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PHARMA FORUM
Hormontherapie heute – eine Standortbestimmung
ANNEGRET CZERNOTTA
Mit der Publikation der Women’sHealth-Initiative-Studie (WHI, 1) und der One-Million-Women-Studie (MWS, 2) wurden die bisherigen Erkenntnisse der Hormonersatztherapie (HRT) in Frage gestellt. In der Praxis macht sich deshalb eine zunehmende Verunsicherung breit. Am Symposium «Hormontherapie – eine Standortbestimmung» vom 10. Januar 2004 in Luzern äusserten sich nationale und internationale Experten zur Hormontherapie in Bezug auf Lebensqualität, Knochen, Brust und Herz-Kreislauf-System.
«Die Sicherheit der langfristigen Substitutionsbehandlung postmenopausaler Frauen wurde durch die Veröffentlichung kritischer Studien stark erschüttert», erklärte einleitend Prof. Dr. med. Christian De Geyter, Leitender Arzt an der Universitäts-Frauenklinik Basel. In einer repräsentativen Umfrage bei 844 postmenopausalen Frauen in der Hormonsprechstunde der Universitätsfrauenklinik Basel wurde untersucht, ob sich Patientinnen wie auch Ärzte in der Folge dieser Publikationen eine differenziertere Meinung über die Indikation einer HRT gebildet haben. In der Befragung zeigte sich, dass sich trotz kritischer Berichte in den Medien das Einnahmeverhalten der Frauen nicht geändert hat. «Insgesamt brachen nur 12,7 Prozent der Frauen die Behandlung mit einem östrogenhaltigen Präparat ab, obwohl gut die Hälfte der Patientinnen über die Ergebnisse der WHI-Studie aufgeklärt war. Hingegen zeigte sich die Ärzteschaft weit-
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aus stärker verunsichert, was die Indikation einer HRT anbelangt», so Prof. De Geyter. Am sehr gut besuchten Symposium standen deshalb die praxisrelevanten Themen in Bezug auf die HRT im Vordergrund. Eine gute Möglichkeit zur Vertiefung der Kenntnisse boten die verschiedenen Workshops.
HRT und Lebensqualität
«Das klimakterische Syndrom ist eine eindeutige Indikation für eine HRT. Allerdings sollen die in Frage kommenden Medikamente in der niedrigsten Dosierung angewendet werden, und die Dauer der Therapie soll sich an den geäusserten Beschwerden der Frauen orientieren», lautete das Fazit in dem von Dr. med. Christine Bodmer, UniversitätsFrauenklinik Inselspital Bern, geleiteten Workshop zur HRT in Bezug auf Lebensqualität.
HRT und Knochen
PD Dr. med. Hansjörg Häuselmann, Leitender Arzt am Zentrum für Rheuma- und Knochenerkrankungen, Klinik im Park, Zürich, erläuterte, dass für die Prävention und Behandlung der Osteoporose gemäss FDA (Food and Drug Administration) die SERM (selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren), Bisphosphonate, die HRT oder «keine Medikamente» (beispielsweise Ernährungssupplemente) zur Erhöhung der Knochendichte nach DEXA (Dual-Energy-Xray-Absorptiometry)-Methode zugelassen sind. Auf die Liste der Schweizerischen Vereinigung gegen die Osteoporose (SVGO) wurden nach Angaben von Dr. Häuselmann wegen der nachweislich guten Wirkung zusätzlich Calcitonin und Tibolon aufgenommen. Tibolon, der erste Vertreter der neuen Wirkstoffklasse STEAR (Selective Tissue Estrogenic Activity Regulator), zeigt östrogene, gestagene und androgene Wirkun-
gen. Vertreter dieser Klasse sind eindeutig wirksam zur Bekämpfung klimakterischer Beschwerden und zur Osteoporoseprävention, fast ohne das Brustgewebe und das Endometrium zu stimulieren (3). Die Aufnahme von Tibolon in die SVGO-Liste erfolgte aufgrund der Ergebnisse der Studie von J. C. Gallagher, einer plazebokontrollierten doppelblinden Dosisfindungsstudie, und der Studie von C. Roux et al., einer randomisierten, doppelmaskierten Vergleichsstudie, in der Tibolon zu einer deutlichen Zunahme der Knochendichte führte und dem Knochenverlust präventiv entgegenwirkte (4, 5). Für die Aufnahme in die FDA-Liste fehlen allerdings Frakturdaten. Derzeit läuft die plazebokontrollierte LIFTStudie (Long-term Intervention of Fractures with Tibolone), die dazu im Jahr 2006 Ergebnisse liefern wird.
