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Skabies bei Kindern
Gerade die Kleinsten brauchen eine effektive Therapie
Von Skabies sind häufig ganze Familien betroffen. Wenn es darum geht, alle Familienmitglieder milbenfrei zu bekommen, sollte man gerade die kleinsten Familienmitglieder in Auge haben und auch an mögliche Resistenzen denken.
Foto: AZA
Martin Theiler Pang
Die Skabies ist eine Erkrankung mit der Milbe Sarcoptes scabiei var. hominis, die ihren kompletten Lebenszyklus in der menschlichen Epidermis verbringt. Von der Infektion bis zur Entwicklung der juckenden Hauteffloreszenzen dauert es 4 bis 6 Wochen, wobei es auch asymptomatische Infizierte geben kann. Die Prädilektionsstellen sind bei Erwachsenen in erster Linie die Hände, die distalen Extremitäten und die intertriginösen Zonen. Bei Säuglingen und Kleinkindern kann der gesamte Körper einschliesslich des Kopfes befallen werden, wobei auch hier in erster Linie die Hände und Füsse betroffen sind; Axillen und Leisten sind bei Säuglingen geradezu regelhaft mitbetroffen, erläuterte Martin Theiler Pang vom Kinderspital Zürich beim Swiss Derma Day. Im Unterschied zu Erwachsenen gibt es bei Kindern in der Regel wenig Probleme, die Skabies zu diagnostizieren, denn das Krankheitsbild ist meist deutlich ausgeprägt. Man sieht ein sehr disseminiertes Ekzembild, das im Bereich der Axillen etwas grössere Papeln aufweisen kann, und eine palmoplantare Involvierung. Die Milbengänge sind in der Säuglingshaut sehr zahlreich und auch gut zu erkennen und dermatoskopisch darstellbar. Der Direktnachweis der Milben ist aufgrund des eindeutigen Hautbefundes oft nicht erforderlich. In einer aktuellen nationalen Befragung wurde untersucht, wie die Skabies-Therapie bei Kindern aktuell durchgeführt wird (1). Dabei zeigte sich, dass die Skabies von Dermatologen insgesamt adäquat therapiert wird. Allerdings gebe es bei Allgemeinmedizininern, aber auch bei Pädiatern «schon recht grosse Lücken im adäquaten Management», so Theiler. So haben beispielsweise nur 60 Prozent der nicht-dermatologischen Kollegen angegeben, dass sie enge Kontaktpersonen mitbehandeln (1). Die Befragung zeigte auch, dass im Säuglingsalter (Alter 0–12 Monate) ausschliesslich Permethrin verschrieben wurde; mit zunehmendem Alter der Patienten nahm der Einsatz von Ivermectin immer mehr zu (1).
Immer mehr Resistenzen bei Permethrin
Für die Therapie stehen 3 topisch anwendbare Wirkstoffe (Permethrin, Benzylbenzoat, Crotamiton) so-
wie für die systemische Therapie Ivermectin zur Verfügung. Gemäss der Europäischen Leitlinie (2) werden Permethrin (5%-ige Creme), Ivermectin (200 µg/kg peroral, Wiederholung nach 7 Tagen) oder Benzylbenzoat (Lotion 10–25%, Anwendung an 2 aufeinander folgenden Tagen und Wiederholung nach 7 Tagen) als Monotherapien empfohlen. Von diesen 3 Optionen ist nur Permethrin ohne Alters- und sonstige Einschränkungen zugelassen. Ivermectin hat eine Zulassung ab einem Körpergewicht von > 15 kg, Benzylbezoat soll nicht bei Säuglingen sowie während der Stillzeit eingesetzt werden. Diese Situation führte dazu, dass Permethrin für viele Therapeuten die bevorzugte Therapie ist. Allerdings hat sich bei Permethrin in den letzten Jahren die Resistenzproblematik deutlich verschärft. In einer Auswertung der eigenen Patientendaten aus dem Jahr 2021 hat Theiler ebenfalls häufige Therapieversager auf Permethrin festgestellt. Diese Beobachtung wird inzwischen durch immer mehr Studien untermauert. So wurde in einer Studie aus Salzburg mit topischem Permethrin (2 Applikationen im Abstand von einer Woche) nur eine Erfolgsrate von 29 Prozent erreicht (3). Dass dieser hohe Anteil an Therapieversagern wohl auf Resistenzen und nicht auf Anwendungsfehler zurückzuführen ist, wird durch eine Untersuchung aus Wien untermauert (4). Hier wurden Genotypisierungen der von Skabies-Patienten gewonnenen Skabies-Milben vorgenommen. 