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ZAHNGESUNDHEIT
Mundgesunde, zahnschonende Ernährung im Alter
GERTA VAN OOST
Der demografische Wandel in der Bevölkerung ist nicht zu übersehen. Der wachsende Anteil älterer (65–74) und hochbetagter (75–89 Jahre) Menschen in unserem Strassenbild ist Zeichen unserer zunehmenden Lebenserwartung. Ebenso erkennbar sind die grossen Unterschiede bezüglich Fitness und Gesundheits-(inkl. Zahn-)status in diesen Altersspannen. Dass die Ernährung den Gesundheitszustand beeinflusst, dürfte hinreichend bekannt sein. Die Erhaltung der Selbstständigkeit, der Alltagskompetenz sowie das Verhindern beziehungsweise Hinauszögern von Morbidität sind vorrangige Ziele präventiven Handelns. Erfreulicherweise nimmt der Anteil alter Menschen mit vorhandenen eigenen Zähnen zu. Nach Daten der vierten Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS IV) ist der Anteil zahnloser 65- bis 74-Jähriger von 24,8 (1997) auf 22,6 Prozent (2005) zurückgegangen (4).
Ein gesunder Mundraum mit einem funktionstüchtigen Kauapparat ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung – auch in Zeiten hervorragender prothetischer Möglichkeiten. Genussvoll essen und trinken zu können ist ein wesentlicher Teil des körperlich-geistig-seelischen Wohlbefindens, der Lebenslust und Lebensqualität. Soziale Kontakte, die Sprachfähigkeit und ein positives äusseres Erscheinungsbild sind eng verbunden mit dem Erhalt gesunder Zähne. Das ist für alle Menschen, unabhängig vom Lebensalter, erstrebenswert. Deshalb sollten beide Aspekte betrachtet werden: die biologisch-ernährungsphysiologische Seite zahngesunder Ernährung ebenso wie die psychosoziale Seite.
Mundgesunde, zahnschonende Ernährung in der zweiten Lebenshälfte
Biologisch-ernährungsphysiologische Sicht Vorab: Eine mundgesunde Ernährung ist auch stets gesund für den ganzen Körper. Es gelten die aktuellen Empfehlungen der
schweizerischen, österreichischen und deutschen Fachgesellschaften für Ernährung (DACH) (2) zur Nährstoffzufuhr.
Flüssigkeitsaufnahme Das Wichtigste ist eine gute «Bewässerung». Während ein junger Mensch eine mangelnde Flüssigkeitsaufnahme noch relativ gut verkraften kann, ist ein Flüssigkeitsdefizit im Alter oft (Mit-)Ursache von Obstipation, Kreislaufbeschwerden, Schwindelattacken, Verwirrtheitszuständen, Unfällen und Stürzen. Vergesslichkeit bei Senioren kann durchaus auf mangelndes Trinken zurückzuführen sein. Die Mundschleimhaut, die Speicheldrüsen und die Speichelproduktion funktionieren nur, wenn sie gut durchblutet und durchfeuchtet sind. Die Empfehlungen (lt. DACH) zur Flüssigkeitsaufnahme lauten: 30 ml pro kg Körpergewicht für gesunde Menschen über 50 Jahre; darin enthalten sind Wasser aus Getränken und Lebensmitteln. Für Patienten mit Krankheitsbildern wie beispielsweise Herz- oder Niereninsuffizienz gelten besondere Regeln.
Oralprophylaktische Aspekte zur Flüssigkeitsaufnahme Zucker und Säuren sind die Feinde der Zahnhartsubstanz! Unverdünnte Säfte, naturreine Säfte ohne Zuckerzusatz, Limonaden, Cola und andere Erfrischungsgetränke sind mit bis zu 150 g Zucker pro Liter zu zuckerreich. Sie löschen keinen Durst; ihr Säuregehalt stellt vielmehr ein Erosionsrisiko* für die Zahnhartsubstanz dar. Aber Achtung: Zuckerarme oder zuckerfreie, jedoch säurehaltige Getränke wie Früchtetees, Saftschorlen, Erfrischungsdrinks und aromatisierte Mineralwässer greifen mit ihrem Gehalt an Zitronenund/oder Phosphorsäure die Zahnoberfläche an. Werden solche Getränke über den Tag verteilt zwischendurch getrunken, addieren sich die Säureattacken. Der
*Unter Zahnerosion versteht man einen Verlust von Zahnsubstanz (Zahnschmelz und Dentin), der durch den direkten Kontakt der Zähne mit Säuren zum Beispiel aus Getränken, Nahrungsmitteln oder dem Magen verursacht wird. Die Säuren können den Zahnschmelz und freiliegendes Dentin angreifen und allmählich auflösen. Dieser Prozess ist ab einem bestimmten Grad nicht reversibel.