HRT und Herz-Kreislauf-System
«Eine HRT zum ausschliesslichen Ziel der kardiovaskulären Primär- und Sekundärprävention kann derzeit nicht empfohlen werden», lautete das Fazit im Workshop von PD Dr. med. rer. nat. Alfred O. Mueck vom Universitätsklinikum Tübingen. Wird allerdings eine HRT auf Indikation verordnet, meinte Dr. Mueck, sollen kardiovaskuläre Risikomarker wie das Lipoprotein (a), HDL-Cholesterin, Triglyzeride und Homocystein überprüft werden und ein Glukosetoleranztest erfolgen. Dr. Mueck stellte im Workshop die Leitlinien und Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie aus dem Jahr 2002 zum «Stellenwert der HRT zur Prävention der koronaren Herzkrankheit (KHK)» bei Frauen vor (6). So besteht ein Konsens darüber, dass q bei stabiler KHK unter Abwägung des
Nutzen-Risiko-Profils die HRT weitergeführt werden kann
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Hormontherapie heute – eine Standortbestimmung
q erst zwei Jahre nach einem Hirninsult orale Östrogene verabreicht werden sollen
q eine HRT frühestens zwölf Monate nach Myokardinfarkt begonnen wird
q bei kardiovaskulären Erkrankungen die Dosis des Gestagens optimiert wird.
In der Schweiz fehlen bislang vergleichbare Leitlinien. Auch zu Phytoöstrogenen und Tibolon als Alternativtherapien äusserte sich Mueck. Er ist der Meinung, das es noch zu wenige Daten zu den Phytoöstrogenen gibt, als dass eine Empfehlung hinsichtlich kardiovaskulärer Erkrankungen abgegeben werden könne. Anders hingegen sehe es bei Tibolon aus, das insgesamt ein gutes Wirkstoffprofil zeigt: Zwar sinkt das HDLCholesterin, seine Funktion wird aber dadurch nicht beeinträchtigt. Triglyzeride sinken, zudem fördert Tibolon die fibrinolytische Aktivität, was eindeutig durch die verlängerte Gerinnungszeit nachweisbar ist (7, 8). Auch Diabetikerinnen (ohne vorbestehende Gefässschäden) seien deshalb geeignete Patientinnen für eine Therapie mit Tibolon. Zum Abschluss legte er den anwesenden Ärzten nahe, dass trotz der kardiovaskulären Beteiligung die HRT nicht in die Hand des Internisten gehöre, sondern eine interdisziplinäre Zusammenarbeit anzustreben sei.
HRT und Brust
«Der Einfluss von Hormonen auf die Brust ist seit der Publikation der WHI und MWS ein sehr sensibles Thema», so Prof. von Schoultz, leitender Arzt des KarolinskaKrankenhauses Stockholm. Kontroversen bestehen unter anderem hinsichtlich der First-Line-Therapie nach Mammakarzinom. «Neue Studien belegen die gute Wirkung von Aromatasehemmern im Vergleich zu Tamoxifen, allerdings fehlen Langzeitdaten zur Gesamtmortalität und -morbidität und in Bezug auf das kardiovaskuläre System und die Osteoporose, sodass Tamoxifen weiterhin die First-Line-Therapie bleibt», hielt von Schoultz zusammenfassend fest. Weitere Probleme bestehen auch hinsichtlich der Behandlung klimakterischer Symptome bei Brustkrebspatientinnen. Effektiv sind Antidepressiva wie die selektiven Sero-
tonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) und Tibolon, erklärte von Schoultz. Bei Phytoöstrogenen fehlten allerdings Ergebnisse zur Wirksamkeit bei mittleren klimakterischen Symptomen. Bei Tibolon fehlten Daten hinsichtlich der Wirkung und Rezidivrate bei Frauen mit Zustand nach Mammakarzinom. Aufschluss geben soll die LIBERATE-Studie (Livial Intervention following Breast cancer: Efficacy, Recurrence And Tolerability Endpoints), welche die Wirkung von Tibolon versus Plazebo bei Patientinnen mit Zustand nach Mammakarzinom untersucht. Erste Daten werden im Jahr 2006 erwartet.
