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Checkpoint-Inhibitor, Zelltherapien, Impfung
Krebstherapie – immer komplexer und personalisierter
In der Therapie verschiedener Krebsformen wurden in den letzten Jahren grosse Fortschritte erreicht. Es zeigte sich ein immer differenzierteres Bild, wie Erkennung und Zerstörung der Krebszellen ablaufen, aber auch welche Mechanismen die Krebszellen entwickeln, um der Zerstörung durch das Immunsystem zu widerstehen (1–3). Dieser Punkt eröffnete besonders viele Möglichkeiten einzugreifen.
Der Tumor besteht nicht nur aus Krebszellen. Diese sind umgeben von verschiedenen Immunzellen mit jeweils unterschiedlicher Aufgabe. Unter günstigen Bedingungen ist das Immunsystem in der Lage, Tumorzellen zu erkennen und zu eliminieren (4, 5). Tumorzellen können aber dominant sein und mittels immunsupprimierender Vorgänge die Immunzellen daran hindern, von ihnen zerstört zu werden. Die Krebszellen können sich dem Angriff entziehen, sich vermehren und ausbreiten (Escape). Manchmal herrscht auch ein gewisses Gleichgewicht zwischen dem Immunsystem und den Tumorzellen (Immun-Editing), dieses ist aber nicht stabil und kann sich auch weiter in Richtung Immunsuppression neigen. Die normalen Zellen exprimieren auf ihrer Oberfläche nur «Selbst-Antigene» und werden deshalb vom Immunsystem ignoriert. Bei einer Tumorzelle hingegen wird das mutierte Neoantigen auf der Oberfläche exprimiert. Nun folgt ein dreistufiger Prozess. Das Neoantigen wird von den Lymphozyten erkannt. Danach ist eine Co-Stimulation der T-Zelle erforderlich, damit sie sich differenzieren kann. Ein drittes Signal durch Zytokine ermöglicht die Differenzierung der Lymphozyten in Effektorlymphozyten, die die Krebszelle angreifen. Lymphozyten können zudem ein Immungedächtnis entwickeln (6). Es gibt aber auch Moleküle, die die Immunantwort wieder blockieren, um eine langanhaltende Immunantwort zu verhindern. Das Verständnis dieses Gleichgewichts zwischen hemmenden und aktivierenden Molekülen, die auf der Oberfläche der Lymphozyten exprimiert werden, ermöglicht es, das Geschehen zu beeinflussen und Immuntherapien zu entwickeln. Medikamentös kann man eingreifen, indem man mit Antikörpern diese Immunblocker neutralisiert und so die Lymphozyten wieder ihre Arbeit verrichten können. Diese Erkenntnis wurde 2013 von der Fachzeitschrift «Science» als Durchbruch des Jahres beschrieben (7) und 2018 mit dem Nobelpreis für Medizin belohnt. Inzwischen gibt es vier Antikörperfamilien, sogenannte Checkpoint-Inhibitoren (CTLA4, Anti-PD1, Anti-PDL1 und Anti-Laktoide), die gegen unterschiedliche immunblockierende Moleküle gerichtet sind. Diese Antikörper werden heute bei den unterschiedlichsten Krebsformen eingesetzt (8)
und konnten in vielen Fällen das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben stark verbessern.
