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KONGRESSBERICHT SGDV 2024
Modernes Wundmanagement
Viele Wege führen zum Wundverschluss
Mit neuartigen Hautersatzprodukten lassen sich heute auch hartnäckige Wunden heilen. Trotz solcher Fortschritte ist das Wichtigste bei einer Behandlung von chronischen Wunden, ihren Ursachen auf den Grund zu gehen. PD Dr. Severin Läuchli vom Stadtspital Zürich erklärte am Jahrestreffen der Schweizer Dermatologen (SGDV) in Basel die Prinzipien der modernen Wundbehandlung.
Die Geschichte der modernen Wundbehandlung ist kurvig: Galt vor 1960 noch die Devise «Wunden müssen trocken gehalten werden, um Infektionen zu verhindern», herrschte nach 1960 die Meinung «Wunden sollten feucht sein, da sie so schneller heilen». Heute sollen Wundverbände einerseits dafür sorgen, dass eine Feuchtigkeitsbalance gehalten wird, andererseits wird Wert auf antimikrobielle Effekte gelegt.
Gleichbleibende Kompression «Das Allerwichtigste ist es jedoch, die Ursachen der Wunde zu finden und zu behandeln. Nur dann kann sie heilen», erklärte Dr. Läuchli am SGDV in Basel. Solche Ursachen haben beispielsweise bei Ulzera an den Füssen in 60% der Fälle einen venösen, in 10% einen arteriellen, in 20% einen gemischt venös-arteriellen und in 10% einen anderen Ursprung. Bei jedem Patienten mit einer chronischen Wunde am Bein sollte daher eine venöse und arterielle Basisuntersuchung durchgeführt werden. Auch der Kompressionsverband spielt eine entscheidende Rolle, denn ein schlechter Verband sei oft die Ursache für schlecht heilende Wunden, ob nun durch fehlende Compliance oder schlicht durch einen nachlassenden Druck der Binden. Häufig können in solchen Fällen mehrschichtige Bandagen hilfreich sein, dafür seien zwei- oder dreischichtige Produkte auf dem Markt erhältlich. Auch Kompressionsstrümpfe in verschiedenen Systemen versprechen bei chronischen Wunden deutlich bessere Kompressionseffekte. Ganz neu ist eine Druckmessung mittels eines unter dem Verband liegenden Sensors, dessen Signal über ein Mobilfunkgerät stets die aktuelle Kompression anzeigt.
Débridement als Voraussetzung Auch die Konditionierung des Wundbetts gehört zu einer komplikationslosen Wundheilung. Der erste Schritt ist ein Débridement, bei dem chirurgisch, mechanisch, enzymatisch oder autolytisch alles anhaftende, abgestorbene oder kontaminierte Gewebe schonend aus der Wunde entfernt wird. Damit werde die Wundheilung angeregt und Wundinfektionen der Nährboden entzogen, berichtete Dr. Läuchli. Ist eine solche lokale Wundinfektion respektive eine Entzündung bereits vorhanden, sollte in kritisch besiedelten Wunden mit Antiseptika oder Silberverbänden, allerdings nicht mit topischen Antibio-
tika behandelt werden. Eine systemische Behandlung mit Antibiotika kommt nur für klinisch manifeste Wundinfektionen infrage. In manchen Fällen kann auch eine topische antiinflammatorische Behandlung mit topischen Steroiden nützlich sein, nicht zuletzt, um in der Wunde einen «Heilungskick» anzustossen.
