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FORTBILDUNG
Opioidtherapie: Wirkung auf das Immunsystem beachten!
Eine Standardtherapie bei Opioiden gab es vor über 20 Jahren. Durch die kontinuierliche wissenschaftliche Forschung konnten mittlerweile aber viele Mechanismen geklärt werden, die massgeblich zu einer differenzierten Anwendung von Opioiden führten. Insbesondere der Aspekt einer immunsuppressiven Wirkung von Opioiden sollte beachtet werden.
Heinrich Binsfeld
Die verschiedenen Rezeptoren, an denen Opioide anbinden, und deren Bedeutung wurden untersucht (1). Es wurde festgestellt, dass Opioide Schmerzen lindern können, aber auch selbst Schmerzen steigern können (opioidinduzierte Hyperalgesie) (2). Auch die antiandrogene Wirkung von Opioiden wurde detektiert (OPIAD) (3). Opioide binden aber nicht nur an Opioidrezeptoren, sondern einige auch an Rezeptoren, die die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin beeinflussen (4, 5). Wieder andere binden an µ-Rezeptoren und NMDA(N-Methyl-D-Aspartat)-Rezeptoren (6). Auch die Immunsuppression des Körpers kann durch Opioide verändert werden (7). Darüber hinaus beeinflusst die Pharmakokinetik der Opioide deren Wirkung auf den Organismus. Entscheidend ist hier, ob das Opioid renal ausgeschieden oder nur über die Leber abgebaut und eliminiert wird (8). Ebenso ist die Pharmakodynamik des Arzneimittels von grosser Bedeutung. Da wir in der Schmerztherapie fast ausschliesslich retardierte Opioide verwenden, ist hier die Halbwertsdauer (HWD) als In-vivo-Kriterium für die Qualität von Retardformulierungen bedeutsam (9). Die HWD ist definiert als die Zeitdauer, in der die Plasmakonzentration über der Hälfte der maximalen Konzentration (≥ 50% Cmax) liegt. Die HWD darf nicht mit der Eliminationshalbwertszeit verwechselt werden. Die Retardierung von Opioiden soll primär die analgetische Wirkdauer verlängern und dadurch die Einnahmefrequenz
MERKSÄTZE
� Die Anwendung von Opioiden sollte individuell und nicht standardisiert erfolgen.
� Die Suppression des Immunsystems ist nicht bei allen Opioiden im gleichen Masse vorhanden.
� Bei der Entscheidung für oder gegen einen Einsatz von Opioiden hilft die DIRE-Skala weiter.
verringern und somit die Compliance verbessern. Zusätzlich soll die verzögerte Freisetzung durch Verringerung der Fluktuationen, etwa von hohen Plasmakonzentrationen, die Rate von unerwünschten Wirkungen senken. Die HWD ist ein Kriterium für die Güte der betreffenden Retardformulierung hinsichtlich der Dauer der Wirkstofffreisetzung. All dies muss bei der Anwendung von Opioiden differenziert und bedacht werden, sodass wir heute von einer individuellen, personifizierten Opioidtherapie sprechen. So entwickeln viele Schmerztherapeuten eigene Bewertungsschemata, nach denen sie vorgehen, zum Beispiel gute Steuerbarkeit durch verminderte Plasmaeiweissbindung, Beeinflussung der Immunsuppression, Abbau durch die Leber oder die Nieren, Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen, Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit (10), Beurteilung der Verträglichkeit. Für mich spielt die Suppression des Immunsystems eine grosse Rolle, da ich nicht möchte, dass meine Patienten neben ihren schweren Schmerzen noch zusätzlich eine Infektion erleiden. Dies gilt insbesondere für ältere Patienten, Tumorpatienten und Patienten mit sehr hohem Leidensdruck. Opioide, die eine Immunsuppression bewirken, setze ich bei Patienten mit einer Autoimmunkrankheit, wie zum Beispiel bei der rheumatoiden Arthritis, ein (vgl. Tabelle 1 und 2).
