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BERICHT
Das trockene Auge — auch Folge von Testosteronmangel
Zur Behandlung werden meist künstliche Tränen eingesetzt, aber auch Omega-3-Fettsäuren können helfen
Das trockene Auge gehört zu den häufigsten Augenerkrankungen überhaupt. Studien zeigen, dass offenbar der Hormonhaushalt das Auftreten einer Keratoconjunctivitis sicca beeinflusst. Ob sich daraus neue therapeutische Ansätze ergeben, ist derzeit offen.
UWE BEISE
Das trockene Auge beginnt sich meist im 5. Dezennium auszubilden, zwischen 5 und 35 Prozent der über 50-Jährigen sind betroffen, vorzugsweise Frauen in der Postmenopause. Die Augenerkrankung ist zunächst ein lästiges Ärgernis, sie bedeutet aber auch ein gewisses Gesundheitsrisiko, da die Tränenflüssigkeit das Auge bekanntlich vor Infektionen schützt und die Versorgung der Hornhaut mit Nährstoffen und Sauerstoff gewährleistet. «Menschen mit trockenen Augen sind anfälliger für Bindehautentzündungen und Schäden an der Hornhaut», sagte kürzlich der Direktor der Universitäts-Augenklinik in Frankfurt am Main in seiner Funktion als Pressesprecher der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Menschen mit trockenem Auge klagen schon bei geringen Reizen wie Wind, Kälte, trockener Luft oder nach längerem Lesen über verschiedene Beschwerden: Die Augen röten sich und brennen, zuweilen tränen sie auch übermässig (reflektorischer Tränenfluss). Häufig ist ein Fremdkörpergefühl (Sand im Auge), mitunter verursacht das trockene Auge auch heftige Schmerzen, die Sehschärfe kann manchmal etwas eingeschränkt sein.
Es gibt im Wesentlichen zwei Ursachen für das trockene Auge: Die Tränenproduktion kann durch Atrophie der Tränendrüse gestört sein, oder aber die Tränenflüssigkeit ist pathologisch verändert, mit der Folge, dass der Tränenfilm aufreisst. Es gibt verschiedene Allgemeinerkrankungen, die mit Benetzungsstörungen des Auges einhergehen können: Zu ihnen gehören beispielsweise immunologische Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis oder das Sjögren-Syndrom, ausserdem Diabetes und Schilddrüsenkrankheiten. Auch eine Reihe von Medikamenten können die Tränenproduktion ungünstig beeinflussen (Tabelle).
Die Austrockner: Klimaanlage, Heizungsluft … Häufig begünstigt das Umfeld, in dem wir uns aufhalten, die Ausbildung eines trockenen Auges. Heizungsluft, Autogebläse, Rauchen und Klimaanlagen etwa sorgen für eine verstärkte Verdunstung des Tränenfilms. Bei stundenlanger Arbeit vor dem Bildschirm verschlimmert sich ein trockenes Auge, da beim Starren auf den Schirm die Lidschlagfrequenz sinkt. Auch Kontaktlinsen fördern die Verdunstung von Tränenflüssigkeit. Die Dysfunktion der Meibom-Drüsen, die weitgehend gleichbedeutend ist mit
der hinteren Blepharitis, aber ohne auffallende entzündliche Veränderung des Lidrands, wird als ein häufiger Grund für Benetzungsstörungen im Sinne eines evaporativen trockenen Auges angesehen. Die Meibom-Drüsen sezernieren ein öliges Sekret, dass sich mit jedem Lidschlag auf dem Tränenfilm verteilt und so verhindert, dass Tränenflüssigkeit zu schnell verdunstet. Die Blepharitis beruht vorwiegend auf einer obstruktiven Störung durch verstärkte Verhornung des Ausführungsgangs. Oder aber es wird verdicktes Sekret produziert, dem es an der oberflächlichen Lipidschicht mangelt. Die Erkrankung ist vom Hormonstatus sowie von chemischen und mechanischen Noxen abhängig und tritt in erster Linie bei Frauen auf, nimmt aber generell mit dem Alter zu. Als Folgeveränderungen können sich Sekretstau in den Meibom-Drüsen und zuletzt Atrophie und Untergang des Drüsengewebes entwickeln. Experten verlangen daher bei jeder Benetzungsstörung eine genaue Untersuchung der Augenlider und Lidränder, vor allem bei Anpassung von Kontaktlinsen. Der Augenarzt inspiziert die Drüsenöffnungen und versucht eine diagnostische Expression, indem er leicht auf das Lid drückt. Eine weitere, jüngst entdeckte Ursache für trockene Augen bei Männern und Frauen ist ein Mangel an männlichen Sexualhormonen. Unter Testosteronmangel verringert sich die Menge der abgesonderten Tränenflüssigkeit, und der Tränenfilm verdunstet schneller. Experimente zeigen, dass Testosteron direkt auf die Tränendrüsen wirkt und so die Bildung der Tränenflüssigkeit steigert. Der Mangel des männlichen Geschlechtshor-
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Tabelle: Medikamente, die ein trockenes Auge verursachen können
■ Antihistaminika ■ Anticholinergika ■ Betablocker ■ Neuroleptika ■ Reserpin ■ Östrogene ■ Thiaziddiuretika ■ Parkinson-Mittel Trihexyphenidyl ■ Tri- und tetrazyklische Antidepressiva
mons löst zudem eine Funktionsstörung der Meibom-Drüsen aus. «Zuerst wurde diese Dysfunktion bei Patienten mit angeborenem Testosteronmangel oder bei Patienten mit Prostatakrebs beobachtet», erläutert Ohrloff in einer Pressemitteilung der DOG. Werden die Krebspatienten mit Antiandrogenen behandelt, sind trockene Augen oft eine Begleitfolge. «Inzwischen ist bekannt, dass die Meibom-Drüsen auf Testosteron ebenfalls rezeptorgesteuert reagieren – mit einer vermehrten Ausschüttung von MeibomSekret», meint Ohrloff. Weibliche Geschlechtshormone wirken entgegengesetzt. Werden Frauen in der Menopause mit Östrogenen behandelt, leiden sie bekanntlich häufiger unter trockenen Augen.
