Transkript
FORTBILDUNG
Kopfschmerzen im Kindesalter
Symptomatik verschiedener Kopfschmerzformen weniger eindeutig als bei Erwachsenen
Unter den primären Kopfschmerzen stehen die ver-
schiedenen Migräneformen (ohne oder mit Aura) und
die Spannungskopfschmerzen im Vordergrund. Dabei
ist die Trennung zwischen diesen beiden Kopfweh-
formen oft unscharf. Bei der Therapie unterscheidet
man zwischen einer Akuttherapie, zum Beispiel mit
Paracetamol oder Triptanen, und einer meist mehr-
monatigen Intervalltherapie mit beispielsweise
Flunarizin oder Topiramat.
JÜRG LÜTSCHG
Die Prävalenz aller Kopfwehformen liegt bei 7-jährigen Kindern bei etwa 37 bis 51 Prozent und steigt auf 57 bis 82 Prozent bei 15-Jährigen an. Vor der Pubertät sind mehr Knaben betroffen, danach werden häufiger weibliche Patienten gesehen. Die Prävalenz der Migräne steigt ebenfalls mit zunehmendem Alter an und liegt bei 3 Prozent im Alter von 3 bis 7 Jahren, bei 11 Prozent im Alter von 7 bis 11 Jahren und schliesslich bei 8 bis 23 Prozent im Pubertätsalter. Das mittlere Alter bei Auftreten erster Symptome liegt bei 7,2 Jahren bei Knaben und 10,9 Jahren bei Mädchen (1–3). Die Mehrzahl der Kopfschmerzen ist zwar harmlos. Aber gerade wegen der hohen Prävalenz ist es wichtig, auf Warnsymptome zu achten, die auf eine schwerere Ätiologie hinweisen.
Klassifikation und klinische Abklärung Gemäss der International Headache Society (IHS [4]) werden Kopfschmerzen in primäre und sekundäre (symptomatische) eingeteilt (Tabelle 1). Schädelhirntraumata oder Halswirbelsäulenverletzungen sowie Erkrankungen der Ohren, der Nasennebenhöhlen, des Halses und der Augen stehen als Ursache für sekundäre Kopfschmerzen im Kindesalter im Vordergrund. Andere Ätiologien wie Gefässstörungen, Tumoren und Infektionen sind deutlich seltener. Die häufigsten primären Kopf-
schmerzen sind Migräne und Spannungskopfschmerzen, während «Cluster headache» oder andere trigemino-autonome Kopfschmerzen und einige besondere Migräneformen (z.B. hemiplegische Migräne) nur selten gesehen werden. Zudem werden gewisse im Vorschulalter auftretende periodische Syndrome wie zyklisches Erbrechen, paroxysmaler Tortikollis oder paroxysmale Vertigo dem Migränekomplex zugeordnet, da diese Patienten später überdurchschnittlich oft das Bild einer Migräne zeigen (5, 6). Eine präzise Anamnese und neurologische Untersuchung sind das wichtigste Element der Diagnostik (2, 7), um zu entscheiden, ob primäre Kopfschmerzen vorliegen, die keine weiteren Abklärungen erfordern, oder sekundäre, bei denen Bildgebung und Laboruntersuchungen zur Diagnosestellung notwendig sind. Dabei sind folgende Fragen zu klären: ■ Alter beim ersten Auftreten der Kopfschmerzen? ■ Häufigkeit und Dauer der Kopfwehepisoden (evtl. anhand
eines Kopfwehprotokolls)? ■ Tageszeit des Auftretens? ■ Art des Auftretens (Dauer bis zum Maximum der Kopf-
schmerzen, Vorsymptome, Aura)? ■ Lokalisation der Schmerzen, Schmerzqualität (pulsierend,
Druckschmerz, stechender Schmerz), Schmerzdauer und Verlauf?
Merksätze
■ Nausea und Erbrechen sprechen eher für Migräne.
■ Häufigkeit, Dauer und Intensität der Schmerzepisoden sollten vor Beginn einer medikamentösen Behandlung anhand eines Kopfschmerztagebuchs erfasst werden.
■ Primäre Kopfschmerzen ohne klinisch fassbare Ausfälle erfordern in der Regel keine Bildgebung, EEG oder andere Laboruntersuchungen.
■ Bei neu aufgetretenen akuten heftigen Kopfschmerzen müssen intrakranielle Entzündungen oder Blutungen meist notfallmässig ausgeschlossen werden.
