Transkript
BERICHT
Update Urtikaria 2013
Bei chronischer Urtikaria jetzt dreistufig statt vierstufig zum Behandlungsziel
Komplette Beschwerdefreiheit – das Behand-
lungsziel bei chronischer Urtikaria ist klar, doch
leicht zu erreichen ist es nicht. Jetzt wurden die
Behandlungsempfehlungen so vereinfacht, dass
betroffene Patienten schneller von einer wirksa-
men Therapie profitieren können. Über die ak-
tualisierte Urtikaria-Leitlinie sprach Prof. Dr.
Bettina Wedi, Klinik für Dermatologie, Allergo-
logie und Venerologie, Medizinische Hochschule
Hannover, am 8. Deutschen Allergiekongress
2013 in Bochum.
Die Urtikaria ist eine Blickdiagnose oder kann sogar lediglich aufgrund der Anamnese auch ohne klinischen Befund diagnostiziert werden. Die Quaddeln (Urticae) können bezüglich Grösse vom Kopf einer Stecknadel bis zu grossflächig konfluierenden Quaddeln variieren. Zusätzlich können Angioödeme auftreten, die auch isoliert ohne Quaddeln vorkommen können. Obschon die Diagnose einfach zu stellen ist, fällt es meist schwer, zugrunde liegende Triggerfaktoren zu eruieren. Auch die Therapie sei häufig problematisch, so die Referentin. Bei der Behandlung der chronischen Urtikaria sind gute, häufig aktualisierte Leitlinien besonders wichtig. Das liegt nicht nur daran, dass bisher immer noch keine effektive spezifische Urtikariatherapie zur Verfügung steht, sondern auch daran, dass die bis anhin einzige zugelassene Therapie – H1-Antihistaminika in Standarddosierung – nur wenige Betroffene von ihren Beschwerden befreit. Weil also die meisten Patienten mit chronischer Urtikaria eine Off-label-Therapie benötigen, müssen sich behandelnde Ärzte auf verlässliche, von Spezialisten erarbeitete Leitlinien abstützen können.
Änderungen bei der Klassifikation der Urtikariaformen
Die internationale Leitlinie von 2009 wurde dieses Jahr aktualisiert (1). Auch die im Jahr 2011 publizierte deutschsprachige Version der internationalen S3-Leitlinie wurde jetzt auf den neusten Stand gebracht. Bei den chronischen Formen sollte die Bezeichnung «chronische idiopathische Urtikaria» komplett vermieden
werden. Die «chronische spontane Urtikaria» wird neuerdings der «chronischen induzierbaren Urtikaria» gegenübergestellt. Die physikalische Urtikaria und die Sonderformen gehören jetzt zur «chronischen induzierbaren Urtikaria». Die anstrengungsinduzierte Urtikaria, die durch körperliche Anstrengung ausgelöst wird, gilt in der aktuellen Leitlinie nicht mehr als Urtikariaform, sondern wird neu den Anaphylaxien zugeordnet. Differenzialdiagnostisch gilt es, bei nicht juckenden Quaddeln an Interleukin-1-vermittelte autoinflammatorische Syndrome (z.B. Schnitzler-Syndrom) zu denken. Bei Angioödemen ohne Quaddeln müssen durch Bradykinin vermittelte Angioödeme abgegrenzt werden (z.B. durch ACE-Hemmer ausgelöstes Angioödem).