Offene Fragen
In der abschliessenden Diskussion wurden weitere aktuelle Themen der HRT von Experten und Teilnehmern diskutiert. Dr. H.J. Kloosterboer von der Forschungsentwicklung Organon ist beispielsweise überzeugt, dass nach dem ersten STEAR weitere folgen werden, «weil STEAR ein potenziell günstigeres Wirkungsspektrum aufweisen». Prof. Hermann P.G. Schneider von der Universität Münster unterstrich in seinem Fazit die Bedeutung von «Detection Bias», von Fehlern in der Auswertung und Bewertung von Studiendaten. In der MWS, so Schneider, betrug das errechnete relative Risiko (RR) unter Östrogentherapie 1,30 (95% KI 1,21– 1,40), in Kombination mit Gestagenen sogar 2,0 (95% KI 1,88–2,12) bei einem Follow-up von 2,6 Jahren. Schneider kritisierte: «Zwischen dem Zeitpunkt der Diagnose und dem Brustkrebstod lagen 1,7 Jahre, und die Zeit bis zur Diagnose von Brustkrebs betrug 1,2 Jahre. Die in die Studie eingeschlossenen Frauen müssen deshalb schon bei Einschluss in die Studie einen Brustkrebs gehabt haben, sogar schon im fortgeschrittenen Stadium. Zur Verursachung sagen diese Studien deshalb nichts aus.» Was aber kann den niedergelassenen Ärzten in Bezug auf die HRT mitgegeben werden? De Geyter fasste zusammen: «Eine HRT benötigt eine klare Indikation, nämlich die zur Prävention einer Osteoporose und zur Behandlung des klimakterischen Syndroms. Allerdings müssen vor Verordnung eine sehr gute Beratung und
eine ausführliche Anamnese stattfinden.
Die Dosierung soll so niedrig wie möglich
und so lang als nötig erfolgen. Langzeit-
daten zu alternativen Therapiemöglichkei-
ten fehlen.»
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Annegret Czernotta
Weitere Informationen: Organon AG
Churerstrasse 160b 8808 Pfäffikon SZ
Quellen: Der Beitrag basiert auf Informationen vom Symposium «Hormontherapie – eine Standortbestimmung», 10. Januar 2004, Luzern, und vom Sonderheft «Hormontherapie – eine Standortbestimmung», Journal für Menopause, 11. Jahrgang 2004, Sonderheft 1/2004, ISSN 1025–6873.
Referenzen: 1. Writing Group for the Women’s Health Initiative Investigators. Risks and benefits of estrogen plus progestin in healthy postmenopausal women: principal results from the Women’s Health Initiative randomised controlled trial. JAMA 2002; 288: 321–33. 2. Million Women Study Collaborators. Breast cancer and hormone-replacement therapy in the Million Women Study. Lancet 2003; 362: 419–27. 3. H.J. Kloosterboer: Tibolone: a specific mode of action. J Steroid Biochem Mol Biol 2001; 76: 231–238. 4. J.C. Gallagher et al.: Prevention of bone loss with Tibolone in postmenopausal women: results of two randomized, double-blind, placebo-controlled, dosefinding studies, The Journal of Endocrinology & Metabolism 86 (10): 4717–4726. 5. C. Roux et al.: Randomized, double-masked, 2-year-comparison of Tibolone with 17-Beta-Estradiol and Norethindrone acetate in preventing postmenopausal bone loss, Osteoporos Int (2002), 13: 241–248. 6. Stellenwert der HRT zur Prävention der KHK, Leitlinien und Empfehlungen, Z Kardiol 91: 430–435 (2002). 7. Moore R.A.: Livial: a review of clinical studies. Br J Obstet Gynaecol 1999; 106 (Suppl 19): 1–21. 8. Winkler U.H. et al.: Effect of tibolone and continuous combined hormone replacement therapy on parameters in the clotting cascade: a multicenter, double-blind, randomized study. Fertil Steril 2000; 74: 10–19.
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