Transkript
FORTBILDUNG
Aktuelle Aspekte der Therapie und Prävention HPV-assoziierter Erkrankungen
Von Jörg Galambos
Virale Infektionen der Haut treten
klinisch sehr vielgestaltig in Er-
scheinung und haben besonders bei
Kindern und sexuell aktiven Er-
wachsenen eine hohe Prävalenz. Da
virale Hautinfektionen in allen Lebensabschnit-
ten einschliesslich Neonatalperiode und Senium
auftreten, nicht selten auch andere Organ-
systeme mit einbeziehen und sich bevorzugt im
Genitoanalbereich oder in der Mundhöhle mani-
festieren können, sind neben der Dermatologie
und Venerologie auch andere ärztliche Fach-
gebiete wie Pädiatrie, Gynäkologie, Urologie,
Proktologie und Stomatologie mit deren Dia-
gnose und Therapie konfrontiert.
Während im Kindesalter virale Exanthemerkrankungen überwiegen, spielen im Erwachsenenalter HPV-assoziierte Krankheitsbilder sowie Infektionen mit Herpessimplex- und Varizella-zoster-Virus eine wichtige Rolle und können besonders bei Immunsupprimierten eine grosse therapeutische Herausforderung darstellen. Virale Hautinfektionen wie Herpes genitalis oder spitze Kondylome werden überwiegend durch sexuelle Kontakte übertragen und sind dadurch nicht selten mit einer hohen psychosozialen Belastung und mit negativen Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen verbunden. Das Epithel der Haut und der hautnahen Schleimhäute kann hochspezifisch infiziert werden wie bei den HPVassoziierten Erkrankungen oder den Mollusca contagiosa. Im Falle des Herpes zoster oder der Herpessimplex-Rezidive ist die Infektion der Haut Folge einer endogenen Reaktivierung dieser neuro- und dermatotropen Viren entlang sensibler Nervenäste. Bei infektiösen (direkten) viralen Exanthemerkrankungen werden Haut und hautnahe Schleimhäute im Anschluss an eine virämische Phase neben anderen Organen mitinfiziert. Hierbei weisen die klassischen viralen Exanthemerkrankungen wie Masern oder Röteln ein charakteristisches klinisches Erscheinungsbild auf, während virale Exantheme im Rahmen respiratorischer oder enteraler Infektionen eher unspezifisch sind. Bei parainfektiösen
(indirekten) viralen Exanthemerkrankungen (Viride) führt die immunologische Auseinandersetzung mit viralen Erregern aus unterschiedlichen Gruppen zu einem erregerunspezifischen, klinisch jedoch distinkten Exanthem (z.B. Gianotti-Crosti-Syndrom oder Erythema multiforme). Zudem können virale Infektionen neben anderen Triggern bestimmte entzündliche Dermatosen auslösen oder werden zumindest als Trigger derselben diskutiert. Beispiele hierfür sind die Pityriasis rosea, die Pityriasis lichenoides oder die akute generalisierte exanthematische Pustulose (AGEP). Eine kleine Gruppe viraler Exantheme wie das Ampicillin-induzierte Exanthem bei infektiöser Mononukleose ist in der Mehrzahl der Fälle Folge einer Interaktion spezifischer Viren mit gleichzeitig verabreichten Arzneimitteln einer bestimmten Klasse. Schliesslich spielen gewisse Viren eine direkte ätiologische Rolle bei der Entstehung maligner Hauttumoren, zum Beispiel dem Kaposi-Sarkom (HHV 8, KSHV) oder dem Merkelzell-Karzinom (MerkelzellPolyomavirus). Der vorliegende Artikel fokussiert auf aktuelle Aspekte der Therapie und Prävention von HPV-assoziierten Erkrankungen der Haut.
Humane Papillomviren
Humane Papillomviren (HPV) sind DNA-Viren und infizieren als dermatotrope Viren nicht nur die Keratinozyten der Epidermis, sondern auch das hautnahe Plattenepithel beziehungsweise die Transformationszonen des weiblichen und männlichen Genitaltraktes, des
Abkürzungen
ALA 5-Aminolävulinsäure HHV Humane Herpesviren HIV Humanes Immundefizienzvirus HPV Humane Papillomviren hrHPV High-Risk-HPV-Genotypen lrHPV Low-Risk-HPV-Genotypen KSHV Kaposi-Sarkom-Herpes-Virus MSM Männer, die Sex mit Männern haben RCT randomisierte kontrollierte Studie(n)
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Aktuelle Aspekte der Therapie und Prävention HPV-assoziierter Erkrankungen
Tabelle 1:
HPV-assoziierte Krankheitsbilder und verursachende HPV-Typen
Verrucae vulgares Verrucae planae juveniles Condylomata acuminata Condylomata plana rezidivierende respiratorische Papillomatose (RRP) HPV-assoziierte maligne intraepitheliale Neoplasien des Genitales, des Anus und des Oropharynx als Vorläufer invasiver Plattenepithelkarzinome Vulva (VIN), Vagina (VAIN), Zervix (CIN) Penis (PIN) Perianalhaut (PAIN), Analkanal (AIN) Bowenoide Papulose Oropharynx (squamöse intraepitheliale Neoplasie SIN) HPV-assoziierte benigne Läsionen der Mundschleimhaut Verruca vulgaris Condyloma acuminatum und squamöses Papillom Morbus Heck (fokale epitheliale Hyperplasie) Epidermodysplasia verruciformis Lewandowsky-Lutz HPV-assoziierte hochdifferenzierte, verruköse Plattenepithelkarzinome Condylomata gigantea und Buschke-Löwenstein-Tumor Epithelioma cuniculatum (?)
Vielzahl von Typen (ohne 6, 11, 16 oder 18) v. a. 6 und 11 oft simultan auch 16, 18 u.a.
v. a. 16 und 18 16, auch 6, 11 und 52 v. a. 16 und 18 v. a. 16 und 18 v. a. 16
Vielzahl von Typen v. a. 6 und 11 13, 32, 55 v. a. 3, 5 und 8
6 und 11 ?
