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15th European Congress of Endocrinology (ECE), Kopenhagen, 27. April bis 1. Mai 2013
Neuroendokrine Tumoren (NET)
Der Weg zur individuellen Behandlung
Gastro-entero-pankreatische, neuroendokrine Tumoren (GEP-NET) stellen eine heterogene Gruppe von Tumoren dar, deren Klassifizierung über die letzte Dekade mehrfach revidiert wurde. Für die metastasierte und/oder nicht resektable Erkrankung wurden zielgerichtete Therapien eingeführt; neue Substanzen und Kombinationen werden in laufenden Studien untersucht. Auf der europäischen Endokrinologentagung führten Experten durch das Labyrinth der NET-Problematik.
Kürzlich wurden die WHO-Klassifizierung (2010) und neue TNM-Stadieneinteilungen der ENETS (2012) und der UICC (2011) veröffentlicht. Die WHO-Klassifikation (1) unterscheidet neuroendokrine Tumoren (NET) mit gut differenzierter Morphologie und malignem Potenzial und neuroendokrine Karzinome (NEC) mit schlecht differenzierter Morphologie. Diese Unterteilung wird ergänzt durch das Grading der Tumoren mithilfe der immunhistologischen Ki67Färbung und Mitosezahl (2): G1 bei Ki67 ≤ 2%, G2 bei Ki67 3 bis 20% und G3 mit Ki67 > 20%. Eine Anhebung des Cut-off von 2% auf 5% Tumorproliferation könnte laut aktuellen Studien die prognostische Aussage bei den pankreatischen NET stärken (3). Auch ein Anheben der oberen Marke von > 20% auf > 55% könnte von praktischer Relevanz sein (4). Die Kriterien zum Staging variieren je nach Ursprungsorgan. Die TNM-Stadieneinteilung wird von ENETS (2) und UICC/AJCC (5) bei Magen, Duodenum, Jejunum/Ileum und Kolon/Rektum ähnlich gehandhabt. Für Appendix und Pankreas unterscheiden sich die Einteilungen. Aldo Scarpa, Verona (Italien), verwies auf zwei aktuelle Untersuchungen an 274 respektive 1072 Patienten mit pNET, bei denen sich die ENETS-TNMStadieneinteilung gegenüber dem System der UICC/AJCC als überlegen zeigte (6, 7), weswegen er die ENETS-TNM für die klinische Praxis empfiehlt.
Therapieoptionen bei GEP-NET
Neuroendokrine Tumoren wachsen in der Regel langsam, sind aber bei Dia-
gnose in zirka 50% der Fälle bereits in einem fortgeschrittenen oder metastasierten Stadium. Die Behandlung von NET erfolgt typischerweise multidisziplinär und sollte individuell in Bezug auf Tumorcharakteristik, Tumorlast und Symptome diskutiert werden. Therapeutische Werkzeuge basieren primär auf der kompletten Tumorresektion durch Operation oder interventioneller Radiologie sowie auf medikamentösen Therapien mit Somatostatinanaloga, Interferon-alpha, Chemotherapien, zielgerichteten Therapien und als neuester Option der PeptidRezeptor-Radionuklid-Therapie (PRRT).
Tumor- und Metastasenresektion Man sollte sich immer wieder vergegenwärtigen, dass die komplette Resektion die einzige kurative Behandlung bei den GEP-NET darstellt. Die Operation wird zur kompletten Resektion des Primärtumors, zum Debulking von Metastasen und für die Kontrolle des hormonellen Syndroms eingesetzt. Daneben kommt bei NET häufig die interventionelle Radiologie (TACE, RFA, Radioembolisation) zur Anwendung. Bei der Behandlung von Lebermetastasen ohne extrahepatische Läsion ist sowohl in der Untergruppe mit monolobulärer Erkrankung als auch bei multilobulärer resektabler Erkrankung eine Resektion oder Ablation indiziert.