85,9 Prozent der Betroffenen waren therapierefraktär auf eine zuvor durchgeführte Permethrin-Behandlung. Von 67 untersuchten Milben wiesen 97 Prozent die pathogene Variante M918L auf. Diese Mutation verändert die spannungsabhängigen Natriumkanäle (VSSC) und wurde bei anderen Arthropoden bereits mit Knockdown-Resistenzen gegenüber Permethrin assoziiert. Bei Sarcoptes scabiei var. hominis wurde diese Mutation in dieser Untersuchung das erste Mal beschrieben. Sie scheint die Permethrin-Toleranz der Milben signifikant zu erhöhen. Die Beobachtung, dass 14,6 Prozent der Behandelten trotz des Nachweises dieser Mutation trotzdem durch die alleinige Permethrin-Behandlung geheilt werden konnten, macht allerdings auch deutlich, dass diese Genvari-
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ante zu keiner vollständigen Resistenz führt, sondern zu einer verminderten Sensitivität. Die meisten Patienten konnten durch eine kombinierte Therapie aus Ivermectin und Permethrin geheilt werden (4). In einer aktuellen Arbeit der Salzburger Arbeitsgruppe wurden die beiden Topika Permethrin (5%) und Benzylbenzoat (25%) in doppelblindem Design miteinander verglichen (5). Beide Therapien wurden an 3 konsekutiven Tagen angewendet, unter anderem auch, um mögliche Anwendungsfehler von Permethrin auszugleichen. Dennoch wurde in der Permethrin-Gruppe nur eine Heilungsrate von 27 Prozent erzielt, verglichen mit 87 Prozent in der Benzylbenzoat-Gruppe (5). Möglicherweise lässt sich mit alternativen Therapieschemata das Ansprechen auf die Permethrin-Therapie verbessern. So konnte in einer pädiatrischen Studie eine intensivierte Permethrin-Therapie mit Ganzkörper-Applikation an den Tagen 1, 8 und 15 sowie zusätzlichen Applikationen an Händen und Füssen an den Tagen 2, 3 und 4 sowie 9, 10 und 11 eine Eradikationsrate von 73,5 Prozent erzielt werden (6). Dennoch werden wohl inzwischen mit den beiden anderen Optionen bessere Erfolge erzielt. Die Salzburger Gruppe verzeichnete in einer randomisierten Vergleichsstudie Heilungsraten von 87 Prozent für Benzylbenzoat und von 86 Prozent für Ivermectin (7).
Familientherapie als Herausforderung
Wenn auch diese Heilungsraten zunächst gut klingen, sollte man nicht ausser Acht lassen, dass bei einer Skabies-Therapie oft ganze Familien oder Wohngemeinschaften behandelt werden müssen. Wird also beispielsweise eine 5-köpfige Familie, die mit Skabies befallen ist, behandelt, dann multiplizieren sich die Heilungsraten, so dass letztlich eine Heilungsrate von etwa 50 Prozent für die gesamte Familie resultiere, gab Theiler zu bedenken. Auch wenn die Familie ein zweites Mal behandelt werde, bliebe ein Risiko von 25 Prozent, dass sie immer noch nicht komplett geheilt wäre. Verbesserungen sind also weiterhin dringend nötig. Eine Verbesserungsmöglichkeit ist der Einsatz von Kombinationstherapien. In einer Kohortenstudie wurde der Effekt verschiedener Optimierungsstrategien evaluiert. Dabei wurden verschiedene Massnahmen untersucht (8): s Durch die Kombination von Ivermectin mit Benzyl-
benzoat konnte im Vergleich zu den beiden Einzelmodalitäten die Effektivität mehr als verdoppelt werden (OR 2,15). s Ivermectin muss zwingend zweimal eingenommen werden (OR 10,2). s Ivermectin wirkt offenbar besser, wenn es nüchtern eingenommen wird, als auf vollen Magen (OR 4,31).
s Die Dekontamination von Möbeln hat einen starken Effekt auf die Eradikation im Vergleich zur Unterlassung solcher Massnahmen (OR 8,72).
s Ein schriftlicher Therapieplan hat im Vergleich zur rein mündlichen Unterweisung einen deutlich besseren Effekt (OR 5,18).