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FORTBILDUNG
■ Neurologische und andere Begleitsymptome (gastrointestinale Symptome, Fotophobie, Phonophobie, Schwindel, Hirndruckzeichen, Ataxie, transitorische oder andauernde Paresen)?
■ Faktoren, die Kopfschmerzen verbessern oder verschlechtern?
■ Bedingungen, unter welchen die Kopfschmerzen auftreten? ■ Warnsymptome vor den Kopfschmerzen? ■ Symptome zwischen den Kopfschmerzen? ■ Familienanamnese der Kopfschmerzen?
Bei Kindern mit neu aufgetretenen akuten heftigen Kopfschmerzen müssen mithilfe von Bildgebung, Blut- und Liquoruntersuchungen intrakranielle entzündliche Prozesse (Meningitis oder Enzephalitis) und intrakranielle Blutungen meist notfallmässig ausgeschlossen werden. Bei rezidivierenden Kopfschmerzen können gemäss verschiedenen Studien folgende Empfehlungen für die Durchführung bildgebender Untersuchungen gegeben werden: ■ MRI- oder CT-Abklärungen sind bei Kindern mit rezidivie-
renden Kopfschmerzen, anamnestisch fehlenden neurologischen Ausfällen und einem normalen neurologischen Status nicht notwendig.
Tabelle 1: Klassifikation der International Tabelle 1: Headache Society (IHS) 2004
Primäre Kopfschmerzerkrankungen
1. Migräne 2. Kopfschmerz vom Spannungstyp 3. Clusterkopfschmerzen und andere trigemino-autonome Kopf-
schmerzen 4. Andere primäre Kopfschmerzen
Sekundäre Kopfschmerzerkrankungen
(Kopfschmerz zurückzuführen auf …) 5. Kopf- oder HWS-Trauma 6. Gefässstörungen (z.B. Angiome, Blutungen) im Kopf und Hals 7. Nichtvaskuläre intrakranielle Erkrankungen (z.B. Tumoren,
Pseudotumor cerebri, Hydrocephalus, Arnold-Chiari-Missbildung) 8. Eine Substanz oder deren Entzug 9. Infektionen (Meningitis, Enzephalitis, Hirnabszess) 10. Eine Störung der Homöostase (z.B. Anämie, Hypoxie, Hypoglykämie) 11. Erkrankungen des Schädels sowie von Hals, Augen, Ohren, Nasennebenhöhlen, Zähnen, Mund oder andern Gesichts- oder Schädelstrukturen 12. Psychiatrische Störungen (z.B. Depressionen)
Neuralgien und sonstige
13. Kraniale Neuralgien (z.B. Trigeminusneuralgie) 14. Andere Kopfschmerzen
■ Bildgebende Untersuchungen sollten durchgeführt werden, wenn folgende anamnestische Daten vorliegen: a. kürzlich aufgetretene schwere Kopfschmerzen b. Änderung des Kopfschmerzcharakters c. Störungen der neurologischen Funktionen.
■ Bildgebende Untersuchungen müssen bei abnormen neurologischen Befunden (fokale Ausfälle, Zeichen eines erhöhten intrakraniellen Druckes, Bewusstseinsstörungen oder epileptische Anfälle) durchgeführt werden.
Das EEG ist bei zirka 50 Prozent der Migränepatienten abnorm, ohne eine diagnostische oder therapeutische Bedeutung zu haben (8); daher ist es in der Abklärung rezidivierender Kopfschmerzen nur bei Verdacht auf Epilepsie indiziert.
Migräne ohne Aura Für die Diagnose einer Migräne ohne Aura müssen gemäss internationaler Klassifikation mindestens 5½ bis 72 Stunden andauernde Kopfwehattacken mit freiem Intervall anamnestisch angegeben werden. Daneben sollten die Kopfschmerzen mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllen (2, 4, 9): ■ unilateral oder bilateral, meist fronto-temporal, nicht okzi-
pital pulsierend ■ Intensität wechselnd (mittel bis stark) ■ Verstärkung bei körperlicher Aktivität.
Zudem sollte während der Kopfschmerzepisoden mindestens eines der folgenden Symptome vorliegen: ■ Nausea und/oder Erbrechen ■ Licht- und Lärmempfindlichkeit.
