Transkript
GESUNDHEITSPOLITIK q POLITIQUE DE LA SANTÉ
Interessenkonflikte bei den NIH
Nebentätigkeiten von Wissenschaftlern der National Institutes of Health sollen überprüft werden
UWE BEISE
Die amerikanischen National Institutes of Health (NIH) gelten als die renommiertesten biomedizinischen Forschungsinstitutionen weltweit. Unter Wissenschaflern und in der Öffentlichkeit ist der Ruf glänzend, die finanzielle Ausstattung ist komfortabel. In den letzten zehn Jahren verdoppelte die Regierung sogar das Budget für die staatlichen Einrichtungen. Doch jetzt hat das makellose Image einen Kratzer erhalten. Auslöser dafür ist ein Bericht in der renommierten «Los Angeles Times», wo von grossen Zahlungen der Industrie an hochrangige NIH-Bedienstete die Rede ist. Allerdings gibt es bis heute keine direkten Anschuldigungen über Bestechlichkeit im Amt, wie der NIH-Direktor Elias A. Zerhouni betont. Man habe «keine Hinweise darauf, dass Patienten geschädigt wurden oder dass Entscheidungen durch externe Aktivitäten der NIH-Mitarbeiter beeinflusst wurden.» Auch könne derzeit keine Rede davon sein, dass finanzielle Zuwendungen den eigens installierten Supervisoren und dem Ethikkommitee verschwiegen worden seien. Jetzt sollen allerdings Details über Einkünfte von Mitarbeitern, etwa durch Beratertätigkeiten, in jedem Einzelfall bis ins Jahr 1999 zurückverfolgt und aufgeklärt werden. Dennoch weiss der NIH-Direktor um den Flurschaden, den allein der veröffentlichte Verdacht auslösen kann. Er hat deshalb gleich nach dem Zeitungsbericht angekündigt, Schritte einzuleiten, um «das Vertrauen der Öffentlichkeit zu erhalten». Als Eingeständnis von Fehlern ist das nicht unbedingt zu werten, aber als Zeichen dafür, dass man die Anschuldigungen beim NIH ernst nimmt und offenbar auch Verbesserungsbedarf erkennt. In einem Interview sagte Zerhouni im Januar: «Was
in der Presse berichtet wird, entspricht räumten als der Sicherheit der Probanden
nicht der Realität. Was aber nicht bedeu- und der Integrität der Forschung. Die Haupt-
tet, dass wir nicht noch besser mit Interes- befürchtung richtet sich dahin, dass etwa
senkonflikten umgehen könnten.»
die Institutsdirektoren ihre Forschungs-
prioritäten, das Design von Studien oder ihre
Wie weit darf die Zusammenarbeit mit der Industrie gehen?
Empfehlungen entsprechend ausrichten. Zudem sind auch in den USA offenbar die Gehälter der NIH-Bediensteten ein sen-
Ein grundlegendes Problem kann auch er sibles Thema. Ein Wissenschaftler in Staats-
nicht wegwischen. Die Frage, was eine diensten, der etwa über 200 000 US-Dollar
angemessene Zusammenarbeit zwischen Jahreseinkommen verfügt, verdient damit
öffentlicher Institution und In-
dustrie ist, wird weiterhin ein strittiges Thema bleiben. Klar
“Was in der Presse berichtet wird, ent-
ist lediglich, dass die Koopera- spricht nicht der Realität. Was aber nicht
tionen zwischen den NIH und der Industrie allgemein als sinnvoll angesehen wird. Unumstritten war diese Auffassung
bedeutet, dass wir nicht noch besser mit
”Interessenkonflikten umgehen könnten. NIH-Direktor Elias A. Zerhouni
jedenfalls in der Clinton- und
in der Bush-Administration, die jeweils mehr als der Vizepräsident der USA, ge-
Kooperationen aktiv unterstützt haben. ben der Supreme Court und Kongressmit-
Ganz in ihrem Sinne hat der Techno- glieder zu bedenken. Andererseits könn-
logietransfer mit dem steigenden NIH- ten Spitzenwissenschaftler erheblich mehr
Budget zugenommen. Die verschiedenen verdienen, würden sie ihren Dienst an
Institute haben ungefähr 275 Forschungs- einer Universität oder in der Industrie ver-
vereinbarungen mit der Industrie. Die öf- sehen. Die Gewährung von Zusatzein-
fentlich-privaten Kooperationen erleichtern künften, so lautet folglich ein Argument,
die Kommerzialisierung der wissenschaft- erleichtere es, Top-Wissenschaftler für die
lichen und technologischen Erkenntnisse NIH zu gewinnen.
