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Studie referiert
Sekundärprävention bei Stroke: Stent oder nur Medikamente?
Angioplastie birgt vermehrte Risiken
Die sekundärprophylaktische Behandlung intrakranieller Stenosen erfolgt zunehmend häufiger mittels perkutaner transluminaler Angioplastie und Stenteinlage (PTAS). Eine randomisierte Studie wollte untersuchen, ob dieses Vorgehen einer aggressiven medikamentösen Therapie wirklich überlegen ist.
NEJM
ren auf etwa 23 Prozent innert eines Jahres. Eine Erweiterung der Behandlungsoptionen hierfür scheint daher dringend. Dabei konkurrieren heute die aggressive medikamentöse Therapie mit kombinierter Plättchenhemmung sowie intensivem Management der Risikofaktoren und ein invasives Vorgehen mit PTAS. Diese im November 2008 beginnende Studie wollte Sicherheit und Wirksamkeit der beiden Therapieansätze besser erfassen, da die PTAS zuvor nicht mit dem medikamentösen Management randomisiert verglichen worden war (1).
Durch Atherosklerose bedingte intrakranielle Arterienstenosen sind sehr häufige Ursachen für Hirnschläge und gehen mit einem hohen Risiko für einen erneuten Stroke einher. Dies gilt besonders bei Patienten mit kurz zurückliegender transient ischämischer Attacke (TIA) oder Stroke und schwerer Stenose von 70 bis 99 Prozent des Durchmessers einer grossen Hirnarterie. Dieses Risiko beläuft sich trotz Behandlung mit Aspirin und Standardmanagement vaskulärer Risikofakto-
Merksätze
❖ In dieser randomisierten Vergleichsstudie war die Kombination einer aggressiven medikamentösen Therapie mit einer perkutanen transluminalen Angioplastie und Stenteinlage (PTAS) der alleinigen Pharmakotherapie zur Sekundärprophylaxe nach TIA oder Stroke bei Hochrisikopatienten unterlegen.
❖ Die Studie wurde wegen deutlich höherer 30-Tages-Stroke- und -Todesraten (14,7 vs. 5,8%) abgebrochen.
Methodik Patienten mit kurz zuvor durchgemachter TIA oder Stroke wegen massiver intrakranieller Stenose (70–99%) wurden entweder zu einer aggressiven Pharmakotherapie allein oder in Kombination mit PTAS randomisiert. Die medikamentöse Behandlung bestand aus Aspirin 325 mg/Tag und Clopidogrel 75 mg/Tag für 90 Tage. Zusätzlich wurden die Hauptrisikofaktoren (erhöhter systolischer BD, erhöhtes LDLCholesterin) medikamentös angegangen und die sekundären Risikofaktoren wie Diabetes, andere Lipidveränderungen, Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel im Rahmen eines Lifestyle-Modifikationsprogramms behandelt. Bei den zu PTAS randomisierten Patienten erfolgte der Revaskularisationseingriff mit dem WingspanStentsystem. Primärer Endpunkt waren Stroke oder Tod innert der ersten 30 Tage nach Studienaufnahme oder Revaskularisationseingriff oder Stroke nach 30 Tagen im Gebiet der betroffenen Hirnarterie.
Ergebnisse Die Rekrutierung wurde gestoppt, nachdem 451 Patienten randomisiert
worden waren, da die 30-Tage-Strokeoder Sterberate in der PTAS-Gruppe mit 14,7 Prozent (nicht tödlicher Stroke 12,5%, tödlicher Stroke 2,2%) wesentlich höher ausgefallen war als die 5,8 Prozent in der Vergleichsgruppe mit alleiniger medikamentöser Therapie (5,3% nicht tödlicher Stroke, 0,4% tödlicher Stroke). Diese Differenz war statistisch signifikant (p = 0,002). Nach den ersten 30 Tagen trat in beiden Gruppen bei 13 Patienten ein Hirnschlag im gleichen Gefässterritorium auf. Die Nachbeobachtung läuft weiter und umfasste zum Zeitpunkt der jetzigen Publikation im Mittel 11,9 Monate. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines primären Endpunkts war in den beiden Gruppen im Zeitverlauf signifikant verschieden, mit 1-Jahres-Raten für den primären Studienendpunkt von 20,0 Prozent in der PTAS- und 12,2 Prozent in der nur medikamentös behandelten Gruppe (p = 0,009).