Kinder mit Migräne klagen in etwa 80 Prozent der Fälle über bilaterale Kopfschmerzen, und nur etwa 25 Prozent geben unilaterale, teilweise auch kombiniert mit bilateralen Schmerzen an. Der Schmerzcharakter wird bei Kindern unter 10 Jahren mehrheitlich als Druckschmerz empfunden. Der typische pulsierende Schmerz wird meist erst ab dem 12. bis 14. Altersjahr angegeben. Im Durchschnitt sind die Kopfwehepisoden kürzer und dauern manchmal weniger als eine Stunde. Nach dem 10. Lebensjahr wird während der Episoden mit zunehmender Häufigkeit eine Überempfindlichkeit im Gesicht (Allodynie) angegeben. Brechreiz, Erbrechen oder Bauchschmerzen während der Kopfschmerzattacken werden bei mehr als 70 Prozent der Kinder unter 10 Jahren beobachtet (10). Als Auslöser einer kindlichen Migräne wird oft eine Commotio cerebri angegeben. Die nach dem Unfall auftretenden Kopfschmerzen müssen von postkommotionellen Beschwerden abgegrenzt werden. Letztere sollten innerhalb von etwa 3 Monaten verschwinden.
Migräne mit Aura Bei der Migräne mit Aura sollten mindestens drei der folgenden Kriterien erfüllt sein (4): ■ Eines oder mehrere Aurasymptome, die auf eine fokale Funk-
tionsstörung des Kortex oder des Hirnstammes hinweisen
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■ Mindestens ein Aurasymptom, das sich allmählich über mehr als 4 Minuten entwickelt, oder zwei und mehr Aurasymptome, die hintereinander auftreten.
■ Die Aurasymptome sollten intraindividuell identisch sein, und die Aura sollte nicht länger als 60 Minuten andauern. Die Kopfschmerzen sollten innerhalb von 60 Minuten nach dem Beginn der Aura auftreten.
Kinder haben oft Mühe, ihre Aurasymptome zu schildern. Visuelle Aurae können sie aber sehr oft in Zeichnungen darstellen (6, 11). Bei visuellen Aurae sollte differenzialdiagnostisch eine Epilepsie mit okzipitalen Paroxysmen in Betracht gezogen werden. Bei der Epilepsie stellen die Patienten ihre Aurasymptome eher zentral oder über das ganze Gesichtsfeld verteilt dar, während bei der Migräne die visuellen Phänomene entweder in der Peripherie oder in einer Hälfte des Gesichtsfeldes liegen.
Besondere Migräneformen Familiäre hemiplegische Migräne Die Symptome der familiären hemiplegischen Migräne (FHM) beginnen im Alter zwischen 5 und 35 Jahren, wobei der Auslöser meistens ein leichtes Schädelhirntrauma ist. Die Patienten fallen durch eine 30 bis 60 Minuten andauernde Hemiparese oder Hemiplegie auf, die in 25 Prozent der Fälle auch bilateral sein und sowohl synchron wie asynchron auftreten kann. Als Begleitsymptome werden oft Parästhesien, Sprachund Sprechstörungen, visuelle Symptome, seltener Schwindel, Tinnitus und Sturzanfälle sowie Verwirrungszustände beobachtet (12). Bis jetzt konnten genetisch drei FHM-Formen nachgewiesen werden, wobei die FHM1 von einer intermittierenden Ataxie und die FHM2 von epileptischen Anfällen begleitet sein kann.
Akute konfusionelle Migräne Diese Migräneform wird vor allem bei Jugendlichen gesehen und kann manchmal die erste Migränemanifestation sein. Im Vordergrund stehen ein akuter Verwirrungszustand, der einige Stunden andauern kann, eine motorische Unruhe und manchmal auch ein sehr aggressives hysterisch-phobisches Verhalten. Gleichzeitig klagen die Patienten während der oder nach den Episoden über teilweise heftige Kopfschmerzen – oft mit Erbrechen. In der persönlichen Anamnese findet man in 83 Prozent eine Migräne und in 75 Prozent eine auf Migräne positive Familienanamnese. Das EEG ist während der Episoden mit frontalen Delta-Wellen stark allgemein verändert. Differenzialdiagnostisch muss diese Migräneform von komplex partiellen Anfällen, psychogenen Anfällen, Intoxikationen oder einer Enzephalitis abgegrenzt werden. Die Patienten mit konfusioneller Migräne verhalten sich nach wenigen Stunden wieder adäquat, und das EEG normalisiert sich nach 1 bis 3 Tagen (6).
