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BERICHT
Familienplanung bei CED
Vor einer Schwangerschaft stets eine Remission anstreben
Foto: KD
Frauen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen können ohne Komplikationen eine Schwangerschaft durchlaufen. Voraussetzungen sollten jedoch eine stabile Remission und die Beachtung bestimmter Grundsätze hinsichtlich ihrer Medikation sein. Am Jahreskongress der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) in Stockholm berichteten Dr. med. Mette Julsgaard und Dr. med. Irit AvniBiron vom Universitätshospital Aarhus (DK), was zu beachten ist.
Patienten mit chronisch entzündlichen Darm-
erkrankungen (CED) sind häufig unzurei-
chend informiert, wenn es um Fragen zu Fami-
lienplanung und Schwangerschaft geht. So
gaben im Rahmen einer Studie mit rund 800
CED-Patientinnen und -Patienten 62 Prozent
der Frauen und 74 Prozent der Männer an,
noch nie hinsichtlich Fertilität/Schwanger-
schaft und ihrer Erkrankung beraten worden
Dr. med. Mette Julsgaard
zu sein. Nur 10 bis 13 Prozent hatten bislang eine Beratung von einem CED-Spezialisten er-
fahren. Tatsächlich würde eine präkonzeptio-
nelle fachliche Information nicht nur ein gesünderes Verhal-
ten nach sich ziehen, sondern auch das Outcome der Schwan-
gerschaft verbessern, erklärte Avni-Biron am ECCO in
Stockholm.
Medikamente während Konzeptionsphase
Insgesamt können die meisten Medikamente während der Konzeptionsphase weiter eingenommen werden (Tabelle 1). Allerdings ist bei Frauen Methotrexat kontraindiziert und
KURZ & BÜNDIG
� Eine gesunde Mutter ist die Gewähr für ein gesundes Baby. � Eine aktive Erkrankung während Konzeption und Schwan-
gerschaft birgt Gefahren für ein schlechtes Outcome. � Eine aktive CED sollte behandelt werden; wenn notwendig,
sollte eine Biologikatherapie begonnen werden. � Biologika sind als Erhaltungstherapie während der Schwan-
gerschaft empfohlen. � Kortikosteroide können zur Behandlung von Flares einge-
setzt werden, jedoch möglichst kurz und nicht als Erhaltungstherapie. � Small Molecules werden von den ECCO-Guidelines während Konzeption und Schwangerschaft nicht empfohlen.
sollte 3 Monate vor der Empfängnis unbedingt abgesetzt werden, da es teratogene Wirkungen zeigt und zum Tod des Fötus führen kann. Bei Männern sollte auf Sulfasalazin verzichtet werden, da es die Spermienmenge, -qualität und -beweglichkeit einschränkt. Zu den Small Molecules (Januskinase[JAK]-Inhibitoren plus Ozanimod) liegen bislang nur sehr wenige Erkenntnisse zu ihren Risiken hinsichtlich Konzeption und Schwangerschaft vor. Gemäss den ECCO-Guidelines sollten daher Small Molecules 4 Wochen vor einer Konzeption abgesetzt werden, und zwar sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Wie sollte jedoch beispielsweise bei einem männlichen CEDPatienten vorgegangen werden, dessen Therapien zuvor alle gescheitert waren und der nun unter einem JAK-Inhibitor (Tofacitinib) eine tiefe Remission erreicht hatte? «Es ist wichtig, dass die Patienten in Remission bleiben, da die aktive Erkrankung einen negativen Einfluss auf die Spermienbeweglichkeit und die Testosteronspiegel hat», sagte Julsgaard. Im konkreten Fall habe man gemeinsam mit dem Paar das Für und Wider eines Therapieabbruchs erörtert, dann aber beschlossen, die Behandlung während der Konzeptionsphase fortzuführen.