Mechanismen der opioidinduzierten Immunsuppression
Wir wissen heute, dass Opioidrezeptoren an der Funktion von Immunzellen beteiligt sind (11). Opioidrezeptoren wurden auf der Oberfläche von unterschiedlichen Immunzellen gefunden. Opioide modellieren die Antworten der angeborenen und der erworbenen Immunabwehr. 2 Mechanismen der Opioidwirkung sind daran beteiligt: Der erste Mechanismus besteht in einer direkten Wirkung der Opiate auf die Opioidrezeptoren der Immunzellen, der zweite Mechanismus wird über das Nervensystem vermittelt; das heisst, die Opioide nehmen Einfluss auf das zentrale Nervensystem und die Hy-
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Tabelle 1:
Opioidtherapie bei Schmerzpatienten – Anforderungen und Konsequenzen
Älterer Patient
Tumorpatient
Patient mit Führerschein
nicht erwünscht
nicht erwünscht
gewünscht
▲ Immunsuppression
▲ Förderung der
▲ Vigilanz
▲ Interaktion mit anderen
Metastasenbildung
▲ Steigerung der
Medikamenten
▲ Schwächung der
Konzentrationsfähigkeit
▲ kurze Wirkdauer
Körperabwehr
▲ Infektanfälligkeit
Hydromorphon
Hydromorphon
Fentanylpflaster
Patient mit akutem Schub einer rheumatoiden Arthritis gewünscht ▲ Immunsuppression ▲ antiphlogistische Wirkung
Morphin
Tabelle 2:
Opioidtherapie bei verschiedenen Schmerzformen – Anforderungen und Konsequenzen
Patienten mit neuropathischem Schmerz Patienten mit Hyperalgesie
durch Opioide
▲ µ-Antagonist + Noradrenalinwieder-
µ-Antagonist + NMDA-Agonist
aufnahmehemmer
▲ Vermeidung der Immunsuppression
Tapentadol
D,L-Methadon
NMDA: N-Methyl-D-Aspartat
Patienten mit neuropathischem Schmerz ▲ Verhinderung der Hyperalgesie ▲ Zusätzliche Na-Kanal-Blockade ▲ Vermeidung der Immunsuppression Buprenorphinpflaster
pothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (hypothalamic-pituitary-adrenal axis, HPA) (12). Lymphozyten und mononukleäre Phagozytose weisen klassische µ, κ- und δ-Bindungsstellen auf, die eine Signalerweiterung auslösen. Durch die Bindung an die Rezeptoren induzieren Opioide eine Reaktion in den Immunzellen (13, 14), wie zum Beispiel die Einleitung apoptotischer Prozesse, die zum Zelluntergang führen. Daneben soll es auch atypische µ3-Bindungsstellen an Lymphozyten, Astrozyten, Mikroglia und Endothelzellen geben. Diese natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) reagieren sehr empfindlich auf Morphin, indem die Aktivität der NK-Zellen in vivo bei der Ratte, der Maus, dem Affen und dem Menschen herunterreguliert wird. Auch liegen Beweise vor, dass Morphin zu einer Veränderung der T-Zell-Funktion führt, wobei unabhängig von der induzierten Aktivität (CD[cluster of differentiation]-Aktivierung, antigenspezifische Reize, polyklonale Mitoseaktivität) die Reaktionen der T-Lymphozyten sich sowohl nach akuter als auch nach chronischer Morphineinnahme verringerten. Morphin induziert auch eine Aktivitätsabnahme der meisten Zytokine wie zum Beispiel Interleukin 2 und γ-Interferon über eine Beeinträchtigung der Genexpression. Morphin aktiviert die Steroidfreisetzung und führt dadurch zu einer Immunsuppression analog zu einer chronischen Stresseinwirkung. Zusätzlich steigert Morphin im Tiermodell auch die Pathogenität von Virusinfektionen. Es induzierte viral bedingte Erkrankungen wie die Leukämie, Sarkom und Herpes simplex (15). Aus all diesen Erkenntnissen kann abgeleitet werden, dass der Wirtsorganismus durch die Einnahme von Morphin gegen eine Reihe von Infektionserregern geschwächt wird. Morphin wirkt auf das Immunsystem durch:
s Unterdrückung der zytotoxischen Aktivität von NK-Zellen
s Förderung des Wachstums von implantierten Tumoren s Unterdrückung der Lymphozytenantwort auf mitogene
Stimulation s Thymusatrophie s Abnahme der Zahl der T-Lymphozyten s Abnahme der T-Zell-Funktion s Hemmung der Antikörperproduktion s Hemmung der B-Zell-Aktivität s Abnahme der Interferonspiegel s Kortisolfreisetzung. Eine opioidinduzierte Immundeprimierung ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn schon eine Belastung des Immunsystems vorliegt, wie zum Beispiel bei HIV(humanes Immundefizienzvirus)-Patienten oder bei Patienten in der perioperativen Phase, weil hier die Angst und der chirurgische Eingriff per se schon das Immunsystem belasten, sodass der zusätzliche Einsatz von Morphin die immunologische Antwort noch weiter schwächt. In einer solchen Situation ist naturgemäss ein Opioid von Vorteil, das keine immunsuppressive Wirkung aufweist. Weit wichtiger ist jedoch die Frage, ob die opioidinduzierte Immundeprimierung negative Folgen auf eine Krebserkrankung hat. Tierstudien hierzu haben deutlich machen können, dass die Verabreichung von Morphin oder Fentanyl die metastatische Verbreitung eines Tumors begünstigt. Experimentelle Untersuchungen zu Fentanyl zeigen eine Immunsuppression in der Therapie. Es wurden die Aktivität der NK-Zellen, die Zytokinproduktion und die Syntheserate von T-Zellen unter akuter Fentanylgabe nur geringgradig vermindert. Lag jedoch eine Dauergabe vor, war eine deutliche Beeinträchtigung der zellulären Immunkompetenz nachweisbar (7).