Optimale Feuchtigkeitsbalance herstellen Heilungsvorgänge verlaufen einerseits in feuchtem Milieu schneller und besser ab als im Trockenen. Auf der anderen Seite bewirkt eine zu hohe Feuchtigkeit die Ankunft von zu vielen Proteinasen in der Wunde sowie eine Mazeration der Wundumgebung – beides verzögert wiederum die Heilung. Die Kunst ist es daher, eine optimale Feuchtigkeitsbalance herzustellen und zu erhalten. Dafür stehen zahlreiche moderne Wundauflagen zur Verfügung. Bei trockenen Wunden wird ein eher feuchtigkeitsspendender Verband bevorzugt, beispielsweise ein Hydrogel oder ein Hydrokolloid. Läuft die Wunde Gefahr zu feucht zu werden, wird eher eine Wundauflage mit hoher Absorptionskapazität gewählt, beispielsweise ein Schaumstoffverband, ein Alginat, Paraffingaze oder Hydrofasern.
Durch Tissue-Engineering neue Chancen auf Heilung Der nach den Worten von Läuchli wohl interessanteste Teil der modernen Wundversorgung ist das «edge advancement». Unter diesem Begriff kommen Methoden zum Einsatz, die die Heilung beschleunigen, beispielsweise durch den Einsatz von Hauttransplantationen (Spalthaut, Vollhaut, Reverdinplastik), Keratinozytenkulturen oder Produkten, welche die Wunde mit Wachstumsfaktoren und Sauerstoff versorgen. Die essenziellen Player des modernen Tissue-Engineering sind die Zellen, die Matrix und die Signalmoleküle. Bei den Zellen sind wiederum die Keratinozyten und die Fibroblasten entscheidend; letztere zeigen in chronischen Wunden eine gestörte Migration und Proliferation und nur noch eine schwache Response auf die entsprechenden Signalmoleküle. In solchen Wunden ist auch die Matrixproduktion und damit der komplette Gerüstaufbau gestört. Bei diesen kaum heilenden Wunden spielen Matrix-Metalloproteinasen (MMP) eine pathologische Rolle, da sie die Matrix degenerieren und die Wundheilung hem-
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Abbildungen: Exzision von entzündlichen Knoten bei Hidradenitis suppurativa mit dem CO2-Laser (a), Wundbehandlung mit einer Wund-Matrix (b), Status nach der Behandlung (c). Fotos: Severin Läuchli
Tabelle: Tissue-Engineering-Produkte (Auswahl)
Tissue-Engineering-Produkte – nicht zellulär epidermal: – Biobrane® (temporärer Hautersatz, Nylon/Kollagen) – Suprathel® (temporärer Hautersatz, absorbierende Membran) – Epigard® (Wundverband zur temporären Wundabdeckung,
mit Teflon-Auflage) dermal: Oasis®, Permacol® (Kollagenmatrix aus intestinaler Schweinehaut) Kerecis® (Fischhaut) Aroa Myriad®, Endoform® (aus Schafvormagen) Integra®, Matriderm® (Rinderkollagen) Alloderm® (aus fremdem, menschlichem Kollagen)
Tissue-Engineering-Produkte – zellulär epidermal: Epicel® (Autologe Keratinozyten kultiviert mit Mausfibroblasten) Epidex® (kultivierte Autologe Keratinozyten von ORS-Haarfollikelzellen) Bio-Seed® (autologe Keratinozyten in Fibringel) dermal: Dermacraft®, TransCyte® (allogene, aus neonatalen Zellen gewonnene Fibroblasten Kultur) zusammengesetzt PermaDerm®, OrCel® (Rinderkollagen-Matrix mit menschlichen Keratinozyten und Fibroblasten) Apligraf® (menschliche allogene Keratinozyten/Fibroblasten-Kultur, zwei Schichten) Amniotische Membrane Epifix® (gefriergetrocknete amniotische Membran) NuShield® (zelluläres, nicht-lebendes biologisch aktives Hautersatzverfahren)
rot: In der Schweiz erhältlich
men. Schliesslich fehlt es in stagnierenden Wunden auch an Wachstumsfaktoren und Zytokinen, die für die Zell-Zell-Kommunikation unverzichtbar sind. Kommt es trotz aller Bemühungen zu einem Heilungsstillstand, stehen unter den Hautersatzprodukten derzeit epidermale und dermale Substitute sowie Mischformen zur Verfügung. Dabei kommen sowohl lebende zelluläre als auch azelluläre Produkte zum Einsatz (siehe Tabelle).
