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Vitamine bei Makuladegeneration?
Welche Rolle spielen Vitamine und Karotinoide?
SEBASTIAN WOLF UND UTE E.K. SCHNURRBUSCH
Bei der Pathogenese der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) werden oxidative Schädigungsprozesse diskutiert. Ein möglicher Therapieansatz ist deshalb die exogene Zufuhr von Vitaminen und Spurenelementen. Zudem könnte die Dichte des makulären Pigmentes, welches neben antioxidativen Eigenschaften auch eine Filterwirkung gegen energiereiches blaues Licht hat, eine wichtige Rolle für die Entstehung einer AMD spielen.
Einleitung
Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) ist die häufigste Ursache für einen erheblichen Visusverlust in der westlichen Welt bei über 50-Jährigen. Die Symmetrie des klinischen Befundes beider Augen, die sowohl für das frühe Stadium als auch für verschiedene Manifestationen der späten AMD beobachtet wurde, weist auf die genetische Grundlage dieser Erkrankung hin (Barondes, 1990; Chuang, 1988). Dies wird unterstützt durch Untersuchungen zur familiären Disposition für eine AMD und durch Studien bei Zwillingen. Diese zeigen familiäre Häufung und Übereinstimmungen in der Manifestationsform der AMD (Klein, 1994). Allerdings sind sehr wahrscheinlich nicht einzelne Mutationen allein für die Ausbildung einer AMD verantwortlich. Die Analyse von unterschiedlichen Kandidatengenen bei Patienten mit verschiedenen Formen der AMD konnte vielmehr zeigen, dass sicherlich mehrere Gene in die Pathogenese involviert sind. Neben genetischen Faktoren scheinen für die Manifestation einer AMD jedoch auch spezifische Umweltfaktoren mitverantwortlich zu sein. Neben dem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer späten AMD bei Rauchern ergaben sich Hinweise auf beeinflussende Umweltfaktoren aus Untersuchungen, in denen bei einer relativ isoliert lebenden Landbevölkerung mit ähnlichem genetischen Hintergrund eine geringere Inzidenz der Erkrankung als in anderen epidemiologischen Studien beobachtet wurde. Dies wurde auf eine unterschiedliche Ernährung zurückgeführt. Ferner deuten Veröffentlichungen aus Japan in eine ähnliche Richtung, in denen eine Zunahme der Inzidenz der AMD in den letzten Jahrzehnten im Zusammen-
Merk-
sätze
q Die Wirksamkeit von exogen zugeführten Vitaminen und Spurenelementen für den Krankheitsverlauf der AMD konnte in einer grossen, prospektiven, randomisierten Studie erbracht werden.
q Eine hoch dosierte Kombinationstherapie von Antioxidanzien und Spurenelementen kann demnach das Risiko eines Visusverlustes signifikant reduzieren.
q Ein Wirksamkeitsnachweis einer Therapie mit Karotinoiden fehlt bislang. Dennoch erscheint dieser Therapieansatz sehr interessant.
hang mit einer Veränderung der Ernährungsgewohnheiten beschrieben wurde. Auch die extrem hohe Inzidenz eines Visusverlustes durch eine AMD bei Eskimos in Grönland wird durch die spezifischen Ernährungsgewohnheiten dieser Menschen erklärt. Neben der Ernährung wird das Sonnenlicht als ein weiterer Umweltfaktor angesehen, der für die individuelle Manifestation einer AMD mitverantwortlich sein kann. Insbesondere energiereiches kurzwelliges Licht kann zur Bildung schädigender Radikale in der Netzhaut führen. Diese peroxidieren Fotorezeptoraussensegmente führen zur Ansammlung von toxischen und fototoxischen Abbauprodukten, die in ihrer Summe als Lipofuszin bezeichnet werden, im retinalen Pigment-
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Vitamine bei Makuladegeneration?
epithel (RPE). Da gerade in der Makula die Fotorezeptorendichte und die Beleuchtungsintensitäten am höchsten sind, ist dieser Bereich der Netzhaut besonders empfindlich für oxidative Schäden. Die Netzhaut steht einer potenziellen oxidativen Schädigung nicht schutzlos gegenüber. Neben verschiedenen Antioxidanzien, die in der gesamten Netzhaut vorkommen, ist die Makula durch das makuläre Pigment besonders geschützt. Das makuläre Pigment setzt sich aus Lutein und Zeaxanthin zusammen. Beide gehören zur Stoffgruppe der Karotinoide.
