Transkript
STUDIE q ÉTUDE
Memantin plus Donepezil bei fortgeschrittenem M. Alzheimer
JAMA
In einer prospektiven, dop-
pelblinden, randomisierten
Studie erhielten Patienten mit
mässigem bis schwerem
M. Alzheimer, die zuvor stabil
auf den Acetylcholinesterase-
hemmer Donepezil eingestellt
waren, zusätzlich den NMDA-
Rezeptorantagonisten
Memantin oder Plazebo.
Methodik Die Studie rekrutierte 404 Patienten mit der Diagnose wahrscheinlicher Morbus Alzheimer an 37 US-amerikanischen Zentren. Einschlusskriterien waren: q Mini-Mental State Examination
(MMSE): Score von 5 bis 14 q Alter mindestens 50 Jahre q MRI oder CT innert der letzten
12 Monate vereinbar mit wahrscheinlicher Alzheimer-Diagnose q seit mindestens 6 Monaten Behandlung mit Donepezil (Aricept®), mindestens für die letzten 3 Monate in stabiler Dosis (5–10 mg/Tag) q zuverlässige Betreuungsperson für die Begleitung zu den Untersuchungen und die Verabreichung der Therapie q ambulante Patienten q stabile medizinische Begleitmedikation.
Die Patienten durften weiterhin zuvor eingeleitete Therapien, darunter auch Antidepressiva, Antipsychotika oder Sedativa einnehmen. Die Patienten wurden in zwei Behandlungsgruppen randomisiert und erhielten identisch aussehende Tabletten, entweder mit Memantin (Axura®, Ebixa®) oder Plazebo. Bei den zur doppelblinden Memantin-Behandlung randomisierten Patienten wurde die Dosis in wöchentlichen 5-mgSchritten von 5 auf 20 mg (2 x 2 5-mgTabletten tägl.) auftitriert. Kognitive, funktionelle und globale Verlaufsparameter wurden am Ende der Wochen 4, 8, 12, 18 und 24 erhoben. Primäre Wirksamkeitsendpunkte waren die Scores für SIB (Severe Impairment Battery) und für das modifizierte, 19 Punkte umfassende AD Cooperative Study – Activities of Daily Living Inventory (ADCS-ADL19) in Woche 24. Der SIB wurde zur Erfassung kognitiver Dysfunktionen bei Patienten mit fortgeschrittenem Alzheimer entwickelt und umfasst Subskalen zu Gedächtnis, Orientierung, Sprache, Aufmerksamkeit, visuell-räumlichen Fähigkeiten und Konstruktion. Die Skala erfasst auch praktische Fähigkeiten, soziale Interaktionen und Namensorientierung. Der ADCS-ADL19 fokussiert auf die Stadien fortgeschrittener Demenzen, zum Beispiel das Niveau der Unabhängigkeit bei Alltagsaufgaben wie Essen, Gehen, Ankleiden, Telefongebrauch, Hobbies oder bei komplexen Aufgaben und bei der Kommunikation. Die entsprechenden Fragen werden der Betreuungsperson gestellt. Als sekundäre Outcome-Messwerte wurden Clinician’s Interview-Based Impression of Change Plus Caregiver Input (CIBICPlus), Neuropsychiatric Inventory (NPI) und Behavioral Rating Scale for Geriatric Pati-
Merk-
punkte
q Bei Patienten mit mittelschwerem und schwerem Morbus Alzheimer, die unter stabiler Dauerbehandlung mit Aricept standen, führte die zusätzliche Verabreichung von Memantin im Vergleich zu Plazebo zu einem signifikant besseren Verlauf über 24 Wochen.
q Memantin dürfte damit ein neuer Behandlungsansatz für Patienten mit fortgeschrittenerer Alzheimer-Demenz sein.
ents (BGP) erhoben. Diese Messskalen erlauben eine Einschätzung des klinischen Gesamtzustands, der Häufigkeit und Schwere von Verhaltensstörungen und der beobachtbaren Aspekte von Kognition, Funktion und Verhalten.
Ergebnisse Von den 404 Teilnehmenden wurden 201 zu Plazebo und 203 zu Memantin randomisiert. In der Memantin-Gruppe beendeten signifikant mehr Patienten die Studie als in der Plazebogruppe (85,1 vs. 74,6%, p = 0,01). Die beiden Gruppen waren hinsichtlich demografischer und klinischer Charakterisitka gut vergleichbar. Statistisch signifikante bessere Behandlungsergebnisse ergaben sich für die Memantin-Behandlung im Vergleich zu Plazebo bei allen primären und sekundären Endpunkten: SIB (p < 0,001), ADCS-ADL19 (p = 0,03), NPI signifikant tiefer am Ende
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STUDIE q ÉTUDE
Memantin plus Donepezil bei bei fortgeschrittenem M. Alzheimer
der 24. Woche (p = 0,01) sowie BGP (p = 0,001). Der mittlere CIBIC-Plus-Score war in der Memantin-Gruppe signifikant besser; am Ende der 24-wöchigen Studie wurden in der Memantin-Gruppe 55 Prozent der Patienten als gebessert oder unverändert eingestuft, in der Plazebogruppe hingegen nur 45 Prozent. In der Plazebogruppe beendeten 12,4 Prozent die Studie wegen Nebenwirkungen vorzeitig, in der Memantin-Gruppe traf dies für 7,4 Prozent zu. Häufigster Abbruchgrund war Verwirrtheit (Memantin 2,0%, Plazebo 1,5%). Insgesamt wurden in der Memantin-Gruppe bei 78 Prozent und in der Plazebogruppe bei 72 Prozent Nebenwirkungen aufgezeichnet. Nur zwei Nebenwirkungen traten unter Memantin bei mehr als 5 Prozent und doppelt so häufig wie in der Plazebogruppe auf: Verwirrtheit (7,9% vs. 2,0%, p = 0,01) und Kopfweh (6,4% vs. 2,5%, p = 0,09). Nach denselben Kriterien waren hingegen Diarrhö und Stuhlinkontinenz unter Memantin seltener. Bei den meisten Patienten der Memantin-Gruppe, die einen Verwirrtheitszustand erlitten, trat dieser nach median 32 Tagen auf, wurde als leicht eingestuft und besserte sich innerhalb von zwei Wochen. Bei Labortests, Vitalzeichen oder EKG wurden keine klinisch signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen festgestellt.