Schlussfolgerungen «Entgegen unserer Hypothese zeigen die Studienergebnisse, dass eine aggressive medikamentöse Therapie der PTAS mit dem Wingspan-System bei Hochrisikopatienten mit intrakranieller Stenose überlegen war», schreiben die Autoren. Sie führen dies darauf zurück, dass die Rate der periprozeduralen Hirnschläge nach PTAS höher war als erwartet und diejenige in der Gruppe mit alleiniger Pharmakotherapie tiefer als erwartet. Die hier beobachtete 30-Tage-Stroke- oder Todesrate von 14,7 Prozent war substanziell höher als diejenige mit dem WingspanSystem in bisherigen Registerstudien (4,4 bis 9,6%). Dies könne aber nicht an der Unerfahrenheit der Operateure liegen, die ausgewiesene Erfahrungsdaten vorweisen können. Entsprechend nahmen die mit dem Eingriff in Zusammenhang stehenden Strokeraten mit der Zeit auch nicht ab, und es gab auch keine signifikanten Unterschiede zwischen Zentren mit vielen und wenigen Studienpatienten. Als mögliche Erklärung des überraschenden, für PTAS ungünstigen Resultats nennen die Autoren den Umstand, dass hier Patienten mit sehr hochgradiger Stenose und nur kurz zurückliegendem zerebral ischämischem Ereignis revaskularisiert wurden. Patienten mit
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geringergradigen Stenosen oder länger zurückliegenden Symptomen wurden bewusst ausgeschlossen, da sie ein wesentlich tieferes Risiko für erneute Ereignisse von 3 bis 9 Prozent pro Jahr haben und daher von PTAS wenig profitieren dürften. Ausserdem dürfte das rigorose Studienprotokoll zur Entdeckung von geringfügigen Hirnschlagereignissen geführt haben, die in Registerstudien keinen Eingang finden. Davon unabhängig waren jedoch schwere invalidisierende oder tödliche Hirnschläge in dieser Studie deutlich häufiger (35%) als in anderen Studien mit Stents (21%) oder extrakranieller Endarteriektomie (28%). Ein begleitendes Editorial (2) sieht drei Lehren, die aus dieser und vorangegangenen Revaskularisationsstudien zur Sekundärprophylaxe bei Stroke zu ziehen sind: ❖ Die Herausforderungen bei intra-
kranieller Revaskularisation sind grösser als bei Eingriffen an extrakraniellen Karotisstenosen. ❖ Eine aggressive und aufmerksam durchgeführte medikamentöse The-
rapie ist zur Strokeprävention bei Hochrisikopatienten ein effektives Vorgehen. ❖ Staatliche Kontrollbehörden (wie FDA und CMS in den USA) spielen eine wichtige Rolle bei den Fortschritten einer kosteneffektiven Medizin.
Die SAMMPRIS-Studie ist die dritte randomisierte Untersuchung zur intrakraniellen Revaskularisation mit negativem Ergebnis im Vergleich zum medikamentösen Management. Die zwei Studien betrafen die intrakraniellextrakranielle Bypasschirurgie, die entsprechend nur wenig Verbreitung fand. Zwar war auf diesem Weg, ähnlich wie jetzt mit der PTAS, eine Verbesserung der Perfusion zum Hirn zu erzielen, die sich aber nicht in weniger Stroke niederschlug. Überraschend war die Häufigkeit intrakranieller Hämorrhagien im Anschluss an den Eingriff, die auf Reperfusionsblutungen und Subarachnoidalblutungen, verursacht durch Drahtmanipulationen während der Angioplastie,
zurückzuführen sein dürften. Rein
technisch seien intrakranielle Revas-
kularisationen eben wesentlich an-
spruchsvoller als extrakranielle, schreibt
der Editorialist. Bei extrakraniellen Ste-
nosen kann zudem der Circulus Willisii
Alternativen bei der Blutzufuhr zum
Hirn bieten, bei kritischen Verengun-
gen der A. cerebri media beruht die
Verhütung ischämischer Schäden je-
doch lediglich auf kortikalen Kollate-
ralen.
❖
Halid Bas
1. Marc I. Chimowitz et al. for the SAMMPRIS Trial Investigators: Stenting versus aggressive medical treatment for intracranial arterial stenosis. N Engl J Med 2011; 365: 993–1003.
2. Joseph P. Broderick: The challenges of intracranial revascularization for stroke prevention. N Engl J Med 2011; 365: 1054–1055.
Interessenlage: Die Studie wurde durch das National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NINDS) finanziert, erhielt aber auch Unterstützung von AstraZeneca (für Rosuvastatin), der Apothekenkette Walgreens (für die anderen Medikamente) und dem DeviceHersteller Stryker-Neurovascular.
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