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Nützliche Apps
Von welchen Apps profitieren Kinder und Jugendliche mit Diabetes?
Smartphones und Apps sind ab einem gewissen Alter fester Bestandteil unseres Alltags. Sie helfen, uns zu orientieren, zu erinnern oder zu vernetzen und bei vielen anderen Dingen. Es liegt deswegen auf der Hand, dass Apps die Therapie des Typ-1-Diabetes ideal unterstützen können. Was sind aber sinnvolle Apps für Kinder und Jugendliche mit Diabetes, wer macht solche Apps und warum? Wie könnte das Potenzial von Apps im Alltag von Kindern und Jugendlichen mit Typ 1 Diabetes besser genutzt werden?
Von Udo Meinhardt, Marc-Robin Grüner, Tobias Kowatsch und Florian von Wangenheim
Was gibt es schon?
sondern steuern im Sinne eines sensorgesteuerten Insu-
Für den Diabetesalltag der Betroffenen stehen eine Viel- linpumpensystems («loop») auch die Insulinabgabe auto-
zahl von Apps zur Verfügung. Diese können in vier, sich matisch. Im Idealfall können mit der App sogar Insulin-
innerhalb einer App zum Teil überlappende Kategorien pumpen ferngesteuert werden.
unterteilt werden:
3. Ernährungstracker
1. Digitale Blutzuckertagebücher
Apps als Nahrungsmitteltracker (Ernährungstagebücher)
Der Ersatz des klassischen Blutzuckertagebuches im Sinne werden meist nicht für die Diabeteskontrolle, sondern für
eines elektronischen Tagebuches zur Dokumentation von die Gewichtskontrolle entwickelt. Für die bessere Beurtei-
Blutzuckerverläufen (Sensordaten und Blutzuckermessun- lung der Kohlenhydratmenge und damit zur Berechnung
gen), der Insulintherapie und der Kohlenhydratemengen des Essensinsulins sind diese dennoch sehr nützlich, weil
(Essen). In Form eines virtuellen Gegenübers geben ein- die sehr umfassenden Nahrungsmitteldatenbanken im-
zelne Tagebuch-Apps dem Anwender auch Rückmeldun- mer und unmittelbar abrufbar sind und Nahrungsmittel
auch mittels Barcodes sehr schnell gefunden
werden. Mittlerweile gibt es bereits Apps, die
Eine erfolgreiche Therapie kann nur gelingen, wenn
anhand eines Bildes der Mahlzeit den Kohlen-
alle Parteien zusammenarbeiten, und genau hierin
hydratgehalt schätzen.
liegt das Potenzial von digitalen Gesundheitsanwen-
dungen und digitalen Assistenten.
4. Bolusrechner
Bolusrechner, die in der Regel in Kombination
mit einem Blutzuckermessgerät oder einem
gen betreffend der konsequenten Dokumentation und Sensor zur kontinuierlichen Messung des Gewebez uckers
dem erzielten Resultat. Der Vorteil eines digitalen Tage- (CGM-System) angeboten werden, die basierend auf dem
buches ist, dass viele Daten automatisch erfasst werden aktuellen Blutzucker und mit oder ohne zusätzliche Ein-
und dass die Tagebuchinformationen jederzeit online für gabe der unmittelbar bevorstehenden Kohlenhydrat-
Betroffene, deren Eltern und die Diabetesfachpersonen menge den verabreichenden Insulinbolus berechnen.
verfügbar sind. Elektronische Datensätze können sehr ef- Bolusrechner werden in der Regel von der Diabetesfach-
fizient gezielt ausgewertet werden, sodass die Stoffwech- person eingeführt, weil die im individualisierten tageszeit-
selkontrolle genauer und alltagsrelevanter als mit dem abhängigen Kohlenhydratfaktoren zur Berechnung des
HBA1c-Wert beurteilt und diskutiert werden kann.