Analkanals, der Mundhöhle und des Oropharynx. Die chronisch-persistierende Infektion der Wirtszelle führt zu einer typischen Verbreiterung (Akanthose) und Papillomatose des Epithels, der Warze (HPV-assoziiertes Akanthopapillom). Mittlerweile sind über 150 HPVGenotypen bekannt, wobei sich in einer Warze oft mehrere Genotypen nachweisen lassen. Das klinische Manifestationsspektrum der HPV-Infektionen ist breit und umfasst neben Warzen auch maligne intraepitheliale Neoplasien (In-situ-Karzinome) im Genital- und Analbereich sowie im Oropharynx, welche in invasive Plattenepithelkarzinome übergehen können. Entsprechend ihrem onkogenen Potenzial werden High-RiskHPV-Typen (hrHPV wie 16, 18, 31 und 33) und LowRisk-HPV-Typen (lrHPV wie 6 und 11) unterschieden. HPV-assoziierte Krankheitsbilder und verursachende HPV-Typen sind in Tabelle 1 dargestellt.
Verrucae vulgares
Verrucae vulgares (gewöhnliche Warzen) sind sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei Erwachsenen sehr häufig. Betroffen sind besonders akrale Regionen mit geringerer Durchblutung. Der vasokonstriktorische Effekt des Rauchens begünstigt das Auftreten von Warzen. Patienten mit einer Immunsuppression (z.B. Transplantatempfänger) oder Immundeviation (Atopie) neigen zu starker Ausbreitung und hartnäckigem Verlauf. Klinisch imponieren Warzen als keratotische
Abbildung 1: Plantare Mosaikwarzen, filiforme Warze und periunguale Warzen
Papeln mit charakteristischen punktförmigen, schwärzlichen Bluteinlagerungen und bereiten diagnostisch meist keine Schwierigkeiten. Gelegentlich werden keratotische akrale Melanome als Warzen verkannt und lange Zeit als solche behandelt. Deshalb sollte ein besonderes Augenmerk auf eine eventuelle Melaninpigmentierung gerichtet werden. Bisweilen manifestieren sich Warzen auch nur diskret als umschriebene Unterbrechungen der Papillarleisten. Plantar können sich Warzen beetartig ausbreiten (sogenannte Mosaikwarzen, Abbildung 1) oder endophytisch mit zentraler dornartiger Keratose wachsen (sogenannte Dornwarzen), während sie an Augenlidern, am Lippenrot, an der Nase oder an der Kopfhaut nicht selten filiform in Erscheinung treten. Der Befall des Paronychiums (proximaler
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Tabelle 2:
Selbsttherapie und ärztliche Therapie gewöhnlicher Warzen
Selbsttherapie
Salicylsäure
Clabin® Lösung (+ Milchsäure und Resorcin) Duofilm® Lösung (+ Milchsäure) Verra-med® Lösung (+ Tretinoin und DMSO) Warz-ab® Extor Lösung (+ Milchsäure) Guttaplast® Pflaster, Wurzeltod® Pflaster
Fluorouracil 0,5%
Verrumal® Lösung (+ Salicylsäure)
Ameisensäure
EndWarts® Lösung
Kryotherapie
Wartner® Spray, Verrukill® Spray
Ärztlich durchgeführte oder verordnete Therapie
physikalische Verfahren
Kryotherapie gepulster Farbstofflaser (FPDL) Photodynamische Therapie (PDT) CO2-Laser, Elektrokauter, Kürettage
Ätzmittel
Trichloressigsäure 20–50% Acetocaustin® Lösung, Solcoderm® Lösung
Imiquimod 5%
Aldara™ 5% Crème
Diphencyclopropenon (DCP) DCP in Duofilm® 0,05% und 0,5% KA
Zytostatika intraläsional
Bleomycin, Fluorouracil
Acitretin
Neotigason®
Komplementärmedizinische Behandlungsmethoden
Suggestion, Akupunktur
Phytotherapie
Thuja
First-Line- oder Basis-Therapie
mehrere Behandlungssitzungen Off-Label-Anwendung (semi-)okklusive Applikation Magistralrezeptur Kantonsapotheke Zürich (KA) individueller Heilversuch
extern als Tinktur oder Salbe intern als homöopathisches Arzneimittel
oder seitlicher Nagelfalz) stellt eine besondere therapeutische Herausforderung dar, während die differenzialdiagnostische Abgrenzung subungualer Warzen gegenüber anderen Läsionen (z.B. subungualer M. Bowen oder das sehr seltene Onychomatrikom) schwierig sein kann, besonders bei isoliertem Befall des Nagelbetts. Bei Kindern ist die Genital- oder Analregion als Folge einer Autoinokulation nicht selten mitbetroffen. Im Falle eines isolierten genitoanalen Befalls ist die Abgrenzung gegenüber Kondylomen oft nicht möglich und macht bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch eine HPV-Genotypisierung erforderlich. Angesichts der hohen spontanen Regressionsrate bei Immunkompetenten bedürfen Warzen in vielen Fällen keiner Therapie. Soziale Stigmatisierung bei exponierter Lokalisation an den Händen oder im Gesicht, Schmerzen bei plantarer oder paronychialer Lokalisation oder Verhinderung einer weiteren Ausbreitung bei Immunsupprimierten sind Indikationen für eine Behandlung. In der Therapie von Warzen kommen zahlreiche lokale Behandlungsmethoden zur Anwendung. Keine zeigte