Lebende zelluläre Produkte Apligraf®: Schon seit einigen Jahren ist mit Apligraf® ein zelluläres, lebendes, biologisch aktives Hautersatzverfahren auf dem Markt. Dabei handelt es sich um ein über Tissue-Engineering hergestelltes zweischichtiges Produkt, bestehend aus einer epidermalen und einer dermalen Schicht. Die epidermale Schicht besteht aus lebenden, humanen, allogenen neonatalen Keratinozyten und deren Stammzellen. Für die darunterliegende dermale Schicht wurden bovine Kollagenfibrillen und lebende humane, allogene, neonatale Fibroblasten verwendet. Sowohl Keratinozyten als auch Fibroblasten werden aus gespendeter Vorhaut gewonnen. Das Transplantatprodukt enthält zudem als Hilfsstoff Rinderkollagen. Die lebenden Zellen (Fibroblasten und Keratinozyten) produzieren eine Vielzahl von Wachstumsfaktoren, Zytokine und weitere Botenstoffe, die wiederum andere Zellen anlocken. Der genaue Wirkmechanismus ist bisher nicht bekannt; dieses Produkt stimuliert vor allem die Wundheilung. Zu Apligraf® sind mittlerweile über 200 Publikationen erschienen, die Evidenzen vor allem zur Heilung auch hartnäckiger Ulzera sind sehr gut. Das Beispiel eines 92-Jährigen mit langjährigen postthrombotischen schmerzhaften Ulzera zeigte eine sofortige Verbesserung nach einer zweimaligen Apligraf®-Applikation.
Epifix®: Ein aus gefriergetrockneter humaner Amnion/Chorion-Membran hergestelltes allogenes Hautersatzprodukt ist Epifix®. Diese einfach anzuwendende Membran besteht aus
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mehreren Lagen, nämlich aus einer einzelnen Schicht von epithelialen Zellen, einer Basalmembran und einer avaskulären Bindegewebematrix. In Letzterer sind verschiedene Kollagene sowie spezialisierte Proteine wie Fibronectin, Laminin, Proteoglykane und Glykosaminoglykane enthalten. Die Membran enthält zudem verschiedene Wachstumsfaktoren, wie EGF, TGF-β, FGF und PDGF. Sie stimuliere verschiedene Zelltypen zur Migration und Proliferation und fungiere als «Stammzellmagnet», sagte Dr. Läuchli. An einem Beispiel konnte der Wundspezialist zeigen, wie sich bei einer 62-jährigen Frau der Heilungsprozess einer sehr schwierigen Bestrahlungswunde unter dem Einfluss der Membran «dramatisch» beschleunigte. Für die Anwendungen von Epifix® wurden diabetische Fuss-Ulcera, venöse Bein-Ulcera und zahlreiche andere chronische Wunden respektive postoperative Wunden dokumentiert.
NuShield® ist eine menschliche Plazentamembran mit allen Schichten der Plazenta, also Chorion und Amnion sowie die Intermediärschicht, die reich an Hyaluronsäure, Proteoglykanen und Glykoproteinen ist. Das Gewebe besitzt eine sehr gute Festigkeit und Flexibilität. Es hat sehr gute Handhabungseigenschaften und bewahrt den nativen Zustand. NuShield® enthält über 200 Proteine, unter anderem auch Proteine der extrazellulären Matrix (EZM) wie Kollagen, Laminin und Fibronektin, sowie Wachstumsfaktoren und Zytokine, die eine wichtige Rolle bei der Wundheilung spielen.