und Entwicklungen in den staatlichen Allerdings sind die ehedem gravierenden
Laboratorien, schreibt Robert Steinbrook Restriktionen für NIH-Mitarbeiter bereits
in einem Beitrag für das «New England im Jahr 1995 deutlich gelockert worden.
Journal of Medicine» (NEJM 2004: 350: Vor dieser Zeit war es ihnen verboten, als
327– 330).
Berater oder Redner für Firmen aufzutre-
Viele der NIH-Forschungen sind erfolg- ten, mit denen sie gemeinsame Projekte
reich in von der FDA zugelassene Medika- unterhielten. Auch war ihnen bis dahin
mente und Impfstoffe gemündet, etwa untersagt, Aktien als Honorar entgegen-
solche zur Therapie von HIV, Infektionen zunehmen. Niemand durfte durch ein-
und Tumoren. Andererseits, schreibt zelne Aussenaktivitäten pro Jahr mehr als
Steinbrook, stelle sich die Frage, ob die 25 000 Dollar hinzuverdienen – und insge-
Forscher den Bedürfnissen der Industrie samt nicht mehr als 50 000 Dollar. Hoch-
oder ihren persönlichen finanziellen Am- rangige Mitarbeiter, etwa die Direktoren
bitionen womöglich höhere Priorität ein- und Institutsleiter, hatten sogar noch stär-
144 A R S M E D I C I 4 q 2 0 0 4
GESUNDHEITSPOLITIK q POLITIQUE DE LA SANTÉ
Interessenkonflikte bei den NIH
kere Einschränkungen hinzunehmen und durften lediglich als Autoren in Erscheinung treten.
1995 kam die Wende
Mit Harold Vamus als neuem NIH-Direktor änderte sich das 1995. Er veränderte rasch die Spielregeln im Haus. Restriktionen für Spitzenforscher wurden abgebaut, Honorare und Aktien wurden ohne Begrenzungen zugelassen, Nebentätigkeiten grundsätzlich erlaubt, sofern sie mit der Institutstätigkeit nicht interferierten. Den Mitarbeitern blieb aber untersagt, sich für Industriepartner zu engagieren, mit denen sie direkt zusammenarbeiteten.
Zudem mussten alle externen Aktivitäten zuerst einem Supervisor und der Ethikkommission gegenüber erklärt werden. Die Gehälter für Spitzenkräfte wurden angehoben. Zusatzeinkünfte mussten sie lediglich intern, also vertraulich, offen legen; nur weniger hoch dotierte Mitarbeiter hatten diese öffentlich zu deklarieren. In der «Los Angeles Times» war nun zu lesen, dass einzelne Spitzenvertreter des NIH, darunter einige namentlich genannte Institutsdirektoren, aus Beraterverträgen von der Pharmaindustrie hundertausende Dollars in den zurückliegenden Jahren eingenommen haben sollen. In den nächsten Monaten wird es wahrscheinlich eine Kongressanhörung geben,
und Beobachter erwarten im Anschluss
daran neue Richtlinien zum Management
von Interessenkonflikten. Möglicherweise
wird das Rad teilweise auf die Zeit vor
1995 zurückgedreht werden; es könnten
also wieder stärkere Beschränkungen von
Nebentäigkeiten ins Auge gefasst werden.