gemäss der aktuellsten Cochrane-Review signifikante Vorteile in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Praktikabilität gegenüber der Standardbehandlung mit Salicylsäure. Die Daten in der genannten Review sprechen für die Anwendung von Salicylsäure als wirksamste und First-Line-Therapie sowie für die intensive Kryotherapie beziehungsweise deren Kombination mit Salicylsäure als Second-Line-Therapie. Die mehrheitlich schlechte Qualität der zur Verfügung stehenden Studien und die aufgrund der hohen Spontanheilungsrate schwierig beurteilbare Wirksamkeit der untersuchten Behandlungsformen schränkt die Aussagekraft solcher systematischer Übersichtsarbeiten jedoch ein. Die konsequente Durchführung einer Therapie und die dadurch erforderliche Kooperationsbereitschaft des Patienten sind in der persönlichen Erfahrung des Autors für den Therapieerfolg meist wichtiger als die gewählte Behandlungsmethode. In Tabelle 2 sind lokale (und systemische) Behandlungsmethoden aufgeführt, die sich im klinischen Alltag als wirksam erwiesen haben, mehrheitlich jedoch nicht in kontrollierten Studien untersucht wurden (Evidenz-
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Abbildung 2: Plane Warzen
klasse IV). Voraussetzung für den Erfolg jeder selbst oder ärztlich durchgeführten Therapie ist das regelmässige, möglichst unblutige Abtragen der Hyperkeratose (z.B. mittels Klinge oder Hornhautfeile), das auch unmittelbar vor jeder therapeutischen Intervention erfolgen sollte und durch die Anwendung von heissen Seifenbädern erleichtert wird. First-Line- oder Basistherapie ist eine Keratolyse mit Salicylsäure-haltigen Lösungen oder Pflastern. Bei nur leichter Hyperkeratose eignen sich Fluorouracil 0,5%-Lösung, AmeisensäureLösung oder die selbst durchgeführte Kryotherapie auf der Basis von Dimethylether und Propan. Die Wirkung dieser «Minikryotherapie» ist jedoch im Vergleich mit der auf flüssigem Stickstoff (Siedepunkt physikalisch bei -196° C) basierten, ärztlich durchgeführten Kryotherapie gering, da aufgrund der relativ hohen Siedepunkte der darin enthaltenen Gase keine vergleichbare Gewebetemperatur erreicht wird. Diese ist für eine Kryonekrose der Keratinozyten in oberflächlicher Lage jedoch ausreichend. Unter den ärztlich durchgeführten Therapien spielen die Kryochirurgie sowie die Applikation von Ätzmitteln die wichtigste Rolle. In der Regel sind mehrere Sitzungen in einem Intervall von mindestens 1 Woche erforderlich. Der besseren Wirksamkeit einer aggressiven im Vergleich mit einer sanften Kryotherapie ist das erhöhte Risiko einer tief reichenden Nekrose und Narbenbildung gegenüberzustellen. Periungual sind diese Therapien mit Vorsicht anzuwenden, um eine Schädigung der Nagelmatrix und eine bleibende Nageldystrophie zu vermeiden. Bei hartnäckigen Warzen kann eine Off-Label-Behandlung mit Imiquimod 5%-Crème, eine topische Immunotherapie mit Diphencyclopropenon (DCP, auch Diphencypron) oder eine intraläsionale Injektion von Bleomycin oder Fluorouracil versucht werden. Die Wirkung von Imiquimod 5%-Crème, welche täglich oder alle 2 Tage appliziert werden kann, wird durch eine (semi-)okklusive Anwendung (z.B. unter 3M Micropore® Vliespflaster) verstärkt. Der Effekt von Diphencyclopropenon, einer Substanz mit hohem Sensibilisierungspotenzial, beruht auf der Induktion einer immunologischen Reaktion, welche zur Elimination der Warze führt. Da es sich um eine nicht zugelassene Substanz handelt, entspricht die Behandlung einem individuellen Heilversuch und bedarf einer sorgfältigen Aufklärung über mögliche unerwünschte Wirkungen (kontaktallergisches Ekzem) und einer schriftlichen Zustimmung des Patienten. Nach einer Sensibilisierung (zweimalige Applikation der 0,5%-Lösung auf einer Warze in einem Intervall von 1 Woche) folgt eine Behandlung aller Warzen zunächst mit der 0,05%-Lösung in einem Intervall von 1 Woche, mit eventueller Kon-
zentrationssteigerung auf die 0,5%-Lösung. Die mit DCP behandelten Warzen müssen sorgfältig abgedeckt werden, um ein allergisches Kontaktekzem zu vermeiden. Die intraläsionale Injektion von Bleomycin (mittels Skarifikation, Multipunktur, Injektion oder Dermojet) eignet sich besonders für plantare Warzen und ist an Fingern und Zehen wegen beschriebener RaynaudSymptomatik mit grosser Vorsicht anzuwenden. Der gepulste Farbstofflaser (FPDL) führt über eine Koagulation von Blutgefässen zur Ischämie der Warze und stellt ein gewebeschonendes Verfahren ohne Notwendigkeit einer Lokalanästhesie dar, entspricht jedoch, wie auch die photodynamische Therapie (PDT), einer ThirdLinie-Therapie. Destruktive Verfahren wie CO2-Laserablation oder Elektrokoagulation sind angesichts der Gefahr einer Narbenbildung nur ausnahmsweise anzuwenden, während die chirurgische Exzision von Warzen als obsolet zu betrachten ist. Ein sehr ausgedehnter Befall etwa bei Immunsupprimierten kann den Einsatz systemischer Retinoide (z.B. Acitretin) zur Reduktion der epidermalen Proliferation und Verhornung rechtfertigen. Schliesslich können im individuellen Fall auch komplementärmedizinische Methoden wie Suggestionstherapie, Akupunktur oder die externe oder interne Anwendung von Thuja wirksam sein.