Aktive CED fördert schlechtes Outcome
Die freiwillige Kinderlosigkeit beträgt in der Allgemeinbevölkerung 6 Prozent, in der CED-Population hingegen 18 Prozent. Die Gründe für diese Unterschiede sind nicht zuletzt der mangelnden Information in Zusammenhang mit der Schwangerschaft bei CED-Patientinnen geschuldet. Aber auch chirurgische Eingriffe, das Alter und die Krankheitsaktivität selbst können auf dem Weg zur Elternschaft ein Hindernis für Frauen mit CED darstellen. So erhöht eine aktive Erkrankung während der Schwangerschaft das Risiko für einen ungünstigen Ausgang (Missbildungen, Frühgeburten, geringes Geburtsgewicht oder Totgeburten) um das 2- bis 5-Fache, wie in einer schwedischen Analyse von 140 000 Schwangerschaften deutlich wurde. Bemerkenswerterweise wurden vor allem bei den Totgeburten grosse Unterschiede zwischen den beiden wichtigsten CED-Entitäten festgestellt: Während bei Colitis ulcerosa ein Flare während der Schwangerschaft das
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Tabelle 1:
Überblick über medikamentenbedingte Risiken während der Konzeptionsphase
Wirkstoff1,2 Frauen Männer
Mesalazin*
Geringes Risiko
Geringes Risiko
Sulfasalazin
Geringes Risiko
Reversible Oligospermie & ↓ Spermienbeweglichkeit
Kortikosteroide
Geringes Risiko
Geringes Risiko
Metronidazol
Geringes Risiko
Geringes Risiko
Ciprofloxacin
Geringes Risiko
Geringes Risiko
Thiopurine
Geringes Risiko
Geringes Risiko (beeinträchtigt nicht die Spermienqualität, kann aber die
Spermienbeweglichkeit beeinträchtigen; kein 6-TGN in Spermien-DNA)3
Thiopurine + Allopurinol Limitierte Daten
Limitierte Daten
Anti-TNF
Geringes Risiko
Geringes Risiko (keine Beeinträchtigung von Spermienqualität und
-beweglichkeit, vernachlässigbare Mengen im Sperma)4
Vedolizumab
Geringes Risiko
Geringes Risiko (keine Beeinträchtigung von Spermienqualität und
-beweglichkeit, vernachlässigbare Mengen im Sperma)5
Ustekizumab
Geringes Risiko
Geringes Risiko (keine Beeinträchtigung von Spermienqualität und
-beweglichkeit, vernachlässigbare Mengen im Sperma)6
Methotrexat
Kontraindiziert
Geringes Risiko (keine Beeinträchtigung von Spermienqualität und
-beweglichkeit, vernachlässigbare Mengen im Sperma)7
Tofacitinib
Kontraindiziert
Keine Daten; Tierstudien: kein Einfluss auf Fertilität, Spermien-
beweglichkeit oder -konzentration
Upadacitinib
Kontraindiziert
Keine Daten; Tierstudien: kein Einfluss auf Fertilität, Spermien-
beweglichkeit oder -konzentration8
Filgotinib
Kontraindiziert
Limitierte Daten; Tierstudien: ↓ Fertilität, ↓ Spermatogenese &
histopathologischer Effekt → Humanstudien (MANTA & MANTA-Ray):
kein Einfluss auf Spermienparameter oder Sexualhormone9,10
Ozanimod
Kontraindiziert
Keine Daten; Tierstudien: kein Einfluss auf Fertilität, Spermien-
beweglichkeit oder -konzentration
6-TGN: 6-Thioguanin-Nukleotid *Mesalazinverbindungen: phthalathaltige Tabletten sind kontraindiziert aufgrund von • Risiko für Missbildungen des Urogenitaltrakts und • Risiko für verminderte Spermienqualität 1 Torres et al., ECCO Pregnancy Guideline, ICC 2023; 2 Hammami u. Mahadevan, Am J Gastroenterol 2020; 3 Grosen et al., JCC 2018; 4 Grosen et al., JCC 2019; 5 Grosen et al., Gastroenterology 2019; 6 Grosen et al., Inflamm Bowel Dis 2022; 7 Grosen et al., Inflamm Bowel Dis 2021; 8 «Use in pregnancy», AbbVie; 9 Reinisch W et al., Ann Rheum Dis 2023; 10 EMA 2023
Mortalitätsrisiko für die Babys nicht beeinflusste (wohl aber Frühgeburten und anderes), war es bei Morbus Crohn um das 4,5-Fache erhöht.
