Transkript
STUDIEq ÉTUDE
Lipidsenker im Vergleich
Eine Querschnittsuntersuchung in 17 britischen Allgemeinpraxen
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Die verschiedenen Statine
sowie andere Lipidsenker
zeigen in der Alltagspraxis
unterschiedliche Fähigkeiten,
den Cholesterinspiegel zu
senken.
Bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) helfen Statine, weitere kardiovaskuläre Ereignisse zu verhüten und das Überleben zu verlängern. Entsprechend hat die Erfassung und Behandlung einer Hyperlipidämie bei solchen Patienten heute hohe Priorität. Gleichzeitig zu den Empfehlungen vieler Guidelines zeigen Untersuchungen aber, dass in der Praxis sehr viele Patienten nicht behandelt werden und von den Behandelten nur wenige den Zielwert von ≤ 5 mmol/l erreichen. Dies steht im Gegensatz zu den viel versprechenden Ergebnissen klinischer Studien. Woran liegt dies? Sind die Wirkstoffe ausserhalb von klinischen Studien weniger wirksam? Oder liegt es daran, dass in der Praxis andere Patientenpopulationen (Body-Mass-Index, Komorbiditäten, Schweregrad der Hyperlipidämie) behandelt werden als in den Studien? Oder verschreiben die Praktiker wegen Nebenwirkungsbedenken oder Kosten nicht die effektivsten Lipidsenker? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Division of General Practice der Universität Nottingham/UK fanden nur eine randomisierte kontrollierte Studie,
die verschiedene Statine miteinander verglich. Sie wurde vom Hersteller desjenigen Statins publiziert, das darin am besten abschnitt. Mit der vorliegenden Studie wollten die britischen Autorinnen und Autoren die Effektivität gängiger Lipidsenker ausserhalb einer klinischen Studie erfassen.
Methodik
Die Follow-up-Daten von 17 Praxen für das Jahr 2001 wurden als Querschnittsuntersuchung ausgewertet. Einschluss fanden zunächst Patienten über 35 Jahre, die in den vorangegangenen drei Monaten eine Verschreibung für einen Lipidsenker erhalten hatten und für die mindestens zwei Cholesterinbestimmungen (Mindestabstand 28 Tage) vorlagen. Diese Charakteristika trafen auf 2469 Patientinnen und Patienten zu. Von diesen hatten 1390 einen Cholesterinwert ≥ 5 mmol/l.
Resultate
Für 54,8 Prozent lag der letzte Cholesterinwert im Zielbereich, bei 45,2 Prozent war er trotz Therapie zu hoch. Signifikant mehr Männer erreichten den Zielwert (Männer: 61,9%, Frauen 43,2%). Patienten mit KHK hatten signifikant öfter Cholesterinwerte im Zielbereich als solche ohne KHK. Für den Anteil der Patienten, die bei der letzten Messung einen Cholesterinwert ≤ 5 mmol/l hatten, ergab sich für die Lipidsenker folgende Erfolgsliste: q Atorvastatin (Sortis®): 59,6% q Simvastatin (Zocor®): 59,2% q Cerivastatin (Lipobay®, nicht mehr im
Handel): 51,9% q Pravastatin (Mevalotin®, Selipran®):
45,6%
Merk-
sätze
q In der Praxis bestehen zwischen den verschiedenen Statinen hinsichtlich ihrer lipidsenkenden Eigenschaften signifikante Unterschiede.
q In einer Querschnittsuntersuchung aus 17 britischen Allgemeinpraxen waren hinsichtlich Erreichen des CholesterinZielwerts und hinsichtlich der prozentualen Cholesterinsenkung Atorvastatin und Simvastatin anderen Statinen und Fibraten überlegen.
q In den Grundversorgerpraxen hatten die Patienten vor Behandlungsbeginn höhere Cholesterinwerte als in klinischen Studien.
q Wegen der hohen Ausgangswerte könnte in der Praxis eine Cholesterinsenkung unter die von Guidelines geforderten 5 mmol/l selbst mit den wirksamsten Medikamenten unrealistisch sein.
