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Das Glaukom
Pathophysiologie, Diagnose und Therapie
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Das Glaukom ist in den
Industrieländern nach dem
Diabetes mellitus die zweit-
häufigste Erblindungsursa-
che. Man schätzt, dass etwa
15 bis 20 Prozent aller Blin-
den ihr Augenlicht durch den
grünen Star eingebüsst
haben. Der einzige Weg, die
endgültige Schädigung des
Sehnerven zu verhindern,
besteht in der Senkung des
intraokulären Druckes.
Das Glaukom führt über einen erhöhten Augeninnendruck zu einer Schädigung des Sehnervs, was schlimmstenfalls bis zur Erblindung fortschreiten kann. Der intraokuläre Druck wird determiniert durch die Balance zwischen Produktion von Kammerwasser und dessen Abfluss in den Schlemm’schen Kanal (Abbildung 1).
Die Zirkulation des Kammerwassers Der durchschnittliche intraokulare Druck beträgt beim Menschen etwa 15 mmHg,
liegt also über dem Gewebedruck in anderen Organen. Das hat seinen Grund: Nur so kann der optische Apparat funktionieren, kann also die Wölbung der Hornhaut oder der Abstand zwischen Hornhaut, Linse und Netzhaut aufrecht erhalten werden. Das Kammerwasser wird in den Ziliarzotten gebildet und in die Augenhinterkammer sezerniert (Abbildung 1). Jedes normale Auge produziert in der Minute etwa 2 ml, auf das ganze Leben gerechnet sind das etwa 70 Liter. Das Kammerwasser gelangt von der Hinterkammer durch die Papille in die Vorderkammer. Hier muss es den ersten natürlichen Widerstand überwinden: Da die Iris der Linse aufliegt, bedarf es eines Druckes, um die Regenbogenhaut von der Linse abzuheben und den Durchstrom zu ermöglichen. Wird der Pupillendurchfluss herabgesetzt (Pupillarblock), entsteht automatisch eine Druckerhöhung in der Hinterkammer, wodurch sich die Iris wie ein Segel aufbläht, sich vor das Trabekelwerk schiebt und damit den Kammerwinkel verlegt, das heisst einem Winkelblockglaukom Vorschub leistet. Der Pupillendurchfluss kann erschwert sein bei Menschen mit kleinen Augen und grosser Linse. Auch die osmotische Linsenquellung bei Diabetikern disponiert zum Winkelblockglaukom. Aus dem Kammerwinkel der Vorderkammer gelangt das Kammerwasser schliesslich grösstenteils über das Trabekelwerk in den Schlemm-Kanal und wird von dort über zahlreiche Sammelkanäle in die episkleralen Kammerwasservenen entsorgt. Das Trabekelwerk bietet den zweiten physiologischen Widerstand beim Abtranport des Kammerwassers. Ist der Kammerwinkel offen, der Trabekelwiderstand jedoch erhöht, entsteht das so genannte Offenwinkelglaukom.
Merk-
sätze
q Das Glaukom ist eine der häufigsten Erblindungsursachen.
q Die häufigste Form ist das primär chronische Offenwinkelglaukom, das über lange Zeit symptomlos voranschreitet, ehe es zu ersten Gesichtsfeldausfällen kommt. Früherkennungsuntersuchungen beim Augenarzt werden empfohlen.
q Die Therapie der Wahl ist die topische medikamentöse Drucksenkung. Zur Verfügung stehen verschiedene Medikamente.
q Das akute Winkelblockglaukom entsteht durch eine plötzliche Blockade des Kammerwasserabtransports mit dramatischer Erhöhung des intraokulären Druckes. Die Patienten bedürfen einer notfallmässigen augenärztlichen Behandlung.
Ein geringerer Teil des Kammerwassers wird übrigens über ein uveosklerales Gefässystem in den venösen Kreislauf abtransportiert. Dieser Abflussweg kann therapeutisch von Bedeutung sein (s. Carboanhydrasehemmer weiter unten). Pathophysiologisch lässt sich ein Glaukom fast immer auf einen erhöhten Kammerwasser-Abflusswiderstand zurückführen und praktisch nie auf eine erhöhte Kammerwasserproduktion. Wann und ob der Druck den Sehnerv schädigt, hängt von vielen Faktoren ab,
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Das Glaukom
auch von der Dauer der Einwirkung. Als grobe Regel gilt, dass ein Druck von 20 bis 30 mmHg nach Jahren schädigt, steigt der Druck auf über 40 mmHg, drohen der sofortige Visusverlust und ein retinaler Gefässverschluss. Glaukome werden in primäre und sekundäre unterteilt. Primär sind sie, wenn sie nicht die Folge einer anderen (Augen-)Erkrankung sind; sekundäre Glaukome treten im Gefolge von Augenerkrankungen (z.B. Winkelblockglaukom bei Rubeosis iridis) oder von Therapiemassnahmen (z.B. Offenwinkelglaukom bei systemischer Steroid-Therapie) auf. Im Folgenden sollen nur die beiden wichtigsten Glaukome beschrieben werden.
