Patienten hervor, die bis zu 46 Monate mit Valproat als Mono- oder Add-on-Therapie behandelt wurden (Calabrese et al., 1992; 1993). Dosierung: Der aus der Epilepsiebehandlung bekannte, auch bei bipolarer Erkrankung angestrebte Serumspiegel von Valproat beträgt 50 bis 100 mg/dl. Dazu wird einschleichend aufdosiert bis auf 600 bis 1800 mg/Tag. Die individuelle Dosis ist da-
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Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen
Ta b e l l e :
Übersicht über gängige Substanzen zur Phasenprophylaxe bipolarer Störungen
Substanz Lithium (z.B. Litarex®, Priadel®)
Dosierung Serumspiegel 0,6–0,8 mmol/l
Wichtige UAW Tremor, Polyurie, Polydipsie, Gewichtszunahme, Diarrhö, Schilddrüsenfunktionsstörungen
Regelmässige Kontrollen Lithium-Spiegel, Elektrolyte, Kreatinin, TSH, Schilddrüsenfunktion, EKG
Nachteile Gefahr der Intoxikation mit bleibenden neurologischen und nephrologischen Schäden
Carbamazepin (Tegretol®, Timonil®)
Serumspiegel 4–7 mg/dl
Müdigkeit, Schwindel, Doppelbilder, Erhöhung Leberwerte, allergische Reaktionen (Haut, Blutbild)
Spiegel, Leberfunktion, Blutbild, Elektrolyte, Schilddrüsenfunktion, EKG
Pharmakokinetische Interaktionen, Kombination mit anderen potenziell hämatoxischen Substanzen vermeiden
Valproat
Spiegel
(z.B. Convulex®, 50-100 mg/dl
Depakine®)
Übelkeit, Tremor, Müdigkeit, Gewichtszunahme, allergische Reaktionen (Haut, Blutbild)
Spiegel, Leberfunktion, Blutbild
Interaktionen mit Lamotrigin; Hepatotoxizität
Lamotrigin (Lamictal®)
~ 200 mg/Tag
Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, allergische Reaktionen (Haut, Blutbild)
Blutbild, Leberfunktion
Lebensbedrohliche Hautreaktionen bei zu schneller Aufdosierung; Interaktionen mit Valproat und Carbamazepin
Olanzapin (Zyprexa®)
~ 10 mg/Tag
Müdigkeit, Gewichtszunahme, EPS möglich
Blutzucker, Leberfunktion, Hyperglykämie Blutbild, Prolaktin, Gewicht, Blutdruck, EKG
bei jedoch abhängig von der jeweiligen Enzymausstattung (CYP-System der Leber) (Emrich und Dietrich, 1997; Berghöfer et al., 2003). Nebenwirkungen: Valproat ist relativ gut verträglich. Häufigste UAW sind dosisabhängiger Tremor und gastrointestinale Symptome wie Übelkeit; eine deutliche Gewichtszunahme kann vorkommen (Licht et al. 2003). Initial auftretende gastrointestinale und neurologische Störungen sind in der Regel vorübergehend. Selten kann es zu gravierenden Störungen des Blutbildes, zu allergischen Hautreaktionen und Leberschädigungen kommen. Daher ist es notwendig, Patienten und Angehörige über Frühsymptome dieser Nebenwirkungen zu informieren (Emrich und Dietrich, 1997; Berghöfer et al., 2003; Licht et al., 2003). Pharmakokinetik und Interaktionen: Valproat kann durch kompetitive Hemmung des enzymatischen Abbaus den Spiegel zahlreicher Medikamente erhöhen, so auch den Spiegel von Antikonvulsiva. Vor allem
mit Carbamazepin, das seinerseits den Abbau von Valproat induziert, kann es zu komplexen pharmakokinetischen Interaktionen kommen. Auch der Spiegel von Lamotrigin wird durch gleichzeitige Gaben von Valproat nahezu verdoppelt. Die Lamotrigin-Dosis muss entsprechend angepasst werden (s.u.) (Emrich und Dietrich, 1997; Berghöfer et al., 2003; Licht et al., 2003). Kontrolluntersuchungen: Vor Beginn der Behandlung sollten die Leberfunktion und das Blutbild untersucht werden. Anschliessend sollten regelmässige Kontrolluntersuchungen dieser Parameter stattfinden. Die dänische Leitlinie empfiehlt Kontrollen nach vier Wochen, dann während des ersten Jahres vierteljährlich (Licht et al., 2003). Während der ersten sechs Monate sollten alle zwei bis vier Monate der Valproat-Spiegel, die Leberenzyme und das Blutbild kontrolliert werden. Später genügen diese Untersuchungen in grösseren Abständen (Emrich und Dietrich, 1997).