Erfahrungen mit Ivermectin bei Säuglingen und Kleinkindern
Weltweit ist Ivermectin erst bei Patienten mit > 15 kg Körpergewicht zugelassen. Allerdings sei Ivermectin bereits extrem grossflächig vor allem in tropischen Ländern im Sinne von «Mass Drug Administrations» gegen verschiedene Parasitenerkrankungen eingesetzt worden, berichtete Theiler. Dadurch seien weltweit auch Millionen von Kindern mit einem Körpergewicht unter 15 kg mit Ivermectin behandelt worden. «Es gibt eigentlich kein Sicherheitssignal, das da wirklich hervortritt», konstatierte der Züricher Experte. Darüber hinaus wurden mittlerweile auch verschiedene Fallserien und Reviews publiziert, die gezeigt haben, dass der Einsatz bei Kindern < 15 kg Körpergewicht sicher ist – so zum Beispiel eine Studie aus Frankreich mit 170 behandelten Kindern (9). Interessante weitere Befunde dieser Studie waren, dass das Ansprechen auf die Therapie besser war, wenn eine höhere Dosis als 200 µg/kg eingesetzt wurde und wenn das Intervall bis zur 2. Dosis nicht länger als 10 Tage war (9).
«Der Säugling ist das Problem»
Im Zusammenhang mit Familienausbrüchen warnte Theiler davor, die kleinsten Patienten aus Gründen der Schonung nicht adäquat zu behandeln: «Der Säugling ist das Problem. Und solange der Säugling nicht behandelt ist, wird die ganze Familie nicht behandelt sein.» Denn es seien gerade die Säuglinge, die bei Befall sehr viele Milben haben, so die Erfahrung von Theiler: «Ich persönlich glaube, dass sie noch eine gewisse Immundefizienz haben und diese Milben weniger gut kontrollieren können.» Zudem werden die Säuglinge von den übrigen Familienmitgliedern versorgt und herumgetragen, was die wiederholte Übertragung der Milben begünstigt. Darüber hinaus ist vermutlich die Penetration topischer Medikamente im palmoplantaren Bereich, der bei Säuglingen mitbefallen ist, durch die dickere Hornschicht erschwert.
Tipps zum praktischen Vorgehen
Zum Schluss beschrieb Theiler das praktische Vorgehen am Kinderspital Zürich. Er wies darauf hin, dass die meisten dieser Therapien off-label sind. «Aber ich denke, mit gutem Grund und guter Datengrundlage machen wir das so.» Wenn Familien mit kleinen Kindern betroffen sind, werden grundsätzlich keine Monotherapien durch-
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geführt, betonte Theiler: «Wir beginnen eigentlich immer mit einer Kombination aus Permethrin einmalig und Ivermectin. Das wiederholen wir dann, wie empfohlen, nach 7 bis 10 Tagen. Wenn sie schon mehrfach mit Permethrin vorbehandelt sind, überspringen wir diesen Schritt. Wir empfehlen, dass Permethrin für 12 Stunden auf der Haut belassen wird und nicht mehr nur 8 Stunden, wie früher empfohlen.» Bei deutlichem Befall an Händen und Füssen wird zudem empfohlen, diese an den nächsten 2 bis 3 Tagen weiter mit Permethrin über die Nacht zu behandeln. Ivermectin kommt zum Einsatz, wenn die Kinder mindestens 5 kg schwer sind – also meist ab einem Alter von etwa 2 Monaten – und es wird darauf geachtet, dass das Medikament nüchtern eingenommen wird. Wichtig ist zudem die analoge Therapie der Kontaktpersonen. Wenn diese asymptomatisch sind, dann erhalten sie nur eine Monotherapie mit Ivermectin, ansonsten auch die Kombinationstherapie. Wenn diese Massnahmen nicht zum Erfolg führen, kommen die Zweitlinientherapien zum Einsatz. Bei Säuglingen wird dann topisch Crotamiton an 5 aufeinanderfolgenden Tagen verwendet. Benzylbenzoat (10% bzw. 25%) kommt erst ab einem Alter von 1 Jahr an 3 aufeinanderfolgenden Tagen zum Einsatz, weil dieses Topikum in vereinzelten Fällen bei Säuglingen neurologische Probleme hervorgerufen hat. Zusätzlich erfolgt bei allen Altersgruppen die zweimalige orale Gabe mit Ivermectin zu Beginn sowie nach 7 bis 10 Tagen. Früher wurde teilweise noch ein Zwischenschritt gemacht, bei dem Permethrin an 3 Tagen hintereinander am ganzen Körper appliziert wurde, ebenfalls in Kombination mit Ivermectin. Dieser Schritt wird heute selten gemacht, weil es nicht viel Zusatznutzen gebracht hat, berichtete Theiler: «Wir würden es noch tun, wenn beispielsweise Benzylbenzoat sehr schlecht vertragen wird.» Nicht selten hat man es bei der Behandlung der Familien mit noch stillenden oder wieder schwangeren Müttern zu tun. In der Schwangerschaft werde der Einsatz von Permethrin und Benzylbenzoat als problemlos angesehen, so Theiler. Auch mit Ivermectin seien bisher keine relevanten Probleme beobachtet worden; allerdings werde Ivermectin bei Schwangeren nicht routinemässig, sondern nur bei starkem Befall eingesetzt. Bei Stillenden werden Permethrin und Ivermectin als sicher erachtet; dagegen sollte Benzylbenzoat vermieden werden. Vor allem dann, wenn kleine Kinder betroffen sind, ist eine Nachkontrolle nach Einschätzung von Theiler sehr wichtig. Diese Nachkontrolle sollte etwa 2 Wo-
chen nach Therapie mithilfe eines Dermoskops erfolgen, betonte der Experte: «Wenn man irgendwo eine Milbe findet, kann man gleich nochmal von vorne anfangen.»