Spannungskopfschmerzen Patienten mit Spannungskopfschmerzen klagen über Symptome, die zwischen 30 Minuten und 7 Tagen andauern können. Die Kopfschmerzen sind bilateral, bald mehr frontal, bald
okzipital, meist mild bis mittelschwer. Sie werden als drückender und nicht pulsierender Schmerz angegeben, der durch körperliche Aktivität nicht verstärkt wird. Gelegentlich findet man eine meist leichte Foto- oder Phonophobie (13, 14). Man unterscheidet zwischen episodischen und chronischen Spannungskopfschmerzen. Die Differenzialdiagnose zwischen Migräne und der episodischen Form der Spannungskopfschmerzen kann vor allem bei kleineren Kindern schwierig sein, da sich die Symptome der beiden primären Kopfwehformen stark überschneiden und fliessend als Kontinuum ineinander übergehen (15). Je jünger der Patient ist, umso häufiger werden bilaterale, nicht pulsierende Schmerzen beschrieben. Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale sind vegetative Symptome wie beispielsweise Brechreiz und Erbrechen, die bei Spannungskopfschmerzen nur selten beobachtet werden.
Differenzialdiagnose Treten die Kopfschmerzen plötzlich und heftig auf (d.h. innerhalb 1–2 Sekunden), ist die Diagnose einer Migräne sehr unwahrscheinlich. Es muss eher an eine plötzliche intrakranielle Blutung, zum Beispiel als Folge einer Gefässmissbildung, gedacht werden. Ebenso muss bei anhaltenden Schmerzen über Wochen und Monate beziehungsweise bei langsam zunehmenden Kopfschmerzen an der Diagnose einer Migräne gezweifelt werden. Auch begleitende Hemiparesen und Hemihypästhesien, Doppelbilder, eine rezidivierende oder permanente Schiefhaltung des Kopfes, Schwindelzustände oder morgendliches Nüchternerbrechen verlangen weitergehende Abklärungen (16). Ein wichtiges differenzialdiagnostisches Problem stellt die Abgrenzung von relativ harmlosen Kopfschmerzen gegenüber einem Hirntumor dar. Bei Hirntumoren stehen Zeichen des erhöhten intrakraniellen Druckes (Stauungspapillen, Nüchternerbrechen, Doppelbilder) oder andere, meist langsam progrediente neurologische Ausfälle im Vordergrund, und Kopfschmerzen sind mehr ein Begleitsymptom (Tabelle 2).
Therapie Die Kopfschmerzbehandlung verlangt ein individuelles, auf die Lebenssituation des Patienten ausgerichtetes Vorgehen. Vor der Therapieplanung sollte abgeschätzt werden, wie sehr und in welchen Situationen die Kopfschmerzen das Kind stören und seine Lebensqualität einschränken. Häufigkeit, Dauer und Intensität der Schmerzepisoden sollten vor Einleitung einer medikamentösen Behandlung anhand eines Kopfschmerzprotokolls erfasst werden (17). Daneben sollte man sich über die täglichen Aktivitäten der Patienten orientieren. Damit können einige für die Therapie wichtige allgemeine Massnahmen eingeleitet werden. Dazu gehören: ■ genügend Schlaf ■ regelmässige Einnahme ausgewogener Mahlzeiten ■ wenn möglich Triggerfaktoren meiden, das heisst, der
Patient sollte Flackerlichter (Disco) oder starke Sonnenexposition durch Tragen einer Sonnenbrille vermeiden und genügend Flüssigkeit trinken (aber nur geringe Mengen Kaffee, Tee oder Coca-Cola).
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KO P F S C H M E R Z E N I M K I N D E S A LT E R
Tabelle 2: Differenzialdiagnose Kopfschmerz bei Hirntumor vs. Migräne
Anamnese
Hirntumor Monate
Migräne Jahre
Schmerzcharakter ständig dumpf Intensität variabel
pulsierend
Schmerzverlauf
progressiv
intermittierend
Schmerzlokalisation unilateral, immer gleich variabel
Erbrechen
spontan ohne Nausea, nüchtern keine Besserung der Kopfschmerzen
mit Nausea Besserung der Kopfschmerzen
Auftreten der Symptome
weckt Patienten auf
meist tagsüber
Neurologische Ausfälle
+++ im Intervall
keine, evtl. + während Attacke
■ beim Sport Kopfbälle oder andere Schläge auf den Kopf vermeiden
■ eventuell muss auch der Terminkalender für «Freizeitaktivitäten» reduziert werden.