Abschätzung des Flare-Risikos
Die Risiken für solche Flares können abgeschätzt werden. Frauen, die in einer vorhergehenden Schwangerschaft eine Aktivierung der CED erfahren haben, besitzen ein 3-fach erhöhtes Risiko, erneut einen Flare zu erleiden. Dagegen ist dieses Risiko bei Frauen, die sich in einer früheren Schwangerschaft in Remission befunden hatten, kaum erhöht (Odds Ratio [OR]: 0,4). War die Erkrankung bereits 6 Monate vor und während der Empfängnis aktiv, muss sogar mit einem 5-fach erhöhten Risiko für eine Krankheitsaktivierung während der Schwangerschaft gerechnet werden (OR: 5,3). Hatte
Das absolute Risiko für ein Kind, später selbst einmal an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED) zu erkranken, ist mit 3 Prozent (wenn die Mutter betroffen ist) resp. 2 Prozent (wenn der Vater betroffen ist) relativ gering. Leiden allerdings beide Elternteile unter einer CED, steigt das Risiko für das Kind, ebenfalls eine CED zu entwickeln, auf 36 Prozent.
man bis zur Konzeption hingegen eine Remission erreicht, sank dieses Risiko fast wieder auf das Niveau desjenigen von nicht betroffenen Frauen (OR: 0,4). Insgesamt ist das Flare-Risiko für Crohn-Patientinnen (OR: 0,4) während der Schwangerschaft deutlich geringer als für Colitis-ulcerosaPatientinnen (OR: 2,6). Gründe könnten einerseits in einer veränderten Immuntoleranz bei Colitispatientinnen während der Schwangerschaft liegen, andererseits könne auch die allgemein schlechtere Adhärenz bei Colitisbetroffenen verantwortlich sein, so Julsgaard. «Die Schlüsselbotschaft ist klar: Eine Schwangerschaft schützt nicht gegen Krankheitsaktivität, im Gegenteil: Sie erhöht die Wahrscheinlichkeit für ein negatives Outcome.» Deshalb, so ihr Rat, solle man stets eine 6-monatige steroidfreie Remission vor der Konzeption anstreben. Wie lässt sich eine aufkommende Krankheitsaktivität während der Schwangerschaft frühzeitig detektieren? Bestimmte physiologische Parameter, die als Biomarker für eine CED-Erkrankung herangezogen werden, wie zum Beispiel C-reaktives Protein (CRP), Erythrozytensedimentationsrate (ESR) oder Albumin, verändern sich auch während einer normalen Schwangerschaft. Dagegen bleibt das fäkale Calprotectin während der Schwangerschaft einer gesunden Frau unverändert. Calprotectin ist daher ebenso wie intestinaler Ultra-
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Tabelle 2:
Was sind Effekte von Medikamenten auf die Schwangerschaft?
Wirkstoff Mesalazin Sulfasalazin (+ Supplement mit 2 mg Folat/Tag) Kortikosteroide Metronidazol Ciprofloxacin Thiopurine Thiopurine + Allopurinol Anti-TNF Vedolizumab Ustekinumab Methotrexat Tofacitinib Filgotinib Ozanimod Upadacitinib*
Während Schwangerschaft Geringes Risiko Geringes Risiko
Geringes Risiko Geringes Risiko Meiden im 1. Trimester Geringes Risiko Limitierte Daten Geringes Risiko Geringes Risiko Geringes Risiko Kontraindiziert Meiden Meiden Meiden Meiden
nach Torres et al., ECCO Pregnancy Guideline 2023 * nicht enthalten in ECCO-Guideline
schall und die Endoskopie ein effektives Werkzeug zur Bestimmung der Krankheitsaktivität.
Biologika beibehalten
Gemäss den ECCO-Guidelines sollte bei Frauen mit aktiver Erkrankung die Therapie mit Biologika während der Schwangerschaft ohne Unterbrechung beibehalten werden. Befindet sich die werdende Mutter in stabiler und lang anhaltender Remission, wird nicht empfohlen, vor dem 3. Trimester der Schwangerschaft die Biologikatherapie zu beenden. Hat eine Frau in stabiler Remission jedoch den Wunsch, ihre Biologikatherapie vor dem 3. Trimester zu beenden, sollte kurz nach der Geburt die Behandlung wiederaufgenommen werden. Insgesamt ist bei einer Therapie mit Biologika mit einer normalen Schwangerschaft und mit gesunden Kindern zu rechnen. Im Gegensatz zu Infliximab, dessen Medikamentenspiegel während des 2. und 3. Trimesters bei der Mutter abnehmen, wurde bei Adalimumab bis zur Geburt bei Mutter und Kind keine Reduktion der Wirkspiegel festgestellt. Bei Infliximab, Adalimumab und Ustekinumab waren bei den Kindern zum Zeitpunkt der Geburt im Vergleich zu den Müttern sogar erhöhte Wirkspiegel zu verzeichnen. Hingegen zeigte sich bei Vedulizumab der Wirkspiegel bei Kindern im Vergleich zu demjenigen bei Müttern um die Hälfte reduziert. Dabei sei entscheidend, dass das Niveau des Wirkspiegels bei Kindern nach der Geburt nicht mit möglichen Infektionen korreliert gewesen sei, erklärte Julsgaard. Insgesamt sind ihrer Ansicht nach beim Einsatz von Biologika während der Schwangerschaft die Vorteile einer stabilen Remission als wichtiger zu bewerten als mögliche Risiken einer Behandlung.
