Transkript
RÜCKBLICK 2023 / AUSBLICK 2024
Innere Medizin
PD Dr. Markus Schneemann Chefarzt Klinik für Innere Medizin Kantonsspital Schaffhausen
Die Situation wird sich nochmals verschärfen
Welche neuen Entwicklungen des abgelaufenen Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend?
Spannend finde ich die medikamentösen Möglichkeiten zur Bekämpfung der Adipositas mit Semaglutid. Weil der Erfolg offenbar so durchschlagend ist, wird das Mittel auch bei Nichtdiabetikern eingesetzt, was eine hohe Nachfrage erzeugt und zu Lieferengpässen führt. Bis jetzt gab es als erfolgreiche Adipositastherapie nur die bariatrische Chirurgie. Es wird spannend sein zu verfolgen, ob Medikamente wie die GLP-1Rezeptor-Agonisten wie Semaglutid und die GIP-/GLP-1Rezeptor-Agonisten wie Tirzepatid einen ähnlich grossen Gewichtsverlust induzieren können. Auch im Bereich der Onkologie tut sich viel. Hier wird es viele neue Antikörper (-mabs) und Tyrosinkinasehemmer (-tinibe) geben, mit denen man das Tumorwachstum bremsen kann, auch wenn die Tumoren schon im metastasierten Stadium sind, wie beim Lungenkrebs, Brustkrebs, bei Leukämien oder beim Nierenzellkarzinom. Wenn Tumoren in diesem Stadium behandelbar werden und solche Onkologika langfristig eingenommen werden, stellt sich zwangsläufig die Frage nach den Kosten und danach, wie wir damit umgehen wollen. Ein anderer Punkt sind die immunvermittelten Nebenwirkungen dieser Antikörpertherapien, an die man denken muss. Das sind zum Beispiel Entzündungen im Magen-Darm-Trakt, in der Lunge oder auch in anderen Organen. Auch in die Infektiologie ist endlich wieder Bewegung gekommen. Es gibt vielversprechende neue Antibiotika wie zum Beispiel neue Cephalosporine, Peneme und Chinolone, zum Teil kombiniert mit alten und neuen Betalaktamasehemmern. Doch ist es für die Hersteller schwierig, diese auf den Markt zu bringen. Denn Antibiotika werden in der Regel nur kurzzeitig eingenommen, und die wirksamsten werden erst noch nur als Reservemedikament eingesetzt. Um die Investitionen von Forschung und Entwicklung zurückverdienen zu können, müsste der Preis dann eher hoch sein, was wiederum zu Diskussionen führt.
Was hat Sie am meisten gefreut?
Es ist eine Freude zu sehen, wie enthusiastisch die jungen Kollegen ihren Beruf ausüben. Ich freue mich auch darüber,
dass wir ein hoch entwickeltes, gut funktionierendes Gesundheitssystem haben, mit aller Kritik und den Schwierigkeiten, die trotz allem vorhanden sind. Angefangen bei den Personalengpässen, den steigenden Kosten, den fehlenden Medikamenten, um nur einige Punkte zu nennen. Aber im Vergleich zu anderen Ländern können wir dennoch allen Patienten eine gute Medizin anbieten ohne lange Wartezeiten. Das kann man nicht oft genug betonen.
Und was hat Sie am meisten geärgert?
Die Kostendiskussion ärgert mich immer wieder, weil sie nicht korrekt geführt wird. Schon allein der Begriff Kostenexplosion ist falsch. Die Kosten explodieren nicht, sie steigen jedes Jahr kontinuierlich, einmal stärker, einmal weniger stark, und zwar im ökonomisch erklärbaren Rahmen eines gesunden wirtschaftlichen Wachstums. Man schaut zu wenig darauf, wo die Kosten entstehen und wie sie verteilt sind, und schafft auch nicht die Bedingungen, um kostengünstige Medizin wie die Hausarztmedizin für den Nachwuchs attraktiver zu machen. Es wurden zwar mehr Medizinstudienplätze geschaffen, was auch gut ist. Doch mehr Medizinstudierende heisst nicht automatisch mehr Hausärzte. Gegen Ende des Medizinstudiums, wenn die Wahl zur Facharztweiterbildung langsam konkret wird, nimmt die Begeisterung für den Hausarztberuf wieder ab, wie aus Befragungen von Medizinstudierenden hervorgeht. Man hat für die Hausarztweiterbildung schon viel gemacht. Doch jetzt bräuchte es einen weiteren Schritt, der die finanziellen Seiten wie auch die Arbeitsbedingungen attraktiver macht. Dazu gehören zum Beispiel die Verabschiedung des neuen Tarifs, die Schaffung von Teilzeitpensen und von Erleichterungen für das Betreiben von Gemeinschaftspraxen. Die Situation wird sich in den nächsten 5 Jahren nochmals verschärfen, wenn die letzten Babyboomer ins Pensionsalter kommen. Da werden sich noch mehr Regionen und Gemeinden etwas einfallen lassen müssen, damit sich ein Hausarzt oder eine Hausärztin bei ihnen niederlässt.
Was bereitet Ihnen Sorge?
Ich denke, dass die Personalsituation in der Pflege noch eine ganze Weile angespannt bleiben wird. Wir sind daher immer noch stark auf Personal aus dem Ausland angewiesen. Ich bin sehr froh, dass sie bei uns arbeiten, und finde es auch bereichernd zu erfahren, wie Dinge in anderen Ländern gehandhabt werden. Wir sollten die Unterstützung der ausländischen Mitarbeiter genügend wertschätzen, was nicht immer der Fall ist. Zum Beispiel dann, wenn polemische Wahlplakate bei entsprechenden Abstimmungen sämtliche Ausländer in ein schlechtes Licht rücken. Das wirkt auf unsere ausländischen Angestellten bedrückend.
Was ist Ihre wichtigste Botschaft für die Kollegen in der Hausarztpraxis?
Mein Wunsch an alle Hausärzte, die sich in den nächsten Jahren pensionieren lassen, wäre, dass sie über die positiven Seiten des Hausarztberufs sprechen. Um für Nachwuchs attraktiv zu sein, muss man ein positives Bild zeichnen und die
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Vorteile aufzeigen. Dazu gehört beispielsweise, dass man nä-
her am Patienten ist und Langzeitverläufe sieht, während
Spezialisten oft nicht wissen, wie sich ihre Intervention auf
lange Sicht bewährt hat. Attraktiv ist auch das breite Spekt-
rum an Krankheiten, das man als Hausarzt sieht – es wird
einem selten langweilig. Wohingegen Spezialisten eher über
eine gewisse Monotonie in ihrem Alltag berichten.
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