Transkript
ÜBERSICHTq APERÇU
Genitale Chlamydieninfektion
Symptomatik, Screening und Therapie
NEW ENGLAND JOURNAL OF MEDICINE
Chlamydia (C.) trachomatis
ist die häufgste bakterielle
Ursache unter den sexuell
übertragenen Infektionen. In
den USA geht man von drei
Millionen Neuinfektionen je-
des Jahr aus. Einen Überblick
über die Infektionskrankheit
und ihre Folgen gibt Jeffrey
F. Peipert im «New England
Journal of Medicine».
Ein Charakteristikum der genitalen Chlamydieninfektion ist, dass die meisten Betroffenen nichts davon bemerken. In 80 bis 90 Prozent der Fälle verläuft die Infektion mehrere Monate symptomlos, sodass eine Ausbreitung durch Geschlechtsverkehr leicht möglich ist. Trotz Beschwerdefreiheit gibt es bei einem Drittel der Frauen lokale Entzündungszeichen, die bei der gynäkologischen Untersuchung auffallen, etwa eine hypertrophe Ektopie im Cervix uteri.
Klinische Manifestation Klinisch manifestiert sich die Chlamydieninfektion bei Frauen als akute Urethritis, Bartholinitis, Zervizitis oder obere Genitaltraktinfektion (Endometritis, Adnexitis).
Auch eine reaktive Arthritis kann sich einstellen. Die Symptome hängen von der Lokalisation der Infektion ab. Im unteren Genitaltrakt einschliesslich der Urethra ist mit Dysurie, Ausfluss und postkoitaler Blutung zu rechnen, im oberen Genitaltrakt können irreguläre Uterusblutung und abdominelle Beschwerden vorherrschen. Bei Männern ist die Urethritis die häufigste klinische Manifestation. Sie tritt etwa sieben bis 21 Tage nach Inkubation auf und geht mit Dysurie und klarem Harnröhrenausfluss einher. Zumeist ergibt die körperliche Untersuchung darüber hinaus keine weiteren Besonderheiten. Neben der Harnröhrenentzündung können aber auch Epididymitis, Proktitis, Konjunktivitis und das Reiter-Syndrom Folgen einer genitalen Chlamydieninfektion sein. Selbst Infertilität, chronische Prostatitis und Harnröhrenstrikturen sind möglich.
Sterilität und ektope Schwangerschaft Bei Frauen kann eine unbehandelte Chlamydieninfektion schwere Folgen haben: C. trachomatis ist eine wichtige Ursache für die aszendierende Adnexitis mit den Folgen von Sterilität, ektoper Schwangerschaft und chronischen Unterleibsschmerzen. Eine Zahl mag dies beispielhaft verdeutlichen: Heute geht man davon aus, dass ein Drittel der ektopen Schwangerschaften auf eine Chlamydieninfektion zurückzuführen ist. Tritt die Infektion während der Schwangerschaft auf, kann dies Folgen für Kind und Mutter haben. Es besteht das Risiko einer erhöhten Kindersterblichkeit, eines geringen Geburtsgewicht und – mütterlicherseits – einer postpartalen Endometritis. Die Chlamydieninfektion kann während der Geburt auf das Kind übertragen werden. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Übertragung beträgt für das
Merk-
sätze
q Die genitale Chlamydieninfektion ist bei jungen Menschen recht häufig.
q Ein generelles Screening ist nicht angezeigt, bei Risikopatienten wird es empfohlen.
q Besonders bei Frauen ist die rasche Therapie wichtig, weil bei Adnexitis unter anderem Sterilität als schwer wiegende Folge droht. Mit Antibiotika kann die Infektion sehr erfolgreich behandelt werden.
Neugeborene mindestens 50 Prozent, wenn die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt eine aktive Infektion durchmacht. 30 bis 50 Prozent der Säuglinge mit Chlamydien-positiven Müttern haben eine Konjunctivitis, bei einem Teil von ihnen ist auch der Nasopharynx infiziert.
Wer hat ein erhöhtes Infektionsrisiko?
Die Prävalenzraten schwanken stark je nach untersuchter Population. Amerikanischen Untersuchungen zufolge sollen 2 bis 7 Prozent der jungen Frauen am College infiziert sein, dagegen beträgt die Prävalenz bei Personen, die sich wegen einer Geschlechtskrankheit in Behandlung befinden, bis zu 20 Prozent. Besonders betroffen ist die Altersgruppe unter 25 Jahren. Doch ist nicht das Alter per se riskant, sondern die in diesem Lebensabschnitt ausgeprägte sexuelle Aktivität. Junge Menschen mit häufigem Partnerwechsel sind besonders betroffen.