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Tabelle 3:
DIRE-Skala zur Eignung für eine längerfristige Opioidbehandlung: Mit der DIRE-Skala lässt sich bewerten, ob bei einem Patienten eine längerfristige Opioidtherapie infrage kommt. Das ist der Fall ab einem Gesamtpunktwert von 14.
Faktor Erläuterung
D Diagnose
1 = Gutartige chronische Erkrankung mit minimalen objektiven Befunden oder keine spezifische
Diagnose. Beispiele: Fibromyalgiesyndrom, Migräne, unspezifische Rückenschmerzen.
2 = Langsam progrediente Erkrankung einhergehend mit mässigen Schmerzen oder gleich-
bleibendes Beschwerdebild mit mässigen objektiven Befunden. Beispiele: Beschwerden nach
erfolgloser Rückenoperation, Rückenschmerzen mit moderaten degenerativen Veränderungen,
neuropathische Schmerzen.
3 = Fortgeschritte Erkrankung, einhergehend mit starken Schmerzen und zugehörigen
objektiven Befunden. Beispiele: schwere ischämische Gefässerkrankungen, fortgeschrittene
I insuffizientes Therapieansprechen/
Neuropathie, schwere Spinalkanalstenose. 1 = Bisher erst wenige Therapieversuche, wobei der Patient sich rein passiv verhalten hat.
Therapieresistenz 2 = Die meisten gängigen Therapieverfahren wurden versucht, aber der Patient hat sich nicht
voll auf die Behandlung eingelassen bzw. äussere Hindernisse haben ihn abgehalten
(Kostenübernahme, Transport/Erreichbarkeit, andere körperliche Erkrankungen).
3 = Der Patient lässt sich voll und ganz auf die Behandlung mit einer Palette von angemessenen
R Risiken P psychologisch/psychiatrisch
Therapieverfahren ein, allerdings mit unzureichendem Therapieerfolg. R = Summe aus P + M + Z + S 1 = Belangvolle Auffälligkeiten der Persönlichkeit oder psychische Erkrankung, die die
Behandlung beeinträchtigen. Beispiele: Persönlichkeitsstörung, belangvolle affektive
Erkrankung, bedeutsame persönliche Konflikte.
2 = Persönlichkeit oder psychische Verfassung überlagern die Behandlung moderat.
Beispiele: Depression oder Angststörung.
3 = Gute Kommunikation mit den Behandlern. Keine erkennbaren Auffälligkeiten der
M Medikamente und Drogen
Persönlichkeit oder psychische Störungen. 1 = Aktueller oder kürzlicher Konsum illegaler Drogen, exzessiver Konsum von Alkohol oder
Medikamentenmissbrauch.
2 = Substanzkonsum zur Stressbewältigung oder positive Suchtanamnese, aktuell in Remission.
3 = Keinerlei Suchtvorgeschichte. Nicht auf Medikamente oder andere Substanzen fixiert, keine
Z Zuverlässigkeit/Glaubwürdigkeit
übertriebene Medikamentengläubigkeit. 1 = Vorgeschichte mit vielfältigen Auffälligkeiten: nicht bestimmungsgemässer Gebrauch von
Medikamenten, hält vereinbarte Termine nicht ein, bringt nur selten etwas zu Ende.