Essensinsulins und die Korrekturfaktoren («sensivity»)
und Blutzuckerzielwerte, wie auch die für die Berechnung
2. CGM-Dashboards
des restwirks amen Insulins notwendige Insulinwirkzeit in
Apps, die eine Visualisierung der Sensorprofile, Warn- aller Regel von der Diabetesfachperson definiert und im
meldungen bei Grenzwertüberschreitungen und auch Verlauf angepasst werden.
qualitative Auswertungsmöglichkeiten zur Beurteilung der Blutzuckerkontrolle anbieten, werden in der Regel von Herstellern subkutaner Sensoren zur kontinuierlichen
Problem: Apps werden meist von Diabetestechnologiefirmen angeboten
Messung des Gewebezuckers (CGM: Continous Glucose Die Mehrzahl der im deutschsprachigen Raum zur Ver-
Monitoring) angeboten. Manche dieser Apps sind auch fügung stehenden Apps, die im Alltag von Kindern und
mit einer Insulinpumpe verbunden; sie dokumentieren Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes genutzt werden, wer-
zum Teil nicht nur die Insulinabgabe der Insulinpumpe, den von Diabetestechnologiefirmen (Sensor und Insulin-
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pumpenhersteller) angeboten. Nebst dem Datenschutz, der bis zuletzt oft klein geschrieben wurde, besteht hierbei auch das Problem der oft fehlenden Öffnung einer App für die firmenunabhängige oder firmenübergreifende Nutzung. Zudem blockieren gewisse Smartphonehersteller zum Teil seit Jahren diese Apps, sodass aktuell viele Diabetesbetroffene darauf warten, dass die App, die sie für die auf sie zugeschnittene Therapie bräuchten, endlich im App Store zur Verfügung steht. Dies kann zu einer schlechteren Stoffwechselkontrolle führen, weil die für diese spezifische Situation bestmögliche Therapieform wegen der Verzögerung der Verfügbarkeit im App Store nicht begonnen werden kann. Konkret gibt es wie erwähnt zum Beispiel bereits sensorgesteuerte Insulinpumpensysteme, die via App mit dem eigenen Handy als Fernsteuerung und Monitor für Sensor- und Insulinpumpendaten genutzt werden können. Dadurch wird die Zahl vergessener oder zu spät abgegebener Essens- und Korrekturboli deutlich geringer, was die Diabeteskontrolle und damit die Gesundheit nachweislich verbessert. Seit mehr als einem Jahr warten wir darauf, dass solche Apps von allen Handybetriebssystemen unterstützt werden. Hiermit wird deutlich, wie komplex und vielschichtig die modernen Technologien der Diabetestherapie sind. Diese multidimensionale rasante Entwicklung verbessert die Stoffwechselkontrolle und die Gesundheit der Diabetesbetroffenen, bringt aber auch Abhängigkeiten mit sich und verlangt eine ununterbrochene Bereitschaft zur Auseinandersetzung und Fortbildung, wenn wir als Fachpersonen den Anschluss nicht verpassen möchten. Das bedeutet auch, dass wir bereit sind, im Team zu arbeiten und Kompetenzen und Verantwortung punktuell abzugeben. Diese Bereitschaft, moderne Technologien bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen anzubieten und mit der nötigen Kompetenz einzusetzen, ist zwingend notwendig: Seit der Diabetes-Control-and- Complications Trial (DCCT)-Studie aus dem Jahr 1993 hat sich − insbesondere durch die Innovation der Insuline, das kontinuierliche Blutzuckermonitoring, die Insulinpumpen und die sensorgesteuerten Insulinpumpensysteme − die durchschnittliche Diabeteskontrolle signifikant verbessert, wodurch das Risiko für Diabetesspätkomplikationen basierend auf den HbA1c-Daten je nach Altersgruppe halbiert werden konnte.
Wo sollte die Reise hingegen?