Milben weg, Ekzem bleibt?
Säuglinge, deren Haut durch den Milbenbefall stark
ekzematisiert war, können auch nach erfolgreicher
Milbenabtötung noch für 6 bis 8 Wochen eine ju-
ckende Dermatitis aufweisen. Anfänglich kann es
auch schwer sein, dies von einem Therapieversagen
zu unterscheiden. Auch hierbei kann die Dermosko-
pie helfen. Eine antientzündliche Therapie kann hier
indiziert sein. Als infantile Acropustulose wird ein
Krankheitsbild bezeichnet, dass gemeinsam mit oder
nach einer Skabies, aber auch ohne diese vorkom-
men kann; sie ist durch eruptive Vesikel und Pusteln
palmoplantar gekennzeichnet. Ein solches Hautbild
sollte daher zum Anlass genommen werden, nach
einer Skabies zu suchen, betonte Theiler.
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Adela Žatecky
Referenzen: 1. Buettcher M et al.: National survey in Switzerland calls for improved diagnosis and
treatment in children with scabies. Swiss Med Wkly. 2023;153:40129. 2. Salavastru CM et al.: European guideline for the management of scabies. J Eur
Acad Dermatol Venereol. 2017;31(8):1248-1253. doi:10.1111/jdv.14351 3. Meyersburg D et al.: Loss of efficacy of topical 5% permethrin for treating scabies:
an Austrian single-center study. J Dermatolog Treat. 2022;33(2):774-777. doi:10. 1080/09546634.2020.1774489 4. Riebenbauer K et al.: Detection of a knockdown mutation in the voltage-sensitive sodium channel associated with permethrin tolerance in Sarcoptes scabiei var. hominis mites. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2023;37(11):2355-2361. doi:10.1111/jdv.19288 5. Meyersburg D et al.: Comparison of topical permethrin 5% vs. benzyl benzoate 25% treatment in scabies: a double-blinded randomized controlled trial. Br J Dermatol. 2024;190(4):486-491. doi:10.1093/bjd/ljad501 6. Riebenbauer K et al.: Comparison of Permethrin-Based Treatment Strategies against Scabies in Infants and Young Children. J Pediatr. 2022;245:184-189. doi:10.1016/j.jpeds.2022.02.016 7. Meyersburg D et al.: Comparison of topical benzyl benzoate vs. oral ivermectin in treating scabies: A randomized study. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2023;37(1):160-165. doi:10.1111/jdv.18573 8. Aussy A et al.: Risk factors for treatment failure in scabies: a cohort study. Br J Dermatol. 2019;180(4):888-893. doi:10.1111/bjd.17348 9. Levy M et al.: Ivermectin safety in infants and children under 15 kg treated for scabies: a multicentric observational study. Br J Dermatol. 2020;182(4):1003-1006. doi:10.1111/bjd.18369
Praxistipp:
Infoblätter zur Skabies in vielen Sprachen
Auf dem Portal des Setzer-Verlags kann man Infoblätter zu vielen Infektionserkrankungen – so auch zur Skabies – kostenlos als pdf-Versionen in vielen verschiedenen Sprachen downloaden:
Informationsblatt Scabies (Krätze) - tıp doc (setzer-verlag.com)
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