Transkript
FOTOQUIZ
Vier Fälle mit klinisch-pathologischer Korrelation
Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Von Jörg Galambos
Patientin 1
Anlässlich einer dermatologischen Konsultation wegen einer Trichodynie bei einer ansonsten gesunden, 53-jährigen Patientin finden sich bei der klinischen Untersuchung des Integuments im Bereich des Halses, der Axillen, der Leisten sowie der Ellenbeugen und der
Kniekehlen kleine, gelblich-weissliche, konfluierende Papeln mit pflastersteinartigem Oberflächenrelief, denen die Patientin bis anhin keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hatte (Abbildung 1). Familienanamnestisch ist eine koronare Herzkrankheit bei der Mutter bekannt.
Abbildung 1
Patient 2
Bei einem 15-jährigen, ansonsten gesunden Jugendlichen bestehen seit 2 Jahren im Nacken- und Schulterbereich asymptomatische, gruppiert stehende und serpiginös angeordnete keratotische Papeln, welche sich zentrifugal ausbreiten und zentral mit einer diskreten Hypopigmentierung und Atrophie abheilen (Abbildung 2).
Patient 3
Die Probeexzision eines Ulkus am rechten Nasenflügel eines 86-jährigen Patienten erfolgte bei Verdacht auf ein ulzeriertes Basalzellkarzinom beziehungsweise Spinaliom (Abbildung 3). Beim Patienten war eine langjährige arterielle Hypertonie und Hyperlipidämie mit Status nach zerebrovaskulärem Insult 4 Jahre zuvor bekannt.
Abbildung 2 SZD Nr. 5•2013
Abbildung 3
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Fotoquiz
Patientin 4
Seit 2 Jahren besteht bei einer 51-jährigen Raucherin symmetrisch an der medialseitigen Mamma eine langsam grössenprogrediente, retikuläre Gefässzeichnung
mit Neigung zu schmerzhafter Ulzeration (Abbildung 4). Mit Ausnahme einer arteriellen Hypertonie sind keine Vorerkrankungen bekannt.
Abbildung 4
Auflösung des Fotoquiz mithilfe der histologischen Befunde
Patientin 1
Die Histologie eines Probeexzisats zeigt verklumpte und fragmentierte elastische Fasern im Corium (Abbildung 5). Klinischer und histologischer Befund sind charakteristisch für ein Pseudoxanthoma elasticum (PXE), eine hereditäre Erkrankung, welche auf einem defekten transmembranösen Transportprotein (ABCTransportproteine, ATP-binding cassette) beruht und zu einer Fragmentierung und Kalzifizierung der elastischen Fasern nicht nur der Haut, sondern auch der Gefässe sowie der Bruch-Membran am Auge führt. Das PXE wird autosomal-rezessiv vererbt und betrifft Frauen doppelt so häufig wie Männer. Infolge Kalzifizierung der elastischen Fasern in den Gefässwänden kommt es bereits in jungen Jahren zu Symptomen einer arteriellen Verschlusskrankheit besonders am Herzen mit koronarer Herzkrankheit ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren. Weitere Komplikationen sind Visusverlust durch Manifestation an Retina und Choroidea (unspezifische «angioid streaks» und pathognomonische «comet lesions») sowie gastrointestinale Blutungen infolge erhöhter Fragilität der submukösen Gefässe. Da die Erkrankung meist zuerst an der Haut klinisch manifest wird, kommt deren Dianose durch frühzeitiges Erkennen des Hautbefundes eine besondere Bedeutung zu. Die Diagnose basiert auf definierten Major- und Minorkriterien, welche eine Hautbiopsie und eine genetische Analyse miteinschliessen.
Abbildung 5: Verklumpte und fragmentierte elastische Fasern im mittleren und tiefen Corium (Elastica-Färbung, originale Vergrösserung ×40)
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Fotoquiz
Patient 2
In Zusammenschau mit der Histologie eines Probeexzisats, welche eine transepidermale Ausschleusung von degenerierten elastischen Fasern und basophilem Zelldebris zeigt (Abbildung 6), lässt sich eine Elastosis perforans serpiginosa (EPS) diagnostizieren. Die Ätiologie der EPS, welche zu den klassischen primären perforierenden Dermatosen gehört, ist nicht bekannt. Sie manifestiert sich in 90 Prozent der Fälle vor dem 30. Lebensjahr und betrifft vorwiegend männliche Jugendliche. In etwa einem Viertel der Fälle ist die EPS mit anderen genetischen Erkrankungen (insbesondere hereditäre Bindegewebserkrankungen wie Ehlers-Danlos-Syndrom, Marfan-Syndrom oder Pseudoxanthoma elasticum sowie Down-Syndrom) assoziiert, welche durch eine sorgfältige klinische Untersuchung und Familienanamnese auszuschliessen sind. Zudem ist eine Penicillamin-induzierte Variante bekannt, welche im Zusammenhang mit der Therapie eines M. Wilson beschrieben ist.