Apps können aber nicht nur visualisieren, rechnen, steuern und dokumentieren, sie könnten auch die Krankheitsakzeptanz, Autonomie und die Kommunikation im Netzwerk rund um die von Diabetes betroffene Person unterstützen. Hierfür müssen wir aber bereit sein, unsere Rolle als Ärzte zu überdenken: Die Betreuung von Kindern, Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes und deren Familien erfolgt mindestens in der Schweiz nach wie vor in aller Regel in einem klassischen Muster betreffend Kommunikation und Zuständigkeiten: Hauptperson dabei ist der Diabetologe, der dreimonatlich besucht wird. Mehr oder weniger werden dabei Ernährungsberatung, Diabetesfachberaterung und eine psychologische Betreuung einbezogen. Als Folge der eindrücklichen technologischen Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte sind insbesondere bei der Insulinpumpentherapie vereinzelt auch Instruktoren von Firmen, die Insulinpumpen herstellen,
Teil des betreuenden Teams. Neu wird die Betreuung durch den elektronischen Austausch und die Auswertung von Therapiedaten (Blutzuckerprofile, Insulindosierungen, Kohlenhydrattagebuch) durch Apps technologisch unterstützt. Diese Apps erlauben aber nur dann das gesamte Spektrum der Diabetestechnologie abzudecken, wenn sie unabhängig von Diabetestechnologiefirmen sind, sie sind primär für Diabetesfachpersonen und den eindimensionalen Datenaustausch zwischen Diabetes-
Beispiele für technologische Unterstützung im Alltag
Mit der Smartphone App mySugr®, die mittlerweile zu Roche gehört, können Betroffene ihre Blutzuckerwerte aufzeichnen, verschiedene Auswertungen ansehen, den Bolus berechnen und sogar kompatible Pumpen fernsteuern.
© 2023 mySugr GmbH
https://www.rosenfluh.ch/qr/smartphone-app-mysugr
MC:T1, eine Erweiterung für das beliebte Computerspiel Minecraft, bietet Kindern die Möglichkeit, sich in einer spielerischen und bekannten Umgebung mit Typ-1-Diabetes auseinanderzusetzen. In diesem Modus hat der Spielcharakter ebenfalls Diabetes und die Kinder können den Blutzucker durch die Aufnahme von Essen und Insulin beeinflussen. Gleichzeitig können so auch Freunde von Betroffenen erste Einblicke in die Krankheit erlangen.
Screenshot, https://www.mct1.io/index.html
https://www.rosenfluh.ch/qr/minecraft-for-type-1-diabetes
Rufus, der Bär mit Diabetes©, entstand aus einer Kollaboration zwischen JDRF und Empath Labs, einer Firma, die sich auf die Entwicklung von empathischen Krankheitsbegleitern fokussiert hat. Dabei ist Rufus nicht nur ein Kuscheltier als emotionaler Begleiter für Kinder, sondern vermittelt Kindern auch wichtiges Wissen und Fähigkeiten. So können Kinder dem Bären zum Beispiel Insulinpumpenkatether am Bauch anlegen oder Insulin mit der Spritze oder dem Pen in den Oberschenkel injizieren. Mit der zugehörigen App können die Handflächen ähnlich wie ein QR-Code gescannt werden, um dann digital den Blutzucker zu messen oder das Berechnen der Kohlenhydratmengen zu üben.
Rufus der Bär © Empath Labs Inc.
https://www.rosenfluh.ch/qr/rufus-der-baer-mit-diabetes-apple
https://www.rosenfluh.ch/qr/rufus-der-baer-mit-diabetes
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In Anlehnung an Kowatsch et al., 2021
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menarbeiten, und genau hierin liegt das Potenzial von digitalen Gesundheitsanwendungen und digitalen Assistenten. Sie verbinden alle Beteiligten und ermöglichen somit eine effektive und effiziente Therapie. Im Folgenden werden die Herausforderungen und Ziele der einzelnen Hauptgruppen kurz vorgestellt und mögliche Lösungsansätze durch digitale Assistenten skizziert:
Betroffenen und deren betreuendem Team gedacht. Solche Apps sind teuer und aufwändig im Unterhalt. Hiermit kann aber zum Beispiel, wenn im Intervall zwischen den Sprechstundenterminen Probleme mit der Diabeteseinstellung auftreten, rasch und präzise eine Problema nalyse und Beratung ohne Sprechstundentermin angeboten werden.
Was bringt die Zukunft und was wünschen wir uns sonst noch von den Apps?