Adjuvante und neoadjuvante Therapie
Zu Beginn wurde die Immuntherapie bei bereits metastasierten Tumoren eingesetzt, nach erfolgreichen Studien auch in früheren Stadien. Als adjuvante Therapie, nach Operation und eventuell Chemotherapie, erhielt der Patient eine Immuntherapie, um einen Rückfall zu verhindern. Später wurde die Immuntherapie auch als neoadjuvante Behandlung eingesetzt, in dessen Rahmen der Patient vor der Operation schon einige Zyklen Immuntherapie erhält. Wichtige erste Erfolge konnte man beim metastasierenden Melanom erreichen, wo bisher die mediane Überlebenszeit bei etwa 6 Monaten lag. Die Immuntherapie hat die Situation dramatisch verbessert. Nun untersucht man auch, ob sich die Blockierung von zwei verschiedenen Hemmachsen noch besser auf das Gesamtüberleben auswirkt. In einer Phase-III-Studie wurden bei Patienten mit metastasierendem Melanom mit einer doppelten Blockierung bessere Resultate erreicht. Bei einer Nachbeobachtungszeit von 6,5 Jahren waren 50 Prozent der Patienten nach Abschluss einer Immuntherapie noch am Leben, gegenüber 23 oder 42 Prozent bei den Einzelsubstanzen. Aufgrund des Immungedächtnisses kann die Abwehrreaktion, wenn sie erfolgreich ist, über die Zeit aufrechterhalten erhalten werden (9). In einer Studie bei Patienten mit einem lokalisierten Lungenkrebs wurden zwei Prozedere verglichen: Chemotherapie plus Operation versus Operation plus Chemotherapie und Immuntherapie. Die Immuntherapie konnte das ereignisfreie Überleben bei Patienten verbessern. Auch zeigte sich eine Zunahme des kompletten Ansprechens: So konnten unter der Immuntherapie im Vergleich zur Kontrollgruppe bei 24 Prozent (vs. 2%) der Patienten keine Tumorzellen mehr nachgewiesen werden (10).
Toxizitäten der Immuntherapie
Aber auch die Immuntherapie besitzt eine Toxizität, die sich jedoch von der einer Chemotherapie unterscheidet. Die starke Aktivierung des Immunsystems führt am häufigsten zu
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endokrinen Nebenwirkungen mit Schilddrüsenerkrankungen oder Nebenniereninsuffizienz, Hauterkrankungen, Erkrankungen im Verdauungstrakt wie Kolitis oder Gastritis sowie Lungenerkrankungen in Form von Pneumonitis. Grundsätzlich kann jedes Organ betroffen sein (11, 12). Je mehr Immuntherapien kombiniert werden, desto grösser ist die Gefahr von Nebenwirkungen. In der Melanomstudie fanden sich bei der doppelten Immunblockade in 60 Prozent der Fälle schwere Toxiziäten, im Vergleich zur einfachen Blockierung mit 28 Prozent. 31 Prozent der Patienten mussten die Therapie abbrechen (9). Nicht jeder Tumor spricht auf Checkpoint-Inhibitoren an. Diese Resistenz kann primärer Natur sein oder sie tritt unter der Therapie auf, beispielsweise durch neue hemmende Checkpoint-Moleküle, die eine Immunsuppression begünstigen (13).
Zelltherapien
Eine alternative Therapiemethode ist die adoptive Zelltherapie, mit zwei verschiedenen Varianten. Dem Patienten werden Lymphozyten entnommen. Bei der Therapie mit Tumorinfiltrierenden Lymphozyten (TIL) werden diese entnommenen Lymphozyten mit Zytokinen angeregt und dem Patienten wieder injiziert (14). Die nicht genetisch veränderten TIL wurden bei metastasierenden Melanomen geprüft, die nach Immuncheckpoint-Inhibitoren weiter fortgeschritten waren, die Kontrollgruppe erhielt einen anderen Checkpoint-Inhibitor. Die TIL schnitten besser ab (15, 16). So hat die FDA vor kurzem die erste TIL-Therapie bei metastasierendem Melanom zugelassen. Bei der zweiten Form werden die Lymphozyten genetisch zu sogenannten CAR-T-Zellen (chimeric Antigen T-Receptor Cells) verändert. Diese Therapie hat sich vor allem bei malignen hämatologischen Erkrankungen als wirksam erwiesen, insbesondere bei hochgradigen Lymphomen (17, 18). Zurzeit laufen mehrere Studien. Diese Therapien können als Nebenwirkung das «Cytokine Release Syndrome» (CRS) hervorrufen. Die klinische Ausprägung ist sehr unterschiedlich, von leichten Grippesymptomen mit Fieber und Muskelschmerzen bis zu Hypotonie, Schock oder Multiorganversagen (19). Eine weitere Art der Immuntherapie ist der Einsatz von BiTE (Bispecific T-cells engagers). Dies sind B-Zell spezifische Antikörper, die sich an zwei Ziele auf zwei verschiedenen Zellen binden können, zum Beispiel an CD3-Rezeptoren der T-Zellen und an ein Tumorneoantigen. Erste Resultate konnten beim uvealen Melanom gezeigt werden, einem relativ seltenen Tumor (20). Aktuell laufen mehrere Studien auch zu anderen Krebsformen, insbesondere in Kombination mit anderen Immuntherapien oder Chemotherapien (20).