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Säureschaden tritt innerhalb von Sekunden ein – die Regeneration, sofern genügend Speichel vorhanden ist, dauert Stunden. Deshalb lautet die Empfehlung: Säure- und zuckerhaltige Getränke bitte nur zu den Mahlzeiten trinken! Dagegen sind pH-neutrale Getränke als «zahnfreundlich» zu bewerten. Als «Zwischendurchgetränk» bleiben Wasser oder Kräutertee, Kaffee und schwarzer Tee in Massen – nicht nur für die allgemeine Gesundheit, sondern auch für ein gesundes Gebiss – die sicherste Lösung.
Nährstoffdichte Lebensmittel bevorzugen Schlagzeilen wie «Die 100 besten Lebensmittel» deuten an, dass bestimmte Lebensmittel konzentrierter und reicher an lebenswichtigen Nährstoffen sind als andere und somit öfter auf den Teller gelangen dürfen. Tabelle 1 gibt eine Auswahl nährstoffdichter Lebensmittel wieder. Für den Einkauf lautet somit der Auftrag: Lieber weniger, dafür aber gezielt hochwertige Lebensmittel besorgen. Für eventuell auftretende Kau- oder Verträglichkeitsprobleme dürfen Gemüse und Obst gerne in gegarter Form angeboten werden. Die Befürchtung, Gekochtes habe nur den Wert von «Pappe», trifft nicht zu – im Gegenteil! Gegarte Lebensmittel werden von älteren Menschen in der Regel besser vertragen. Schonendes Garen und Zerkleinern – wenn nötig Pürieren – kann die Verträglichkeit wesentlich verbessern. Obst lässt sich zum Beispiel gut zu einem Smoothie verarbeiten; mit Buttermilch, Joghurt oder Quark gemixt wird daraus ein hochwertiges eiweisshaltiges Dessert oder eine zahnfreundliche Zwischenmahlzeit. Gemüse kann beispielsweise püriert als Suppe oder Sauce angeboten werden. Erfrischend sind auch Cocktails aus einem Mix aus Gemüse und Obst. Helle Brotsorten, Wurstwaren, Kuchen, Süssspeisen und Limonaden sind relativ reich an Energie, aber arm an wichtigen Inhaltsstoffen. Der hohe Gehalt an niedermolekularen Kohlenhydraten begünstigt die Bildung kariogener Mikroorganismen.
Chronische Erkrankungen, Medikamenteneinnahme, ungünstiger werdende gastrointestinale Resorptionskapazitäten sowie Regenerations- und Reparaturleistungen, die den Nährstoffbedarf erhöhen, verschärfen die Anforderungen an eine adäquate Nährstoffversorgung. Umso wichtiger wird eine hochwertige Lebensmittelauswahl mit weitgehend naturbelassenen, möglichst wenig verarbeiteten Nahrungsmitteln. Eine vorausschauende Lebensmittel-, Speisen- und Mahlzeitenplanung sollte deshalb am Anfang eines jeden Einkaufs stehen. Appetitanregende Hinweise wie zum Beispiel «Farben essen! Rote, grüne, gelbe, weisse oder blaue Gemüse und Früchte morgens, mittags, abends» machen Lust zu essen. Wer dann auch noch «Farben» zu schmecken und riechen versteht, verstärkt den Genuss.
Oralprophylaktische Aspekte zu Lebensmittelauswahl und Ernährungsgewohnheiten Die erfreuliche Tendenz eines steigenden Anteils vorhandener eigener Zähne im Seniorenalter hat eine Kehrseite: Parodontale Erkrankungen und Wurzelkaries nehmen in der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen zu. Bei den Senioren sind 48 Prozent von einer mittelschweren und 39,8 Prozent von einer schweren Parodontitis betroffen. Das Vorkommen von Wurzelkaries bei den 65- bis 74-Jährigen ist in der Zeitspanne von DMS III bis DMS IV um 29,5 Prozent angestiegen. Ein Grund: Mit zunehmendem Lebensalter steigt für vorhandene Zähne das Risiko für parodontale Erkrankungen und Wurzelkaries (4). Lebensstil und altersbezogene Risikofaktoren, die diese Zahnschäden begünstigen, sind zum Beispiel einseitige Ernährung, regelmässiger Genuss alkoholischer Getränke, Rauchen, das mit zunehmendem Alter häufigere Auftreten von Sodbrennen oder reduzierter Speichelfluss. Viele Medikamente haben speichelreduzierende Nebenwirkungen und verschärfen das Risiko für Erkrankungen des Mundraumes (Tabellen 2 und 3). Neben der sorgfältigen Zahnpflege, inklusive regelmässiger professioneller
Abbildung 1: Mitarbeit bei der Nahrungszubereitung fördert koordinative Fähigkeiten und stärkt das Selbstwertgefühl.