Lamotrigin Lamotrigin wird zur Behandlung der Epilepsie seit Anfang der Neunzigerjahre eingesetzt. Für die Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen ist es neuerdings in einigen Ländern, unter anderem in Deutschland, zugelassen zur Verhinderung depressiver Episoden. Dies geht im Wesentlichen auf zwei grosse, doppelblinde, plazebokontrollierte Studien zurück, die Lamotrigin und Lithium im Vergleich zu Plazebo in der Rezidivprophylaxe untersuchten. In beiden Studien war sowohl Lithium als auch Lamotrigin effektiv in der Verhinderung von affektiven Episoden. Unterschiede zeigten sich in der Verhinderung depressiver Episoden, wo Lamotrigin dem Lithium in beiden Studien überlegen war. Lithium hingegen konnte in beiden Studien signifikant besser als Lamotrigin manischen Episoden vorbeugen (Calabrese et al., 2003; Bowden et al., 2003). An diesen Studien wurde das so genannte «Enriched Design» kritisiert; das heisst, dass initial, in der Akuttherapie
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Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen
einer Manie oder Depression, alle Patienten zunächst auf Lamotrigin eingestellt worden sind, und nur die, welche die Akutphase abschlossen, anschliessend auf Lamotrigin, Lithium oder Plazebo randomisiert wurden. Ein solches Design mag eine gewisse Patientenselektion zugunsten des Lithiums bedeuten. Dennoch lieferten diese beiden Studien mit grossen Fallzahlen wertvolle neue Erkenntnisse für die Rezidivprophylaxe mit Lithium und Lamotrigin (Calabrese et al., 2003; Bowden et al., 2003). Dosierung: Lamotrigin muss sehr langsam – über Wochen – eingeschlichen werden. Zieldosis sind 200 mg/ Tag, wobei je nach klinischer Wirksamkeit auch niedrigere oder höhere Dosierungen gewählt werden können (Goldsmith et al., 2003). Nebenwirkungen: Lamotrigin wird im Allgemeinen sehr gut vertragen. Es können Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Müdigkeit und Schwindel auftreten. Auch gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen sind beschrieben. Neben ungefährlichen Hauterscheinungen können in seltenen Fällen bedrohliche Hautreaktionen wie Stevens-Johnson-Syndrom und toxische epidermale Nekrolyse aufteten. Um die Gefahr von allergischen Reaktionen möglichst gering zu halten, muss Lamotrigin sehr langsam aufdosiert werden; bei langsamer Aufdosierung nach Vorschrift (s. Fachinfo) ist das Risiko für maligne Hautreaktionen sehr gering. Ebenfalls sehr selten treten Blutbildveränderungen (aplastische Anämie und Agranulozytose) sowie Leberfunktionsstörungen bis zum Leberversagen auf (Goldsmith et al., 2003). Pharmakokinetik und Interaktionen: Lamotrigin wird weit gehend unabhängig vom Zytochrom-P-450-System metabolisiert. Hauptverantwortliches Enzym ist die UDPGlucuronyl-Transferase (Goldsmith et al., 2003). Auch bei Lamotrigin muss auf pharmakokinetische Interaktionen geachtet werden. Beispielsweise kann Carbamazepin den Spiegel von Lamotrigin erniedrigen, Valproat kann ihn erhöhen. Die Dosierung muss entsprechend angepasst werden. Mit Lithium hingegen bestehen keine relevanten Wechselwirkungen (Goldsmith et al., 2003).
Kontrolluntersuchungen: Es gibt keine klaren Richtlinien bezüglich routinemässiger Kontrolluntersuchungen. Wichtig erscheint vor allem die sorgfältige Aufklärung des Patienten und dessen Angehörigen über mögliche Nebenwirkungen, insbesondere Hautausschläge und andere Symptome von Überempfindlichkeitsreaktionen. Da unter Lamotrigin Blutbildveränderungen und Leberschädigungen auftreten können, scheint die regelmässige Kontrolle von Blutbild und Leberwerten empfehlenswert. Eine Serumspiegelbestimmung von Lamotrigin ist nur in Ausnahmefällen notwendig (z.B. Compliancekontrolle oder Ausschluss toxischer Spiegel).