Primär chronisches Offenwinkelglaukom
Das primär chronische Offenwinkelglaukom (PCOG) ist die mit Abstand häufigste Glaukomform; sie macht über 90 Prozent aller Glaukome aus. Die Erkrankung beginnt im mittleren bis höheren Lebensalter – zumeist schleichend und oft über viele Jahre symptomlos. Nur ein geringerer Teil der Patienten klagt über Kopfschmerzen oder Augenrötung. Wahrscheinlich spielt eine genetische Disposition eine Rolle. In der letzten Zeit sind so genannte Glaukom-Gene entdeckt worden.
Beim PCOG ist der Kammerwinkel immer offen, hingegen ist der Widerstand im Trabekelwerk aus bislang nicht bekannten Gründen erhöht. Die Erkrankung kann schon deutlich fortgeschritten sein, bis der Betroffene einen Gesichtsfeldausfall wahrnimmt. Ansonsten wird das PCOG in der Regel bei Routineuntersuchungen entdeckt, weshalb sich Augenärzte stark für Früherkennungsuntersuchungen bei Menschen im mittleren Lebensabschnitt aussprechen. Frühe glaukomatöse Gesichtsfeldausfälle können vom Augenarzt am besten mit der Computerperimetrie erkannt werden. Seit einiger Zeit gibt es computergesteuerte Rasterperimetriegeräte, mit denen zentrale Skotome früh entdeckt werden können. Im zentralen Gesichtsfeld sind die ersten Ausfälle zu erwarten. Oft haben die betroffenen Patienten dabei noch Druckwerte unter 21 mmHg, also im Normbereich. Viele Ophthalmologen glauben heute, dass es sich dabei dennoch um eine druckabhängige Neuropathie handelt, obwohl in diesen Fällen dann oft ein Niedrigdruckglaukom diagnostiziert wird.
Therapie
Eine Behandlung ist in der Regel angezeigt, wenn der intraokuläre Druck über
Abbildung 2: Grosse Exkavation der Papille ist typisch für einen glaukomatös veränderten Sehnerv
30 mmHg liegt. Daneben ist der Befund des Sehnervenkopfes therapieentscheidend. Finden sich Anzeichen einer glaukomatösen Exkavation des Sehnervs (Abbildung 2) oder eine deutliche Seitendifferenz der Exkavation (< 20%), wird der Augenarzt zur Therapie raten. Dennoch ist die Therapieentscheidung in Frühstadien nicht immer leicht zu treffen. Das hängt mit dem nicht ganz zuverlässig vorhersagbaren Krankheitsverlauf zusammen. So schreitet manchmal bei Normaldruckglaukom die Sehnervexkavation voran, während andererseits Patienten mit erhöhten Druckwerten bis zu 35 mmHg über Jahre von Sehnervschädigungen verschont bleiben. Entscheidet man sich für eine abwartende Haltung, sind aber in jedem Fall engmaschige Kontrollen erforderlich (mindestens dreimal pro Jahr). Die Therapie der Wahl ist die medikamentöse Drucksenkung. Dabei gibt es grundsätzlich drei therapeutische Ansatzpunkte: q Hemmung der
Kammerwasserproduktion q Steigerung des Trabekelabflusses q Steigerung des uveoskleralen Abflusses.
Abflusswiderstände
Abbildung 1: Das Kammerwasser wird in den Ziliarzotten gebildet, in die Hinterkammer sezerniert und gelangt durch die Pupille in die Vorderkammer. Im Kammerwinkel (Schlemm-Kanal) wird es entsorgt.
Es stehen verschiedene Medikamente als Augentropfen (oder -salben) zur Verfügung: Betablocker, wie etwa Timolol (z.B. Timisol®), Metipranolol (Turoptin®) oder Betaxolol (Betoptic-S®), senken die Kammerwasserproduktion und sind derzeit die am häufigsten verschriebenen topischen Glaukommedikamente. Sie ändern die Pupillenweite nicht und beeinträchtigen das Akkomodationsvermögen nicht.