Plane Warzen
Verrucae planae juveniles betreffen, wie der Name sagt, bevorzugt Kinder und Jugendliche. Sie treten meist multipel als kleine flache, oft diskret hyperpigmentierte Papeln im Gesicht, aber auch an Handrücken, Handgelenken und distalen Vorderarmen in Erscheinung (Abbildung 2). Durch Autoinokulation beim Rasieren können sie sich im Bartbereich in erheblicher Zahl ausbreiten, weshalb Barthaare bis zur Abheilung nicht rasiert, sondern getrimmt werden sollten. Angesichts der hohen spontanen Rückbildungsneigung ist besonders im Gesicht bei therapeutischen Interventionen Zurückhaltung geboten. Therapeutisch eignen sich die für die Behandlung von Verrucae vulgares aufgeführten Modalitäten zur Selbsttherapie sowie der gepulste Farbstofflaser. Bei Durchführung einer Kryotherapie, die im Gesicht ausschliesslich ärztlich erfolgen sollte, muss die Gefahr einer postläsionalen Hypopigmentierung besonders bei dunkelhäutigen Individuen bedacht werden.
Genitoanale Warzen (Kondylome)
In den hoch industrialisierten Ländern Europas und in den Vereinigten Staaten ist die HPV-Infektion die häufigste sexuell übertragene virale Infektion mit Millionen
Abbildung 3: Condylomata acuminata der Mundhöhle
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Tabelle 3:
Das Armamentarium der Selbsttherapie genitoanaler Warzen
Wirkstoff/Präparat
Applikation
Podophyllotoxin 0,5% Warix® 0,5% Lösung * Condyline® Liniment *
2 ×/Tag für 3 Tage 4–7 Tage Therapiepause evtl. mehrere Zyklen
Podophyllotoxin 0,15% 2 ×/Tag für 3 Tage 4–7 Tage Therapiepause
Wartec® Crème 0,15% ** evtl. mehrere Zyklen
Imiquimod 5% Aldara™ 5% Crème
3 ×/Woche über Nacht nach 6–10 h abwaschen max. 16 Wochen
Grüntee-Polyphenole Veregen® 10% Salbe
3 × täglich wird nicht abgewaschen keine Therapiepausen
Indikation Off-Label-Anwendungen externe genitale Warzen
externe genitale und perianale Warzen einzelne kleine intraanale Warzen einzelne kleine intravaginale Warzen externe genitale und perianale Warzen einzelne kleine intraanale Warzen einzelne kleine intravaginale Warzen als Analtampon zur Rezidivprophylaxe nach CO2-Laser-Ablation intraanaler Warzen externe genitale und perianale Warzen
initiale Heilungs-/Rezidivrate Anwendung in SS Heilungsrate 47–80% (M > F) Rezidivrate -20% Cave! nicht zirkumzidierte M keine Anwendung in der SS Heilungsrate 60–85% Rezidivrate -20%
keine Anwendung in der SS
Heilungsrate 56% (F >> M) Rezidivrate -20%
Cave! nicht zirkumzidierte M keine Anwendung in der SS
Heilungsrate 54% Rezidivrate 7% keine Anwendung in der SS
M: Männer; F: Frauen; SS: Schwangerschaft *Liste der pharmzeutischen Präparate zulasten der Versicherten **in der Schweiz nicht registriert, erhältlich über die internationale Apotheke
von Betroffenen. Rund 80 Prozent der sexuell aktiven Bevölkerung dürften im Laufe des Lebens eine genitoanale HPV-Infektion aufweisen, wobei das Risiko einer HPV-Infektion mit der Anzahl Sexualpartner positiv korreliert. Die Infektion sowohl mit lrHPV als auch mit hrHPV verläuft in der Mehrzahl der Fälle latent, das heisst mit Nachweis viraler DNA, jedoch ohne klinisch fassbare Läsion. Nach 2 Jahren lässt sich die latente Infektion mit einem spezifischen HPV-Typ bei der Mehrzahl der Betroffenen dank einer effektiven Immunabwehr nicht mehr nachweisen. Die Prävalenz genitoanaler Warzen in der sexuell aktiven Bevölkerung liegt bei etwa 1 bis 2 Prozent. Über 90 Prozent der genitoanalen Warzen werden durch die lrHPV-Typen 6 und 11 verursacht. Oft besteht eine gleichzeitige Infektion mit mehreren, auch onkogenen HPV-Typen. Bei Frauen mit Genitalwarzen ist das Risiko für eine CIN und ein Zervixkarzinom erhöht. Die gesundheitsökonomische Bedeutung genitoanaler Warzen wird in einer in den Vereinigten Staaten durchgeführten Untersuchung deutlich: Im Jahr 2000 beliefen sich die mittleren Kosten für die Behandlung einer Episode genitaler Warzen beim Mann und bei der Frau auf 400 bis 500 US-Dollar.
