Transkript
Brennpunkt
Gerechter Zugang zu Krebsmedikamenten – vom Problem zur Lösung
Der sogenannte Off-Label-Use (OLU) von Krebsmedikamenten ist in der Schweiz häufig und wird weiter zunehmen. Die von der Krebsliga Schweiz in Auftrag gege-
rinnen und Autoren empfehlen, folgende Ziele und Stossrichtungen zu prüfen und weiter zu konkretisieren:
bene und kürzlich veröffentlichte Studie von INFRAS liefert erstmals Zahlen zum
▲ Eindämmung der OLU-Fälle: Die
Ausmass in der Schweiz: Es geht um bis zu 20 000 OLU-Behandlungen pro Jahr respektive um rund ein Drittel aller Krebspatientenfälle. Problematisch ist die un-
Vereinfachung der Zulassung bei Indikationserweiterungen sowie die Möglichkeit, dass diese auch von
einheitliche Vergütung solcher Therapien durch die Krankenversicherer.
Dritten (z. B. Ärzten oder Fachgesellschaften) beantragt werden kann.
▲ Vereinheitlichung der Nutzenbewer-
Die aktuelle Regelung ist unbefriedigend stationären Bereich off-label eingesetzt
tung: Die Einführung eines für alle
und die Situation für viele Patienten mit werden, oder Off-Label-Leistungen, die
Versicherer verbindlich geltenden
Krebs ungerecht, da ihnen eine potenzi- für die Krankenkasse nicht als solche
Modells zur Nutzenbewertung, um
ell wirksame Therapie vorenthalten wird, ersichtlich oder unbedeutend sind.
die Gleichbehandlung in vergleichba-
während sie in anderen Fällen vergütet Gemäss Angaben der befragten Versi-
ren Fällen zu gewährleisten (Bran-
wird. Die Studie skizziert Lösungswege, cherer werden OLU-Fälle grossmehrheit-
chenmodell). Die Schaffung eines un-
wie der OLU eingedämmt, die Nutzen- lich (80–99%) vergütet, während bei 1 bis
abhängigen Expertengremiums für
bewertung standardisiert und die Vergü- 20% der Fälle die Kostenübernahme ab-
verbindliche Entscheide zu (sehr) sel-
tung schweizweit einheitlich geregelt gelehnt wird. Konkrete, systematisch er-
tenen Fällen, die mit dem Nutzenbe-
werden können. Oberstes Ziel ist ein si- fasste Zahlen dazu fehlen jedoch bislang.
wertungsmodell nicht bestimmt wer-
cherer und gerechter Zugang zu Krebs-
den können.
medikamenten für alle.
Konkrete Lösungsansätze
▲ Regelung der Finanzierung der Vergü-
«Mit dieser Studie wollen wir einerseits weisen den Weg
tung: Eine höhere Beteiligung der
Fakten liefern, um Öffentlichkeit und Poli- Die Mehrheit der von INFRAS befragten
Pharmafirmen an den Kosten für Off-
tik für die Problematik zu sensibilisieren. Expertinnen und Experten anerkennt,
Label-Medikamente, um eine nutzen-
Andererseits wollen wir Lösungen anstos- dass bei OLU in der Onkologie Hand-
orientierte Vergütung sicherzustellen.
sen, um zusammen mit den beteiligten Akteuren das Problem zu entschärfen. Denn die aktuelle Situation ist unhaltbar für die Betroffenen und unbefriedigend für uns Ärzte», meint Prof. Dr. med. Jakob
lungsbedarf besteht. Die Studie enthält daher eine Auslegeordnung möglicher Lösungsansätze sowie eine erste Beurteilung der Vorschläge – auch mit Blick auf Erfahrungen aus dem Ausland. Die Auto-
Medienmitteilung Krebsliga Schweiz (Zusammenfassung) 7. Juni 2013
Weitere Informationen: www.krebsliga.ch/olu
R. Passweg, Chefarzt Hämatologie am
Universitätsspital Basel und Präsident der Krebsliga Schweiz, zusammenfassend.
Begriffe und Definitionen
Die Behandlung mit einem Medikament gilt als Off-Label-Use (OLU) im engeren Sinne,
Schätzungsweise bis zu 20 000 OLU-Fälle jährlich Die INFRAS-Studie basiert auf einer um-
wenn dieses von Swissmedic zugelassen ist und auf der Spezialitätenliste des BAG steht, die Anwendung aber ausserhalb der von Swissmedic zugelassenen Fachinformation erfolgt (Indikation, Dosierung, Patientengruppe, technisch-pharmazeutische Vorgaben). OLU im weiteren Sinne umfasst neben OLU im engeren Sinne auch Off-Limitation-Use und Hors-Liste sowie
fassenden Literatur- und Dokumentenre- Unlicensed-Use und Compassionate-Use.
cherche, der Analyse von OLU-Daten von mehreren Krankenkassen sowie einer
Off-Limitation-Use unterscheidet sich von OLU im engeren Sinne (i.e.S.) dadurch, dass die Anwendung innerhalb der von Swissmedic zugelassenen Fachinformation, aber ausserhalb
qualitativen Befragung von 23 Vertrete- der vom BAG zugelassenen Limitation erfolgt. Hors-Liste-Medikamente sind im Gegensatz zu
rinnen und Vertretern aus Ärzteschaft, Versicherern, Behörden, Pharmaunter-
OLU i.e.S. und Off-Limitation (noch) nicht in die SL aufgenommen, Unlicensed-Use- und Compassionate-Use-Medikamente sind auch (noch) nicht von Swissmedic zugelassen.
nehmen und Fachgesellschaften. Die
Grundlage für den Entscheid der Versicherer, ob sie ein OLU-Medikament vergüten und falls
Studie schätzt die Zahl der OLU-Fälle im ja, in welchem Umfang, bildet Art. 71a/b der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV),
Krebsbereich in der Schweiz auf 7000 bis 10 000 Fälle pro Jahr, wobei diese Zahl in der Realität deutlich höher sein dürfte. Gemäss Angaben der Versicherer werden zirka 50% der OLU-Fälle gar nicht erfasst. Dazu zählen Medikamente, die im
der vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) am 1. März 2011 eingeführt wurde. Voraussetzung für die Übernahme ist, dass vom Arzneimittel ein grosser therapeutischer Nutzen erwartet wird und keine therapeutische Alternative verfügbar ist, oder dass das Medikament unerlässlich für die Durchführung einer anderen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) übernommenen Behandlung ist. Off-Limitation und OLU i.e.S. werden in Art. 71a KVV geregelt und Hors-Liste und Unlicensed-Use in Art. 71b KVV.
SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE KONGRESSAUSGABE SEPTEMBER 2013
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