Bio- und Chemotherapie bei Karzinoidtumoren Die medizinische Therapie verfolgt die beiden Ziele, Symptome zu behandeln und/oder das Tumorwachstum zu reduzieren. Zu unterscheiden sind Karzinoidtumoren und pankreatische NET. G1-
und G2-Karzinoidtumoren sind für gewöhnlich wenig Chemotherapie-sensibel. Zur Anwendung kommen daher Somatostatinanaloga (SSA) oder alternativ, bei Resistenz gegenüber SSA, Interferon-alpha. Da NET häufig Somatostatinrezeptoren an der Zelloberfläche überexprimieren, kann eine therapeutische Anwendung von SSA zur Reduzierung der Symptome der Hormonübersekretion, zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Verlangsamung des Tumorwachstums eingesetzt werden. Aufgrund der Nebenwirkungen sollte eine PRRT erst in Erwägung gezogen werden, wenn die anderen Therapien versagen, empfahl Bertram Wiedenmann, Berlin. Sind Karzinoidtumoren gut differenziert (G1/G2), aber schnell proliferierend (Ki-67 < 30%), wären 177Lu-DOTATATE oder 90Y-DOTATOC mögliche Therapieoptionen. Radioaktiv beladene SSA wurden bei NET über fast zwei Dekaden erforscht. Verschiedene klinische Studien zeigten, dass die PRRT mit 90Y-DOTATOC und 177Lu-DOTATATE effiziente Techniken zum Management von NET sind. Derzeitiges Wissen und klinische Erfahrung belegen, dass es möglich ist, hohe Aktivitäten und damit hohe Dosierungen zu Tumoren zu transportieren, die sst2Rezeptoren überexprimieren. Es wurden dadurch partielle und komplette Remissionen bei bis zu 30% der Patienten mit einem progressionsfreien Überleben (PFS) von 33 bis 36 Monaten und einem konsistenten Einfluss auf das Überleben erreicht. Für schlecht differenzierte und/oder schnell progrediente G3-NET ist eine platinhaltige Behandlung in Kombination mit Etoposid indiziert. Bei einem Ki-67 von 10 bis 20% kann die Behandlung mit dem mTOR-Inhibitor Everolimus erwogen werden. Eine retrospektive Analyse von neuroendokrinen Karzinomen (NEC) G3 in der NORDIC NEC-Studie zeigte ein ähnliches Ansprechen, PFS und OS der 305 ausgewerteten Patienten auf Cisplatin/Etoposid oder Carboplatin/ 6 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE KONGRESSAUSGABE SEPTEMBER 2013 15th European Congress of Endocrinology (ECE), Kopenhagen, 27. April bis 1. Mai 2013 Etoposid oder Cisplatin/Vincristin/Etopsid (4). Zielgerichtete Therapien bei pankreatischen NET (pNET) In Bezug auf zielgerichtete Therapien zeigten der mTOR-Inhibitor Everolimus (8) und der Tyrosinkinasehemmer Sunitinib (9, 10) in Phase-III-Studien einen Einfluss auf Überlebensparameter bei Patienten mit pankreatischer NET (pNET). Die europäischen ENETS-Leitlinien empfehlen bei nicht funktionellen pNET (G1/G2) in der Erstlinienbehandlung Streptozotocin (STZ) und 5-Fluorouracil (5-FU), in der Zweitlinie dann Everolimus und Sunitinib. Bei langsam progredienten G1-Tumoren, grosser Tumorlast und positivem SRS werden SSA eingesetzt. Bei Kontraindikationen gegen Chemotherapie empfiehlt die ENETS Everolimus oder Sunitinib bereits in der Erstlinie. Die amerikanischen NCCN-Leitlinien empfehlen dagegen Everolimus und Sunitinib als Alternative zur zytotoxischen Chemotherapie bereits in der Erstlinientherapie bei klinisch signifikant fortschreitender Erkrankung. In der Sequenzstudie SEQTOR wird beim nicht funktionellen pNET untersucht, ob Everolimus first line, und danach STZ/5-FU, oder STZ/5-FU first line, und danach Everolimus, bessere Erfolge erzielt. Ein Cross-over ist bei Tumorprogress erlaubt. Die CLARINET-Studie vergleicht Lanreotid versus Plazebo bei Patienten mit hormonell nicht aktivem oder pankreatischem NET und wird die Effektivität von SSA in Bezug auf die Tumorproliferation insbesondere bei pNET abklären. Tumorgenese und molekularbiologische Marker Die der Tumorgenese unterliegende Genetik ist weiterhin unklar. Es wurde intensiv an den neuroendokrinen Tumoren mit pankreatischem Ursprung geforscht, was schliesslich zur Identifikation von Gen- veränderungen im Chromatinsystem (MEN1, DAXX und ATRX) in bis zu 60% der Fälle führte (11, 12). Ausserdem zeigten sich bei einer kleinen Patientengruppe Genveränderungen (PTEN und TSC2), die negative Auswirkungen auf die mTOR-Aktivierung haben (13). ■ Ine Schmale Quellen: Aldo Scarpa, Vortrag: «Tumor biology and classification of NET», ECE 2013, 28.4.2013, Kopenhagen. Bertram Wiedenmann, Vortrag: «New targeted treatments in NETs», ECE 2013, 28.4.2013, Kopenhagen. Lisa Bodei, Vortrag «Neuroendocrine Tumor Management», ECE 2013, 28.4.2013, Kopenhagen. Literatur: 1. Bosman FT et al.: WHO classification of tumours of the digestive system. 