Abbildung 4: Genitale und perianale Condylomata acuminata
Condylomata acuminata (spitze Kondylome, Feigwarzen) entsprechen dem klassischen Typ der genitoanalen Warze und treten bevorzugt im feuchtwarmen Milieu der Genital-, Perianal-, Perineal- sowie der Inguinalund Pubesregion auf, selten auch in extragenitalen Regionen und je nach sexueller Praktik auch in der Mundhöhle (Abbildung 3). Sie imponieren als meist multiple, einzeln stehende oder beetartig konfluierte,
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rötliche, hautfarbene oder bräunlich pigmentierte Papeln, weisen eine glatte, papilläre oder keratotische Oberfläche auf oder können zu blumenkohlartigen Gebilden heranwachsen (Abbildung 4). Druckeinwirkung führt zur Abplattung und hahnenkammartigen Ausziehung, feuchtes Milieu zur Mazeration der Warzen. Als Condylomata plana werden grossflächige plane Warzen bezeichnet, welche typischerweise an der Perianalhaut, am Präputium oder an der Zervix auftreten und häufig mit hrHPV-Typen assoziiert sind. Condylomata gigantea (Riesenkondylome) und Buschke-Löwenstein-Tumor werden heute als hochdifferenzierte Plattenepithelkarzinome mit niedrigem malignem Potenzial angesehen. Obwohl genitoanale Warzen in bis zu 30 Prozent der Fälle spontan abheilen, ist eine therapeutische Intervention grundsätzlich indiziert. Bei Lokalisation im Bereich der Vulva, der Perianalhaut oder der Harnröhrenmündung sind zusätzliche diagnostische Verfahren notwendig (Kolposkopie, Anoskopie beziehungsweise Urethroskopie), die in der Regel die Überweisung an einen Spezialisten erfordern. Jede vierte Frau mit Warzen der Vulva weist auch einen Befall der Vagina und/ oder der Zervix auf, bei etwa der Hälfte dieser Frauen findet sich zudem eine VAIN oder CIN. Perianale Warzen erfordern den Ausschluss eines endoanalen Befalls mittels Spreizung des Anus und Anoskopie. Zusammen mit dem Patienten wird ein Therapiekonzept erstellt, welches sich nicht nur nach Grösse, Anzahl und Lokalisation der Warzen richtet, sondern auch den Therapiewunsch des Patienten und die praktische Durchführbarkeit einer Therapie mitberücksichtigt. Entscheidend für den Therapieerfolg ist neben der therapeutischen Erfahrung des behandelnden Arztes die konsequente Durchführung einer Therapie, die eine entsprechende Compliance des Patienten voraussetzt. Im einfachsten Fall kann die Therapie vom Patienten selbst durchgeführt werden (Abbildung 5). Besonders bei ausgedehntem Befall oder unsicherer Compliance ist eine ärztlich durchgeführte Therapie zu bevorzugen, welche je nach Verfahren mehrere Sitzungen oder eine Anästhesie erfordert. Schliesslich sind Besonderheiten bestimmter Patientengruppen zu berücksichtigen, bei Immunsupprimierten die hohe Rezidivneigung und das erhöhte Risiko HPV-assoziierter maligner epithelialer Neoplasien, bei Schwangeren die Beschränkung auf
Selbsttherapie
ärztliche Therapie
mehrere Sitzungen ohne Anästhesie
1 Sitzung mit Anästhesie
Podophyllotoxin Imiquimod
Grüntee-Polyphenole
Kryotherapie Trichloressigsäure
ablative Verfahren CO2-Laser
Abbildung 5: Therapiekonzept genitoanaler Warzen
physikalische Therapiemethoden. Subklinische HPVLäsionen können mittels Essigsäure (äusseres Genitale und Perianalhaut 5%-Lösung, Vagina, Zervix und Analkanal 3%-Lösung) oder mittels ALA-Fluoreszenzdiagnostik (höhere Sensitivität im Vergleich zum altbewährten Essigsäuretest) besser sichtbar gemacht werden. Der Patient ist darüber aufzuklären, dass HPV trotz erfolgreicher Therapie mit vollständiger klinischer Abheilung latent im Gewebe verbleiben und zu Rezidiven führen können.
Selbsttherapie genitoanaler Warzen
Zur Selbsttherapie stehen Podophyllotoxin, Imiquimod und seit 2012 auch ein Grüntee-Catechin-Präparat zur Verfügung. Applikationsweise, Indikationen sowie initiale Heilungs- und Rezidivraten sind in Tabelle 3 synoptisch dargestellt. Alle drei Wirkstoffe sind für die Therapie externer genitaler und perianaler Warzen zugelassen (mit Ausnahme von Podophyllotoxin als Lösung) und bei Schwangeren kontraindiziert. Podophyllotoxin ist der gereinigte aktive Wirkstoff von Podophyllin, welches aus den Wurzeln von Podophyllum peltatum, dem Amerikanischen Maiapfel, gewonnen wird. Die pharmakologische Wirkung beruht auf einer Mitosehemmung durch Bindung an Tubulin, den Hauptbestandteil der Mikrotubuli. Podophyllotoxin ist die Vorläufersubstanz einer Gruppe von Onkologika, welche mit der DNATopoisomerase II interferieren (z.B. Etoposid). Die früher oft praktizierte Anwendung einer offizinellen 10- bis 20-prozentigen Podophyllin-Zubereitung ist nicht mehr zu empfehlen. Bei Podophyllin handelt es sich um eine rohe, unreine, nicht standardisierte Harzverbindung. Hauptproblem dieser Podophyllin-Zubereitungen ist deren Instabilität. Die aktiven Inhaltsstoffe variieren deshalb beträchtlich zwischen den Chargen, was zu unvorhersehbaren, schweren Lokalreaktionen führen kann. Zudem enthält Podophyllin neben Podophyllotoxin eine Reihe weiterer Substanzen, unter ihnen Quercetin, ein Flavonoid mit mutagenen Eigenschaften. Der topische Immunmodulator Imiquimod hat sich in der Monotherapie genitaler und perianaler Warzen als wirksam erwiesen. Imiquimod bindet an den Toll-likeRezeptor 7 und induziert über diesen Rezeptor die Freisetzung von α-Interferonen, welche für die antivirale und auch für die antitumorale Wirkung der Substanz verantwortlich sind. Bei der Selbstbehandlung mit Imiquimod und mit Podophyllotoxin ist bei nicht zirkumzidierten Männern Vorsicht geboten, da es durch Okklusion im Präputialraum zu schmerzhaften Erosionen und zur Paraphimose kommen kann. Bereits seit einigen Jahren sind die vielfältigen biologischen Wirkungen der Polyphenole, wie sie im Grüntee vorkommen, bekannt. Unter diesen Grüntee-Polyphenolen (auch Grüntee-Catechine genannt) besitzt das Flavonoid Epigallocatechin-3-gallat den grössten Anteil und die grösste biologische Aktivität. Grüntee-Polyphenole wirken nicht nur antioxidativ, antiinflammatorisch und immunstimulatorisch, sondern greifen auch in die Proliferation, die Differenzierung und die Apoptose der Keratinozyten ein. Die Hemmung intrazellulärer
