Transkript
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Kolonkarzinom
Was bringt die Früherkennung wirklich?
PETER OTTO
In der KrebstodesursachenStatistik liegt das kolorektale Karzinom in Deutschland und der Schweiz an zweiter Stelle. Etwa ab dem 50. Lebensjahr steigen Inzidenz und Mortalität deutlich an. Da sich das Kolonkarzinom in der Regel mit einer Latenz von zehn bis 15 Jahren entwickelt, erfüllt diese Tumorart die Grundvoraussetzung für effektive Früherkennungsmassnahmen. Allerdings muss die entsprechende Patientenzielgruppe auch ausreichend über Nutzen und Zweck von Vorsorgeprogrammen aufgeklärt werden, was überwiegend Aufgabe des betreuenden Hausarztes sein dürfte.
Was lässt sich durch Früherkennungsmassnahmen beim kolorektalen Karzinom überhaupt erreichen? Durch Erfassung und Abtragung von Vorstufen karzinomatöser Veränderungen – der polypösen Adenome – im Rahmen einer Koloskopie kann ähnlich wie beim Zervixkarzinom eine echte Vorsorgemassnahme und nicht nur eine Früherkennung durchgeführt werden. Die frühe Diagnose solcher Krebsvorstufen ermöglicht eine effektivere Therapie mit konsekutiver Verbesserung der Prognose. Es ist deshalb sinnvoll, allen asymptomatischen Menschen ab dem 50. Lebensjahr ein Screening auf kolorektale Karzinome anzubieten. Dafür kommen weltweit unterschiedliche Strategien zum Einsatz: 1. Jährlicher Test auf okkultes Blut im
Stuhl 2. Sigmoidoskopie alle fünf Jahre 3. Kombination jährlicher Test auf
okkultes Blut und Sigmoidoskopie 4. Kolon-Kontrasteinlauf alle fünf Jahre 5. Koloskopie alle zehn Jahre.
Blutung als Warnzeichen
Die sichtbare oder okkulte peranale Blutung ist das für kolorektale Neoplasien charakteristischste Zeichen oder Symptom (5). Dabei kommt der okkulten, nicht sichtbaren Blutung mindestens die gleiche Bedeutung zu wie der sichtbaren peranalen Blutung. Ein Hinweis auf mögliche okkulte Blutungen ist die ungeklärte Eisenmangelanämie, insbesondere wenn sie bei klinisch unauffälligen Patienten über 50 Jahre auftritt. 10 bis 15 Prozent der Blutbildveränderungen dieser Altersgruppe haben ihre Ursache in klinisch stummen Karzinomen der Kolonregion proximal der linken Flexur. Die peranalen Blutungen sind in ihren unterschiedlichen
Merk-
sätze
q Ist beim Haemoccult-Test einer der 3 Testbriefe positiv, so gilt dieser Test als positiv mit der Konsequenz einer nachfolgenden hohen Koloskopie.
q Mit der Screeningkoloskopie sind 75 bis 90 Prozent aller kolorektalen Karzinome zu vermeiden.
Qualitäten von den Patienten anamnestisch gut zu erfragen (Tabelle 1). Dabei sollten insbesondere dunkle und mit dem Stuhl vermischte Blutabgänge bei Menschen über 50 Jahre den Verdacht auf ein Kolonkarzinom lenken. In diesen Fällen muss unbedingt eine Koloskopie zur weiteren Abklärung erfolgen.
Test auf okkultes Blut im Stuhl
Bei optimaler Ausführung lassen sich mit Hilfe der Testung auf okkultes Blut im Stuhl pro 1000 Testteilnehmern drei kolorektale Karzinome und drei bis vier Adenome entdecken (11). Dabei gehören zu «optimalen Testbedingungen» folgende Kriterien: q Drei Stuhlproben von drei aufeinander
folgenden Tagen q ausreichend grosse (linsengrosse)
Stuhlpartikel q beschickte Tests nie länger als drei Tage
liegen lassen Vitamin C in grossen Dosen kann falschnegative Testergebnisse zur Folge haben, Obst in normaler Menge ist erlaubt. Eisentabletten und geringe Mengen (< als 200 g) Blutwurst haben keinen Einfluss auf das Testergebnis.
A R S M E D I C I 6 q 2 0 0 4 257
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Kolonkarzinom
Die Effizienz des Haemoccult-Screenings zeigen die Ergebnisse einer Allgemeinarztpraxis: Von 2136 getesteten Patienten zeigten 93 (4,35%) positive Ergebnisse. Von diesen wiederum hatten 13 (14%) ein Kolonkarzinom (9 davon Dukes A und B). Bei 17 Patienten wurden in der Koloskopie Adenome gefunden. Umgerechnet bedeutet das: 5,1 Karzinome und 7,9 Adenome pro 1000 Teilnehmer. Ist beim Haemoccult-Test einer der drei Testbriefe positiv, so gilt dieser Test als positiv mit der Konsequenz einer nachfolgenden hohen Koloskopie. Drei grosse prospektive und kontrollierte Studien mit einer Laufzeit zwischen elf und 18 Jahren zeigen, dass durch regelmässige Stuhltests auf okkultes Blut im Stuhl die Darmkrebsmortalität signifikant gesenkt werden kann, wobei eine jährliche Testung mit 33 Prozent Mortalitätsabsenkung besser ausfällt als eine Testung, die alle zwei Jahre durchgeführt wird (13– 21%).