Bei der medikamentösen Therapie der Migräne unterscheidet man zwischen der Akuttherapie des Anfalls und der Intervalltherapie (18, 19). Die Akuttherapie sollte mit dem Beginn der Symptome einsetzen. Der frühzeitige Einsatz eines Medikaments kann die Dauer eines Migräneanfalls abkürzen und damit auch die für
eine genügende Wirkung notwendige Medikamentenmenge reduzieren. Die Dosierung der einzelnen Medikamente und ihre wichtigsten Nebenwirkungen sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Bei der Verabreichungsart ist auch zu berücksichtigen, dass die Magenentleerung im Migräneanfall verzögert sein kann, womit sich die Resorption der Medikamente und damit ihr Wirkungseintritt verlangsamt (17). Primär werden orale Analgetika wie Acetylsalicylsäure, Paracetamol oder nichtsteroidale antiinflammatorische Substanzen (NSAID) wie beispielsweise Ibuprofen eingesetzt. Eine signifikante Wirkung konnte für Paracetamol und Ibuprofen nachgewiesen werden. In ihrer Wirksamkeit unterscheiden sich die beiden Medikamente nicht (18). Bei starken gastrointestinalen Symptomen ist die gleichzeitige Gabe von Antiemetika sinnvoll (z.B. Domperidon oder Metoclopramid) oder eventuell eine rektale Verabreichung der Analgetika notwendig.
Triptane Eine weitere Möglichkeit der Akuttherapie sind die Triptane (selektive 5HT1B/1D-Agonisten), deren Wirkung nach wenigen Minuten eintritt (20, 21). Allerdings ist die Wirkdauer manchmal nur kurz, sodass schon nach einer Stunde eine erneute Medikamenteneinnahme beziehungsweise nasale Applikation nötig ist. Eine signifikante Wirkung konnte mit Sumatriptan 20 mg und Zolmitriptan bei nasaler Gabe nachgewiesen werden. Dagegen scheint Sumatriptan oral im Kindesalter keine signifikante Wirkung zu zeigen. Die Nebenwirkungen bestehen in Schwindel, Somnolenz und Nausea; bei der nasalen Applikation kann der schlechte Geschmack des Medikamentes störend sein. Da die Triptane Vasokonstriktoren sind, sind sie bei Patienten mit kardiovaskulären Problemen (angeborene Herzvitien, Hypertonie, periphere vaskuläre Erkrankungen) kontraindiziert (20).
Tabelle 3: Studienresultate der Akuttherapie der Migräne (8)
Medikamente
Analgetika Paracetamol Ibuprofen Dihydergot
Triptane Sumatriptan nasal Sumatriptan oral Sumatriptan s.c. Rizatriptan Zolmitriptan
Alter
4—16-jährig 4—18-jährig 5—15-jährig
6—7-jährig 8—16-jährig 6—18-jährig 5—17-jährig 6—18-jährig
Dosierung
Ansprechen
Signifikanz
gegenüber Plazebo vs. Plazebo
15 mg/kg 7,5—10 mg/kg 20—40 µg/kg
37% 28—53% 16%
< 0,05 < 0,05 n.s. 5—20 mg 5—100 mg 0,06 mg/kg 5 mg 2,5 mg 39—53% 22% 64% 56% 28% < 0,05 n.s. offene Studie n.s. < 0,05 Nebenwirkungen Hepatotoxizität Gastritis, Nephrotoxizität Übelkeit, Schwindel schlechter Geschmack Schlafmyoklonien Druckgefühl in Nacken und Thorax Asthenie, Schwindel, trockener Mund keine berichtet ARS MEDICI 6 ■ 2010 233 FORTBILDUNG Tabelle 4: Studienresultate der prophylaktischen Therapie (22) Medikamente Dosierung Alter Ansprechen (%) oder p-Wert Nebenwirkungen Antihypertensiva Propranolol Clonidin 3 mg/kg (60—120 mg pro Tag) 0,06—0,1 mg/kg 7—16-jährig 7—15-jährig n.s. n.s. Müdigkeit Hypotonie Hypoglykämie Kaliumkanalblocker Flunarizin Nimodipin 5 mg 10—20 mg 5—13-jährig 7—18-jährig p = 0,001 bis p = 0,01 n.s. Gewicht ↑, Müdigkeit Serotoninerge Medikamente Pizotifen Cyproheptadine 1,0—1,5 mg 2—8 mg 7—14-jährig 3—12-jährig n.s. 83% offene Studie Sedation Gewicht ↑ Antidepressiva Amitriptylin 1 mg/kg 3—15-jährig 80% offene Studie Sedation, QT ↑ Antiepileptika Na Valproat