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BERICHT
Migränetherapie
Die «Neuen» erweitern das Arsenal erheblich
In den letzten Jahren galt das hauptsächliche Interesse der Therapie der medikamentösen Prophylaxe der Migräne. Trotzdem ist für die meisten Patienten die Akuttherapie noch wichtiger als die prophylaktische Therapie, zumal viele Betroffene auch nur Akutmedikation einsetzen. Die neuesten Erkenntnisse in der Behandlung der akuten und der chronischen Migräne fasste Prof. Dagny Holle-Lee, Leiterin Westdeutsches Kopfschmerz- und Schwindelzentrum, Universitätsklinikum Essen, an der Fortbildungsveranstaltung expanda zusammen.
In den letzten Jahren hat sich im Bereich Kopfschmerz- und Migränetherapie sehr viel getan. In den vergangenen Jahrzehnten musste die Migräne mit unspezifischen Prophylaktika wie Betablockern, Antidepressiva oder Antiepileptika behandelt werden, von denen niemand so recht weiss, warum sie gegen Migräne wirken. Mit dem Markteintritt der Anti-CGRP(calcitonin gene-related peptide)-Antikörper wurde eine spezifisch wirkende Therapie verfügbar. Hintergrund dafür ist der Umstand, dass CGRP während einer Migräneattacke ansteigt (1), dass sich mit einer CGRP-Infusion eine Migräneattacke auslösen lässt (2) und dass bei einer chronischen Migräne der CGRP-Spiegel erhöht bleibt (3). Eine Anti-CGRP-Behandlung wirke wahrscheinlich primär gegen die neurogene Entzündung und gegen die Hyperexzitabilität im Gehirn und erst in zweiter Linie auf die Vasodilatation, so Holle-Lee. Therapeutisch sind neben den Anti-CGRP-Antikörpern Galcanezumab, Fremanezumab und Eptinezumab auch der Anti-CGRP-Rezeptorantikörper Erenumab sowie neu nun auch ein Vertreter der CGRP-Antagonisten, Rimegepant, einsetzbar. Eine Studie verglich nun die Wirksamkeit und Sicherheit einer Therapie mit Galcanezumab und Rimegepant in der prophylaktischen Therapie der episodischen Migräne. In dieser doppelblinden, randomisierten, kontrollierten Studie erhielten 580 Teilnehmer, mehrheitlich Frauen, entweder Galcanezumab 120 mg/Monat nach einer initialen Dosis von 240 mg oder Rimegepant 75 mg jeden zweiten Tag. Der primäre Endpunkt war die 50-Prozent-Responder-Rate hinsichtlich der Migränetage nach 3 Monaten, verglichen mit den Migränetagen vor Studienbeginn. Als sekundäre Endpunkte galten Kopfschmerztage, Tage der Einnahme von Akutmedikation und die Lebensqualität, erhoben mit Fragebögen. Das Resultat zeigte im primären Endpunkt keinen Unterschied zwischen den beiden Substanzen. Auch hinsichtlich der sekundären Endpunkte waren keine signifikanten Unterschiede nachweisbar. Dennoch zeigt die Studie die gute Wirksamkeit von Galcanezumab und Rimegepant zur Prophylaxe der episodischen Migräne. Die Anzahl der Nebenwirkungen war in beiden Interventionsgruppen ähnlich (4). Basierend auf Metaanalysen schienen Gepante etwas schlechter zu wirken als Anti-CGRP-Antikörper. Das habe sich in der vorliegenden Studie nicht nachvollziehen lassen, so der Kommentar von Holle-Lee zu dieser Studie.
Eine andere Vergleichsstudie mit dem Anti-CGRP-RezeptorAntikörper Erenumab und dem unspezifischen Antimigränikum Topiramat (n = 777) zeigte hinsichtlich des primären Endpunkts «Verbleiben auf der Therapie» ein besseres Resultat für Erenumab: In der Erenumabgruppe hatten nach 24 Wochen nur etwa 10 Prozent der Patienten die Therapie gestoppt, während im Topiramat-Arm zu diesem Zeitprunkt knapp 39 Prozent die Therapie abgesetzt hatten. Der Unterschied war signifikant (5). Eine Therapie fortzusetzen beinhaltet mehrere Komponenten. Nebenwirkungen wie auch der Therapieeffekt entschieden massgeblich darüber, ob der Patient bei der Therapie bleibe, so Holle-Lee.