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ÜBERSICHTq APERÇU
Genitale Chlamydieninfektion
Tabelle: H ä u f i g e k l i n i s c h e S y n d r o m e u n d i h r e T h e r a p i e
Krankheitsbild Männer Nicht-Gonokokken-Urethritis Wiederholte oder persistierende Urethritis
Epididymitis Frauen Eitrige Zervizitis Chlamydien in der Schwangerschaft
Adnexitis
Therapieempfehlung
Azithromycin 1 g oral (Einmaldosis), oder Doxycyclin 100 mg 2-mal tgl. über 7 Tage Metronidazol 2 g oral (Einmaldosis) plus Erythromycin 500 bzw. 800 mg (Erythromycin Ethylsuccinat) 4-mal tgl. oral über 7 Tage Cetriaxon 250 mg i.m. (Einmaldosis) plus Doxycyclin 100 mg 2-mal tgl. oral über 10 Tage
Azithromycin 1 g oral (Einmaldosis), oder Doxycyclin 100 mg 2-mal tgl. oral über 7 Tage Erythromycin 500 mg oral 4-mal tgl. über 7 Tage oder Amoxicillin 500 mg oral 3-mal tgl. über 7 Tage oder Azithromycin 1 g Einmaldosis Ofloxacin 400 mg 2-mal tgl oral über 14 Tage oder Levofloxacin 500 mg 1-mal tgl. oral über 14 Tage mit oder ohne Metronidazol 500 mg 2-mal tgl. oral über 14 Tage; alternativ: Ceftriaxon 250 mg i.m. (Einmaldosis) oder Cefoxitin 2 g i.m. (Einmaldosis) plus Probenecid 1 g oral plus Doxycyclin 100 mg 2-mal tgl. oral über 14 Tage mit oder ohne Metronidazol (s.o)
Wann ist ein Screening sinnvoll?
rate zu senken. Allerdings steht dieses Vorhaben wissenschaftlich auf tönernen Füssen. Es gibt nicht eine Studie, die zeigt,
Nach Angabe des Autors besteht eine dass Screening von symptomfreien Män-
starke Evidenz dafür, bei Risikopatienten nern die Rate der akuten Infektionen
ein Screening durchzuführen. Eine grosse senkt oder die Zahl von Folgeerscheinun-
amerikanische Untersuchung hat gezeigt, gen bei Männern oder Frauen beeinflusst.
dass junge Frauen, die sich einem regel-
mässigen Screening unterzogen, deutlich seltener eine Adnexitis erlitten. Zwei in
Wie wird getestet ?
Schweden durchgeführte Studien vermel- Während die Kultur von einem Zervixab-
deten einen Rückgang ektoper Schwan- strich Goldstandard ist, haben sich heute
gerschaften bei gescreenten (und thera- andere Tests als praktikabler erwiesen.
pierten) Frauen.
Dabei werden unter anderem mit Hilfe der
Insgesamt besteht allerdings aufgrund der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) C.-tra-
ungenügenden Datenlage noch Unsicher- chomatis-spezifische DNS- und RNS-
heit darüber, wer genau gescreent wer- Sequenzen amplifiziert. Die Sensitivität
den sollte und wie oft. Bislang spricht beträgt je nach Lokalisation 80 bis
wenig dafür, Frauen ohne erhöhtes Risiko 90 Prozent. Bei Urinproben ist die Sensi-
einem Test zu unterziehen. Der Autor tivität etwas geringer als bei endozervika-
empfieht ein Screening bei allen Frauen len Abstrichen, die Spezifität ist aber hier
mit folgenden Merkmalen:
wie dort sehr hoch. Zumeist werden heute
q Alter unter 25 Jahre
Urinproben gewählt. Alternativ können
q keine oder unregelmässige
Frauen auch vaginale oder urethrale Ab-
Anwendung von Kondomen
strichproben selbst sammeln und für den
q neuer Sexualpartner
Amplifikationstest bereitstellen
q mehr als ein Sexualpartner
q zervikale Ektopie q aktuelle oder frühere durchgemachte
Die Therapie
Geschlechtskrankheit.
Die Behandlung einer Chlamydieninfek-
Angesichts der hohen Prävalenz asympto- tion ist sehr erfolgversprechend. Die Hei-
matischer Infektionen haben manche - lungsraten nach Antibiotikatherapie be-
Experten sich dafür ausgesprochen, das tragen über 95 Prozent. Nach Angaben
Routinescreening bei Männern als nächs- des Autors kommen vor allem eine sie-
ten Schritt zu erwägen, um die Infektions- bentägige Behandlung mit Doxycyclin
(z.B. Doxyclin®) oder die Gabe einer Ein-
maldosis Azithromycin (Zithromax®) in Be-
tracht (siehe Tabelle). Die Sexualpartner
sollten ebenfalls untersucht und behan-
delt werden. Während der Therapie soll-
ten die Patienten eine Woche keinen
Geschlechtsverkehr haben (gilt auch bei
der Azithromycin-Therapie).
Während der Schwangerschaft scheint
Amoxicillin (z.B. Azillin, Supramox®) so
wirksam zu sein wie Erythromycin (Ery-
throcyn®). Kleinere Studien haben zudem
gezeigt, dass die Heilunsgraten und die
Akzeptanz für Azithromycin ähnlich hoch
ist.
Der Autor macht in seinem Beitrag deut-
lich, dass bei Frauen mit hohem Chlamy-
dieninfektionsrisiko die Therapieschwelle
niedrig sein sollte, das heisst, ein frühzeiti-
ger Behandlungsbeginn ist angesichts der
schweren möglichen Folgen angezeigt.
Nach erfolgter Behandlung ist ein erneuter
Test nicht notwendig, ausser bei Patien-
ten, deren Therapietreue unsicher scheint,
oder aber, wenn die Symptome weiterhin
vorhanden sind oder eine Reinfektion an-
genommen wird.
q
Jeffrey F. Peipert: Genital chlamydial infections. NEJM 2003; 349: 2424–2430.
Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
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