Therapiemöglichkeiten mit Antioxidanzien
Theoretisch kann die Produktion freier Radikale durch die Steigerung der Konzentration an Antioxidanzien in der Netzhaut reduziert werden. Dies kann durch mit der Nahrung exogen zugeführte Vitamine und Spurenelemente mit antioxidativen Eigenschaften wie Vitamin C und E, Beta-Karotin und Zink erreicht werden. Allerdings haben verschiedene epidemiologische Studien keine eindeutigen Ergebnisse zum Einfluss von Vitamin A, C und E oder Zink auf die Manifestation einer frühen oder späten AMD ergeben (Delcourt, 1999). Zur Klärung der Wirksamkeit von Antioxidanzien und Spurenelementen wurde in den Neunzigerjahren die vom National Eye Institute (NIH) finanzierte Age-Related Eye Disease Study (AREDS) in den USA durchgeführt (AgeRelated Eye Disease Study Research Group, 2001). Untersucht wurde dabei der Effekt einer Therapie mit Vitamin C, E, Zink und Beta-Karotin in einer Dosierung, die dem 5- bis 15fachen des allgemein empfohlenen täglichen Bedarfs entspricht. Es handelte sich um eine randomisierte, plazebokontrollierte Studie, in die über 3000 Patienten eingeschlossen und im Durchschnitt 6,3 Jahre nachbeobachtet wurden. Bei der vierarmigen Studie wurde der Effekt von Antioxidanzien (Vitamin C 500 mg, Vitamin E 400 IU, Beta-Karotin 15 mg), Zinkoxid 80 mg, Kupferoxid 2 mg, Antioxidanzien und Zink und Plazebo auf das Auftreten von Spätformen der AMD
oder eines Visusverlustes untersucht. Zusätzlich wurden die Patienten nach dem Schweregrad ihrer Netzhautveränderungen im Bereich der Makula in vier verschiedene Gruppen eingeteilt: q Gruppe 1: keine oder nur einzelne
kleine, harte Drusen q Gruppe 2: multiple kleine Drusen,
einige mittlere Drusen oder Hyperpigmentationen q Gruppe 3: viele mittlere Drusen, grosse Drusen oder nichtzentrale Areale mit geografischer Atrophie q Gruppe 4: Drusen im Studienauge und Spätform der AMD im Partnerauge. Die statistische Analyse zeigte keine signifikanten Effekte für die Patienten der Gruppen 1 und 2. Jedoch liess sich für die Patienten der Gruppen 3 und 4 ein signifikanter Behandlungseffekt nachweisen. So konnte das Risiko des Auftretens einer Spätform der AMD in fünf Jahren durch Antioxidanzien und Zink um 25 Prozent, durch Zink um 21 Prozent und durch Antioxidanzien um 17 Prozent gesenkt werden. Das Risiko eines Visusverlustes wurde jedoch nur durch die Kombination von Antioxidanzien und Zink signifikant um 27 Prozent gesenkt. Diese Ergebnisse zeigen, dass bei Patienten mit fortgeschrittenen Netzhautveränderungen bei altersabhängiger Makulopathie (ARM) oder mit einseitiger später AMD die Einnahme von Antioxidanzien und Zink in hohen Dosen das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen kann. Hieraus lässt sich die Empfehlung ableiten, dass Patienten mit diesen Veränderungen die in der Studie untersuchte Kombination aus Antioxidanzien und Zink einnehmen sollten. Allerdings steht in Deutschland kein Präparat zur Verfügung, das der Studienmedikation entspricht. Eine «ersatzweise» Einnahme von niedrig dosierten Präparaten erscheint jedoch nicht sinnvoll. Die Studiendaten lassen keinen Rückschluss zu auf die Wirksamkeit von Antioxidanzien oder Zink in geringerer Menge. Zu beachten ist weiterhin, dass Raucher und ExRaucher in keinem Fall mit hoch dosierten Antioxidanzien behandelt werden, da eine finnische Studie ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Bronchialkarzinoms
durch Antioxidanzieneinnahme, insbesondere Beta-Karotin, nachweist.
Therapiemöglichkeiten mit Karotinoiden
Karotinoide sind eine Stoffgruppe, die eine starke antioxidative Wirkung haben. Darüber hinaus spielen sie eine bedeutende Rolle als «makuläres Pigment». Karotinoide kommen in der Natur in allen fotosynthetisch aktiven Organismen vor, können aber von Säugetieren nicht synthetisiert werden und müssen deshalb mit der Nahrung zugeführt werden. Im menschlichen Serum sind vor allem AlphaKarotin, Beta-Cryproxanthin, Lycopen, Lutein und Zeaxanthin nachzuweisen. Sie haben alle eine ähnliche chemische Grundstruktur und besitzen aufgrund ihrer Absorptionseigenschaften die Fähigkeit, Licht im kurzwelligen blauen Bereich zu absorbieren (Landrum, 2001). Die in der Netzhaut vorkommenden Karotinoide sind Lutein und Zeaxanthin. Ihre Konzentration ist in der Makula am höchsten und geben ihr das charakteristische «gelbe» Aussehen. Deshalb werden sie auch als makuläres Pigment bezeichnet. Lutein und Zeaxanthin unterscheiden sich von den anderen Karotinoiden dadurch, dass sie an beiden Enden polare Hydroxylgruppen aufweisen, die für eine gute Mobilität der Membranmoleküle und eine optimale Ausrichtung gegenüber des schädigenden Lichtes verantwortlich sind. Dadurch sind sie besonders resistent gegen eine oxidative Schädigung der eigenen Moleküle und können somit einen lang dauernden Oxidationsschutz bieten. Dieser spezielle chemische Aufbau von Lutein und Zeaxanthin ermöglicht es, der Netzhaut als «natürliche Sonnenbrille» einen effektiven Schutz gegenüber Lichtschäden zu gewährleisten. Sie finden sich in der höchsten Konzentration im Zentrum der Fovea. Ihre Konzentration nimmt zur Peripherie hin kontinuierlich ab und ist im Abstand von 1,2 bis 1,5 mm vom fovealen Zentrum kaum noch nachweisbar (Landrum, 2001). Ein erniedrigter Gehalt an makulärem Pigment könnte mit einem erhöhten Risiko