Änderungen bei der Diagnostik
Bei der Diagnostik der akuten spontanen Urtikaria (weniger als 6 Wochen Dauer) hat die neue Leitlinie keine Änderungen vorgenommen. Weiterhin wird keine Routinediagnostik empfohlen, ausser bei richtungsweisender Anamnese (z.B. bei akuter allergischer Urtikaria). Am häufigsten sind akute Infekte des oberen Respirationstraktes, oft gekoppelt mit der Einnahme nichtsteroidaler Entzündungshemmer, für die akute spontane Urtikaria verantwortlich. Bei der chronischen spontanen Urtikaria (mehr als 6 Wochen Dauer) wird neben der Basisdiagnostik (mit Differenzialblutbild und CRP oder BSR, um schwere Grunderkrankungen auszuschliessen) nur ein begrenztes erweitertes diagnostisches Programm empfohlen, das auf der individuellen Anamnese beruhen sollte. Diese neue Empfehlung hält die Referentin für unglücklich und für wenig hilfreich in der Praxis. Sie empfiehlt die gezielte Suche nach chronisch persistierenden Infekten (Helicobacter pylori, Streptokokken, Staphylokokken, Yersinien) und nach autoreaktiven Faktoren (Schilddrüsen-Autoantikörper, TSH basal, Autologer Serumtest) sowie die gezielte Frage nach der Einnahme nichtsteroidaler Entzündungshemmer (insbesondere Acetylsalicylsäure).
Änderungen bei der Therapie
Komplette Beschwerdefreiheit stellt das Ziel der Behandlung dar, das manchmal gar nicht einfach zu errei-
SZD Nr. 5•2013
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Update Urtikaria 2013
Kasten:
Bei chronischer Urtikaria dreistufig schneller zum Therapieziel
1. Stufe: Nicht sedierendes H1-Antihistaminikum der 2. Generation in Standarddosierung
↓ wenn Symptome nach 2 Wochen persistieren
2. Stufe: Dosiserhöhung bis zum 4-Fachen
↓ wenn Symptome nach 1 bis 4 Wochen persistieren
3. Stufe: Zusätzlich Omalizumab oder Ciclosporin A oder Leukotrienantagonist (z.B. Montelukast) Bei akuter Exazerbation kann kurzzeitig (bis 10 Tage) systemisch mit einem Glukokortikosteroid behandelt werden.
(nach Marcus Maurer [1])
chen ist. Beim Management der chronischen Urtikaria steht die Vermeidung oder die adäquate Behandlung von Triggerfaktoren an erster Stelle. Die Einnahme nichtsteroidaler Entzündungshemmer sollte gestoppt und eine mit Helicobacter pylori assoziierte Gastritis sollte gesucht und durch Eradikation behandelt werden. Die Referentin wies auf eine aktuelle Studie hin, die zeigen konnte, dass auch sehr schwer betroffene Patienten mit therapieresistenter chronischer Urtikaria (kein Ansprechen auf 8-wöchige Behandlung mit 4-facher Dosis eines modernen H1-Antihistaminikums) von einer Helicobacter-Eradikation profitieren (2). Zur symptomatischen Behandlung der chronischen spontanen Urtikaria sind in der aktualisierten Leitlinie nicht mehr 4, sondern nur noch 3 Stufen vorgesehen (Kasten). Lediglich die 1. Stufe (tägliche Verwendung eines nichtsedierenden H1-Antihistaminikums der zweiten Generation in Standarddosierung) entspricht einer zugelassenen Therapie, während die weiteren Stufen Off-labelBehandlungen darstellen. Wenn sich die Beschwerden durch die Behandlung der 1. Stufe nach 2 Wochen nicht ausreichend gebessert haben, wird auf der 2. Stufe die Dosiserhöhung des H1-Antihistaminikums bis zur 4-fachen Dosis, aber nicht höher, empfohlen. Auch ein Wechsel des Präparates wird als sinnvoll erachtet. Auf der 3. Stufe wird die zusätzliche Verwendung von Omalizumab (derzeit für diese Indikation im Zulassungsverfahren), von Ciclosporin A oder eines Leukotrienantagonisten (z.B. Montelukast) empfohlen. Bei akuten Exazerbationen kann auf jeder Stufe kurzfristig (für maximal 10 Tage) ein Glukokortikosteroid systemisch gegeben werden. Langfristiger Einsatz systemischer Glukokortikosteroide wird jedoch abgelehnt. Dass Dapson seit der Aktualisierung der Leitlinie nicht mehr zu den Standardempfehlungen (bislang auf der 4. Stufe) gehört, bedauerte die Referentin, weil sie damit bisher sehr gute Erfahrungen gemacht hatte. Auch die H2-Antihistaminika schafften es nicht mehr in
