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KHM
Reizblase und Inkontinenz
Medikamente kombinieren erhöht Wirkung
Blasenbeschwerden können durch verschiedene Ursachen ausgelöst werden. Betroffen ist davon immer auch die Lebensqualität. Welche Abklärungen sich bei wem empfehlen, welche Therapien angewendet werden können, und wann weitergewiesen werden soll, erläuterte Dr. Marko KozomaraHocke, Klinik für Urologie, Luzerner Kantonsspital, am Jahreskongress des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM) in Luzern.
Harninkontinenz ist per Definitionem ein unwillkürlicher Urinverlust, der ein hygienisches und/oder soziales Problem darstellt. Betroffene können ihre Blase weniger bis gar nicht steuern. Das betrifft auch die Blasenentleerung. Umgangssprachlich wird die Harninkontinenz auch Blasenschwäche oder Urininkontinenz genannt. Weil Patienten bei den Themen gereizte, schwache Blase jedoch etwas anderes darunter verstehen können, ist es wichtig, genau nachzufragen, um ein Bild von den Beschwerden zu erhalten. Abzuklären ist, ob das Beschwerdebild durch eine Beckenbodenschwäche ausgelöst wird, was zu einer Belastungsinkontinenz führt. Eine Blasenüberfunktion kann ihrerseits ebenfalls eine Dranginkontinenz auslösen. Ebenso kann es bei einer Harnverhaltung/Überlaufblase zu einer Urininkontinenz kommen (siehe Algorithmus). Mischformen sind ebenfalls möglich. Zu den möglichen Ursachen für die Beschwerden gehören beispielsweise Blasenentzündungen, Blasenkrebs, Prostataveränderungen, Status nach Radiotherapie oder Operationen sowie metabolische, psychische oder neurologische Erkrankungen. Die Wahrscheinlichkeit für eine Urininkontinenz beginnt bei den Männern ab dem 50. Lebensjahr anzusteigen, bei den Frauen bereits ab 30 Jahren. Anhand der Anamnese kann die Ursache in den meisten Fällen klinisch erhoben werden. Weitere Abklärungen mittels Fragebögen, Laborkontrollen, Ultraschalluntersuchungen usw. festigen die vermutete Ursache. Je nach Leidensdruck und je nach Einschränkung der Lebensqualität können unterschiedliche Therapien und Hilfsmittel angeboten werden.
Konservative Therapie
Eine bewährte einfache Hilfe sind «WC-Führer» in Form von Applikationen oder Google maps, wo einzelne standortnahe Toiletten aufgeführt werden. Weitere Hilfsmittel, die zur Entlastung und zur Steigerung der Lebensqualität führen, sind Einlagen, Katheter, Penisklemmen, Kondomurinale, Pessare etc. Sie geben den Patienten mehr Zuversicht und ermöglichen einen erweiterten Bewegungsradius. Eine gute Beratung sei hier wichtig. Diese können von weiteren Dienstleistern wie beispielsweise Publicare (www.publicare.ch), einem Versandhaus für medizinische Hilfsmittel mit telefonischer Beratung des Patienten erbracht werden. Weitere Dienstleister auf diesem Gebiet sind www.orthotec.ch, www.balgristtec. ch, www. pro-uro.ch.
Je nach Form der Urininkontinenz kann auch eine spezialisierte Beckenboden-Physiotherapie erfolgen. Wohnortnahe Spezialisten können unter www.pelvisuisse.ch ausfindig gemacht werden.
Medikamentöse Therapie
Zur pharmakologischen Behandlung einer Dranginkontinenz empfehlen sich Antimuskarinika oder Sympathomimetika und Alpha-Blocker, so Kozomara. Eine bessere Wirkung lasse sich mit der Kombination von Antimuskarinika oder Sympathomimetika erzielen. Dabei wird die Therapie zunächst mit einem Wirkstoff begonnen und die Dosis nach 1 bis 2 Wochen gesteigert. Bei ungenügender Besserung nach 3 Wochen und geringen Nebenwirkungen, kann die andere Wirkstoffklasse hinzhugefügt werden. Auch beim zweiten Medikament kann eine Dosissteigerung nach 1 bis 2 Wochen erfolgen. Eine Beurteilung des Therapieeffekts sollte frühestens nach 6 bis 8 Wochen vorgenommen werden und nach 2 bis 3 Monaten dürfte die beste zu erwartende Wirkung für den Patienten erreicht sein. Kann mit der Kombination keine zufriedenstellende Wirkung erzielt werden, ist der nächste Schritt die Überweisung zum Spezialisten. Die weitere Therapie erfolgt dann je nach Symptomatik beispielsweise mit Onabotulinumtoxin-A-Injektionen, elektrischen Behandlungen, Prostatoperationen oder mit Prothesen.
Konkretes Vorgehen
Bei jungen Patientinnen mit Blasenbeschwerden ist der 1. Schritt ein Urinstatus oder eine Abklärung mit Urininstreifen, meist würden solche Beschwerden durch Infekte ausgelöst, so Kozomara. Bei einer unkomplizierten Zystitis kann je nach Patientenwunsch erst mit nicht steroidalen Antiphlogistika (NSAR) oder/und Phytotherapeutika (z. B. Canephron®, Angocin®) oder D-Mannose behandelt werden. Bei Nichtabklingen der Symptome sollte ein Antibiotikum eingesetzt werden. Bei Patienten mit rezidivierenden Harnwegsinfekten sollte eine Urinkultur angelegt werden und wenn möglich nach initial empirischer eine resistenzgerechte Antibiotikatherapie erfolgen. Im Fall eines 65-jährigen Mannes mit erhöhtem Harndrang, erhöhter Miktionsfrequenz über die Jahre zunehmend, gelegentlichem Urinverlust und gesunkener Lebensqualität, ist
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KHM
Delir / Ursache
Abbildung: Abklärungsalgorithmus bei Urininkontinenz. Quelle: M. Kozomara-Hocke, KHM 2024
eine Restharnbestimmung der nächste Schritt. Nach Ausschluss eines Harnwegsinfekts bietet sich bei einem erhöhten Restharnvolumen eine medikamentöse Therapie mit Tamsulosin. Ebenso ist das Sägepalmenextrakt eine pflanzliche Alternative. Je nach Wirkung kann eine Kombinationstherapie mit Tamsulosin/Finasterid (bei Prostatavolumen > 35 ml), erfolgen. Wichtig ist hier neben der Symptomkontrolle auch
eine erneute Restharnbestimmung frühestens nach 2 bis 3
Wochen.
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Valérie Herzog
Quelle: «Reizblase und Inkontinenz». Jahreskongress des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM), 20. bis 21.Juni 2024, Luzern
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