Transkript
FORTBILDUNG
Ösophageale Dysphagie beim Erwachsenen
Sinnvolle Abklärungsschritte
Ösophageale Dysphagie (Schluckstörung) ist das Leit-
symptom verschiedenster mechanischer und funktio-
neller Passagebehinderungen der Speiseröhre. Neben
harmlosen Erkrankungen wie einer Refluxösophagitis
kann auch eine mechanische Stenose durch ein Öso-
phaguskarzinom eine Dysphagie verursachen. Aus die-
sem Grund ist der erste Schritt der Abklärung immer
eine flexible Endoskopie, während sich die weitere
Diagnostik nach der Symptomatik richtet. Nach Aus-
schluss eines organischen intraluminalen Hinder-
nisses stehen als nächste Abklärungsschritte eine
radiologische Bildgebung und eine Manometrie zur
Funktionsdiagnostik zur Verfügung.
MARC RITZ
Schluckstörungen sind ein häufiges Symptom, an dem über 40 Prozent der über 75-Jährigen leiden, welches aber auch oft bei jüngeren Patienten auftritt. Neben psychischen und neurologischen Erkrankungen sowie pharyngealen Problemen unterscheidet man Symptome im Bereich der Speiseröhre selbst. Grundsätzlich gelten ösophageale Dysphagie (Schluckstörung) und Odynophagie (Schmerzen beim Schlucken) als Alarmzeichen und sollten bei einer Persistenz über zwei Wochen abgeklärt werden, da sich schwerwiegende Erkrankungen, wie zum Beispiel ein Ösophaguskarzinom, dahinter verbergen können. Um die richtige Abfolge der einzelnen Abklärungsschritte (Abbildung) bei der Vielzahl möglicher Ursachen optimal zu gestalten, ist es nicht nur wichtig, mögliche Ätiologien zu kennen, sondern auch, die verschiedenen Zusatzsymptome zu diskutieren.
Ursachen der ösophagealen Dysphagie Mechanische Hindernisse und Entzündungen Akute Dysphagie ist ein dramatisches, meist durch Steckenbleiben eines Fremdkörpers in der Speiseröhre verursachtes Krankheitsbild mit krampfartigen Schmerzen und typischerweise Hypersalivation. Wenn durch Nachtrinken von Flüssigkeit keine Beschwerdefreiheit erreicht wird, ist eine endoskopische Entfernung des Fremdkörpers mit dem flexiblen Gastroskop nötig. Auch eine über Tage oder länger andauernde ösophageale Dysphagie kann durch ein mechanisches Hindernis bedingt sein, welches zu einer Stenose führt. Hierzu gehören benigne, vor allem aber maligne Tumoren, welche bei über 40-Jährigen – insbesondere bei Patienten mit Nikotin- oder Alkoholabusus – den häufigsten Grund einer organischen Dysphagie darstellen. Entzündliche Erkrankungen können durch lokales Ödem und Ulzerationen, längerfristig aber auch durch narbige Stenosen, wie zum Beispiel einen Schatzki-Ring, ähnliche Beschwerden verursachen. Die häufigste entzündliche Ursache stellt der gastroösophageale Säurereflux dar, differenzialdiagnostisch muss an einen Reflux von Galle, an suizidale oder akzidenzielle Verätzungen durch Laugen und Säuren sowie an eine infektiöse Ösophagitis durch Soor oder Viren (CMV) gedacht werden; Letzteres insbesondere bei Patienten, die eine Immunosuppression (HIV, Diabetes mellitus, Medikamente wie Steroide usw.) aufweisen. Letztlich kommen auch eine grössere paraösophageale Herniation oder eine Hiatushernie sowie extraösophageale, die Speiseröhre komprimierende Veränderungen
Merksätze
■ Akute ösophageale Dysphagie ist meist durch Fremdkörper bedingt.
■ Chronische Schluckbeschwerden über zwei Wochen müssen abgeklärt werden.