Die technologische Unterstützung der Kinder und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes, aber auch die technologische Unterstützung unserer Arbeit sind noch lange nicht perfekt. Die Entwicklung und das Potenzial der Apps geht weit über die elektronisch assistierte Therapiesteuerung und Beratung hinaus. Die Apps könnten im Alltag mit Typ-1-Diabetes gezielt interagieren, unterstützen, Wissen und Kompetenzen vermitteln, motivieren, kontrollieren und bei Bedarf auch alarmieren und intervenieren. Auch hierfür gibt es bereits teilweise Ansätze (siehe Kasten Seite 17). All diese Lösungen bieten bereits heute einen grossen Beitrag zur Therapie und Krankheitsakzeptanz. Was wir uns aber wünschen, ist eine Lösung, die noch weiter geht, die interagiert, motiviert, den Diabetesalltag unterstützt, Wissen vermittelt, bei Bedarf alarmiert und gleichzeitig auch vom gesamten Netzwerk genutzt werden kann, so dass es im Stil eines elektronischen Assistenten auch die Kommunikation verbessert und allen Beteiligten gleichzeitig dient. Solche Apps werden in der Schweiz entwickelt!
Entwicklung sinnvoller Diabetesapps für Kinder und Jugendliche (Digitalassistenten)
Leider ist die Beantwortung der Frage, welche Diabetesapp nun konkret sinnvoll ist, bei weitem nicht so trivial wie die Frage selbst. Im Kern dieser Herausforderung steht die Tatsache, dass Typ-1-Diabetes, gerade bei Kindern, als Krankheit schwerwiegende Auswirkungen auf die gesamte Familie hat und nicht nur auf das betroffene Kind selbst. Zudem sind in der Therapie viele Spezialisten und externe Personen involviert, von der Diabetesberaterin bis hin zur Primarschullehrerin. Eine erfolgreiche Therapie kann also nur gelingen, wenn alle Parteien zusam-
Patienten Grundlegendes Ziel der Therapie ist natürlich, eine langfristig gute bis sehr gute Stoffwechselkontrolle zu erreichen. Hierzu gehören kurzfristige Ziele wie das Vermeiden von Hypo- und Hyperglykämien, aber auch die Minimierung von langfristigen Folgen wie Retinopathien oder Neuropathien, um ein langes und möglichst gesundes Leben und eine gute Lebensqualität zu ermöglichen. Im Alltag ist hierfür ein umfangreiches Wissen über die Krankheit selbst und die entsprechenden Therapieformen unverzichtbar. Dieses Wissen und die Fähigkeiten, mit der eigenen Krankheit erfolgreich umzugehen, nimmt die Angst und gibt Betroffenen ein grosses Mass an Freiheit zurück, ein «normales» Kind und Jugendliche zu sein. Der Aufbau des Wissens und der Fähigkeiten braucht jedoch seine Zeit und ist oftmals kein einfacher Prozess. Digitale Assistenten können hierbei ein hilfreiches Medium sein, um das richtige Wissen zur richtigen Zeit in der richtigen Form zu vermitteln. Viele Unsicherheiten und Fragen wie zum Beispiel «Mein Sensor ist frühzeitig abgefallen, was nun?» oder «Wie war das noch gleich mit den Protein-Fett-Einheiten?» ergeben sich in Situationen des Alltags und nicht erst im Sprechstundezimmer und gehen weit über den Funktionsumfang der aktuell verfügbaren Apps hinaus. In diesen Situationen einen Begleiter in der Hosentasche zu haben, der Ad-hoc-Fragen beantworten und unterstützen kann, ist hier Gold wert. Natürlich sind digitale Assistenten aber auch nicht für alle Fragen geeignet und gerade in kritischen Situationen ist die Unterstützung durch einen Arzt oder eine Ärztin zwingend notwendig. Entsprechende Eskalationsmechanismen, also Regeln die festlegen, wann und in welchen Umständen ein Experte hinzugezogen werden muss, sind hierbei zwingend festzulegen. Ein Beispiel wie dies funktionieren kann, zeigt Max der Asthmacoach. Hier finden Kinder neben diversen Kurzvideos zu Themen wie «Wir brauchen Sauerstoff. Du fragst dich, wozu eigentlich?» und «Was ist ein Lungenfunktionstest?» auch Tipps für den Alltag von einem empathischen Chatbot1. Zusätzlich können Kinder die Anwendung des Inhalators mit dem eigenen Smartphone aufzeichnen und erhalten Feedback über die Anwendung direkt in der App. Anschliessend kann der betreuende Arzt die Videos anschauen und weitere Anweisungen teilen und im Notfall sogar die erneute Anwendung verlangen2. Ausserdem bieten digitale Assistenten Betroffenen die Möglichkeit Fragen zu stellen, die in der Sprechstunde oder in einem Gespräch mit den Eltern viel Überwindung kosten. Hierzu zählen häufig Fragen rund um das Thema Sexualität und Pubertät. Diese können so diskret beant-
1 https://cocoa.ethz.ch/downloads/2017/12/None_171204-CDHI-Asthma-DHLI-Clips-FB.pdf 2 https://www.c4dhi.org/projects/health-literacy-children-asthma/
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wortet werden und optional zusätzliche Informationen von den betreuenden Ärzten angefragt werden.