Sigmoidoskopie und Koloskopie
Mehrere retrospektive und prospektive Studien konnten belegen, dass sowohl die starre als auch die flexible Sigmoidoskopie die Mortalität beim kolorektalen Karzinom um 60 bis 80 Prozent senkt. Ein wesentlicher Nachteil dieses Vorgehens ist die fehlende Beurteilbarkeit der proximalen Kolonabschnitte. So konnte gezeigt werden, dass bei mehr als der Hälfte der Patienten mit fortgeschrittenen Adenomen proximal der linken Kolonflexur keine Polypen im distalen Kolon vorlagen und dass mehr als 25 Prozent der in diesen Untersuchungen diagnostizierten Kolonkarzinome übersehen worden wären. Die hohe Koloskopie weist die höchste Sensitivität (95%) und Spezifität (100%) für die Erfassung kolorektaler Karzinome auf und ermöglicht die endoskopische Entfernung von Adenomen und Frühkarzinomen im gesamten Kolon. Mit der Screeningkoloskopie sind 75 bis 90 Prozent aller kolorektalen Karzinome zu vermeiden. Die Koloskopie ist gegenüber den übrigen
Tabelle 1: E r s c h e i n u n g e n p e r a n a l e r B l u t u n g e n
Sichtbar
Kontaktblutung (Blut am Toilettenpapier) hellrot am Stuhl hellrot tropfend dunkel (venös), schleimig Blutstuhl (Hämatochezie) Teerstuhl (Melaena)
Okkult
Test auf okkultes Blut im Stuhl positiv Eisenmangelanämie
erwähnten Screeningmethoden hinsichtlich der Kosten-Nutzen-Relation, das heisst der Kosten pro vermiedenen DarmkrebsTodesfall, am effektivsten. Diese Erkenntnisse führten am 21. Juni 2002 zur Änderung und Erweiterung der gesetzlichen «Krebsfrüherkennungs-Richtlinien» bezüglich der Früherkennungsuntersuchungen auf kolorektales Karzinom. Am 1.10. 2002 wurde die Vorsorgekoloskopie als zusätzliche Leistung der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland eingeführt (siehe Kasten).
Ärztliche Qualifikation
Zusammen mit der Aufnahme der hohen Koloskopie in die KrebsfrüherkennungsRichtlinien wurden umfassende Qualitätssicherungsmassnahmen verabschiedet, die
sich auf die Ausführung und Abrechnung von vertragsärztlichen Leistungen der Koloskopie sowohl in der Prävention (EBM Nr. 156) als auch in der Kuration (EBM Nr. 764) beziehen. Zur Durchführung der Koloskopie sind berechtigt: q Facharzt für Innere Medizin
(Fachkunde «Sigmoido-Koloskopie in der Inneren Medizin») q Gastroenterologe q Facharzt für Chirurgie (Weiterbildungsrecht: Koloskopie und koloskopische Polypektomie) q Facharzt für Kinderchirurgie (Fachkunde «Sigmoido-Koloskopie»). Durchführende Ärzte müssen in der Lage sein, Polypektomien in der gleichen Sitzung durchzuführen. Damit manuelle Fertigkeiten auf hohem Niveau erhalten
Neues Früherkennungsprogramm im Überblick
Frauen und Männer haben in Deutschland vom Beginn des 50. Lebensjahres an Anspruch auf vertragsärztliche Massnahmen zur Früherkennung von kolorektalen Karzinomen nach Massgabe der folgenden Bestimmungen:
q Vom 50. bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres: jährliche Durchführung eines Schnelltests auf okkultes Blut im Stuhl
q Ab dem 56. Lebensjahr: erste Koloskopie zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms
q Zweite Koloskopie frühestens 10 Jahre nach Durchführung der ersten Koloskopie
q Für eine optimierte Früherkennung ist die Durchführung der ersten Koloskopie innerhalb des 56. Lebensjahres anzustreben. Jede nach dem 65. Lebensjahr durchgeführte Koloskopie zählt als zweite Koloskopie
q Wenn keine Koloskopie oder keine zweite Koloskopie nach Ablauf von 10 Jahren durchgeführt wurde, besteht Anspruch auf die 2-jährliche Durchführung eines Schnelltests auf okkultes Blut im Stuhl ab dem 56. Lebensjahr
q Bei einem positiven Befund des Schnelltests besteht ein Anspruch auf Abklärung durch eine Koloskopie.
258 A R S M E D I C I 6 q 2 0 0 4
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Kolonkarzinom
bleiben, müssen teilnehmende Ärzte mindestens 200 Koloskopien und 10 Polypektomien pro Jahr nachweisen und ausserdem eine geeignete Notfallausstattung vorweisen. Unangemeldet werden zudem halbjährlich Überprüfungen der Hygienequalität der verwendeten Endoskope (max. 2 Endoskope pro Aufbereitung) durchgeführt.