■ Erster diagnostischer Schritt ist eine flexible Endoskopie zum Ausschluss eines mechanischen Hindernisses, insbesondere eines Karzinoms bei über 40-Jährigen.
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ÖSOPHAGEALE DYSPHAGIE BEIM ERWACHSENEN
Abklärung bei ösophagealer Dysphagie
Symptome Ein retrosternales Druckgefühl, Krämpfe
flexible Endoskopie mit Biopsie
und eine Passagebehinderung sind die Hauptzeichen der Dysphagie. Oft ermög-
wenn unauffällig
lichen die Anamnese und klinische Beobachtung des Schluckaktes die Abgren-
zung zur oralen sowie pharyngealen Dys-
eher proximal
eher distal
zusätzlich Refluxsymptome
phagie und geben bereits erste Hinweise
für die Ursache einer ösophagealen Dys-
HNO-Konsilium Sonografie der Schilddrüse
CT Hals
Ösophagus-Manometrie
PPI-Test
Ösophagus-Breischluck pH-Metrie, evtl. mit Impedanzmessung
phagie. So kann zum Beispiel die Unterscheidung, ob die Dysphagie nur für feste Nah-
bei vor allem pharyngealer Problematik:
Videokinematografie
bei vor allem oraler Problematik:
Zahnarzt
rung oder auch für Flüssigkeit besteht, wichtig sein. Erstere ist meist durch ein mechanisches Hindernis bedingt, Letz-
Abbildung: Abklärungsschritte bei ösophagealen Schluckstörungen
tere oft durch eine funktionelle Ursache. Natürlich führt aber auch eine mechani-
sche Stenose mit der Zeit zu einer Dys-
als Dysphagieursache in Frage (Tumor, Lymphknoten, Gefäss- phagie für Flüssigkeit und kann schliesslich die Nahrungsauf-
anomalie, im proximalen Abschnitt auch eine Struma und nahme stark einschränken oder gar verunmöglichen. Eine zu-
Deformität der Halswirbelsäule). Ein Zenker-Divertikel führt sätzliche Regurgitation von nicht saurer oder unverdauter
vor allem zu Regurgitation unverdauter Nahrungsmittel, kann Nahrung gilt als Hinweis für das oben erwähnte Zenker-Diver-
aber auch ein Globusgefühl im proximalen Ösophagus bewir- tikel, aber auch für eine Achalasie, bei welcher die regurgitierte
ken. Nahrung noch nicht im Kontakt mit der Magensäure war.
Neben direkten, durch die Passagebehinderung bedingten Be-
Funktionelle Störungen
schwerden kommt es auch zu langfristigen Folgen, welche
Neben mechanischen Ursachen können auch funktionelle Stö- sogar als Leitsymptom vorliegen können. So kann eine Dys-
rungen eine Dysphagie bewirken. Hierzu gehören sowohl phagie zu Gewichtsverlust und Exsikkose führen, aber auch
lokale neuromuskuläre Erkrankungen mit konsekutiver Moti- Husten oder Heiserkeit und eine rezidivierende Pneumonie
litätsstörung als auch systemische neurologische und psycho- können durch wiederholte stille Aspiration von Nahrung oder
somatische Krankheiten. Die Dysmotilität kann den unteren Flüssigkeit auftreten.
ösophagealen Schliessmuskel (LOS), aber auch den tubulären
Ösophagus betreffen. Ein wichtiges Beispiel mit therapeuti- Abklärungen
scher Konsequenz ist die Achalasie, bei welcher sich der LOS Flexible Ösophagoskopie
nicht öffnet, gleichzeitig aber auch die propulsive Aktivität im Die wichtigste diagnostische Massnahme zur Abklärung einer
tubulären Bereich der Speiseröhre fehlt. Dadurch ist die Pas- ösophagealen Dysphagie ist eine flexible Ösophagoskopie im
sage der Nahrung gleich zweifach behindert.