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Tabelle 4:
Das Armamentarium der ärztlichen Therapie genitoanaler Warzen
Therapieverfahren
Applikation
Indikation
Kryotherapie Sprayverfahren Wattetupfer
alle 1–2 Wochen
genitale und perianale Warzen einzelne kleine intraanale Warzen
Trichloressigsäure (-80%) alle 1–2 Wochen
einzelne kleine genitale und perianale Warzen einzelne kleine intraanale und intravaginale Warzen
ablative Verfahren CO2-Laser Elektrokauter
Anästhesie Sicherheitsvorkehrungen bei Arzt, Hilfspersonal und Patient Gesichtsmaske, Schutzbrille, Rauchabzug
ausgedehnte genitale und perianale Kondylombeete blumenkohlartige Kondylome ausgedehnte intraanale und intravaginale Warzen
initiale Heilungs-/Rezidivrate Anwendung in SS
Heilungsrate 50–90% Rezidivrate -40% kostengünstig sichere Anwendung in der SS
Heilungsrate -80% Rezidivrate -30% schmerzhaft Cave! tiefe Ulzerationen sichere Anwendung in der SS
Heilungsrate 100% Rezidivrate -50% adjuvante Behandlung mit Imiquimod zur Rezidivprophylaxe sichere Anwendung in der SS
SS: Schwangerschaft
Signalwege, die über den epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGFR) aktiviert werden, scheint hierbei eine Schlüsselrolle zu spielen. Die Eigenschaften der Grüntee-Polyphenole hat man sich auch in der Behandlung genitoanaler Warzen zunutze gemacht. Mit der Herstellung einer 10-prozentigen Salbe aus Grüntee-Extrakt ist die Entwicklung eines patientenfreundlichen Präparats zur Selbstanwendung gelungen. Die Wirksamkeit der Grüntee-Polyphenole konnte in RCT demonstriert werden, mit initialen Heilungsraten von über 50 Prozent. Die Vorteile dieser Therapie liegen nicht nur in der ausgesprochen niedrigen Rezidivrate von rund 7 Prozent, sondern auch in der guten Verträglichkeit und in postulierten Effekten auf subklinische Läsionen. Als mögliche Nachteile sind die Applikationsfrequenz sowie die im Vergleich zu Imiquimod und Podophyllotoxin längere Abheilungszeit von durchschnittlich 13 bis 16 Wochen zu nennen. Wirksamkeit und Kosteneffektivität im Vergleich mit anderen Therapiemodalitäten, insbesondere mit Imiquimod, bedürfen der Klärung mittels direkter Vergleichsstudien.
Ärztliche Therapie genitoanaler Warzen
Unter den ärztlichen Therapien genitoanaler Warzen sind die Kryochirurgie, die Applikation von Trichloressigsäure sowie destruktive Verfahren wie CO2-LaserAblation geeignete Methoden, welche auch in der Schwangerschaft sicher angewandt werden können (Tabelle 4). Die Kryotherapie, die meist im Sprayverfahren alle 1 bis 2 Wochen durchgeführt wird, ist zwar ein kostengünstiges Verfahren, aber mit einer hohen
Rezidivrate verbunden, weshalb sich die Kombination mit Topika zur Selbsttherapie empfiehlt. Das Betupfen mit Trichloressigsäure wird wegen brennender Schmerzen oft nicht toleriert und eignet sich nur für kleine, einzeln stehende Kondylome. Bei unsachgemässer Anwendung besteht die Gefahr tiefer Ulzerationen, die mit Narben abheilen. Unter den ablativen Verfahren hat sich die CO2-LaserAblation bewährt. Sie ist die Therapie der Wahl bei ausgedehnten Kondylombeeten, blumenkohlartigen Warzen oder ausgedehntem intraanalem oder intravaginalem Befall. Auch bei einzelnen Kondylomen kann die CO2Laser-Ablation als Primärtherapie sinnvoll sein. Beetoder blumenkohlartige perianale Warzen werden in Tumeszenz-Lokalanästhesie evaporisiert, die Ablation ausgedehnter intraanaler Kondylome erfordert eine Spinal- oder Allgemeinanästhesie. In erfahrenen Händen führt die CO2-Laser-Ablation nicht zu einer Narbenbildung, weil sich Kondylome im Gegensatz zu gewöhnlichen Warzen weniger zur Tiefe hin ausdehnen. Eine postläsionale Hypopigmentierung ist jedoch häufig und kann über Monate oder Jahre persistieren. Die hohe initiale Clearingrate der CO2-Laser-Ablation steht in Abhängigkeit von der Erfahrung des Operateurs einer Rezidivrate von bis zu 50 Prozent und höher gegenüber. Es empfiehlt sich deshalb eine adjuvante Behandlung mit Imiquimod, welche unmittelbar nach Reepithelialisierung der Wunden begonnen und über 4 bis 6 Wochen fortgesetzt wird. Mit einer adjuvanten Imiquimod-Therapie konnte eine signifikante Senkung der Rezidivrate nach ablativer Therapie gezeigt werden. Bei hartnäckigen Verläufen stehen zur Rezidivprophylaxe intraanaler
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Aktuelle Aspekte der Therapie und Prävention HPV-assoziierter Erkrankungen
Abbildung 6: HPV-assoziierte vulväre intraepitheliale Neoplasie
Kondylome Imiquimod Analtampons zur Verfügung (off label). Die Suppositorien werden magistral nach M. Kaspari in der Kantonsapotheke Zürich hergestellt.
