Transkript
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Rosenbergstrasse
Ein älterer Nachbar: Der alte Mann auf dem Friedhof, den er gefragt habe, was er denn hier so mache, habe zwinkernd geschmunzelt: «Klassentreffen!»
Er: Ich leide unter einem schrecklichen Putzzwang. – Sie: Da merkt man aber wenig davon. – Er: Ich habe ihn eben gut unter Kontrolle.
Sind «wir» zu viele und zu viele Falsche? Trump denkt das, die AfD sagt es und bei uns denken’s die meisten, ohne was zu sagen. Na, dann schauen wir doch mal, wie das bei den Eichhörnchen ist, den putzigen roten, braunen und schwarzen «Nussäffchen», die eben erst aus ihren Kobeln gekrabbelt sind, in denen sie den Winter verschlafen haben. Wir lieben sie alle, oder? Oder nur die rotbraunen? Die dunkelgrauen bis schwarzen sind, so sagt man, invasiv, eingeschleppt oder illegal eingewandert – genau wie der Sommerflieder, der Kirschlorbeer, das Berufskraut oder die Tessiner Palme. Letztere vier drängt man zur Remigration, droht mit Ausschaffung, ja sogar Ausrottung. Den schwarzen Eichhörnchen droht man das Gleiche an. Warum? Weil sie andersfarbig sind oder kulturell anders ticken? Das denkt man. Es ist aber nicht so. Die nicht rostbraunen Nussäffchen sind nämlich gar nicht die, für die man sie hält. Wir verwechseln sie mit den Grauhörnchen, die es noch gar nicht bis zu uns geschafft haben. Die stecken im Piemont fest (wie fast alles Invasive kommen sie von Süden). Bei uns gibt’s zwar auch schwarze, aber das sind Einheimische, nur mit anderen Melaninen in Haut und Fell. Die wirklichen Migranten (ehedem aus Nordamerika) kommen erst noch. Und sie werden da, wo sie auftauchen, tatsächlich zum Problem. In England etwa haben sich die doppelt so grossen Grauen (Sciurus carolinensis) dermassen breit gemacht, dass von den Einheimischen (Sciurus vulgaris) nur wenige übriggeblieben sind. Also denn, man kann allerlei aus der Natur lernen, Gutes wie Bedenkliches, Glaubhaftes wie Nichtfaktisches. Von den Nussäffchen vielleicht dies: Ja, es gibt sie, die gefährlichen Immigranten, die man lieber und mit allen Mitteln fernhalten sollte. Aber nicht alle, die ähnlich aussehen wie sie, sind das, wofür man sie hält.
Man kann Satiriker nicht ernst genug nehmen, wenn sie warnen: Augen auf bei der Wahl der Hautfarbe!
Auch dumme Heuchler sind nicht davor gefeit, etwas Richtiges zu sagen. Sogar Trump und Vance geben manch-
mal Zutreffendes von sich; es ist nur äusserst schwierig zu finden im grossen Rest.
Die Jusos … schwer auszuhalten, vor allem die ehrgeizigen, profilierungssüchtigen und deswegen überbetont angriffigen Führungsfiguren – zurzeit eine klassenkämpferische Frau Hostetmann, deren humor- und vorderhand noch einsichtslose Statements sehr an unser eigenes Geschwätz und die nachgeplapperten Slogans aus den späten Sechziger- und Siebzigerjahren erinnern. Es scheint, die Jungen wurden seither nicht klüger, sondern wiederholen mit Verve und Überzeugung den gleichen Mist, den wir schon vor über 50 Jahren verzapft und geglaubt haben. Immerhin haben uns «die Alten» damals noch in den Senkel zu stellen versucht mit einem resoluten «Jetz spinnsch aber!» oder der Aufforderung, «nach Sibirien» auszuwandern, wenn’s uns hier nicht passe. Und wenigstens war unsere Elterngeneration noch bodenständig und deutlich. Heute sind manche «Alte» doch tatsächlich bereit zu ernsthaften Diskussionen über den Senf der Jusos, z.B. die x-te Initiative gegen «Superreiche» (zu unserer Zeit hiessen die «Kapitalisten, Imperialisten und Kolonialisten»). Mann, oh Mann, die Welt spinnt – in jeder Generation aufs Neue, in leicht modifizierter Form, nur inhaltlich doch immer gleich.
Ein lieber Kollege: Er leide an einem «Stockholm-Syndrom». Auf die erstaunte Nachfrage klärt sich: Es ist nicht das bekannte Syndrom gemeint, das auf die Geiselnahme 1973 in Stockholm zurückgeht, bei der sich eine der weiblichen Geiseln mit dem offenbar charismatischen Bankräuber solidarisierte. (Der bekanntere Fall ist eh jener von Patty Hearst, Tochter eines Medienmoguls, die 1974 von der linksradikalen «Symbionese Liberation Army» entführt wurde, sich dieser Gruppe anschloss, bei einem Bankraub verhaftet, zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt, aber nach 22 Monaten (!) begnadigt wurde.) Nein, das «Syndrom» des Kollegen beruht auf einer Art «Praxisstudie» in Sachen Bildung und Allgemeinwissen. Er frage seine jungen Patienten jeweils nach der «Hauptstadt von Schweden». Zu seinem Entsetzen wüssten gegen 80% der Befragten die Antwort nicht. Seither, so seine sarkastische Anmerkung, leide er unter einem (alternativen) «Stockholm-Syndrom». Per Zufall passend dazu die Beobachtung eines andern Kollegen: Nach «Heraklit» befragt, vermuteten die meisten Jugendlichen darunter einen Klebstoff.
Und das meint Walti: Nur weil jemand beleidigt ist, muss er nicht recht haben!
Richard Altorfer
168 ars medici 5 | 2025