Medikamente während der Schwangerschaft
Die meisten CED-Medikamente können während der Schwangerschaft weiter verwendet werden, mit der wichtigen Ausnahme von Methotrexat (Tabelle 2). Zudem solle versucht werden, Small Molecules zu vermeiden, sagte Julsgaard. Erfahren die Frauen während ihrer Schwangerschaft einen Flare, dürfen gemäss den ECCO-Guidelines 5-Aminosalicylsäure (5-ASA), Steroide, Cyclosporin, TNF(Tumornekrosefaktor)-Hemmer, Ustekinumab oder Vedolizumab eingesetzt werden. Wurde eine Frau schon vor der Konzeption mit Thiopurinen behandelt, kann diese Therapie fortgesetzt werden. Allerdings sollte eine Behandlung mit solchen Medikamenten nicht während der Schwangerschaft begonnen werden. Auch ein Steroideinsatz während der Schwangerschaft erhöht das Risiko für perinatale Effekte, wie vorzeitige Geburt oder geringeres Geburtsgewicht bei den Kindern. Wie aus dem US-amerikanischen PIANO Registry hervorgeht, kommt es insgesamt durch Steroide zwar nicht zu vermehrten Infektionen in den ersten 12 Lebensmonaten des Babys, jedoch waren mehr Säuglinge, deren Mütter im 2. und 3. Trimester Steroide erhalten hatten, nach 9 und 12 Monaten von Infektionen betroffen. Die gute Nachricht: Es konnten bei Steroideinsätzen weder gehäuft Fehlbildungen noch neurokognitive Defizite bei den Kindern beobachtet werden. Können also Steroide genutzt werden oder nicht? Unter dem Eindruck, dass Krankheitsaktivität der stärkste Prädiktor für ein schlechtes Schwangerschafts-Outcome ist, sagte die Expertin: «Ja, wir können. Aber immer nur in einer intelligenten Art und Weise und niemals als Erhaltungstherapie.»
Small Molecules? Nein, aber …
Prinzipiell sollten Small Molecules während eine Schwanger-
schaft nicht verwendet werden, da bis heute dazu nur sehr
wenige Daten existieren. In Tierversuchen zeigten sich jedoch
kongenitale Schäden und erhöhte Mortalitätsraten der
Föten. Allerdings lagen bei diesen Versuchen die Dosierun-
gen von Tofacinib 6-fach über den bei Menschen üblichen.
Wurden die für den Menschen empfohlenen Dosierungen
eingesetzt, konnten solche Schäden unter Tofacinib nicht
festgestellt werden. Dagegen zeigten sich unter Upacitinib,
Filgotinib und Ozanimod schon bei humaner Dosierung
kongenitale Malformationen respektive fetale Mortalitäten
(Filgotinib und Ozanimod) bei den Tieren. Daher sollte die
Behandlung mit JAK-Inhibitoren beziehungsweise Small
Molecules spätestens 4 Wochen vor einer Empfängnis ge-
stoppt werden. Dies sei jedoch die Theorie, eine andere Sache
sei das ‹real life›», so Julsgaard. So seien in 2 neueren Real-li-
fe-Studien aus Kanada und Tschechien beim Einsatz von
Tofacitinib bei Frauen mit CED keine Sicherheitssignale re-
gistriert worden, die Kinder seien normal und ohne Neben-
wirkungen zur Welt gekommen, berichtete Julsgaard und
fügte an: «Wir brauchen deshalb wirklich mehr Real-world-
Daten.»
s
Klaus Duffner
Quelle: Jahrestagung der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO), Session 4: Clinical perspective – the familiy planning patient, Vortrag Mette Julsgaard und Irit Avni-Biron: Clinical perspective – the familiy planning patient, Stockholm, 23. Februar 2024.
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