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der Entwicklung einer AMD einhergehen, allerdings fehlen bisher eindeutige Studien. Mögliche Zusammenhänge zwischen makulärem Pigment und degenerativen Netzhautprozessen bei AMD sind die Empfindlichkeit der Fotorezeptoraussensegmente für eventuelle Lichtschäden und die starke antioxidative Wirkung von Lutein und Zeaxanthin. Eine protektive Wirkung gegen Lichtschäden kann aufgrund der Filterfunktion des makulären Pigmentes postuliert werden. Darüber hinaus wurden ähnliche Risikofaktoren für das Vorliegen niedriger Konzentrationen an makulärem Pigment und dem Auftreten einer AMD gefunden. So ist bei Menschen mit wenig pigmentierter Iris die Konzentration an makulärem Pigment gegenüber Personen mit dunkel pigmentierter Iris verringert. Eine ähnliche Korrelation wurde auch bei Rauchern beobachtet. So fand sich bei Rauchern eine signifikant erniedrigte Konzentration an makulärem Pigment gegenüber Nichtrauchern. Ebenso ist bei Rauchern in den meisten epidemiologischen Studien eine signifikante Erhöhung des Risikos für die Entwicklung einer frühen oder späten AMD beschrieben. Weiterhin haben Frauen in den gleichen Altersgruppen im Vergleich zu Männern signifikant geringere Konzentrationen an makulärem Pigment. Ebenso wurde bei Frauen ein höheres Risiko für die Entwicklung einer AMD
Abbildung: Fundusbild und korrespondierendes Funktionalbild
Falschfarben: Grün, Gelb und Rot repräsentieren hohe Dichtewerte der makulären Pigmentdichte
beschrieben. Beim Vergleich älterer Menschen mit gleichem Risikoprofil für eine AMD und eine verminderte Konzentration an makulärem Pigment, die entweder eine frühe AMD mit multiplen Drusen und einer exsudativen AMD im Partnerauge (AMD-Gruppe) beziehungsweise keine Drusen aufwiesen (Kontrollgruppe), waren in der AMD-Gruppe signifikant geringere Konzentrationen an makulärem Pigment festzustellen (Beatty, 2001). Ein ähnlicher Zusammenhang war auch in einer histologischen und biochemischen Korrelation berichtet worden (Bone, 2001). In dieser Studie war eine signifikant geringere Konzentration der biochemisch analysierten makulären Pigmente in der zentralen Netzhaut bei Spenderaugen mit histologisch sichtbaren AMD-Veränderungen in der Bruch'schen Membran gefunden worden. Das makuläre Pigment könnte aus verschiedenen Gründen für die Therapie der AMD wichtig sein. Einerseits lässt sich die Dichte des makulären Pigmentes nicht invasiv in vivo messen, andererseits kann durch Zufuhr von Lutein und Zeaxanthin über die Nahrung die Blut- und intrazelluläre Konzentration beeinflusst werden (Berendschot, 2002; Wüstemeyer, 2002). Für die Messung der makulären Pigmentdichte stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung. Mittels Fundusreflektometrie lässt sich nicht nur die Pigmentdichte in der Makula bestimmen, sondern es lässt
sich auch die Verteilung des makulären
Pigmentes anhand von Funktionalbildern
bestimmen (Abbildung). Verschiedene Un-
tersuchungen der makulären Pigment-
dichte weisen darauf hin, dass nur bei
einer Untergruppe von Patienten mit ARM
und AMD die makuläre Pigmentdichte
reduziert ist. Für diese Untergruppe könnte
eine Therapie mit Präparaten, die Lutein
oder Zeaxanthin enthalten, sinnvoll sein.
Allerdings sind prospektive Studien erfor-
derlich, die einerseits nachweisen müssen,
dass sich die makuläre Pigmentdichte
durch exogene Zufuhr von Lutein und/
oder Zeaxanthin erhöhen lässt und dass
dies einen positiven Effekt auf die Ent-
wicklung einer AMD hat.
q
Das Literaturverzeichnis kann beim Verlag angefordert werden, auch via E-Mail: info@rosenfluh.ch
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Dr. Sebastian Wolf Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde
Universität Leipzig Liebigstrasse 10–14
D-04103 Leipzig Tel. 0049-341 9721 500 Fax 0049-341 9721 509 E-Mail: wolfs@medizin.uni-leipzig.de
Interessenkonflikte: keine deklariert
Hinweis: Mit Pathogenese, Klinik und Therapie der AMD beschäftigten sich bereits Beiträge in Heft 21 und Heft 22/2003.
Diese Arbeit erschien zuerst in «medizinische genetik» Nr. 2 (2003). Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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