Rahmen einer Magenspiegelung, welche auch eine Biopsie-
entnahme ermöglicht. Die Endoskopie ist sowohl bei Be-
Andere Erkrankungen
schwerden im Bereich des gastro-ösophagealen Übergangs als
Auch Krankheiten im Bereich der Inneren Medizin und Rheu- auch bei diffuser Lokalisation oder einer proximal empfunde-
matologie können sich mit Schluckstörungen äussern. Zu er- nen Dysphagie indiziert, da die Beschwerden nicht immer die
wähnen sind hier vor allem Kollagenosen, Sklerodermie und Lokalisation des Hindernisses widerspiegeln und auch bei
Myasthenia gravis sowie eine schwere Eisenmangelanämie einer Dysphagie im proximalen Ösophagus oder einem
(Plummer-Vinson-Syndrom). In den letzten Jahren hat die Globusgefühl ein distales Ösophaguskarzinom möglich ist. Die
eosinophile Ösophagitis, eine Art «Asthma des Ösophagus», flexible Ösophagoskopie ist der starren Endoskopie vorzuzie-
welche gehäuft bei jungen Männern zu rezidivierenden Dys- hen, da Letztere ein wesentlich höheres Komplikationsrisiko
phagiebeschwerden führen kann, bezüglich Häufigkeit und und eine unnötige Belastung für den Patienten darstellt.
Bedeutung zugenommen.
Zudem kann bei der Untersuchung mit dem starren Gerät eine
Als Letztes ist nach Ausschluss einer organischen Ursache Pathologie im distalen Bereich übersehen werden.
natürlich auch ein psychosomatischer Hintergrund möglich, Anlässlich der flexiblen Ösophagoskopie sollten immer auch
insbesondere bei Globusgefühl im proximalen Bereich. Diese Biopsien aus dem proximalen Ösophagus entnommen werden.
Ausschlussdiagnose sollte aber nur in Betracht gezogen wer- Nur dadurch kann die auch oben erwähnte eosinophile
den, wenn zumindest die wichtigsten organischen Erkrankun- Ösophagitis ausgeschlossen beziehungsweise nachgewiesen
gen (Tumor usw.) sicher mittels korrekter Diagnostik aus- werden. Diese Erkrankung kann vom endoskopischen Aspekt
geschlossen sind.
her zwar vermutet, aber nicht bewiesen werden. Vermehrte
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FORTBILDUNG
eosinophile Entzündungszellen in Gewebeproben aus dem distalen Ösophagus können auch durch einen gastroösophagealen Reflux bedingt sein und sind somit für eine eosinophile Ösophagitis nicht diagnostisch.
Breischluck Bei unauffälliger flexibler Endoskopie kommt als nächster Schritt eine Ösophaguspassage (Röntgen-Breischluck) in Frage, welche Hinweise auf die Auswirkungen der Behinderung – sei sie nun mechanisch oder funktionell – ermöglicht und diese in Zusammenhang mit der Lokalisation bringt. Sie sollte hingegen nicht als erster Diagnostikschritt eingesetzt werden, da sie bei kleinen Tumoren falschnegativ sein kann. Der Vorteil dieser Untersuchungsmethode liegt zum Beispiel im Nachweis oder Ausschluss einer Kompression durch einen extraintestinalen Prozess oder einer Dysmotilität, welche bei der flexiblen Endoskopie wegen der meist verwendeten Sedation des Patienten schwieriger zu beurteilen ist.