Eltern und Betreuungspersonen Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes stehen oft vor einer ständigen Herausforderung, die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Kinder zu gewährleisten und dabei die übrigen Bedürfnisse des Kindes und auch die anderen Geschwister nicht zu vernachlässigen. Digitale Gesundheitsanwendungen und Apps können für sie ein nützliches Werkzeug sein, um den Alltag besser zu bewältigen und die Stoffwechselkontrolle zu verbessern. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Möglichkeit, die Gesundheitsdaten ihrer Kinder in Echtzeit zu überwachen. Dies ermöglicht den Eltern, schnell auf Veränderungen zu reagieren, die richtigen Entscheidungen zu treffen und eng mit den Ärzten zusammenzuarbeiten. Die Integration von Ernährungsinformationen, Insulinverabreichungen und Aktivitätsdaten in einer App kann den Eltern helfen, den Überblick zu behalten und so Gesundheit und Lebensqualität ihrer Kinder zu verbessern. Eine weitere Chance besteht in der Bildung und Unterstützung der Eltern durch digitale Assistenten. Diese können hilfreiche Ratschläge, Anleitungen und sogar Eskalationsmechanismen bieten, um in kritischen Situationen die richtige Entscheidung zu treffen. Die Möglichkeit, Fragen zu jeder Tageszeit zu klären, insbesondere wenn damit Sorgen verbunden sind oder auch aus der Elternsicht Fragen zu sensiblen Themen wie Pubertät und Sexualität stellen zu können, kann die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern erleichtern. Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass digitale Gesundheitsanwendungen nicht den persönlichen Austausch, die Vertrauensbasis und die Beratung mit Ärzten ersetzen können. Eltern benötigen eine umfassende Schulung in der Nutzung dieser Tools und müssen sich bewusst sein, dass die Anwendungen die ärztliche Betreuung ergänzen.
Medizinisches Personal Ärzte spielen eine entscheidende Rolle in der langfristigen Betreuung von Kindern mit Typ-1-Diabetes. Digitale Gesundheitsanwendungen und Apps können eine wertvolle Ergänzung zu den herkömmlichen Werkzeugen sein. Ein zentraler Vorteil liegt in der kontinuierlichen Überwachung, der Dokumentation und dem verbesserten und effizienten Datenmanagement. Durch die Integration von Glukosemessungen, Insulinverabreichungen und Lebensstilfaktoren können Ärzte präzisere Einsichten in die Stoffwechselkontrolle ihrer jungen Patienten erhalten. Die Herausforderung besteht jedoch darin, dass die digitalen Tools überhaupt in die ärztliche Praxis integriert werden und die Effizienz und die Qualität der Betreuung verbessern können. Auch darf die Digitalisierung die persönliche Interaktion zwischen Arzt und Patient nicht negativ beeinträchtigen. Ein Beispiel für eine gelungene Integration digitaler Gesundheitsanwendungen ist die Möglichkeit, Echtzeitdaten von Glukosemessgeräten zu überwachen. Dadurch können Ärzte, wenn nötig, sofort auf Abweichungen reagieren und individuelle Anpassungen an der Therapie vornehmen. Eine solche kontinuierliche Überwachung kann dazu beitragen, Komplikationen frühzeitig zu erkennen und das Risiko für Langzeitschäden zu minimieren.