fisch, doch die Impfung ist in der Lage, eine viel stärkere Immunantwort auszulösen. Impfstoffe können auf Basis von Zellen, Viren/Bakterien, Peptiden oder Nukleinsäuren beruhen (21). Heute laufen zahlreiche Studien mit vielversprechenden Krebsimpfstoffen, die in verschiedenen Situationen eingesetzt werden – allein oder in Kombination mit anderen Immun- oder Chemotherapien. In einer Phase-II-Studie beim Melanom wurde die Impfung in einer adjuvanten Situation untersucht. Alle Patienten wurden operiert. Um die Gefahr eines Rückfalls zu vermindern, wurde die bisherige Standardtherapie mit einem Checkpointinhibitor verglichen mit einem Checkpointinhibitor plus einer personalisierten RNA-Impfung. Dazu hat man von Zellen aus dem Melanom 34 Neoantigene für ein Vakzin verwendet. Durch die Impfung zeigte sich eine Verbesserung des Überlebens ohne Progression und ein verbessertes Überleben ohne Fernmetastasen (21). Die Resultate waren sehr erfreulich, allerdings müssen jetzt die Resultate der Phase-III-Studien abgewartet werden.
Zusammenfassung
Dank des besseren Verständnisses der Krebsbiologie und
dank der Entwicklung neuer Technologien konnten wirksa-
mere Behandlungsmethoden entwickelt werden. Weitere
Fortschritte sind zu erwarten.
Die Checkpoint-Inhibitoren haben in vielen Studien ihre
Wirksamkeit gezeigt, als adjuvante oder neoadjuvante The-
rapie. Doch es gibt auch Resistenzen. Hier sucht man nach
therapeutischen Alternativen. Kombinationen von zwei
Checkpoint-Inhibitoren, eine Kombination eines Check-
point-Inhibitors mit einer adoptiven Zelltherapie oder einer
personalisierten Impfung sind in Prüfung. Die Tendenz geht
in Richtung personalisierte Immuntherapie. Das alles macht
die Wahl der Therapie komplexer. Therapieentscheidungen
müssen mehr denn je multidisziplinär getroffen werden, auch
weil die Weiterentwicklung in diesem Gebiet sehr rasch ver-
läuft.
Auch die Toxizität muss beachtet werden, besonders wenn
Patienten in frühen Stadien behandelt werden und allfällige
Nebenwirkungen lange Jahre ertragen müssen.
Wichtig ist auch die Suche nach weiteren klinischen und
molekularen Biomarkern, um die optimale Therapiestrategie
und das Toxizitätsmanagement zu bestimmen und so eine
individuellere Immuntherapie für jeden Patienten zu ermög-
lichen.
s
Barbara Elke
Quelle: 8. SGAIM Frühlingskongress SGAIM, Basel, 29. bis 31. Mai 2024: Update Immunotherapie en oncologie. Dr. PhD Assma Ben Aissa, Service d’oncologie des Hôpitaux universitaires de Genève.
Krebsimpfung
Auch diese Methode zielt darauf ab, die Lymphozyten gegenüber Krebszellen zu stimulieren. Krebsvakzine können sich gegen spezifische Tumorneoantigene oder tumorassoziierte Antigene richten. Letztere kommen bei verschiedenen Tumoren vor, aber in geringerem Mass auch bei normalen Zellen. Damit besteht der Nachteil, dass neben der Bekämpfung des Tumors auch eine Autoimmunantwort ausgelöst werden kann. Tumorneoantigene sind zwar für jeden Tumor spezi-
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