2 = Gelegentliche Compliance-Probleme, überwiegend zuverlässig.
S Soziale Unterstützung
3 = Sehr zuverlässig in Bezug auf Medikamente, Terminvereinbarungen und Behandlung. 1 = Leben im Chaos. Kaum familiäre Bindung und nur wenige engere Beziehungen. Füllt kaum
noch die üblichen Rollen im täglichen Leben aus.
2 = Teilweise Beeinträchtigungen in zwischenmenschlichen Beziehungen und sozialen Rollen.
3 = Unterstützung durch Familie bzw. andere enge Bezugspersonen. Eingebunden in Ausbildung
E Erfolg der Behandlung
oder Berufstätigkeit, keine soziale Isolation. 1 = Erhebliche Funktionseinschränkungen und nur minimale Schmerzlinderung trotz moderater
bis hoher Dosierung.
2 = Mässiger Nutzen der Behandlung mit Funktionsverbesserungen in verschiedenen Bereichen
(oder unzureichende Informationen – bisher noch kein Opioid versucht oder zu geringe Dosis
oder zu kurze Behandlungsdauer).
3 = Gute Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung sowie verbesserte Lebensqualität bei
stabiler Dosis.
Gesamt
D+I+R+E
Bewertung: 7–13: kein geeigneter Kandidat für längerfristige Opioidbehandlung; 14–21: kommt für längerfristige Opioidbehandlung in Betracht © des amerikanischen Originals: Miles Belgrade, Fairview Pain & Palliative Care Center, 2005; © deutsche Übersetzung: Dirk K. Wolter 2015, mit freundlicher Genehmigung und in Abstimmung mit Miles Belgrade
Unterschiede zwischen den Opioiden
Es ist auffällig, dass nicht alle Opioide im gleichen Masse immunsuppressive Eigenschaften besitzen. Untersuchungen zu Struktur-Aktivitäts-Beziehungen verschiedener Opioide
auf eine mögliche Immunsuppression haben zwar keine eindeutigen Ergebnisse geliefert, jedoch konnte schlüssig demonstriert werden, dass Veränderungen der funktionellen Gruppe in der 6er-Position des Opioidgrundgerüstes Einfluss
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auf eine immunsuppressive Wirkung haben. Nach Ersatz der bei Morphin vorliegenden OH-Gruppe durch eine Sauerstoffdoppelbindung, wie sie zum Beispiel bei Oxycodon und Hydromorphon vorliegt, oder durch Einführung einer Methylgruppe, wie beim Buprenorphin, kommt es zu einer Verringerung der immunsuppressiven Wirkung.
Buprenorphin Das halbsynthetische Buprenorphin zeigt in experimentellen Untersuchungen eine fehlende Immunsuppression im Vergleich zu Fentanyl. Die akute und die chronische Gabe von Buprenorphin und Fentanyl führten bei der Maus für beide Pharmaka zu unterschiedlichen Ergebnissen. Bei Betrachtung der bekannten Daten ist zu berücksichtigen, dass Buprenorphin antagonistische Wirkqualitäten am κ-Rezeptor besitzt und dass eine κ-antagonistische Wirkung mit einer Immunsuppression in Verbindung gebracht wird. Der endogene κ-Rezeptor-Agonist ist verantwortlich für ein Ansteigen der Hyperalgesie und zeigt eine antinozizeptive Toleranz. Da Buprenorphin nicht nur ein partieller selektiver µ-Rezeptor-Agonist, sondern auch ein Agonist am ORL-1(opioid receptor-like 1)-Rezeptor sowie ein Antagonist am κ- und am δ-Rezeptor ist, ist festzustellen, dass die κ-RezeptorAntagonisierung zur Vermeidung der Hyperalgesie führt. Buprenorphin verursacht ausserdem eine Natriumkanalblockade. Es konnte gezeigt werden, dass Buprenorphin eine differenzierte Blockade der spannungsabhängigen Natriumkanäle NaV1.7 (tedrodotoxinsensitiv, TTXs) und NaV1.8 (tedrodotoxinresistent, TTXr) auslöst. So wirkt Buprenorphin wie ein potenter Natriumkanalblocker und interagiert mit der Lokalanästhetikumbindungsstelle. Prof. Dr. W. Koppert, Hannover, konnte weiter zeigen, dass in einem humanen Schmerzmodell für Buprenorphin eine lang anhaltende antihyperanalgetische Wirkung nachgewiesen wurde, die bei anderen selektiven µ-Opioidrezeptor-Agonisten fehlt (16).
