Transkript
Aktuelles aus Fachzeitschriften
Sieben Regeln für die erfolgreiche Melanomentdeckung
Tipps zur klinischen und dermoskopischen Hautuntersuchung in der Praxis
Die ärztliche Aufgabe bei der Melanomentdeckung ist klar: Es gilt, kein Melanom zu verpassen und zugleich keine benignen Läsionen unnötig zu exzidieren. In der Fachliteratur wird berichtet, dass Hausärzte 20 bis 40 benigne Läsionen exzidieren, um 1 Melanom zu entdecken, während diese «number needed to excise» bei Dermatologen 5 bis 15 beträgt. Die meisten Melanome sind klinisch bei Anwendung der ABCD-Kriterien und dermoskopisch leicht erkennbar. Aber auch hinter einer unverdächtigen pigmentierten Läsion kann sich ein Melanom verstecken. Um einen solchen «Wolf im Schafs-
pelz» zu entlarven, ist eine Endeckungsstrategie nötig, die sich auf 7 einfache, praktische Regeln stützen kann, wie Dr. Aimilios Lallas und Kollegen in der Zeitschrift Dermatology darlegen (1).
1. Regel: Sämtliche Läsionen dermoskopisch untersuchen, nicht nur klinisch verdächtige Läsionen. Auch eine klinisch banal wirkende, kleine, symmetrische, stark pigmentierte Läsion kann bereits dermoskopische Melanomkriterien erfüllen. In der Regel zeigen sich dermoskopische Melanomkriterien früher als die klinischen ABCD-Kriterien. Bei Personen mit multiplen pigmentierten Läsionen, die klinisch einen gutartigen Eindruck erwecken, kann sich ein Melanom unerkannt in der Menge verbergen und nur dank dermoskopi-
SZD Nr. 4•2013
21
Sieben Regeln für die erfolgreiche Melanomentdeckung
Abbildung: Pigmentiertes Basalzellkarzinom (Foto: Dr. Marguerite Krasovec Rahmann)
scher Untersuchung möglichst vieler Nävi zum Vorschein kommen. Das Argument, dass die dermoskopische Untersuchung möglichst aller Läsionen allzu zeitaufwendig sei, lassen die Autoren des Artikels in «Dermatology» nicht gelten. Erfahrene Untersucher würden für eine komplette dermoskopische Hautuntersuchung durchschnittlich nur etwa 2 Minuten mehr Zeit benötigen als ohne Dermoskop, inbesondere wenn ein Handinstrument mit polarisiertem Licht verwendet werde (1). 2. Regel: Personen mit erhöhtem Melanomrisiko sollen sich ausziehen, damit die Haut der gesamten Körperoberfläche untersucht werden kann. Diese Regel sollte zumindest bei folgenden 4 Risikogruppen beachtet werden: G Personen mit irgendeinem Hautmalignom in der per-
sönlichen Anamnese. G Personen mit einer positiven Melanom-Familien-
anamnese (Verwandte ersten Grades). G Unter 50-Jährige mit mehr als 20 Nävi an den Armen. G Über 50-Jährige mit chronisch sonnengeschädigter
Haut. 3. Regel: Bei Einzelläsionen die 10-Sekunden-Regel beachten. In erfahrenen Händen erlaubt das Dermoskop die Unterscheidung zwischen einem benignen und einem malignen Hauttumor bereits innerhalb von ein paar Sekunden. Gelegentlich kommt es allerdings vor, dass das dermoskopische Muster nicht genügend typisch für eine rasche Entscheidung ist. Wenn die dermoskopische Untersuchung in 10 Sekunden keine eindeutige Diagnose zulässt, ist nach Ansicht der Autoren die Exzision angezeigt. 4. Regel: Wenn multiple atypische Nävi vorhanden sind, die Nävi dermoskopisch vergleichen und Veränderungen durch dermoskopische Verlaufskontrollen erfassen. Wenn eine Person zahlreiche atypische Nävi aufweist, sind meist bei einem beträchtlichen Anteil dermoskopische Auffälligkeiten zu finden. In dieser Situation empfehlen die Autoren, beim Vergleich der Nävi untereinander weniger darauf zu achten, welches die atypischste Läsion ist, sondern vielmehr diejenige Läsion zu suchen, die andere morphologische Charakteristiken aufweist als alle übrigen Läsionen. Wenn die Untersuchung kein schlüssiges Resultat ergibt, sollten Personen mit multiplen atypischen Nävi nach 3 Monaten erneut untersucht werden. Eine
Läsion, die in dieser kurzen Zeit morphologische
Veränderungen zeigt, sollte exzidiert werden, weil die
Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein frühes Melanom
handelt, beträchtlich ist. Um auch langsam wachsende
Melanome zu erfassen, bei denen morphologische
Veränderungen in der Regel erst nach 12 bis 24 Mona-
ten feststellbar werden, sollten bei Personen mit multi-
plen atypischen Nävi zudem jährliche Kontrollunter-
suchungen durchgeführt werden.