Abbildung 6: Transepidermale Ausschleusung von basophilem Zelldebris mit keratotischem Pfropf im Bereich eines Haarfollikels (HE-Färbung, originale Vergrösserung ×20)
Patient 3
Histologisch lässt sich in einem Probeexzisat lediglich eine unspezifische Ulzeration ohne epitheliale Tumoranteile nachweisen (Abbildung 7). Auf genaue Befragung hin gibt der Patient ein Kribbeln und ein Taubheitsgefühl der rechten Gesichtshälfte an. Die Dysästhesie und die Hypästhesie der rechten Gesichtshälfte lässt sich auf ein Wallenberg-Syndrom im Rahmen des 4 Jahre zuvor erlittenen zerebrovaskulären Insults im Bereich der ipsilateralen Medulla oblongata zurückführen. Als seltene Komplikation nach Hirnstamminfarkten oder einer anderweitigen zentralen oder peripheren Schädigung des N. trigeminus kommt es in dessen Versorgungsgebiet zu einer trophischen Störung und zu einer repetitiven schmerzlosen, unbewussten Traumatisierung der Haut mit konsekutiver Ulzeration: neurotrophisches Ulkus des N. trigeminus (Trigeminal trophic syndrome). Weitaus am häufigsten betroffen sind Nasenflügel und -eingang. Häufigste Ursachen des neurotrophischen Ulkus des N. trigeminus sind neben Hirnstamminfarkten eine iatrogene Ablation des N. trigeminus oder Ganglion Gasseri zur Behandlung einer Trigeminusneuralgie, eine vertebrobasiläre Insuffizienz, ein Akustikusneurinom oder andere intrakranielle Tumoren sowie eine infektiöse Enzephalitis oder Neuritis wie Herpes zoster ophthalmicus.
Abbildung 7: Unspezifische Ulzeration mit Epithelhyperplasie und dermaler Entzündung (HE-Färbung, originale Vergrösserung × 20)
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Fotoquiz
Patientin 4
Die Histologie einer Probeexzision zeigt in sämtlichen Dermisschichten und im angrenzenden subkutanen Fettgewebe eine diffuse Proliferation blander, spindelförmiger Endothelzellen mit Ausbildung englumiger, kapillärer Gefässstrukturen und ohne Entzündung (Abbildung 8). Die Befunde lassen sich in Zusammenschau mit dem klinischen Bild einer diffusen dermalen Angiomatose (DDA) der Mamma zuordnen. Die DDA stellt eine distinkte klinischpathologische Entität innerhalb des Spektrums kutaner reaktiver Angiomatosen dar, wird bei Frauen mittleren Alters mit kardiovaskulären Risikofaktoren beziehungsweise arterieller Verschlusskrankheit beobachtet und tritt meistens im Bereich der Extremitäten auf. Bei Lokalisation an der Brust sind Frauen mit grossen Hängebrüsten betroffen. Sowohl klinisch als auch histologisch kann die DDA ein Angiosarkom imitieren. Pathogenetisch wird eine reaktive Endothelproliferation als Folge einer Gewebehypoxie angenommen, welche möglicherweise durch eine zusätzliche Koagulopathie verstärkt wird. Neben der Reduktion kardiovaskulärer Risikofaktoren und insbesondere dem Sistieren eines Nikotinabusus stellen systemisch verabreichte Retinoide und eine Mammareduktionsplastik therapeutische Optionen dar.
AB
Abbildung 8: In sämtlichen Dermisschichten diffuse Proliferation blander Endothelzellen zwischen den kollagenen Faserbündeln mit Ausbildung englumiger, kapillärer Gefässstrukturen (A: HE-Färbung, B: CD31-Immunhistochemie, originale Vergrösserung jeweils ×20)
Ein besonderer Dank für die Fälle (einschliesslich des klinischen Bildmaterials) geht an:
Frau Dr. med. N. Denisjuk, FMH Dermatologie und Venerologie, Herisau (Patientin 1)
Herrn Dr. med. M. Bleker, FMH Dermatologie und Venerologie, Thun (Patient 2)
Herrn Dr. med. V. Volpov, FMH Dermatologie und Venerologie, Feuerthalen (Patient 3)
Frau Dr. med. R. Schmid-Meyer, FMH Dermatologie und Venerologie, Baden Frau Prof. Dr. med. C. Meuli-Simmen, FMH Plastische und Wiederherstellungschirurgie sowie Handchirurgie, Chefärztin Plastische Chirurgie Kantonsspital Aarau (Patientin 4)
Korrespondenzadresse: Dr. med. Jörg Galambos FMH Dermatologie und Venerologie Kempf und Pfaltz Histologische Diagnostik Seminarstrasse 1 8057 Zürich E-Mail: galambos@kempf-pfaltz.ch
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