Ösophagusmanometrie Eine weitere Möglichkeit der Funktionsdiagnostik stellt die Ösophagusmanometrie dar. Sie ermöglicht die genauste Beurteilung des Ablaufs der Kontraktionen im tubulären Ösophagus, aber auch eine Objektivierung der Sphinkterfunktion, und zwar sowohl des oberen wie auch des unteren Schliessmuskels. Die wichtigste mit der Manometrie erkennbare Krankheit ist die Achalasie, welche ein typisches Bild mit fehlender Relaxation des unteren Sphinkters und gleichzeitigem Ausbleiben der propulsiven Kontraktionswelle im tubulären Ösophagus aufweist.
wendige Messung mit einer nasalen Sonde über 24 Stunden oft unangenehm ist, auch ein PPI-Test durchgeführt werden. Dabei wird ein medikamentöser Säureblocker (Protonenpumpeninhibitor) in Standarddosierung über eine gewisse Zeit gegeben, um das Ansprechen der Beschwerden auf die Säuresuppression zu evaluieren. Allerdings benötigen refluxbedingte Dysphagiebeschwerden bei NERD, vor allem das recht häufige Globusgefühl im proximalen Ösophagus, oft eine etwas höhere Dosierung und längere Behandlungsdauer (bis 8 Wochen) als typische Refluxbeschwerden.
Kontrolle benachbarter Strukturen
Selbstverständlich muss bei proximalen Beschwerden auch
eine Kontrolle der benachbarten Strukturen in Betracht gezo-
gen werden. Hier stehen insbesondere eine HNO-Abklärung
und eine sonografische Beurteilung der Schilddrüsen mit der
Frage nach Struma im Vordergrund. Andererseits kann auch
eine Videokinematografie zur Beurteilung des pharyngealen
Schluckaktes bei Dysphagie im proximalen Bereich insbeson-
dere bei älteren Patienten helfen. Nicht zu vergessen sind
schliesslich in dieser Patientengruppe auch Zahn- und Prothe-
senprobleme, welche Schluckbeschwerden verursachen können.
Insgesamt richtet sich die Abklärung also durchaus nach der
Art der Dysphagie, aber auch nach der subjektiven Sympto-
matik und der vom Patienten empfundenen Lokalisation der
Beschwerden. Auch die Intensität der Abklärung und Anzahl
der sinnvollen Untersuchungsschritte hängt im Einzelfall vom
Beschwerdebild ab. Trotzdem muss festgehalten werden, dass
eine echte Dysphagie ein Alarmsymptom ist und ernst genom-
men werden muss.
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Computertomografie Eine Computertomografie kann insbesondere bei der Frage nach einem extraintestinalen Prozess wertvolle Hinweise geben. Auch hier ist aber Vorsicht geboten: Kleine intramurale und mukosale Ösophaguskarzinome können auch im CT nicht dargestellt und so übersehen werden. Aus diesem Grund sollte bei ösophagealer Dysphagie nie auf die eingangs erwähnte flexible Endoskopie verzichtet werden.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Marc Ritz
Konsiliarius Kantonsspital Liestal Arztpraxis FMH Gastroenterologie und Innere Medizin
Oristalstrasse 25 4410 Liestal
Interessenkonflikte: keine
Vorgehen bei Verdacht auf NERD Sofern endoskopisch kein relevanter Befund vorliegt und eine andere Ätiologie ausgeschlossen ist oder wenn zusätzliche typische Beschwerden wie Sodbrennen, epigastrisches Druckgefühl und saures Aufstossen auf eine Refluxkrankheit hinweisen, ist immer an eine nicht erosive Verlaufsform einer gastroösophagealen Refluxkrankheit (NERD) zu denken. Immerhin haben 45 Prozent der Patienten mit klinisch vorhandenen Refluxsymptomen und pathologischer pH-Metrie keine endoskopisch nachweisbaren entzündlichen Veränderungen. Auch bei diesen kann als Leitsymptom eine Schluckstörung vorliegen. Diagnostisch ist die Durchführung einer pH-Metrie – allenfalls kombiniert mit einer Impedanzmessung, welche auch den Nachweis eines zusätzlichen nicht sauren Refluxes ermöglicht – zu erwägen. Alternativ kann, da die not-
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