4th ed. Lyon, IARC Press; 2010. 2. Pavel M et al.: ENETS consensus guidelines for the management of patients with liver and other distant metastases from neuroendocrine neoplasms of foregut, midgut, hindgut, and unknown primary. Neuroendocrinology 2012; 95: 157–76. 3. Panzuto F et al.: Metastatic and locally advanced pancreatic endocrine carcinomas: Analysis of factors associated with disease progression. J Clin Oncol 2011; 29: 2372–77. 4. Sorbye H et al.: Predictive and prognostic factors for treatment and survival in 305 patients with advanced gastrointestinal neuroendocrine carcinoma (WHO G3): The NORDIC NEC study. Ann Oncol 2013; 24: 152–60. 5. Edge SB et al.: AJCC Cancer Staging Manual (ed 7). New York Springer, 2010. 6. Scarpa A et al.: Pancreatic endocrine tumors: improved TNM staging and histopathological grading permit a clinically efficient prognostic stratification of patients. Mod Pathol 2010; 23: 824–33. 7. Rindi G et al.: TNM staging of neoplasms of the endocrine pancreas: Results from a large international cohort study. J Natl Cancer Inst 2012; 104: 764–77. 8. Yao J et al.: Everolimus for advanced pancreatic neuroendocrine tumors. N Engl J Med 2011; 364: 514–23. 9. Kulke MH et al.: Activity of Sunitinib in patients with advanced neuroendocrine tumors. J Clin Oncol 2008; 26: 3403–10. 10. Raymond E et al.: Sunitinib malate for the treatment of pancreatic neuroendocrine tumors. N Engl J Med 2011; 364: 501–13. 11. Corbo V et al.: MEN1 in pancreatic endocrine tumors: analysis of gene and protein status in 169 sporadic neoplasms reveals alterations in the vast majority of cases. Endocr Rel Cancer 2010; 17: 771–83. 12. Jiao Y et al.: DAXX/ATRX, MEN1, and mTOR pathway genes are frequently altered in pancreatic neuroendocrine tumors. Science 2011; 331: 1199–1203. 13. Missiaglia E et al.: Pancreatic endocrine tumors: Expression profiling evidences a role for AKT-mTOR pathway. J Clin Oncol 2010; 28: 245–55. Interessenkonflikte: keine. Nuklearmedizinische Bildgebung bei neuroendokrinen Tumoren Die Szintigrafie mit 111In-beladenem Octreotid (OctreoScan) bleibt eine Basisuntersuchung für die Evaluation des NET-Somatostatin-Rezeptor-Status. Sie vereinfacht generell das Tumorstaging und ist wichtig, um die Eignung der Patienten für die Behandlung mit Somatostatinanaloga (SSA) zu evaluieren. Verschiedene 68Ga-beladene SSA wurden für die Bildgebung bei NET in Verbindung mit der Positronenemissionstomografie (PET), auch in Kombination mit CT (PET/CT), untersucht. Generell werden 68Ga-beladene Octreoide (68Ga-DOTA-TOC, 68Ga-DOTANOC, 68Ga-DOTA-TATE) als PET-Tracer verwendet. Die Somatostatin-Rezeptor-Bildgebung mit PET zeigte in verschiedenen vergleichenden Studien bessere Ergebnisse als die Szintigrafie. Zentren, die die Möglichkeit haben, PET/CT mit 68Ga-beladenen SSA durchzuführen, sind immer noch begrenzt. Die Zentren allerdings, denen die neuen Techniken zur Verfügung stehen, verwenden die Szintigrafie in der Regel nicht mehr, bemerkte Anders Sundin, Stockholm (Schweden). Ausnahmen seien Protokolle, die die Szintigrafie für die Patientenselektion verwenden, wenn z.B. eine Peptidrezeptor-Radionuklidtherapie (PRRT) mit 177Lu-DOTA-TATE in Erwägung gezogen würde. Die Entwicklung in der Technik der Somatostatin-Rezeptor-Bildgebung mit PET schreitet schnell voran und zeigt diverse Vorteile: Aufgrund der vorteilhaften Pharmakokinetik von 68Ga-beladenen SSA kann die PET-Bildgebung schon 30 bis 60 Minuten nach der Tracer-Injektion durchgeführt werden. Im Vergleich kommt die Szintigrafie in der Regel erst nach 4 und 24 Stunden zur Anwendung. Auch die dreidimensionale Auflösung von PET und der Bildkontrast sind im Vergleich zur Szintigrafie verbessert. Quelle: ECE 2013, Vortrag Anders Sundin: «Nuclear Medicine Imaging of Neuroendocrine Tumors», 28.4.2013, Kopenhagen. 8 SCHWEIZER ZEITSCHRIFT FÜR ONKOLOGIE KONGRESSAUSGABE SEPTEMBER 2013