5. Regel: Schwierig interpretierbare noduläre Läsionen
exzidieren. Bei nodulären Melanomen sind in der Regel
die klassischen ABCD-Kriterien nicht vorhanden. Nodu-
läre Melanome können klinisch leicht mit benignen
Tumoren verwechselt werden (z.B. dermale Nävi, vas-
kuläre Tumoren, Dermatofibrome, seborrhoische
Keratosen). Auch die klassischen dermoskopischen
Melanomkriterien, die grösstenteils bei superfiziell
spreitenden Melanomen beschrieben wurden, können
bei nodulären Melanomen fehlen. Zur Abgrenzung
gegenüber benignen nodulären Tumoren kann die
Blau-Schwarz-Regel beitragen. Wenn blaue und schwarze
Farbe in der Läsion vorhanden ist, sollte die Exzision
vorgenommen werden. Grundsätzlich empfehlen die
Autoren, bei der Untersuchung eines nodulären Tu-
mors nach Kriterien einer benignen Läsion zu suchen.
Wenn dabei keine sichere Diagnose eines benignen Tu-
mors möglich ist, sollte die Läsion exzidiert werden.
6. Regel: Klinische und dermoskopische Kriterien
kombinieren. Dermoskopische Charakteristiken sollten
immer im Kontext mit den anamnestischen Angaben
und den klinischen Untersuchungsbefunden interpre-
tiert werden. Als Faustregel kann man sich merken, dass
bei benignen Läsionen die klinischen und die dermo-
skopischen Charakteristiken einigermassen harmonie-
ren. Wenn dagegen Diskrepanzen zwischen klinischen
und dermoskopischen Befunden bestehen, ist erhöhte
Vorsicht am Platz. Wenn Anamnese und klinisches Bild
hoch verdächtig sind, sollte die Läsion exzidiert werden,
auch wenn melanomspezifische dermoskopische Krite-
rien fehlen.
7. Regel: Histopathologische mit klinischen und dermo-
skopischen Informationen kombinieren. Die histo-
pathologische Untersuchung ist zwar der Goldstandard
für die Diagnose melanozytärer Läsionen, aber auch
nicht völlig frei von Limitationen, technischen Fehlern
und subjektiver Falschinterpretation. Beispielsweise
kann die histopathologische Interpretation bei Läsio-
nen mit hochgradigen Regressionszeichen schwer-
fallen. Als Faustregel kann gelten, dass Histopathologie-
berichte immer im Kontext mit den klinischen und
dermoskopischen Informationen interpretiert werden
sollten. Bei der Diagnose von Läsionen ohne zufrieden-
stellende klinisch-histopathologische Übereinstimmung
ist Vorsicht geboten.
G
Alfred Lienhard
Referenz:
Lallas A et al. Management rules to detect melanoma. Dermatology 2013; 226: 52–60.
22 SZD Nr. 4•2013