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Das Glaukom
Kontraindiziert sind sie aber bei Patienten mit obstruktiver Lungenerkrankung, bei Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen, weil auch bei topischer Anwendung eine systemische Wirkung nicht auszuschliessen ist. Bei älteren Patienten können sie einer latenten oder bisher undiagnostizierten chronisch obstruktiven Lungenkrankheit (COPD) zum Ausbruch verhelfen. Die systemischen Effekte können verringert werden, indem die Patienten nach dem Eintröpfeln auf das Tränenpünktchen drücken oder das frisch getropfte Auge für einige Minuten schliessen. Prostaglandinanaloga wie etwa Latanoprost (Xalatan®) senken den intraokulären Druck, indem sie den uveoskleralen Abtransport steigern. Sie kommen prinzipiell für alle PCOG-Patienten in Frage. Systemische Nebenwirkungen sind praktisch nicht zu erwarten, bei etwa 15 Prozent der Menschen (mit heller Iris) kommt es jedoch zu einer Verfärbung der Regenbogenhaut. Die Tropfen werden nur einmal täglich (zur Nacht) verabreicht und können auch additiv zu Betablockern, Pilocarpin oder Carboanhydrasehemmern appliziert werden. Parasympathikomimetika wie Pilocarpin (z.B. Spersacarpine®) sind Miotika, sie verengen also die Pupille und führen dadurch rein mechanisch zu einem stärkeren Kammerwasserabfluss. Die enge Pupille beeinträchtigt jedoch das Nachtsehvermögen und engt das periphere Gesichtsfeld ein. Durch die Kontraktion des Ziliarmuskels wird zudem eine passagere Myopie ausgelöst. Pilocarpin darf nicht bei Augenentzündungen gegeben werden. Die Tropfen werden viermal täglich verabreicht, bei Kombination mit einem Betablocker reichen zwei Eintropfungen oder als Gel eine Einmalapplikation zur Nacht. Hierdurch werden Nebenwirkungen verringert. Carboanhydrasehemmer (z.B. Dorzolamid, Trusopt®) können als Augentropfen oder oral verabreicht werden. Sie vermindern die Kammerwasserproduktion. Oral verabreicht sind diese Substanzen sehr potente Mittel zur Drucksenkung. Allerdings haben sie Nebenwirkungen, die bei Dauertherapie häufig auftreten. Hierzu zählen beispielsweise Unwohlsein, Übelkeit, Depression, Anorexie, Libidoverlust. Carboanhydrase-
hemmer sind beim akuten Glaukom indiziert und bei operativen Eingriffen, bei denen eine Druckerhöhung erwartet wird. Die Substanzen sollten nicht bei Patienten mit Sulfonamidallergie eingesetzt werden.
Allergie gegen Augentropfen Manche Menschen entwickeln eine Allergie auf Augentropfen. Die Reaktion kann sich gegen die Wirksubstanz oder das Konservierungsmittel (meist Benzalkoniumchlorid) richten. Augenrötung, geschwollene Lider und ekzemähnliche Exkoriationen des Augenlids können auftreten. Diagnostisch wegweisend ist die Reaktion auf das Absetzen der Tropfen. Die Symptome sollten dann rasch nachlassen. Es gibt einige Präparate, die ohne Konservierungsstoffe hergestellt werden und deshalb bei einem Teil der Patienten für Abhilfe sorgen.
Operative Massnahmen
Operative Verfahren kommen erst zum Einsatz, wenn die medikamentöse Therapie nicht den gewünschten Erfolg zeitigt, vom Patienten nicht vertragen wird oder von ihm nicht durchgeführt werden kann (Probleme beim Eintröpfeln).
Laser-Trabekuloplastik Ein gängiges Verfahren ist die Laser-Trabekuloplastik. Dabei werden mittels ArgonLaser Narben in das Trabekelwerk gebrannt. Durch die folgende narbige Kontraktion dehnen sich die Zwischenräume der Trabekel auf, und das Kammerwasser kann besser abfliessen. Das Laserverfahren kann nur bei offenem Kammerwinkel eingesetzt werden. Der ambulante Eingriff ist fast schmerzlos, und Nebenwirkungen sind kaum zu befürchten. Eine Drucksenkung um 6 bis 8 mmHg ist zu erwarten. Die Wirkung tritt etwa nach vier Wochen ein, hält aber nur für zwei Jahre an. Die Methode ist bei etwa jedem zweiten Patienten erfolgreich.