q Fluvastatin (Lescol®): 35,4% q Fibrate und andere: 25,6%. Nach Korrektur für Alter, Geschlecht, Raucherstatus, Übergewicht, Komorbidität und Cholesterinwerte vor Behandlungsbeginn bestand zwischen Atorvastatin und Simvastatin kein statistisch signifikanter Unterschied. Beim Vergleich von Ausgangswert und letztem Behandlungswert ergab sich für
A R S M E D I C I 4 q 2 0 0 4 163
STUDIEq ÉTUDE
Lipidsenker im Vergleich
die prozentuale Cholesterinsenkung folgende Rangliste: q Atorvastatin: 30,11% q Simvastatin: 28,02% q Fibrate und andere: 25,14% q Pravastatin: 24,85% q Fluvastatin: 23,66% q Cerivastatin: 21,17%. Atorvastatin und Simvastatin erzielten somit die grösste prozentuale Cholesterinreduktion. Statistisch ergab sich zwischen den beiden Spitzenreitern keine signifikante Differenz. Unter diesen beiden Lipidsenkern waren auch die letzten gemessenen Cholesterinspiegel am tiefsten (Atorvastatin: 4,99 mmol/l, Simvastatin: 5,05 mmol/l). Die prozentuale Cholesterinreduktion in dieser Studie aus der Praxis war derjenigen in kontrollierten klinischen Studien ähnlich. Zu den Fibraten und anderen Lipidsenkern liessen sich keine detaillierten Angaben machen, da nur sehr wenige Patienten nicht mit einem Statin behandelt wurden.
Diskussion
«Die Statine unterscheiden sich in ihrer Fähigkeit, die Serum-Cholesterinkonzentrationen zu senken, signifikant», schreiben die Autorinnen und Autoren und fügen hinzu: «Atorvastatin und Simvastatin erzielen die besten Ergebnisse.» Statine erbringen unter den Umständen der Grundversorgung ähnliche prozentuale Cholesterinsenkungen wie in doppelblinden, plazebokontrollierten klinischen Studien.
Die initialen Cholesterinspiegel bei diesen Patienten aus der Praxis waren jedoch höher als diejenigen in klinischen Studien, was teilweise den hohen Anteil der Patienten erklären kann, welche die durch Guidelines vorgegebenen Zielwerte nicht erreichten, da so eine höhere prozentuale Cholesterinsenkung nötig ist, um zu dem angestrebten Wert von ≤ 5 mmol/l zu kommen. Die Diskussion erwähnt auch mögliche Einwände oder Einschränkungen dieser beschreibenden Querschnittsuntersuchung, die leider keine Angaben zu den Dosierungen der eingesetzten Wirkstoffe enthält. Da die Patienten nicht randomisiert werden, kann ein Auswahlbias vorliegen. Auch könnten bevorzugt zu hohe Cholesterinwerte in der Krankengeschichte notiert worden sein. Für fast 80 Prozent der Krankengeschichten erfolgte die Eintragung von Laborwerten jedoch direkt auf elektronischem Weg durch das Labor. Dass die untersuchten Praxen vielleicht ein besonderes Interesse oder einen abweichenden Umgang mit Hyperlipidämien haben könnten, halten die Autorinnen und Autoren für unwahrscheinlich. Die Patienten scheinen sehr gut einem «Alltagsmix» zu entsprechen, indem 92 Prozent der Patienten mindestens eine der vier grossen Komorbiditäten ischämische Herzerkrankung, Hirnschlag, Hypertonie oder Diabetes hatten und 55 Prozent über 65 Jahre alt waren. Drei Viertel der Patienten dieser Studie nahmen entweder Atorvastatin oder Simvastatin ein. Diese beiden Statine erzielten
hinsichtlich Erreichung des CholesterinZielwerts und hinsichtlich prozentualer Cholesterinreduktion die besten Ergebnisse, Pravastatin und Fluvastatin sowie Fibrate schnitten schlechter ab. Auf Basis der Cholesterinsenkung sehen die Autorinnen und Autoren Atorvastatin und Simvastatin als die Statine der ersten Wahl in der Grundversorgung. Da die initialen Cholesterinwerte höher lagen als in randomisierten kontrollierten Studien, sehen sie in der Grundversorgung sogar die Chance, noch grössere absolute Risikoreduktionen zu erreichen, als dies die klinischen Studien vermuten lassen. Allerdings könnte es auch unrealistisch sein, auf breiter Front Cholesterin-Zielwerte von 5 mmol/l und weniger zu erreichen.
Julia Hippisley-Cox et al. (Division of Ge-
neral Practice, Nottingham University,
Nottingham/UK): Cross sectional survey of
effectiveness of lipid lowering drugs in re-
ducing serum cholesterol concentrations
in patients of 17 general practices. Brit.
med. J. 2003; 326: 689–693.
q
Halid Bas
Interessenkonflikte: keine deklariert
164 A R S M E D I C I 4 q 2 0 0 4