die Empfehlungen, weil gemäss einer neuen CochraneAnalyse für diese Behandlung keine Evidenz vorhanden ist. Dagegen blieb Montelukast in Standarddosierung (10 mg pro Tag) trotz widersprüchlicher Evidenz in den neuen Empfehlungen. Hier war entscheidend, dass die Experten die Erfahrung gemacht hatten, dass einzelne Patienten innerhalb von 4 Wochen gut auf Montelukast zusätzlich zu H1-Antihistaminika in Hochdosierung ansprechen. Das Ansprechen auf Ciclosporin A in Kombination mit nicht sedierenden H1-Antihistaminika ist innerhalb von 4 bis 6 Wochen zu erwarten. Zur Wirksamkeit und Sicherheit von Omalizumab bei chronischer spontaner Urtikaria wurden 3 Phase-IIIStudien erfolgreich durchgeführt. Bei dieser Behandlung kommt es zu einem sehr raschen Ansprechen, sodass die Patienten meist schon nach 1 Woche beschwerdefrei sind. Komplette Beschwerdefreiheit (keine Quaddeln und kein Juckreiz mehr) konnte nach 12 Wochen bei 44 Prozent der Patienten erreicht werden. «Nicht alle, aber die meisten Patienten sprechen auf Omalizumab an», sagte die Referentin.
Therapieversagen mit Antihistaminika kommt häufig vor
Dass bei der Behandlung der chronischen Urtikaria häufig die 3. Stufe erforderlich ist, machte die Referentin mit einer Zusammenstellung publizierter Therapieresultate klar (3). Das Therapieziel der kompletten Beschwerdefreiheit werde mit nicht sedierenden H1-Antihistaminika in Standarddosierung bei 47 bis 96 Prozent der Patienten nicht erreicht, sagte sie. Mit der 4-fachen Antihistaminikumdosierung werden 19 bis 73 Prozent der Behandelten nicht beschwerdefrei. Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria müssen aber die Hoffnung auf Spontanremission nicht begraben. Sie werden nicht zeitlebens mit Juckreiz und Quaddeln konfrontiert sein, aber es ist nicht vorhersehbar, wann ihre Beschwerden von selbst wieder verschwinden werden. Prognostische Faktoren seien nicht bekannt, sagte die Referentin. Weil die Spontanremission früher oder später eintreten wird, ist es sinnvoll, alle 3 bis 6 Monate zu prüfen, ob die Therapie noch nötig ist. In älteren Lehrbüchern ist zu lesen, dass praktisch alle Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria innerhalb von 6 Monaten beschwerdefrei werden. Dies treffe nicht zu, kritisierte die Referentin. So wurden in neuen Studien in der Plazebogruppe (mit Antihistaminika als erlaubten Reservemedikamenten) weniger als 5 Prozent innerhalb eines halben Jahres beschwerdefrei. Die mittlere Dauer der chronischen spontanen Urtikaria betrage 3 bis 5 Jahre, so die Referentin. Nicht selten würden jedoch Verläufe, die Jahrzehnte dauern, beobachtet. G
Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Maurer M et al. Revisions to the international guidelines on the diagnosis and
therapy of chronic urticaria. J Dtsch Dermatol Ges 2013; 11: 971–978. 2. Magen E et al. Possible benefit from treatment of Helicobacter pylori in anti-
histamine-resistant chronic urticaria. Clin Exp Dermatol 2013; 38: 7–12. 3. Wedi B et al. Urtikaria … und die Therapie versagt! Der Hautarzt 2013; 64:
656–663.
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