Transkript
E-HEALTH – DIGITALISIERUNG IM GESUNDHEITSWESEN
Hausarztmangel in ländlichen Regionen
Digitales Pilotprojekt zeigt Optimierungspotenzial für die Gesundheitsversorgung
Hausärzte sind Mangelware, vor allem auf dem Land. Doch wie kann man dem dramatischen Hausärztemangel in ländlichen Regionen entgegenwirken? Und wie können digitale Lösungen dazu beitragen, die Grundversorger zu entlasten und die Gesundheitsversorgung zu verbessern? Eine Antwort auf diese Fragen gibt das Beispiel eines deutschen Gesundheitsnetzwerks aus der Bodenseeregion.
Das Gesundheitsnetzwerk BioLAGO aus der Vierländerregion Bodensee hat im Landkreis Konstanz ein digitales Pilotprojekt mit 80 Bluthochdruckpatienten entwickelt. Diese haben sechs Monate lang ihre Werte zu Hause gemessen und über eine App automatisch an ein Telemedizinzentrum oder direkt an den Hausarzt übermittelt. Das Pilotprojekt wurde vom Kreistag des Landkreises gefördert. Ziel ist es, die Gesundheitsversorgung der älteren Bevölkerung im ländlichen Raum durch digitale Anwendungen nachhaltig zu optimieren und vor allem Akutereignisse und Krankenhauseinweisungen durch digitales Monitoring zu reduzieren. Die Auswertung der ersten Ergebnisse zeigt einen positiven Trend.
Deutlich weniger Entgleisungen
Der Hausarzt Dr. med. Christian Leitz ist Projektpartner der ersten Stunde. Die Werte von zwanzig Hypertoniepatienten aus seiner Praxis in Steißlingen wurden von Januar bis Juni 2023 per Telemonitoring vom telemedizinischen Zentrum der Firma alcare, Wil, überwacht. Er war zwar zunächst skeptisch, ob seine tägliche Arbeitsbelastung die Teilnahme an einem solchen Pilotprojekt überhaupt erlaube, wollte aber
diesen innovativen Versorgungsansatz zur Entlastung der Landärzte gern unterstützen. Und er war neugierig. Die Tatsache, dass seine Patienten ausserhalb der Sprechstunde von einem telemedizinisch erfahrenen Team begleitet werden, er aber als Hausarzt für die Medikation und Therapie verantwortlich bleibt, hat ihn überzeugt. Auch die Rekrutierung der Patienten war dank guter Infoblätter des Gesundheitsnetzwerks im Praxisalltag nicht allzu zeitaufwendig. Und für die Patienten kann die daraus resultierende zusätzliche Absicherung ein gutes Argument für die Teilnahme sein – (beängstigende) Blutdruckschwankungen halten sich nicht immer an die Praxiszeiten. Fällt beim Telemonitoring etwas auf, kann zunächst nachgefragt und geprüft werden, ob tatsächlich Handlungsbedarf besteht. Ausserdem erhalten die involvierten Ärzte vor Ort jeden Monat ein Protokoll, anhand dessen sie die jeweilige Medikation bei Bedarf leichter nachjustieren können. Dass sich das positiv auswirkt, konnte objektiviert werden, wie Prof. Christiane Brockes, alcare, berichtete: Gab es im ersten Monat noch 7,4 Entgleisungen pro Patient, waren es am Ende nur noch 2,3 – eine beachtliche Reduktion um 69 Prozent. Insgesamt wurden bei den 20 Patienten über 7200 Messungen durchgeführt.
E-Health – von der Therapie zur Prävention
Smarte Technologien und Gesundheitsservices haben einen enormen Stellenwert erreicht. Dank entsprechender Sensorik ist die orts- und zeitunabhängige Erhebung von Aktivitäts- und Vitalparametern möglich. Eine kontinuierliche telemedizinische Überwachung der Daten ermöglicht nicht nur das zeitnahe Reagieren in Notfallsituationen, sondern trägt auch zur Prävention von Erkrankungen bei. Aktuelle Ergebnisse von langfristig angelegten Studien zeigen, dass dank Telemedizin sowohl die Sterblichkeit als auch die Rehospitalisationsrate um ein Drittel reduziert werden. Davon profitieren: Patienten mit akuten und chronischen Erkrankungen, mit Risikofaktoren und sehr wohl auch Jüngere, die ihre Gesundheit und Lebensqualität analysieren und optimieren möchten. Die Aussicht auf mehr Sicherheit und Lebensqualität ist eine potente Triebfeder: Telemedizinprogramme für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz sind ab 01.04.24 im Anhang 1 der Krankenpflege-Leistungsverordnung aufgenommen und werden vergütet. Weiteres wird folgen. Es geht darum, sich jetzt auf die telemedizinische Versorgung vorzubereiten und sie zu implementieren.
Christiane Brockes
Zusätzliche Sicherheit
Auch für ältere Patienten kann die ergänzende telemedizini-
sche Betreuung mit entsprechender Begleitung in technischen
Belangen eine praktikable Lösung sein, bestätigt eine 80-jäh-
rige Hypertoniepatientin, die von Anfang an dabei war. In
einem Fall wurde sie auf einer Wochenendreise sogar aus der
Schweiz telemedizinisch bis in die Notaufnahme des nächst-
gelegenen Krankenhauses begleitet. Auch für sie war es wich-
tig zu wissen, dass alle medizinischen Entscheidungen mit
dem Hausarzt abgesprochen waren – und sie bedauert, dass
dieser zusätzliche «Sicherheitskäfig» mit dem Ende des Pro-
jektes zunächst wieder wegfällt.
BioLAGO-Projektleiter Carlos Lange-Prollius ist überzeugt,
dass ein solches Projekt derzeit nur mit entsprechender Unter-
stützung durch öffentliche Gelder realisierbar ist. Wichtige
Faktoren für den Erfolg seien die persönliche Betreuung sowie
definierte und verlässlich erreichbare Ansprechpartner auf
allen Seiten, sind sich alle Beteiligten einig.
Mü s
Quelle: https://www.biolago.org/de/blog/details/digitales-biolago-pilotprojekt-optimiert-gesundheitsversorgung-im-landkreis-konstanz.html
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