Auch die Veröffentlichung der Nebenein-
künfte von Spitzenwissenschaftlern scheint
nicht ausgeschlossen. «Transparenz ist
eines der besten Schutzmassnahmen
gegen Interessenkonflikte», meint auch
der NIH-Direktor.
q
Uwe Beise
Impfgespräch mit Theatergruppe
Die «Zuger Gespräche 2004» – eine Fortbildungsveranstaltung für Allgemeinpraktiker und Pädiater – warten am 11. März mit einer unkonventionellen, herausfordernden Neuerung auf: Erstmals wird mit einer Playback-Theatergruppe medizinische Fortbildung geboten.
Das Impfen kann in der ärztlichen Praxis als unkomplizierte Routinehandlung über die Bühne gehen, nicht selten jedoch stellen sich Fragen von Betroffenen oder Angehörigen. Die Ärztinnen und Ärzte sind herausgefordert, verständlich zu argumentieren. «Wie lasse ich mich auf Impfgespräche ein? Wie bringe ich meine Argumente überzeugend rüber?», mag sich schon mancher in der Praxis gefragt haben. Es gibt wissenschaftlich dokumentierte Entscheidungs- und Argumentationshilfen, doch nur die Praxis hilft die argumentativen Fertigkeiten zu schulen und zu verfeinern. Praxisnahe Übungen zum Thema wären als Trainingshilfen willkommen. Genau dies bieten die kommenden «Zuger Gespräche 2004» (1): Den Veranstaltern ist es nämlich gelungen, mit dem Playback-Theater Zürich eine Truppe zu verpflichten, die professionelles und interaktives Theater mit dem Ziel der praxisnahen Fortbildung bietet (2). Playback-Theater ist improvisiertes, interaktives Theater. Unter fachkundiger Moderation verwandeln speziell trainierte Schauspielerinnen, Schauspieler – und bei Bedarf Musikerbeiträge aus dem Publikum in spontane Theaterszenen. Die Beiträge stammen in diesem Falle aus der Impfpraxis und wurden von einem Gremium von Fachleuten ausgewählt. Playback-Theater wurde 1975 in den USA von Jonathan Fox er-
funden. Es wird heute auf der ganzen Welt als Kunst- und Kom-
munikationsform in vielen unterschiedlichen Bereichen ange-
wendet. Es nimmt direkten Bezug auf die Teilnehmer und ihre
Anliegen und ihr Potenzial. Im steten Dialog mit dem Publikum
wird das gewählte Thema spielerisch-ernsthaft untersucht und
vertieft. Playback-Theater thematisiert und integriert die emotio-
nalen Aspekte der erzählten Beiträge. Der Rahmen macht Mut,
auch Schwieriges anzusprechen und Neues auszuprobieren. Jede
Aufführung wird vom Publikum spontan mitgestaltet. Das Er-
zählen und Spielen individueller Erlebnisse schafft Verbundenheit
und Verständnis. Das Erzählte wird nacherlebbar, die Anwesen-
den fühlen sich ganzheitlich angesprochen. Die Wirkung ist in-
tensiv und nachhaltig. Genau dies ist eigentlich das Ziel jeder
guten Fortbildungsveranstaltung.
Die «Zuger Gespräche» finden jährlich statt und sind ein fachlich
hoch stehendes Symposium über aktuelle Impfthemen. Die Teil-
nahme wird Schweizer Pädiatern und Allgemeinpraktikern als
jährliche Fortbildung angerechnet. Dem Advisory Board, das für
Programm und Referenten verantwortlich ist, gehören führende
Schweizer Fachexperten an (3).
q
1. Zuger Gespräche 2004, Casino Zug, Donnerstag, 11. März 2004, 13.30–17.30 Uhr 2. www.playback-theater.ch/info 3. www.provaccine.ch/html/zugergespraeche.htm
Information: info@zuger-gespraeche.ch Anmeldung: www.zuger-gespraeche.ch
A R S M E D I C I 4 q 2 0 0 4 145