Olanzapin Olanzapin, ein atypisches Antipsychotikum, ist seit 2003 in einigen Ländern, unter anderem in Deutschland, zugelassen zur Phasenprophylaxe bipolarer affektiver Erkrankungen bei Patienten, die während einer akuten manischen Episode gut auf Olanzapin angesprochen haben. Als Grundlage für die Zulassung liegen zwei doppelblinde Studien vor: Eine Studie über knapp ein Jahr untersuchte die Wirksamkeit von Olanzapin im Verlgeich zu Valproinsäure bei akuter Manie und die Wirksamkeit in der Erhaltung der Remission. Bei schnellerem Eintritt der antimanischen Wirkung unter Olanzapin bestand kein Unterschied in der Remissionsrate. In der Erhaltungstherapie war Olanzapin dem Valproat nicht überlegen (Tohen et al., 2003). Die zweite – wichtigere – Studie ist bislang nicht vollständig publiziert. Hier wurde die Wirksamkeit von Olanzapin in der Erhaltungstherapie im Vergleich zu Lithium an Patienten mit manischer Indexepisode untersucht. In dieser Studie war Olanzapin in der Verhinderung manischer Rezidive dem Lithium überlegen, nicht jedoch in der Verhinderung depressiver Rezidive (Tohen et al., 2002). Da die Studie bislang nur auf Kongressen vorgestellt wurde, können ihre Stärken und Schwächen noch nicht abschliessend bewertet werden. Dosierung: Die Anfangsdosierung beträgt üblicherweise 10 mg/Tag. Nach individuellem Ansprechen kann anschliessend die
Dosis zwischen 5 und 20 mg/Tag gewählt werden. Nebenwirkungen: Die häufigsten Nebenwirkungen von Olanzapin sind Schläfrigkeit und Gewichtszunahme. Mit der Gewichtszunahme in Zusammenhang stehen könnte eine gelegentlich beschriebene hyperglykämische Stoffwechsellage. Auch anticholinerge Nebenwirkungen wie etwa Mundtrockenheit kommen vor (Tohen et al., 2003). Pharmakokinetik und Interaktionen: Olanzapin wird hepatisch metabolisiert, unter anderem über das CYP 1A2 und CYP 2D6. Induktion von CYP 1A2 (z.B. Rauchen, Carbamazepin) kann zu niedrigeren Spiegeln von Olanzapin führen. Umgekehrt führt eine Hemmung des Isoenzyms (z.B. Fluoxetin) zu einem Anstieg des Plasmaspiegels (Prior und Baker, 2003). Mit Lithium besteht keine Wechselwirkung. Kontrolluntersuchungen: Es liegen keine klaren Richtlinien hinsichtlich Kontrolluntersuchungen unter einer Behandlung mit Olanzapin vor. Empfohlen wird aber, regelmässig Blutzucker, Leberenzyme, Blutbild, Prolaktin sowie Gewicht, Blutdruck und EKG zu kontrollieren.
Experimentelle Methoden Bis zu 20 Prozent der bipolaren Patienten sprechen nicht auf etablierte Verfahren der Rezidivprophylaxe an (Bauer und Ströhle, 1999). In solchen Fällen muss auf experimentelle Methoden ausgewichen werden. Wichtig ist hierbei grundsätzlich, die Patienten sorgfältig über den experimentellen Charakter der Therapie aufzuklären. Positive Ergebnisse wurden für Kalzium-Antagonisten, insbesondere Nimodipin, berichtet. Auch für neuere Antikonvulsiva wie Gabapentin gibt es Hinweise auf eine rezidivprophylaktische Wirksamkeit. Viel versprechend ist die so genannte L-Thyroxin-Hochdosisbehandlung. Darunter versteht man die adjuvante Gabe des Schilddrüsenhormons L-Thyroxin in supraphysiologischer Dosierung (250– 400 µg/Tag) zusätzlich zu Antidepressiva und/oder Stimmungsstabilisierern. Neben Belegen für eine Wirksamkeit von supraphysiologischem L-Thyroxin bei therapieresistenten Depressionen
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Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen
(Bauer et al., 1998) liegen auch erste Hinweise vor für eine Wirksamkeit in der Rezidivprophylaxe und bei Rapid Cycling (Bauer et al. 2002a; Bauer et al., 2003). Nebenwirkungen sind erstaunlich gering; nach einer Studie vertragen depressive Patienten hochdosiertes L-Thyroxin wesentlich besser als gesunde Probanden (Bauer et al., 2002b). In den bislang publizierten Studien gab es keine gravierenden Nebenwirkungen (Bauer et al., 2003; Sasse et al., 2003).