Akuttherapie: auch Gepante
Triptane sind noch immer Mittel der Wahl in der Therapie
der akuten Migräne. Ein relevanter Anteil der Patienten
scheint jedoch nicht auf Triptane anzusprechen. Das zeigte
eine Auswertung des deutschen Kopfschmerzregisters mit
Auskunftsdaten von 2284 Migränepatienten. Laut dieser
Analyse sprechen 42,5 Prozent der Patienten auf mindestens
1 Triptan nicht an, 13,1 Prozent auf mindestens 2 und 3,9
Prozent auf mindestens 3. Das beste Ansprechen zeigte sich
unter nasalem oder oralem Zolmitriptan, oralem Eletriptan
und subkutanem Sumatriptan (6). Für diese Patienten kön-
nen Gepante eine Alternative darstellen.
Allerdings besteht mit Triptanen wie auch mit NSAR das Risiko
für einen Medikamentenübergebrauchskopfschmerz, sodass
die Einnahme immer beschränkt werden muss. Für Gepante
gelte dies wahrscheinlich nicht, so Holle-Lee. Tierexperimentell
zeigte sich kein Hinweis, dass Gepante bei Medikamenten-
übergebrauch Kopfschmerz verursachen können (8).
Rimegepant als erster in der Schweiz verfügbarer Vertreter
der Gepante kann sowohl als Akutmedikation als auch als
prophylaktische Medikation eingesetzt werden. Somit kann
die Einnahme eines Gepants in der Akutphase sogar prophy-
laktische Wirksamkeit haben. Mit der weiteren Einnahme
jeden zweiten Tag nach der akuten Migräneattacke können
die Migränetage langfristig um durchschnittlich 6 Tage pro
Monat gesenkt werden (9).
s
Valérie Herzog
Quelle: «Kopfschmerz & Migräne», expanda, 26.–27. Januar 2024, virtuell.
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Referenzen: 1. Goadsby PJ et al.: The trigeminovascular system and migraine: studies
characterizing cerebrovascular and neuropeptide changes seen in humans and cats. Ann Neurol. 1993;33(1):48-56. doi:10.1002/ ana.410330109. 2. Lassen LH et al.: CGRP may play a causative role in migraine. Cephalalgia. 2002;22(1):54-61. doi:10.1046/j.1468-2982.2002.00310.x. 3. Cernuda-Morollón E et al.: Interictal increase of CGRP levels in peripheral blood as a biomarker for chronic migraine. Neurology. 2013;81(14):11911196. doi:10.1212/WNL.0b013e3182a6cb72. 4. Schwedt TJ et al.: Comparing the efficacy and safety of galcanezumab versus rimegepant for prevention of episodic migraine: results from a randomized, controlled clinical trial. Neurol Ther. 2024;13(1):85-105. doi:10.1007/s40120-023-00562-w. 5. Reuter U et al.: Erenumab versus topiramate for the prevention of migraine – a randomised, double-blind, active-controlled phase 4 trial. Cephalalgia. 2022;42(2):108-118. doi:10.1177/03331024211053571. 6. Ruscheweyh R et al.: Triptan non-response in specialized headache care: cross-sectional data from the DMKG Headache Registry. The Journal of Headache and Pain. 2023 24:135. 7. Dodick et al.: Urogepant for the treatment of migraine attacks during the prodrome: a phase 3, multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, crossover trial in the USA. Lancet. 2023;402(10419):23072316. doi:10.1016/S0140-6736(23)01683-5. 8. Saengjaroentham C et al.: Differential medication overuse risk of novel anti-migraine therapeutics. Brain. 2020;143(9):2681-2688. doi:10.1093/ brain/awaa211. 9. Fachinformation Vydura® (Rimegepant): www.swissmedic.ch. Letzter Abruf: 13.2.24.
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