HPV-assoziierte maligne Neoplasien des weiblichen und männlichen Genitales, des Anus und des Oropharynx
Eine persistierende Infektion mit hrHPV ist mit der Entwicklung maligner intraepithelialer (präinvasiver) Neoplasien und invasiver Plattenepithelkarzinome im Bereich der Zervix, der Vagina und der Vulva, des Penis, des Analkanals und der Perianalhaut sowie des Oropharynx verbunden. Histopathologisch werden die Vorläuferläsionen in Abhängigkeit von der Lokalisation und vom Schweregrad der Epitheldysplasie klassifiziert als zervikale, vaginale oder vulväre, penile beziehungsweise als anale oder perianale keratinozytische maligne intraepitheliale Neoplasie (CIN, VAIN oder VIN, PIN bzw. AIN oder PAIN, jeweils Grad 1–3). Während sich niedriggradige Dysplasien (Grad 1) durch eine hohe spontane Rückbildungsrate auszeichnen, weist ein hoher Prozentsatz hochgradiger Dysplasien (Grad 2 oder 3) eine Progression zu einem invasiv wachsenden Karzinom auf. Am äusseren Genitale und an der Perianalhaut imponieren präinvasive Läsionen als scharf begrenzte, erythematöse, auch schuppende Flecken oder Plaques, welche erodiert, krustig belegt oder hyperkeratotisch
Abbildung 7: Bowenoide Papulose der Glans penis und der Perianalregion
bis verrukös sein können und in jedem Fall einer Abklärung mittels Probeexzision bedürfen (Abbildung 6). Induration und Ulzeration weisen auf einen Übergang in ein invasiv wachsendes Karzinom hin. Für in-situspinozelluläre Karzinome der Haut (Grad 3) ist der klinisch geprägte Begriff Morbus Bowen gebräuchlich, bei Lokalisation an den Übergangsschleimhäuten, insbesondere an der Glans penis, der Begriff Erythroplasie Queyrat. Die Bowenoide Papulose nimmt eine Sonderstellung innerhalb des Spektrums HPV-induzierter Krankheitsbilder ein. Diese distinkte klinisch-pathologische Entität entspricht einer multifokalen, papulösen Form eines genitalen oder perianalen Carcinoma in situ, zeigt jedoch im Gegensatz zu den übrigen Formen einer schweren intraepithelialen Neoplasie eine Neigung zu spontaner Regredienz und seltener Übergänge in ein invasives Karzinom. Typisch für die Erkrankung, welche junge Erwachsene betrifft, sind multiple flache, bräunlich pigmentierte Papeln (Abbildung 7). Während praktisch 100 Prozent der Fälle von Zervixkarzinomen hrHPV-DNA-positiv sind (am häufigsten HPV 16), lassen sich auch in über 80 Prozent vulvärer intraepithelialer Neoplasien (VIN) hrHPV nachweisen. Diese weitaus häufigste, jüngere Frauen betreffende, stets hochgradige Form der VIN (2–3) wird neuerdings auch als klassische VIN bezeichnet und von der deutlich selteneren differenzierten VIN abgegrenzt, welche nicht mit hrHPV assoziiert ist und in der Regel bei postmenopausalen Frauen diagnostiziert wird. HPV spielen besonders in wenig entwickelten Ländern eine wichtige ätiologische Rolle in der Entstehung peniler intraepithelialer Neoplasien (PIN) und invasiver Peniskarzinome, welche in etwa der Hälfte der Fälle HPV-DNA-positiv sind. Die Inzidenz peniler hrHPV-Infektionen und Karzinome ist bei zirkumzidierten im Vergleich zu nicht zirkumzidierten Männern signifikant kleiner. Die Zirkumzision trägt also zur Prävention HPVassoziierter Erkrankungen bei. Invasive Analkarzinome und deren Vorstufen (anale intraepitheliale Neoplasien AIN) sind in über 80 Prozent durch hrHPV verursacht und werden besonders bei Patienten bestimmter Risikogruppen beobachtet (MSM, HIV-Infektion, Transplantatempfänger, positive Anamnese für anale Kondylome oder für hochgradige CIN/VAIN/VIN). In Westeuropa und Nordamerika scheint die HPV-Infektion das Rauchen und den Alkoholkonsum als Hauptrisikofaktoren für oropharyngeale Karzinome abzulösen, während die ätiologische Rolle von HPV in der Entstehung von Mundhöhlenkarzinomen nicht abschliessend geklärt ist. Die steigende Prävalenz HPV-assoziierter oropharyngealer Karzinome wird mit vermehrt oral praktiziertem Sex in Verbindung gebracht. Zur Therapie maligner intraepithelialer Neoplasien des äusseren Genitales und der Perianalhaut kommen verschiedene nicht chirurgische Methoden (Kryotherapie, CO2-Laser-Ablation, Elektrokoagulation, photodynamische Therapie, Imiquimod 5%-Crème, Fluorouracil 5%Salbe) zur Anwendung. Vor jeder nicht chirurgischen Therapie ist ein invasives Tumorwachstum bioptisch auszuschliessen. Bei oberflächlichen Therapieformen
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Aktuelle Aspekte der Therapie und Prävention HPV-assoziierter Erkrankungen
(insbesondere mit Imiquimod oder Fluorouracil) gilt es zu beachten, dass tief liegende Tumoranteile in den Hautadnexen nicht erfasst werden und Ausgangspunkt von Rezidiven sein können. Die Vorteile einer chirurgischen Exzision (ggf. mit mikrografischer Schnittrandkontrolle), welche auch tief liegende oder invasiv wachsende Tumoranteile erfasst, sind gegen die Narbenbildung besonders bei grösseren Herden abzuwägen.