Diskussion Dies sei die erste publizierte Studie, die die Wirkungen eines NMDA-Rezeptorantagonisten bei Alzheimer-Patienten untersuchte, die schon eine stabile Dosis von Donepezil erhalten hatten, schreiben die Autoren. Dabei zeigte sich, dass die Wirksamkeit dieser Zusatztherapie im Vergleich zu einer Plazebokontrolle signifikant besser war. Insbesondere fielen die Messwerte für kognitive Funktion, Alltagsaktivitäten, Verhalten und den klinischen Gesamtzustand unter Memantin besser
aus als unter Plazebo. Nach sechs Monaten konnten die MemantinPatienten ihre kognitive Funktion erhalten, in der Plazebogruppe sank sie deutlich ab. Unter Memantin fiel der ADCS-ADL19-Score weniger ab, und auch beim CIBIC-Plus war häufiger keine Veränderung oder nur eine geringe Verschlechterung zu beobachten. Diese Wirksamkeitsnachweise bestätigen die Ergebnisse früherer kontrollierter Memantin-Studien bei Demenz, zum Beispiel die europäische M-BEST-Studie bei institutionalisierten Patienten mit Alzheimerund vaskulärer Demenz oder die letztes Jahr publizierte Multizenterstudie zur Monotherapie bei wahrscheinlicher Alzheimer-Demenz. In letzterer Studie waren die nicht institutionalisierten Patienten kognitiv und funktionell stärker beeinträchtigt und psychopathologisch auffälliger. Der Behandlungseffekt im Vergleich zu Plazebo war grösser als in der hier vorgestellten Studie. Dies könnte an der ausgeprägteren Schwere der Demenz in der Monotherapiestudie liegen oder daran, dass die jetzige Kombinationsstudie mit Donepezil auch den Einsatz der meisten Psychotropika erlaubte, was zu langsameren psychischen Abbauraten sowohl in der Memantin- wie in der Plazebogruppe geführt haben könnte, vermuten die Autoren. Memantin in einer Tagesdosis von 20 mg, zusätzlich zur Donepezil-Dauerbehandlung verabreicht, war sicher und gut verträglich, schreiben die Autoren weiter. Verwirrtheit trat als Nebenwirkung mit geringer Häufigkeit auf, führte aber im Vergleich zu Plazebo nicht häufiger zum Therapieabbruch, war von geringer Intensität und kurzer Dauer. Dass gastrointestinale Nebenwirkungen, wie man sie von Cholinergika kennt, unter Memantin seltener waren als unter Plazebo, könnte daran liegen, dass Memantin diese Effekte bei den hier primär mit Donepezil behandelten Patienten besserte.
Zwar gibt es a priori keinen Grund anzunehmen, dass die Kombination von Memantin mit einem anderen Acetylcholinesterasehemmer zu einem anderen Resultat führen würde. Dies können aber erst weitere Studien, die zurzeit laufen, klären. Auch zu den Langzeitauswirkungen der kombinierten Therapie mit Memantin und Acetylcholinesterasehemmer kann diese Studie noch keine Aussagen machen, die offene Fortführung sowie weitere Studien werden hierzu weitere Hinweise geben. Es ist zwar plausibel, dass die Kombination von Donepezil und Memantin, die verschiedene Neurotransmittersysteme betreffen, unabhängige Therapievorteile bringt, meinen die Autoren, sie räumen aber ein, dass auch ein synergistischer Effekt möglich sei. Obwohl spezifische Wirkungsmechanismen und Interaktionen dieser Therapien noch nicht klar definiert seien, zeigten diese und andere Studien, dass Memantin allein oder zusammen mit einem Acetylcholinesterasehemmer gegenüber Plazebo bei mittelschwerem und schwerem M. Alzheimer signifikant bessere Outcomes bewirke als Plazebo.
Pierre N. Tariot et al. (Departments of Psychiatry, Medicine, Neurology, and the Center for Aging and Developmental Biology, University of Rochester Medical Center, Rochester/USA): Memantine treatment in patients with moderate to severe Alzheimer disease already receiving donepezil. JAMA 2004; 291: 317–324. q
Halid Bas
Interessenkonflikte: Die Studie wurde vom Forest Research Institute, einer Abteilung der Firma Forest Laboratories, finanziert. Die Firma war an der Durchführung der Studie und der Publikation beteiligt. Mehrere Autoren deklarieren Forschungsgelder und finanzielle Zuwendungen verschiedener grosser Pharmaunternehmen.
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