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Titel
Ich verwahre mich…
Untertitel
-
Lead
… in aller Form dagegen, für die Verwahrungsinitiative gestimmt zu haben. Allerdings habe ich das Nein mit ambivalenten Gefühlen angekreuzt. Denn es geht mir wie den Initiantinnen und all denen, die der Verwahrung extrem gefährlicher Täter zugestimmt haben: Auch ich bin der Meinung, dass die Gesellschaft vor einer gewissen Sorte Täter geschützt werden muss. Es ist völlig belanglos, dass diese Greueltaten extrem selten begangen werden und dass diese Art Mörder/Folterer eine klitzekleine Minderheit darstellen. J
Datum
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-
Rubrik
Rubriken — ARSENICUM
Schlagworte
-
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11701
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ENICUM

Ich verwahre mich …

… in aller Form dagegen, für die Verwahrungsinitiative gestimmt zu haben. Allerdings habe ich das Nein mit ambivalenten Gefühlen angekreuzt. Denn es geht mir wie den Initiantinnen und all denen, die der Verwahrung extrem gefährlicher Täter zugestimmt haben: Auch ich bin der Meinung, dass die Gesellschaft vor einer gewissen Sorte Täter geschützt werden muss. Es ist völlig belanglos, dass diese Greueltaten extrem selten begangen werden und dass diese Art Mörder/Folterer eine klitzekleine Minderheit darstellen. Jedes Opfer ist ein Opfer zu viel und diese Taten sind so schrecklich, dass der Staat sein Äusserstes tun muss, um seine Bürger zu schützen. Es mag ja sein, dass es nur einige wenige Täter sind – aber man könnte genauso gut zynisch argumentieren, dass es darum ja auch nicht so schlimm ist, dass man sie lebenslang wegschliesst: es trifft ja nur ein paar wenige Menschen. Genauso unlogisch ist das Argument, dass es nie eine Garantie für die absolute Sicherheit gibt. Die gibt es auch nicht vor Bränden. Und trotzdem macht der Staat sein Möglichstes für den Brandschutz. Aber es ist mir nicht wohl dabei, wenn unser Rechtssystem eine Wiedererwägungsmöglichkeit für immer ausschliesst. Mit Besorgnis sehe ich auch, wie die Privatheit zugunsten des total(itär)en Sicherheitsstaates abgebaut wird. Jüngstes Beispiel sind die Justizreformen in Frankreich, die einen gravierenden Eingriff in die Bürgerrechte darstellen. Tröstlich zumindest,

dass die französischen Juristen auf die Strasse gingen – vom Studenten bis zum Richter, vom Anwalt bis zum Staatsanwalt. Sie kämpfen für den Erhalt des Rechtsstaates und gegen einen Rechtsstaat. Europäer hingegen verstehen nicht die amerikanischen Tugendnormen. Zum Beispiel warum Justin Timberlake verklagt wird. Der drall gebauten Janet Jackson ging er in einer kunstvoll choreographierten Tanzshow, den passenden Musiktext trällernd, an die Damenoberbekleidung. Ausgerechnet in der Pause der SuperBowl-Halbzeit. Das führte zur Strafanzeige wegen «indecency». Dabei hat Frau Jackson doch ganz anständig was zu bieten … Im Internet kann man noch ganz andere Brustbilder der Künstlerin inspizieren, sogar ohne Klebe-Stern. Während in Europa der Grossteil der Säuglinge bereits im Neugeborenenalter den blutten Brüsten junger Frauen ausgesetzt werden, ernähren sie in den USA halt ihre Kids mit Milchersatz aus der Flasche. Vermutlich vertragen sie deshalb später keine nackten Tatsachen. Auch keine alkoholtrinkenden Menschen: In der Öffentlichkeit verbirgt der korrekte Amerikaner sein Gebinde, aus dem er Alkoholika trinkt, in einem braunen Papierbeutel. Augenscheinlich sind diese Probleme für die Amerikaner wichtiger als die sozialen Probleme und die Gewalt in ihrem Land. Die Frage, was nun alles als «indecent» zu betrachten ist, wird kontrovers beantwortet. Offenes Frauenhaar? Das empfinden viele

Muslime als aufreizend. Für französische Gesetzgeber hingegen sind bedeckte Haare anstössig. Ein rotes Tuch sind dort Kopftuch, Kippa und Nonnenhaube. Ob wohl auch Generäle, Köche und Schornsteinfeger barhäuptig gehen müssen? Und wie löst der Protokollchef des Elysée das Problem, wenn Königin Elisabeth II. zum Staatsbesuch kommt und bekopftucht an der Seine spazieren gehen will? Ist es anständig, wenn bayrische Schulkinder auf das realistisch geschnitzte Bildnis eines mageren Gekreuzigten schauen müssen, der zudem noch eine Stichverletzung im Thorax und Fremdkörper in der Galea hat? Ist es Anstand, wenn Daddy in der Pause der Super Bowl Mummy links und rechts eine in die Fresse haut? Oder sie und alle Kinder zuhause gar erschiesst? Jäger reden auch vom «Anstand» – und meinen damit hoch gelegene Tiertötungs-Bretterverschläge. Ist es anständig, wenn Frauenhäuser und Mädchenprojekte das Geld gestrichen bekommen? Die tägliche Gewalt finde ich genauso schrecklich wie die sadistischen Serientäter. Aus «wissenschaftlichem Interesse» bringt ein junger Mann einen ihm Fremden um – nur um zu sehen, ob er den perfekten Mord begehen kann. Da werden Kinder am helllichten Tag in Autos gezerrt, Frauen von ihren Vätern, Brüdern, Freunden und Ehemännern geschlagen und ermordet. Und wer ergreift da mal die Initiative?

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