Prävention von HPV-assoziierten Erkrankungen
Der Zervixabstrich (Zytologie) als Screening-Untersuchung zur Sekundärprävention des Zervixkarzinoms und dessen Vorstufen ist in der Schweiz seit den 1970erJahren etabliert. In mehreren RCT konnte gezeigt werden, dass ein HPV-basiertes Screening (Nachweis und Genotypisierung von hrHPV) effektiver ist als ein Zytologie-basiertes Screening. Diesbezüglich scheint sich ein Paradigmenwechsel abzuzeichnen vom Zervixabstrich zum hrHPV-DNA-Test als primäre Screening-Methode für das Zervixkarzinom, wobei die Zytologie ihren Stellenwert im diagnostischen Algorithmus HPV-positiver Frauen beibehalten wird. Bei rund 5 Prozent der HIV-negativen und bei bis zu 50 Prozent der HIV-positiven MSM lässt sich eine hochgradige AIN (2–3) diagnostizieren. ScreeningUntersuchungen zur Prävention des Analkarzinoms sind deshalb bei MSM und auch anderen Risikopopulationen (siehe oben) sinnvoll. Hierfür wird in Analogie zum Zervixabstrich eine anale Bürstenzytologie als Screening-Methode empfohlen, zumal AIN häufig multifokal auftreten und selbst bei Durchführung von Mapping-Biopsien nicht selten verpasst werden. Bei auffälliger Zytologie wird eine weiterführende Abklärung mittels hochauflösender Anoskopie empfohlen. Auch in der Erkennung hochgradiger AIN scheinen sich hrHPV-DNA-Tests als effektiv zu erweisen; deren Stellenwert in der Screening-Strategie bedarf jedoch der Klärung durch weitere prospektive Studien. Die HPV-Vakzination zur Primärprävention des Zervixkarzinoms ist in den meisten entwickelten Ländern Bestandteil des nationalen Impfprogramms. Aufgrund der Wirksamkeit (Efficacy) der Vakzination in PerProtocol-Studienpopulationen von über 90 Prozent in Bezug auf die Entstehung hochgradiger CIN (2–3) als Surrogatendpunkt für das Zervixkarzinom in den bis anhin durchgeführten RCT wird von einer Abnahme der Inzidenz des Zervixkarzinoms in der Schweiz um etwa 60 Prozent ausgegangen, eine hohe Impfbeteiligung vorausgesetzt. In der Schweiz sind zwei rekombinante HPV-Impfstoffe aus hochgereinigten virusähnlichen Partikeln (VLP) verfügbar, der quadrivalente Impfstoff Gardasil® (HPV 6/11/16/18) seit 2007 sowie der bivalente Impfstoff Cervarix® (HPV 16/18) seit 2010. Beide Impfstoffe sind in Bezug auf die Entwicklung HPV-16- und HPV-18-assoziierter CIN 2–3 gleich wirksam. Cervarix® führt im Vergleich zu Gardasil® zu einer stärkeren Immunantwort und möglicherweise zu einem etwas höheren Schutz vor nicht im Impfstoff enthaltenen HPV-Typen (Kreuzschutz), ist jedoch häufiger mit einer verstärkten Lokalreaktion verbunden.
Die Impfung sollte vor Beginn der sexuellen Aktivität
abgeschlossen sein, da sie bei Frauen, die bereits mit
den relevanten HPV-Typen infiziert sind, weniger oder
nicht wirksam ist. Die Empfehlung der Eidgenössischen
Kommission für Impffragen (EKIF) und des Bundes-
amts für Gesundheit (BAG) sieht eine Basisimpfung
weiblicher Jugendlicher im Alter von 11 bis 14 Jahren
mit 2 Dosen in einem Abstand von 6 Monaten vor.
Ungeimpften jungen Frauen im Alter von 15 bis
19 Jahren wird eine Nachholimpfung mit 3 Dosen (0, 1–2,
6 Monate) empfohlen. In Einzelfällen kann auch bei
Frauen ab 20 Jahren eine ergänzende Impfung (3-Do-
sen-Schema) sinnvoll sein. Nach vollständiger Impfung
wird von einem Impfschutz während mindestens 5 bis
8 Jahren ausgegangen. Die Notwendigkeit einer even-
tuellen Auffrischimpfung ist noch nicht geklärt. Da
HPV 16 und 18 für zirka 70 Prozent der Zervixkarzi-
nome verantwortlich sind und noch kein Impfstoff zur
Verfügung steht, welcher auch andere mit dem Zervix-
karzinom assoziierte hrHPV-Typen (31/33/35/45/52/58)
abdeckt, sind auch weiterhin Screening-Untersuchun-
gen notwendig.
Nach Einführung eines HPV-Impfprogramms mit einem
quadrivalenten Impfstoff für alle 12- bis 26-jährigen
Frauen konnte in Australien bei hoher Impfbeteiligung
ein dramatischer Rückgang genitaler Warzen nicht nur
bei jungen Frauen, sondern infolge Herdimmunität
auch bei ungeimpften, altersentsprechenden hetero-
sexuellen Männern beobachtet werden. Die Wirksam-
keit einer quadrivalenten HPV-Vakzine gegen hoch-
gradige AIN (2–3) bei HIV-negativen 16- bis 26-jährigen
MSM konnte in einer RCT belegt werden. Dass die HPV-
Impfung auch eine wirksame Prävention des Peniskarzi-
noms und des Oropharynxkarzinoms (sowie deren Vor-
läuferläsionen) darstellt, ist wahrscheinlich, muss aber
noch in kontrollierten Studien gezeigt werden. Die stark
ansteigende Inzidenz von Analkarzinomen bei MSM,
die Begünstigung einer Übertragung von HIV durch
anale Warzen und die fehlende Herdimmunität in der
homosexuellen männlichen Population durch die
Vakzinierung von Mädchen sind Argumente für eine
generelle HPV-Impfung auch von männlichen Jugend-
lichen, zumal sich Jungen im Alter von 11 bis 14 Jahren
über ihre sexuelle Orientierung meist noch nicht im
Klaren sind und eine entsprechende Exploration in
diesem Alter ethisch nicht vertretbar wäre.
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Korrespondenzadresse: Dr. med. Jörg Galambos FMH Dermatologie und Venerologie Kempf und Pfaltz Histologische Diagnostik Seminarstrasse 1 8057 Zürich E-Mail: joerg.galambos@kempf-pfaltz.ch
Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung wird auf die konsequente Nennung beider Geschlechter verzichtet, gemeint sind jedoch stets beide Geschlechter.
Abbildungen: Universitätsspital Basel, Universitätsspital Zürich, Prof. Bernhard Cohen (Johns Hopkins Dermatology)
Interessenskonflikte: keine
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