Es ist jedoch zu betonen, dass digitale Gesundheitsanwendungen persönliche Konsultationen nicht ersetzen können. Die Beziehung zwischen Arzt und Patient bleibt die Grundlage der Betreuung und ärztlichen Tätigkeit. Hierbei wird schnell ersichtlich, dass eine einseitige Lösung nicht ausreichend ist. Die jeweiligen Anforderungen sind schlichtweg zu unterschiedlich. Der grosse Vorteil digitaler Anwendungen liegt darin, dass ein System im Hintergrund sich aber an die einzelnen Gruppen anpassen kann und jeweils die benötigten Funktionen und Daten nutzergerecht bieten kann. Bis dies jedoch Realität wird ist es noch ein langer Weg und fordert eine enge Zusammenarbeit von Betroffenen und ihren Angehörigen, medizinischem Fachpersonal und Partnern aus Forschung und Industrie.
Schlusswort
Sinnvolle Apps für Kinder und Jugendliche gibt es. Das Potenzial der digitalen Unterstützung auf dem langen Weg eines Kindes und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes ist aber riesig und aktuell noch nicht einmal ansatzweise erreicht. Bremsklötze beim digitalen Fortschritt sind zum Beispiel die oft fehlende Freude der Fachpersonen an der Digitalisierung und die digitalen Angebote der Medizinalfirmen, die leider immer wieder Hürden für die zwingend notwendige Vernetzung aufbauen. Die Kreativität und Innovation kommen aber schon heute sehr stark von der Medizin und der medizinischen und naturwissenschaftlichen Grundlagenwissenschaft, der Industrie und der Medizintechnik, sowie von Patientengruppen und deren Open-source-Lösungen. Wirklich sinnvolle Apps unterstützen alle Partner im Betreuungsnetzwerk von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes gleichzeitig und unabhängig von Zeit und Ort. Sie assistieren bei einfachen Alltagsproblemen, sie dokumentieren und monitorisieren, sie interagieren gezielt und alarmieren, und können so Fragen beantworten, Kompetenzen vermitteln und sogar motivieren. Ein solcher digitaler Assistent kann gleichzeitig der Person mit Typ-1-Diabetes, den Betreuungspersonen (z. B. Eltern) und den medizinischen Fachpersonen als Assistent dienen und das Netzwerk effizient verbinden.
Literatur: Kowatsch T et al.: Conversational Agents as Mediating Social Actors in Chronic Disease Management Involving Health Care Professionals, Patients, and Family Members: Multisite Single-Arm Feasibility Study. J Med Internet Res 2021;23(2):e25060. doi: 10.2196/25060.
Interessenlage: MRG, FW and TK are affiliated with the Centre for Digital Health Interventions, a joint initiative of the Institute for Implementation Science in Health Care, University of Zurich, the Department of Management, Technology, and Economics at ETH Zurich, and the Institute of Technology Management and School of Medicine at the University of St. Gallen. Centre for Digital Health Interventions is funded in part by CSS, a Swiss health insurer, Mavie Next, an Austrian health insurer, and MTIP, a Swiss digital health investor. However, neither CSS, Mavie Next nor MTIP nor were involved in the writing of this article.
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Udo Meinhardt Facharztpraxis für Kinderendokrinologie, Diabetes und Sportmedizin, 8600 Dübendorf E-Mail: udo.meinhardt@klein-gross.ch
Ko-Autoren: Marc-Robin Grüner School of Medicine, University of St. Gallen, St.Gallen E-Mail: marcrobin.gruener@student.unisg.ch
Prof. Dr. Tobias Kowatsch 1. Institute for Implementation
Science in Health Care, University of Zurich, Zurich, E-Mail: tobias.kowatsch@uzh.ch 2. School of Medicine, University of St. Gallen, St. Gallen 3. Centre for Digital Health Interventions, Department of Management, Technology, and Economics at ETH Zürich, Zürich
Prof. Dr. Florian von Wangenheim Chair of Technology Marketing, Department of Management, Technology, and Economics ETH Zurich, Zürich E-Mail: fwangenheim@ethz.ch
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