Goniotrepanation und Trabekulotomie Andere operative Verfahren mit dem Ziel der langfristigen Drucksenkung sind die
Goniotrepanation und die Trabekulotomie. Dabei handelt es sich um filtrierende Eingriffe, bei denen durch die Eröffnung der Sklera das Kammerwasser unter Umgehung des Trabekelwerks unter die Bindehaut abgeleitet wird. Bei der Goniotrepanation wird an der HornhautSkleragrenze ein Zugang zur Vorderkammer gestanzt, bei der Trabekulotomie mit Messer und Schere eine Öffnung viereckig ausgeschnitten. Durch die Öffnung wird eine periphere Iridektomie vorgenomen.
Akutes Winkelblockglaukom
Das akute Winkelblockglaukom ist das wegen seiner eindrücklichen Symptomatik am besten bekannte Glaukom. Es tritt bei älteren weitsichtigen Menschen mit flacher Vorderkammer auf. Durch diese anatomische Prädisposition besteht eine relative Behinderung des Kammerflusses durch die Pupille. Wird die Pupille plötzlich erweitert, bei Dunkelheit, emotionalem Stress oder aber durch medikamentös ausgelöste Mydriasis, kommt es zu einer plötzlichen Abflussblockade, weil die Linse durch den steigenden Hinterkammerdruck nach vorne gedrängt wird. Die klassische Symptomatik, die nicht immer vollständig vorhanden sein muss, besteht aus akut einsetzenden starken Schmerzen, die auch über die drei Trigeminusäste an Schläfe, Hinterkopf und Kiefer ausstrahlen, was manchmal von der richtigen Diagnose ablenken kann. Hinzu kommen vegetative Symptome wie Übelkeit und Erbrechen. Manche Patienten sehen verschwommen und/oder bemerken Farbringe um Lichtquellen herum – eine Folge des Hornhautödems, das durch den hohen intraokulären Druck entsteht.
Diagnostisch gilt die folgende Trias als wegweisend: q einseitiges rotes Auge q palpatorisch hartes Auge q mittelweite, reaktionslose Pupille.
Im Gegensatz zum akuten Glaukom ist bei der Iritis oder der Iridozyklitis zwar das Auge rot und die Iris verwaschen, jedoch ist der Druck tendenziell erniedrigt.
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Das Glaukom
Notfalltherapie
Das akute Winkelblockglaukom ist ein Notfall, und die Patienten müssen sofort augenärztlich behandelt werden, um die Sehkraft zu erhalten. Die konservative augenärztliche Soforttherapie besteht in konsequenter medikamentöser Drucksenkung. Setzt die Behandlung erst verzögert ein, können sich Adhäsionen zwischen Iris und Kornea verfestigen, die das Trabekelnetzwerk schädigen und eine operative Drainage erforderlich machen. Um das Glaskörpervolumen zu senken, werden initial zwei Massnahmen getroffen: zum einen die systemische Infusion von hyperosmolarer Lösung, zum Beispiel intravenöser Mannit 1,0 bis 2,0 g pro Kilogramm Körpergewicht. Zum zweiten wird die Kammerwasserproduktion durch
einen intravenös verabreichten Carboanhydrasehemmer verringert. Schliesslich wird durch lokale Miotika die Iris aus dem Kammerwinkel herausgezogen. Dazu wird Pilocarpin 1 Prozent alle 15 Minuten getropft – bei Bedarf auch öfter und in höherer Dosierung. Analgetika oder Sedativa können ebenfalls erforderlich werden. Selbst bei optimaler medikamentöser Soforttherapie müssen sich die meisten Patient oft mehreren chirurgischen Eingriffen unterziehen und büssen auch einen Teil der Sehkraft ein.
Laser-Iridotomie Operativ wird, nachdem die Hornhaut aufgeklart ist, ein Shunt zwischen Vorderund Hinterkammer gelegt. Das erreichen Augenärzte mit der Neodym-YAG-Laser-
Iridotomie. Ohne eine Bulbuseröffnung
kann durch die mechanische Gewebezer-
reissung eine Öffnung in die periphere Iris
gesetzt werden. Bei noch geschwollener
Hornhaut kann eine bulbuseröffnende
Iridektomie notwendig werden. Die Ope-
ration, die in lokaler oder Vollnarkose
durchgeführt wird, kommt heute aber nur
noch sehr selten zum Einsatz.
q
Literatur: P.T. Khaw et al.: Glaucoma-1: Diagnosis. BMJ 2004; 328: 97–100. P.T. Khaw et al.: Glaucoma-2: Treatment. BMJ 2004; 328: 156–159.
Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
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