Zusammenfassung
Die beste Datenlage für die Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen liegt noch immer für Lithium vor. Dies schlägt sich auch in den Empfehlungen einer Vielzahl nationaler und internationaler Leitlinien zur Behandlung bipolarer Störungen nieder, die Lithium als «Goldstandard» für die Rezidivprophylaxe empfehlen. Seine Wirksamkeit in der Verhütung manischer Rezidive kann als nachgewiesen, in der Prophylaxe depressiver Rezidive als sehr gut belegt gelten (Greil und Kleindienst, 1997; Goodwin et al., 2003a). Unter allen in der Rezidivprophylaxe eingesetzten Substanzen liegen ausschliesslich für Lithium Daten über einen eigenständigen suizidpräventiven Effekt vor. Es gilt nach wie vor als Mittel der Wahl für klassische Bipolar-I-Erkrankungen ohne stimmungsinkongruente psychotische Symptome und psychiatrische Komorbidität (MüllerOerlinghausen et al., 2002). Relativ gut belegt ist die Wirksamkeit von Carbamazepin in der Verhinderung affektiver Episoden. Während es allerdings bei klassischen Verläufen weniger gut wirksam ist als Lithium, wirkt es gut bei atypischen, so genannte Bipolar-Spektrum-Erkrankungen und schizoaffektiven Störungen (Müller-Oerlinghausen et al., 2002; Goodwin et al., 2003a). Carbamazepin ist in Deutschland nur als Mittel der zweiten Wahl zugelassen, das heisst, es müssen zuvor andere Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Der breite Einsatz von Valproat in der Rezidivprophylaxe, insbesondere in Nordamerika, muss derzeit noch als rein empi-
risch angesehen werden. Denn es gibt bislang keinen Beleg für seine Wirksamkeit aus einer doppelblinden, plazebokontrollierten Studie, sondern nur Hinweise aus offenen Studien. Patienten mit Rapid Cycling und gemischten Episoden scheinen besonders von Valproat zu profitieren (Müller-Oerlinghausen et al. 2002). Valproat ist trotz seines weit verbreiteten Einsatzes in Deutschland bislang nicht zur Langzeitbehandlung bipolarer Erkrankungen zugelassen und unterliegt in dieser Indikation dem so genannten Off-LabelUse. Zugelassen in einigen Ländern, unter anderem in Deutschland, sind neuerdings Lamotrigin und Olanzapin. Wichtigste Indikation von Lamotrigin ist die Verhinderung depressiver Episoden (Goldsmith et al., 2003; Goodwin et al., 2003a). Olanzapin ist das einzige Antipsychotikum, das in Deutschland zur Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen bislang zugelassen ist, wenn der Patient während der akuten Manie gut auf Olanzapin angesprochen hat. Die Datenlage zur Bewertung von Olanzapin in der Rezidivprophylaxe bipolarer Erkrankungen ist allerdings noch nicht ausreichend (Goodwin et al., 2003a). Lässt sich ein Patient nicht ausreichend mit einer Monotherapie einstellen, sollte eine Zweier-Kombination (oder gar DreierKombination) erprobt werden. Die wissenschaftliche Datenlage für die verschiedenen Kombinationen ist bislang allerdings sehr spärlich. Am häufigsten wird in der Literatur eine Kombination von Lithium und Carbamazepin beschrieben. Auch die zusätzliche Gabe von Valproat zu Lithium wird häufig durchgeführt (Bauer und Ströhle, 1999). Eine theoretisch erfolgversprechende Kombination könnte die Zugabe von Lamotrigin – einer Substanz, die vor allem depressive Episoden zu verhüten scheint – zu Lithium sein, welches stärker in der Prophylaxe manischer Episoden wirkt. Bei kombinierter Anwendung muss sehr sorgfältig auf mögliche Interaktionen geachtet werden. Neben pharmakokinetischen Interaktionen bei Kombination mit Carbamazepin und Valproat muss auf die pharmakodynamische Verstärkung neurotoxischer Effekte geachtet werden.
Eine weitere therapeutische Möglichkeit
zur Durchbrechung von Prophylaxeresis-
tenz sind experimentelle Verfahren wie
die adjuvante supraphysiologische L-Thy-
roxin-Gabe.
Ein abrupter Abbruch einer rezidivprophy-
laktischen Behandlung erhöht das Risiko
für Rezidive. Zumindest für Lithium sind
derartige Befunde beschrieben. Auch das
Suizidrisiko, das unter Lithium-Behand-
lung auf das Niveau der Allgemeinbevöl-
kerung sinkt, steigt nach plötzlicher Been-
digung einer Lithium-Behandlung wieder
an (Müller-Oerlinghausen et al., 2002).
Daher sollte, wenn die rezidivprophylak-
tische Behandlung beendet werden soll,
diese unter allen Umständen sehr lang-
sam – über mehrere Monate ausschlei-
chend – erfolgen.
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Korrespondenzadresse: PD Dr. Dr. Michael Bauer Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie Charité – Universitätsmedizin Berlin
Campus Charité-Mitte (CCM) Schumannstr. 20/21 D-10117 Berlin
Tel. +49-30-450 51 70 70 Fax. +49-30-450 51 79 62 E-Mail: michael.bauer@charite.de
Interessenkonflikte: keine
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