Transkript
Neue Therapien/Kongressbericht
8th Congress of the European Federation of IASP® Chapters (EFIC®)*, Florenz, 9. bis 12. Oktober 2013
Krebsschmerz
Klärungen im Management bei Durchbruchschmerz
Zusätzlich zum relativ konstanten tumorbedingten Hintergrundschmerz, welcher mit Opioidtherapie nach der Uhrzeit weitgehend kontrolliert werden kann, erleiden 30 bis 40% der Krebspatienten wiederholte Episoden von Durchbruchschmerz. Die besonderen Herausforderungen im Schmerzmanagement und die Rolle der transmukosalen Fentanylpräparate wurden beim EFIC*-Kongress in Florenz diskutiert.
Wie Dr. med. Andrew Davies, Guildford/ Grossbritannien, betonte, wird Durchbruchschmerz bei Krebspatienten (= transient breakthrough cancer pain, BTcP) definiert als vorübergehende, sehr heftige Schmerzattacke, die entweder spontan oder abhängig von spezifischen oder unspezifischen (nicht vorhersagbaren) Triggern ausgelöst wird – trotz des therapeutisch adäquat kontrollierten Hintergrundschmerzes. Damit besteht ein wesentlicher Unterschied zum sogenannten Hintergrundschmerz sowie zum Schmerz während der Opioiddosistitration respektive am Ende des Opioiddosisintervals. Unter der konventionellen oralen Opioidtherapie nach der Uhrzeit kann die Schmerzkontrolle dennoch schwierig werden, da es zu Schmerzspitzen kommen kann, bevor effektive analgetische Konzentrationen durch das orale Opioid erreicht werden.
Neue Studie evaluiert typische Symptomatik
Davies präsentierte die Ergebnisse einer neuen Untersuchung mit 1000 europäischen Krebspatienten mit BTcP (1). Die Patienten wurden mittels Schmerzfragebogen identifiziert und dann befragt, wie sie den Durchbruchschmerz und die Be-
* The European Pain Federation (EFIC®) is a multidisciplinary professional organisation in the field of pain research and medicine, consisting of the 36 chapters of the International Association for the Study of Pain (IASP®), which are the IASP approved official National Pain Societies in each country. Established in 1993, EFIC’s constituent chapters represent Pain Societies from 36 European countries and close to 20 000 physicians, basic researchers, nurses, physiotherapists, psychologists and other healthcare professionals across Europe, who are involved in pain management and pain research.
einträchtigung im Alltag durch die Schmerzattacken erleben. In der Befragung ergaben sich folgende Resultate:
Häufigkeit/Schmerzstärke Spontane oder auch inzidenzielle (= ohne Trigger) BTcP bestanden bei mehr als 40% der Patienten (bei 14% bestanden beide Arten des BTcP). Im Durchschnitt kam es zu 3 BTcP-Episoden täglich, die Häufigkeit steigerte sich mit verschlechtertem Allgemeinzustand. Die mittlere Zeit vom Beginn bis zu Spitzenwerten der Schmerzsymptomatik betrug 10 Minuten (Range: < 1–240 min). Der inzidenzielle BTcP setzte tendenziell schneller ein (median 5 min) und war kürzer mit median 45 Minuten (Range: < 1–360 min). Beim spontanen BTcP betrugen die mittleren Zeitwerte 10 Minuten (< 1–240 min) respektive 60 Minuten (< 1–360 min). Rund 62% der Patienten beurteilten die Schmerzausprägung als schwer und weitere 34% als mittelschwer.
Beeinträchtigung im Alltag Der Durchbruchschmerz hatte erwartungsgemäss einen ausgeprägt negativen Einfluss auf die Lebensqualität – in der Studie bei 80% der Betroffenen – sowie auf die Bewältigung von Alltagsaktivitäten: In der Studie konnten 6,5% ihre normalen Aktivitäten nicht weiterführen, vor allem Patienten mit inzidenziellem BTcP. Auf der Schmerzskala betrugen die mittleren Werte 5 bis 8; bei inzidenziellem Schmerz lagen die Werte am höchsten. Patienten mit spontanem BTcP hatten dagegegen mehr Stimmungsschwankungen und Schlafprobleme. Verschlechterungen von zwischen
menschlichen Beziehungen waren in beiden Gruppen gleich ausgeprägt.
Durchbruchschmerz meist inadäquat behandelt Die Studie zeigte, dass Durchbruchschmerz bei Krebspatienten oft untertherapiert respektive inadäquat behandelt wird. Fast ein Viertel der Studienteilnehmer gab an, über kein Therapeutikum zu verfügen, das ihren BTcP effektiv lindern konnte, das waren überwiegend diejenigen, die an spontan auftretenden Schmerzattacken litten. Von den Patienten, die über eine Interventionsmöglichkeit verfügten, verwendeten nur 29% eine Bedarfsmedikation (rescue medication), hauptsächlich orale Opioide. 23% nahmen eine nicht pharmakologische Massnahme (v.a. Bettruhe, Wärme) in Anspruch, 12% eine Kombination beider Interventionen. In fast allen Fällen bestand die Bedarfsmedikation aus den Opioiden, die zur Kontrolle des Hintergrundschmerzes verwendet wurden; nur 20% erhielten zusätzlich ein transmukosales Fentanylpräparat, welches für die Linderung von BTcP zugelassen ist. Der mediane Beginn der Schmerzlinderung unter der gewohnten Medikation betrug 20 Minuten, die Dauer bis zur maximalen Schmerzlinderung 30 Minuten, was zeigte, dass vielfach ein Missverhältnis zwischen Bedarf und den analgetischen/pharmakologischen Profilen der verwendeten Medikation besteht. Der Referent betonte, dass die heterogene Natur des BTcP und die individuellen Unterschiede bei den Schmerzpatienten eine sorgfällige Evaluation erforderten, damit die adäquate Therapie gefunden werden könne.
