Transkript
KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
FOBI 2024
Zoonosen
Die Tularämie ist wieder im Kommen – und sie ist gefährlich
Hasenpest – so die gängige Bezeichnung der Tularämie – klingt harmlos. Doch das ist die Infektion mit Francisella tularensis keineswegs, auch wenn sie meist mit einer unspektakulären kleinen Hautläsion beginnt. Je nach Unterspezies kann die Tularämie sogar tödlich verlaufen. Und die Erkrankungsfälle nehmen europaweit zu, wie Prof. Mario Fabri aus Köln auf der FOBI in München (D) berichtete.
Plötzlich hohes Fieber, Schüttelfrost, geschwollene Lymphknoten und eine kleine, Insektenstich-ähnliche Hautläsion – diese Symptomkonstellation könnte auf eine Tularämie hinweisen. Noch vor wenigen Jahren galt die Tularämie – deren Name vom Ort des ersten Auftretens, Tulare in Kalifornien, stammt – als infektiologische Rarität. Wie Fabri berichtete, wurden in Deutschland zwischen 2013 und 2023 steigende Fallzahlen beobachtet, von unter 10 Fällen im Jahr 2013 auf über 100 Fälle im Jahr 2023. Tendenz steigend: Nach der Abfrage beim Robert Koch-Institut Ende Juni waren bereits 60 Fälle für dieses Jahr registriert worden. In der Schweiz wurden im Zeitraum von 2004 bis 2013 61 Tularämie-Fälle beim Menschen gemel-
det, von 2014 bis 2022 gab es bereits 430 Fälle, was einem Anstieg um den Faktor 7 entspricht (1). Und diese Zunahme gilt nicht nur für Mitteleuropa: auch in Skandinavien lässt sich dieser Trend nachweisen. Obwohl diese epidemiologischen Zahlen nur klein erscheinen, signalisieren sie ein mögliches künftiges Seuchenproblem. Denn die Tularämie hat nicht umsonst auch den Namen Hasenpest: Die bei Tularämie geschwollenen Lymphknoten können – ähnlich wie bei der Pest – im Verlauf eitrig einschmelzen und ulzerieren. Und auch wie beim «schwarzen Tod» wird der Erreger Francisella tularensis durch Nagetiere übertragen – hier hauptsächlich überwiegend durch Wildtiere wie eben Feldhasen, Wildkaninchen, aber
SZD 5/2024
13
Foto: TheOtherKev/pixabay
KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
FOBI 2024
Der Feldhase (Lepus europaeus) gilt als Hauptquelle der Übertragung der Tularämie auf den Menschen in Mitteleuropa
auch Mäuse oder Eichhörnchen. Doch auch via Haustiere, z. B . Katzen, kann der Erreger zum Menschen gelangen. Dabei muss der Erkrankte nicht selbst mit dem infizierten Tier in Berührung kommen. Der Erreger ist so hochinfektiös, dass schon wenige Keime, wie sie bei einem Mückenstich überragen werden, ausreichen, um krank zu werden. Menschen können sich auch über den Haut- und Schleimhautkontakt von infektiösem Tiermaterial anstecken, z.B. bei der Jagd oder beim Umgang mit Fellen infizierter Wildtiere. Noch gefährlicher wird es, wenn die Erreger über das Essen, z. B. durch infiziertes Fleisch, in den Organismus gelangen. Bei Aufnahme über den Magen-DarmTrakt reichen rund 10 Keime, um eine Erkrankung auszulösen. Ein weiterer möglicher Infektionsweg ist das Einatmen von kontaminiertem Staub oder Aerosolen, z. B. bei der Heubearbeitung.
Infektionsweg beeinflusst die Prognose
Das klinische Erscheinungsbild bei Tularämie fällt sehr unterschiedlich aus und hängt von verschiedenen Faktoren ab. So verursacht beispielsweise die Francisella-Subspezies F. tularensis subsp. tularensis schwerere Krankheitsformen, während bei einer Infektion mit dem selteneren F. tularensis subsp. holarctica kaum Allgemeinsymptome auftreten und die Geschwüre sogar ohne antibiotische Therapie abheilen können (1).
Wesentlich wird die Prognose auch vom Infektions-
weg beeinflusst. Am häufigsten infizieren sich Men-
schen über die Haut, was dann das Symptombild aus
Hautläsion (Primäraffekt), eitriger Lymphknoten-
schwellung und plötzlichem Fieber verursacht – ulze-
roglanduläre oder kutanoglanduläre Tularämie ge-
nannt, die etwa 75 bis 85 Prozent der Tularämie-Fälle
ausmacht.
Seltener sind andere Formen der äusseren Tularä-
mie; so ist bei der okuloglandulären Form die Binde-
haut des Auges die Eintrittspforte, bei der oropha-
ryngealen Form, die vor allem bei Kindern vorkommt,
sind die Keime in die Mundhöhle gelangt.
Gefährlich wird es, wenn die Erreger in die Atem-
wege oder in die Blutbahn gelangen. Hier kommt es
zu pneumonischen und typhusartigen Tularämie-Syn-
dromen. Aber auch atypische Manifestationen kön-
nen sich bei den invasiven Tularämie-Formen entwi-
ckeln. Diese können von Fieber unbekannter Ursache,
Endo- und Perikarditis über Peritonitis, Leberabszess
bis zu Meningitis, Enzephalitis, osteoartikulären In-
fektionen, Rhabdomyolyse und Venenthrombose rei-
chen (1).
Der Verlauf der Erkrankung beim Menschen ist
schwer und häufig lebensbedrohlich – die Letalität
ohne Behandlung kann bis zu 33 Prozent betragen.
Um die Diagnose zu sichern, sollten serologische
Tests mit spezifischen Antikörpern erfolgen; aller-
dings dauert es bis zu einer Woche, bis hier die Er-
gebnisse vorliegen. Schneller ist hier der molekulare
Nachweis mittels PCR (Polymerase-Kettenreaktion).
Wegen des hohen Ansteckungsrisikos sollte für den
Erregernachweis die kulturelle Anzucht nur in einem
speziellen Labor mit hohem Sicherheitsstandard er-
folgen.
In Anbetracht der hohen Letalität sollten schnell
Breitbandantibiotika verabreicht werden – vor allem
seien hier Doxycyclin und Ciprofloxacin Mittel der
Wahl, wie Fabri sagte. Zudem empfiehlt sich auf-
grund der hohen Infektiosität ein besonders vorsich-
tiger Umgang mit infiziertem Material und die Isola-
tion der Patienten.
s
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Symposium «Infektionen der Haut erkennen und behandeln» bei der 29. Fortbildungswoche für Dermatologie und Venerologie (FOBI) 2024, am 10. Juli 2024 in München (D).
Referenz: 1. Buettcher M et al.: Tularemia on the rise in Switzerland? A one health approach is
needed! Infection. 2024;52:1165–1169. https://doi.org/10.1007/s15010-02402218-9
14 SZD 5/2024