Tabelle 2: Neoplasien, die bei der präventiven Koloskopie an symptomlosen Patienten entdeckt wurden
Fortgeschrittene Neoplasien Alle Neoplasien Karzinome
Kein Risiko
56 (10%) 123 (22%) 2 (0,36%)
n = 557; 277 Frauen, 280 Männer – Alter 50 bis 60 Jahre
Familiäres Risiko
106 (19%) 201 (36%) 5 (0,9%)
Beraten dürfen alle
Eine Beratung kann von jedem am Krebsfrüherkennungs-Programm teilnehmenden Arzt durchgeführt werden. Er sollte die Versicherten möglichst frühzeitig nach Vollendung des 50. Lebensjahres einmalig über Ziel und Zweck des Programms zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms informieren. Möglichst bald nach Vollendung des 55. Lebensjahres sollten die Versicherten eine zweite Beratung erhalten, die folgende Inhalte umfasst: q Häufigkeit und Krankheitsbild q Ziele und Konzeption der Früherken-
nungsuntersuchungen q Effektivität (Sensitivität, Spezifität) und
Wirksamkeit der Früherkennungsuntersuchungen q Nachteile (Belastung, Risiken) der Früherkennungsuntersuchungen q Vorgehensweise bei positivem Befund.
Effektivität der Koloskopie
In Zeiten knapper werdender Ressourcen im Gesundheitssystem wird die Aufnahme der Vorsorgekoloskopie in die Früherkennungsmassnahmen beim kolorektalen Karzinom von grosser Skepsis begleitet. Wenn auch ein endgültiges Statement über den Effekt dieser Massnahme hinsichtlich des ökonomischen Nutzens zurzeit nicht möglich ist, können erste positive Ergebnisse aus einer prospektiven Multizenterstudie bei niedergelassenen Gastroenterologen berichtet werden (21). Dabei wurden bei 557 asymptomatischen Personen (277 Frauen, 280 Männer) im Alter zwischen 50 und 60 Jahren Vorsorgekoloskopien durchgeführt und die Zahl der fortgeschrittenen Neoplasien – definiert als Karzinome, grosse Adenome
Kasten: K o l o s k o p i e f ü r R i s i k o g r u p p e n
Neben der Screeningkoloskopie ab dem 56. Lebensjahr sollte bei bestimmten Risikogruppen bereits ab dem 45. Lebensjahr eine Koloskopie durchgeführt werden. Dazu gehören:
q Verwandte 1. Grades von Patienten mit kolorektalen Karzinomen und Adenomen q Patienten nach kolorektalen Adenomen mit Karzinomen (pT1) q Low Risk (pT1, G1, G2, L0): Koloskopie nach 6, 24 und 60 Monaten q High Risk (pT1, G3, G4, L1): Radikal-chirurgische Therapie, Koloskopie nach 24 und
60 Monaten q Patienten nach kolorektalen Adenomen q Wenn multiple (> 3) Adenome vorlagen q Bei grossen (< 1 cm) Adenomen q Bei inkompletter oder fraglich inkompletter Abtragung q Mammakarzinom-Patientinnen q Patientinnen mit mehr als fünf Jahre bestehender chronisch entzündlicher Darm-
erkrankung q Hereditäre kolorektale Karzinome
> 1 cm, villöse Adenome und Adenome mit hochgradigen Dysplasien – erfasst und Personen ohne kolorektales Karzinomrisiko und solchen mit familiärem Risiko zugeordnet (Tabelle 2). Es wurden 7 Karzinome entdeckt, davon 5 in der Gruppe mit familiärem Risiko. Alle Tumoren befanden sich in relativ prognosegünstigen Stadien. 6 der 7 Karzinome befanden sich im Stadium T1 N0 oder T2 N0, eins im Stadium T3 N0. 2 Tumore wurden endoskopisch abgetragen, 5 Patienten wurden operiert. In 7 Fällen wurden Adenome mit hochgradigen Dysplasien polypektomiert. Als Komplikationen wurden lediglich 2 Postpolypektomie-Blutungen beobachtet, die endoskopisch gestillt wurden. Einer Wiederholungskoloskopie standen alle Untersuchten positiv gegenüber. Die Autoren ermittelten anhand einer Modellrechnung für die effektive Frühversorgung der 7 Karzinome eine definitive Kostenersparnis von 176 000 Euro.
Fazit Die ersten Erfahrungen mit der Vorsorgekoloskopie scheinen positiv zu sein. Sie ist effektiv bei der Entdeckung und Behandlung kolorektaler Neoplasien, kostengünstig und wird patientenseits akzeptiert.
Prof. Dr. med. Peter Otto Facharzt für Innere Medizin
Gastroenterologie Lerchenweg 1
D-30938 Burgwedel
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 16/2003. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
A R S M E D I C I 6 q 2 0 0 4 259