Nicht zelluläre Produkte: Aus tierischen Geweben (Schwein, Fisch und Schaf) Oasis®: Die OASIS® Extracellular Matrix (OASIS ECM) wird aus der Submukosa des Dünndarms von Schweinen gewonnen. Gewebereparaturprozesse erfolgen durch die Aktivität von Zellen, die sich in der ECM befinden. Die Matrix enthält Kollagen vom Typ I, III, IV und VI, Fibronectin, Entactin, Heparansulfat-Proteoglykan, Heparin, Hyaluronsäure und Chondroitin. Diese Komponenten übernehmen in der Dermis verschiedene Funktionen. Während der Wundheilung wird die ECM vollständig durch eine vom Patienten selbst gebildete Matrix und eigene Zellen ersetzt.
Kerecis™ Omega3: Die nicht zelluläre dermale Matrix Kerecis™ Omega3 wird aus der Haut des nordatlantischen Kabeljaus hergestellt. Sie ist reich an mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren (PUFA), die durch ihre entzündungshemmenden und antimikrobiellen Eigenschaften wundheilungsfördernd sind. Auch spezielle antimikrobielle Peptide in der Fischhaut sind für die breite mikrobielle Abwehr verantwortlich. Die Matrix dient als Baugerüst für die Zelleinsprossung aus der Wundumgebung und ermöglicht so eine schnellere Rekrutierung von Fibroblasten und Keratinozyten und damit die Umwandlung in funktionelles Hautgewebe. Auch Kollagen, Fibrin, Proteoglykane sowie Glykoproteine sind Bestandteile der Fischhaut. Sie zeigt damit eine recht hohe Ähnlichkeit zur menschlichen Haut. Die Matrix wird mit der Zeit resorbiert und in der Wunde remodelliert.
Aroa Myriad®, Endoform®: Endoform® ist eine extrazelluläre Matrix aus dem Vormagen des Schafs für die Behandlung
von chronischen Wunden. Die Matrix wird bereits in den Schlachthöfen gewonnen und sofort verarbeitet. Das Gerüst sorgt für eine schnelle Infiltration körpereigener Zellen. Es besteht zu 85% aus Kollagen und zu 15% aus Sekundärmolekülen, wie Struktur- und Adhäsionsproteinen sowie Glykosaminoglykanen (GAG). Anwendungsmöglichkeiten sind alle chronischen Wunden, Druckgeschwüre, venöse und diabetische Ulcera, Mohs-Chirurgie, Laserchirurgie, traumatische Wunden und Verbrennungen. Myriad® besteht aus mehreren Lagen Endoform® und eignet sich für chirurgische WeichgewebeRekonstruktionen.
Nach 4 Wochen 40–50% Wundverkleinerung Für die Anwendung dieser Hautersatzprodukte zeigte Dr. Läuchli beeindruckende Ergebnisse. So konnten zum Teil sehr schwierige Wunden, wie behandlungsresistente Ulzera an den lateralen Fussknöcheln (OASIS®), Wunden nach Hidradenitis-suppurativa-OP (Kerecis®) oder sehr schlecht heilende Scalp-Defekte (Myriad®) geheilt werden. Allerdings kann es trotz aller Anstrengungen zu Fehlschlägen kommen. Die Gründe dafür können beispielsweise in einem ungenügendem Débridement, in Infektionen oder einem zu hohen Protease-Level in der Wunde zu finden sein. Da diese Verfahren aber auch kostspielig sind, ist die Indikation sorgfältig zu stellen. Um diese frühzeitig zu erkennen, kann die Faustregel gelten, dass sie indiziert sind, wenn nach 4 Wochen bei venösen Fussulcera (VLU) nicht eine um mindestens 40% und bei diabetischen Fussulcera (DFU) nicht eine um mindestens 50% verkleinerte Wunde zu beobachten ist. Die komplette Abheilung sollte im ersten Fall (VLU) nach 24 Wochen und im zweiten Fall (DFU) nach 12 Wochen erfolgt sein.
Klaus Duffner
Quelle: Vortrag «Modern Wound Treatment» bei der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (SGDV), am 18. September 2024 in Basel
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