Künstliche Tränen, Fischöl oder Testosteronsalbe? Hauptansatzpunkt der Therapie ist die Gabe von Tränenersatzflüssigkeit (künstliche Tränen), die je nach Schweregrad in unterschiedlicher Viskosität verabreicht und mehrmals täglich appliziert wird. In besonders hartnäckigen Fällen kann man die Tränenpünktchen mit kleinen Silikonstöpseln vorübergehend verschliessen, um die wenigen Tränen aufzustauen. Weist der Tränenfilm allerdings pathologische Veränderungen auf, befinden sich darin also beispielsweise proinflammatorische Mediatoren, können sich die Beschwerden durch die «punctal plugs» sogar verschlimmern.
Darauf hat unlängst der Ophthalmologe Robert H. Graham, Mayo Clinic College of Medicine, Rochester, in einem Beitrag für «Medscape» hingewiesen. Topische Ciclosporine können manchmal bei einer Entzündung der Tränendrüse helfen. Die Tränen werden durch die Behandlung dann günstigstenfalls wässriger und enthalten weniger entzündliche Substanzen. Bei Funktionsstörungen der Meibomschen Drüsen können laut Graham Tetrazykline und ihre Analoga Doxycyclin oder Minocyclin appliziert werden. Die Antibiotika helfen, den oberflächlichen Lipidfilm der Tränenflüssigkeit zu stabilisieren. Graham empfiehlt zudem Omega-3-Fettsäuren, wie sie etwa in Fischöl reichlich vorhanden sind. Durch regelmässige Zufuhr der mehrfach ungesättigten Fettsäuren verbessert sich die Qualität des Tränenfilms, sofern eine übermässige Verdunstung der Tränenflüssigkeit vorliegt. Die Wirkung beruht vermutlich darauf, dass Omega-3-Fettsäuren kompetitiv die Bildung von proinflammatorischen Mediatoren wie etwa Interleukin 1 und TNF-α hemmen. Seit einiger Zeit ist bekannt, dass Frauen, die reichlich Omega-3-Fettsäuren zu sich nehmen, seltener an einem trockenen Auge leiden. Besonders grosse Mengen an Omega-3-Fettsäuren enthalten Kaltwasserfische wie Makrele, Lachs, Thunfisch und Hering, sie finden sich aber auch reichlich in Tofu, Mandeln und Walnüssen. Alternativ kann man sie auch als Kapsel einnehmen. In üblichen Gelkapseln liegen die Omega-3-Fettsäuren aber laut Graham statt in der natürlich Triglyzerid- in einer Ethylesterform vor. Das bietet für die industrielle Produktion Vorteile, bedeutet aber laut Graham den Nachteil, dass die Bioverfügbarkeit auf unter 20 Prozent herabgesetzt ist – ausser wenn man die Kapseln mit fettreicher Mahlzeit einnimmt. Ob, nach den neuen Erkenntnissen, die Anwendung von Testosteronsalben ein probates Mittel gegen das trockene Auge ist, lässt sich, nach Angaben der DOG, derzeit nicht sicher sagen. Eine erste Industriestudie hat offenbar positive Resultate geliefert. Der Nutzen für den
Patienten müsse jedoch genauer untersucht werden, bevor derartige Salben zum Einsatz kämen, betonte Ohrloff. Eine Sorge besteht derzeit noch darin, dass womöglich selbst durch Salbenapplikation genug Testosteron aufgenommen würde, um das hormonelle Gleichgewicht nachhaltig zu stören. ■
Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
F. Schirra, et al.: Sexualhormone und trockenes Auge. Ophthalmologe 2009; 106: 988—994. Robert H. Graham: There's Nothing Fishy About Omega-3 Fatty Acids for Dry Eye Syndrome. Medscape Ophthalmology: www.medscape.com/viewarticle/707984 (kostenfrei nach Anmeldung)
Pressemitteilung der Deutschen Opthalmologischen Gesellschaft (DOG) vom 12. Januar 2010.
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