Topiramat Levetiracetam Gabapentin 15—30 mg/kg 0,7—2,1 mg/kg 250—1500 mg 15 mg/kg 7—16-jährig 6—15-jährig 3—17-jährig 6—17-jährig p = 0,001 p = 0,001 offene Studie p = 0,001 offene Studie n.s. Gewicht, Hepatotoxizität ↑ Sedation, Gewicht ↓ psychische Veränderung Müdigkeit, Ataxie, Tinnitus Andere Magnesium 9 mg/kg/Tag in 3 Dosen 3- bis 17-jährig offene Studie Durchfall Abnahme der Kopfschmerzhäufigkeit Intervalltherapie Die medikamentöse Intervalltherapie ist nur beim Auftreten von mehr als zwei schweren Migräneepisoden pro Monat indiziert. Die zurzeit zur Verfügung stehenden Medikamente sind in Tabelle 4 zusammengefasst. Die Wahl des Medikamentes richtet sich neben den bisher in Studien bestätigten Wirkungen auch nach den zu erwartenden Nebenwirkungen (z.B. bei adipösen Patienten kein Flunarizin). Es existieren nur wenige klinische Studien, die die medikamentöse Intervalltherapie bei Kindern untersucht haben. Eine Abnahme der Häufigkeit, Dauer und Intensität der Schmerzen konnte mit Flunarizin, Topiramat, Valproat, Amitriptylin und Cyproheptadin nachgewiesen werden (18, 22). Dennoch sind grössere prospektive klinische Studien notwendig, um die Wirksamkeit und Nützlichkeit dieser Medikamente definitiv zu bestätigen. Über Propranolol und Pizotifen liegen widersprüchliche Daten vor; definitiv mehr Daten müssen zur Wirksamkeit von Gabapentin, Levetiracetam, Zonisamid und Naproxen erarbeitet werden. Magnesium zeigt sowohl bei Migräne wie bei Spannungskopfschmerzen gemäss einigen Studien einen Trend zur Abnahme der Häufigkeit der Kopfschmerzen. Nimodipin, Clonidin und verschiedene Naturprodukte haben jedoch keine bessere Wirksamkeit als Plazebo gezeigt. Auch hoch dosiertes Riboflavin zeigte keine signifikante Wirkung (17, 22, 24). Bei Spannungskopfschmerzen und Migräne lassen sich auch verschiedene nicht medikamentöse Intervalltherapien einset- zen. Dazu gehören Entspannungsübungen (z.B. autogenes Training), Biofeedback (thermal oder mit frontalem EMG) und Verhaltenstherapien. Damen et al. (25) fanden bei der Analyse mehrerer Studien, dass Entspannungsübungen mit und ohne Verhaltenstherapie wirksamer waren als Plazebo. Dennoch müssen alle diese Studien wegen der kleinen Zahl der unter- suchten Kinder und wegen methodologischer Probleme mit Vorsicht interpretiert werden. Auch für die oligoantigene Diät liegen nur widersprüchliche Daten vor, sodass man diese für die Patienten und ihre Familie sehr einschneidende Mass- nahme nicht empfehlen kann. ■ Prof. Jürg Lütschg Univ. Kinderklinik beider Basel (UKBB) Postfach 4005 Basel E-Mail: Juerg.Luetschg@unibas.ch Interessenkonflikte: keine deklariert Das Literaturverzeichnis ist im Internet einsehbar unter www.arsmedici.ch 234 ARS MEDICI 6 ■ 2010 FORTBILDUNG Literatur: 1. Bigal ME, Libermann JN, Lipton RB. Age dependent prevalence and clinical features of migraine. Neurology 2006; 67: 246—251. 2. Lewis DW. Pediatric Migraine. Pediatrics in Review 2007; 28: 43—53. 3. Sarioglu B, Erhan E, Serdaroglu G et al. Tension type headache in children: A clinical evaluation. Pediatrics international 2003; 45: 186—189. 4. Evers S. Die neue IHS-Klassifikation. Schmerz 2004; 18: 351—356. 5. Scagni P, Morello M, Pagliero R, Pecco P. Benign paroxysmal Torticollis of infancy. A case report. Minerva Pediatr 2006; 58 (5): 499—501. 6. Winner P. How do we diagnose migraine and childhood periodic syndromes? Curr Pain Headache Rep 2005 Oct; 9 (5): 345—350. 7. Newton RW. Childhood headache. 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