Hydromorphon/Oxycodon 1920 wurde in Deutschland ein reiner Opioidagonist synthetisiert, der seit 1926 klinisch genutzt wird. Das Hydromorphon hat eine niedrige Plasmaeiweissbindung mit 8 Prozent, der Abbau über Glucuronidierung ist CYP(Cytochrom P450)-neutral und weist ein minimales Interaktionspotenzial für Kombinierbarkeit auf. Hydromorphon hat keine therapeutisch aktiven Metabolite, ist M6G(Morphin-6-Glucuronid)-frei und ist auch bei eingeschränkter Nierenfunktion nutzbar. Hydromorphon und Oxycodon zeigen im Tiermodell bei nachweisbarem antinozizeptivem Effekt keine immunsuppressive Wirkung (17). Das D,L-Methadon bindet an µ-Rezeptoren und an NMDA-Rezeptoren. D-Methadon kann über die Bindung an NMDA-Rezeptoren die Herunterregulierung der µ-Opioidrezeptoren verhindern und wirkt somit einer Toleranzentwicklung entgegen (18).
Langzeit-Opioidtherapie
Vor Beginn einer Langzeittherapie mit Opioiden ist immer die psychische und somatische Komorbidität abzuklären. Bei Hinweisen auf Angststörungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, somatoforme Störungen und bei Abhängigkeit/Missbrauch von psychotropen Substanzen ist eine Opioidtherapie in ein interdisziplinäres Behandlungskonzept einzubetten, sodass die Komorbidität berücksichtigt wird (20). Für die Langzeitanwendung sind grundsätzlich Opioide mit einer retardierten Galenik oder einer langen Wirkdauer zu bevorzugen und entsprechend der pharmakologischen Wirkungsdauer des verwendeten Opioids nach einem festen Zeitschema einzusetzen. Bei der Therapie ist es wichtig, nicht in die Situation eines «end-of-dose failure» zu kommen. Der Patient sollte rund um die Uhr eine ausreichende Analgesie haben.
DIRE-Skala
Wenn man zweifelt, ob man überhaupt Opioide einsetzen
soll, gibt es mit der DIRE-Skala ein Tool, das hilft zu ent-
scheiden, ob ein Patient mit nicht tumorbedingten Schmerzen
mit Opioiden behandelt werden sollte oder nicht (Tabelle 3).
Die DIRE-Skala verwendet Diagnosen (D), insuffizientes (I)
Therapieansprechen, Risiken (R) und Erfolg (E) der Be-
handlung. Dieses Tool wurde 2005 von Miles Belgrade
erstmals publiziert; 2015 erfolgte dann die deutsche Über-
setzung durch Dirk K. Wolter mit Genehmigung von Miles
Belgrade.
In der DIRE-Skala werden zugrunde liegende Diagnosen,
Risiken und andere Schmerzparameter mit Punkten bewertet.
Ab 14 von 21 Punkten ist der Patient für eine längerfristige
Opioidtherapie geeignet. Grundsätzlich sollte beachtet wer-
den, dass nur Retardgaleniken angewendet werden, um ein
Suchtpotenzial zu minimieren. Bedarfsmedikationen sind
zu vermeiden. Es gilt, nicht medikamentöse Massnahmen
voll auszuschöpfen, denn Opioide sollten nicht die alleinige
Therapie sein. Mit diesem Tool ist es aber möglich, eine
fehlerhafte Opioidanwendung zu minimieren und so auch
Missbrauch und Abhängigkeitsentwicklungen zu vermei-
den (21).
s
Dr. med. Heinrich Binsfeld Algesiologe DGS Facharzt für Anästhesiologie und Innere Medizin Notfallmedizin, Umweltmedizin, spezielle Schmerztherapie D-48317 Drensteinfurt
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Dieser Artikel erschien erstmals in «doctors today» 8/23. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Tapentadol Tapentadol beeinflusst anders als Tramadol nicht die immunologischen Parameter (19). Die immunbeeinflussende Aktivität von Tramadol beruht hauptsächlich auf seinem serotonergen Mechanismus.
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