Auf dem Weg zum individuell optimalen Schmerzmanagement
Prof. Kris Vissers, Nijmegen/Niederlande, ergänzte, dass im Management von Krebsschmerz immer eine ganze Reihe zugrunde liegender und begleitender Faktoren zu berücksichtigen seien. Beispielsweise: Handelt es sich um Schmerz
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Neue Therapien/Kongressbericht
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aufgrund des Primärtumors, der Metastasen, der diagnostischen oder therapeutischen Prozeduren, des fortgeschrittenen Krebsstadiums? Soziale, psychologische und somatische Faktoren sind in die therapeutischen Überlegungen immer mit einzubeziehen. Er fordert daher – unter Einschluss der analgetischen Stufenleiter der WHO bei Krebsschmerz – einen Therapiealgorithmus, der evidenzbasiert die aktuellen Guidelines reflektiert, sich in der klinischen Praxis anwenden lässt, stufenweise vorgeht und dabei auch den Durchbruchschmerz mit einbezieht.
Transmukosale Fentanylformulierungen In diesem Rahmen sei unter den verfügbaren, schnell wirksamen transmukosalen Fentanylformulierungen mit ihren pharmakokinetischen Unterschieden das individuell jeweils günstigste Präparat je nach Profil des BTcP auszuwählen, betonte Dr. med. John Zeppetella, Hastingwood/Grossbritannien. Das Ausmass und die Schnelligkeit der Schmerzlinderung sind die wesentlichen Kriterien für einen Grossteil der Patienten. Gemäss einer neuen europäischen Studie (2) wünschen 47% der Betroffenen totale Schmerzfreiheit und 44% raschen Wirkbeginn. Ein kürzlich publiziertes Cochrane-Review von 15 Studien mit insgesamt 1700 Patienten bestätigt die Wirksamkeit des transmukosalen Fentanyls. Die aktuelle Guideline bei BTcP der European Association for Palliative Care empfiehlt folgendes Vorgehen: L Unkontrollierter Durchbruchschmerz
sollte mit einer adäquaten Titration
von Opioiden nach Uhrzeit (around the clock opioides) weitgehend gelindert werden, bevor potente Bedarfsopioide eingesetzt werden. L BTcP kann dann wirksam mit bukkalen oder intranasalen Fentanylpräparaten oder mit oralen, schnell wirksamen Opioiden kontrolliert werden. L In einigen Fällen sind bukkales und intranasales Fentanyl aufgrund ihres schnelleren Wirkbeginns und ihrer kürzeren Wirkdauer vorzuziehen. Gemäss Zeppetella kann weiter personalisiert vorgegangen werden, beispielweise: L Orales transmukosales Fentanylcitrat eignet sich für Patienten, bei denen der Durchbruchschmerz typischerweise vorhersehbar ist, relativ langsam einsetzt und lang andauert. Die Wirkspitze wird nach zirka 60 Minuten erreicht. L Fentanyl-Bukkaltabletten eignen sich für nicht vorhersehbare Schmerzepisoden mit schnellem Beginn und kurzer Dauer. Effektive Wirkkonzentrationen werden nach wenigen Minuten und die Wirkspitze wird nach 30 Minuten erreicht. Bisher gibt es keinen Goldstandard zur Therapie bei BTcP. Es komme deswegen darauf an, für jeden Patienten nach Evaluierung des Schmerzes das am besten geeignete Medikament mit zeitlich optimaler Applikation zu finden, betonte der Referent. Während der Paneldiskussion wurde festgehalten, dass eine Tolerenzentwicklung und ein Abusus bei schnell wirksamen Opioiden sehr selten sind. Allerdings seien regelmässige Re-Evaluierungen des Durchbruchschmerzes ganz wichtig.
Problem: Umsetzung der Opioidguidelines in der Praxis
Trotz vorhandener Guidelines zur
Opioidverordnung in zahlreichen Län-
dern hapert es vielfach mit der konse-
quenten Umsetzung und der adäquaten
Aufklärung im klinischen Alltag. Eine (3)
von zwei vorgestellten schottischen Stu-
dien befragte Patienten, die starke Opioi-
de erhielten: 53% der Betroffenen erhiel-
ten diese von ihrem Allgemeinarzt, die
anderen von einem Klinikarzt. Etwa die
Hälfte hatte Diskussionen über Langzeit-
nebenwirkungen, Toxizität und Über-
dosis, weniger über die Anwendung. Die
andere Studie (4) befragte Allgemeinärz-
te in Schottland. Sie kam zum Schluss,
dass, obwohl fast alle Ärzte starke Opioi-
de verordneten, nur 38% die Guidelines
kannten und nur 56% Patienten vor einer
Therapiewahl stratifizierten.
L
Bärbel Hirrle
Die Berichterstattung entstand ohne inhaltliche Einflussnahme aufgrund von Kongressunterlagen von Teva Pharma.
Quelle: Kongressresümee Highlights from EFIC® 2013.
Referenzen:
1. Davies A, et al. J Pain Symptom Manage 2013; 46: 619–28.
2. Caraceni A, et al. J Natl Compr Canc Netw 2013; 11. 3. Bashir U, et al. Poster presented at the 8th Congress of EFIC® 2013. 4. Singh PA, et al. Poster presented at the 8th Congress of EFIC® 2013.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE 1/2014
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