Tabelle 1: Beispiele nährstoffdichter, gut verträglicher, mundgesunder Lebensmittel
• Gemüse, roh oder gegart sowie Tiefkühlware
• Obst, vor allem frisch/roh sowie Tiefkühlware
• Getreideprodukte: Haferflocken, Naturreis • Vollkornprodukte, zum Beispiel Vollkornbrot
aus Vollkornmehl (fein gemahlen) • Milchprodukte, zum Beispiel Quark, Jo-
ghurt, Buttermilch, Käse (alternativ: Sojaprodukte) • fettarme Fleischwaren, zum Beispiel Geflügel, Schinken- und Bratenaufschnitt • Fisch, auch fettreiche Fischsorten wie Hering, Makrele – auch als Konserve • Eier • Nüsse, zum Beispiel Walnüsse, Haselnüsse – auch fein gemahlen oder als Nussmus • Pflanzenöle, zum Beispiel Rapsöl, Olivenöl
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Zahnreinigung, sollten deshalb möglichst alle Massnahmen einer zahnerhaltenden Ernährung ausgeschöpft werden. Dazu zählen sowohl eine zucker- und säurekontrollierte Ernährung als auch eine an Antioxidanzien und sekundären Pflanzenstoffen reiche Lebensmittelauswahl, also täglich und reichlich Gemüse und Obst. Diese Kostauswahl regt zum Kauen an und fördert somit den für die Zahngesundheit so wichtigen Speichelfluss. Verschiedene ernährungsbezogene Ursachen für Parodontalerkrankungen konnten in den letzten Jahren identifiziert werden. Ein unzureichender Verzehr von Vitamin-C-reichen Lebensmitteln (6, 8, 9) spielt demnach ebenso eine Rolle wie ein defizitärer Vitamin-D-Status (3). Vitamin C – als Antioxidans bekannt – ist für die Gesunderhaltung der Mundschleimhaut, zur Vorbeugung von Gingivitis und Parodontitis essenziell. Sigusch et al. (6) fanden bei Parodontitispatienten signifikant niedrigere Vitamin-C-, Folsäure- und Ballaststoffaufnahmen im Vergleich zu zahngesunden Probanden. Ursache war der geringere Gemüse- und signifikant geringere Obstverzehr. Folsäure ist – ebenso wie Vitamin C – ein wichtiger Faktor für die Geweberegeneration. Die Neubildung jeder Körperzelle, gleichgültig ob in der Mund- oder Darmschleimhaut oder einer Blutzelle, ist folsäureabhängig. Darüber hinaus ist eine gute Folsäureversorgung – zusammen mit den Vitaminen B6 und B12 – für einen reibungslosen Abbau von Homocystein erforderlich, einer Aminosäure, die in der Lage ist, Gefässwände zu schädigen. Gute Folsäurelieferanten sind Eier, Fleisch, Leber, Tomaten, Spinat, Gurken, Kohlgemüse und Vollkornbrot. Kalzium gehört neben Fett, Proteinen, Phosphat und Fluorid zu den Nahrungsbestandteilen mit antikariogener Aktivität (8). Eine wesentliche Säule der Kalziumaufnahme sind Milch und Käse. Zu den pflanzlichen Kalziumquellen gehören beispielsweise Brokkoli, Grünkohl, Fenchel, Bleichsellerie, Sesamkerne und Nüsse. Kalziumreiches Mineralwasser kann bei Patienten mit Osteoporoserisiko oder einer Kuhmilchproteinallergie einen wesentlichen Beitrag zur Kalziumaufnahme
leisten. Natürlich gereifter Käse zeigte in Untersuchungen kariostatische Eigenschaften. (8) Vitamin D ist nicht nur wichtig für die Regulation des Kalzium- und Knochenstoffwechsels, sondern ein Vitamin mit weitreichenden Wirkungen (3, 7, 13). Bei regelmässigem Aufenthalt im Freien ist der junge menschliche Organismus in der Lage, unter Einwirkung des Sonnenlichtes (UV-Strahlung) auf die Haut Vitamin D zu synthetisieren. Bei ungünstigen Lebensumständen (Bettlägerigkeit, zu geringem Aufenthalt im Freien, stark verhüllende Kleidung) und ab einem Alter von 65 Jahren ist die körpereigene Synthese dagegen eingeschränkt und häufig unzureichend. Zudem kommt es bei der endogenen Vitamin-D-Synthese auf den richtigen Winkel des Sonnenlichteinfalls an. Dieser ist in den Sommermonaten um die Mittagszeit optimal (13).
Tabelle 2: Mögliche Einflussfaktoren auf die Nahrungsaufnahme im höheren Alter
(in Anlehnung an [10–12])
Körperliche Behinderungen • Kauprobleme • Schluckbeschwerden • eingeschränktes Sehvermögen • Behinderung der oberen Extremitäten:
Schwierigkeiten beim Zerkleinern von Nahrung • Mobilitätseinschränkung, Immobilität
Gesundheitliche Situation und Medikamenteneinnahme • gastrointestinale Erkrankungen wie Mal-
digestion, Malabsorption, Obstipation, Übelkeit, Erbrechen • Multimedikation • ungünstige Nebenwirkungen von Medikamenten, zum Beispiel Xerostomie
Direkte Ernährungsfaktoren – ungünstige Gewohnheiten • geringe Essmenge, Auslassen von Mahl-
zeiten • einseitige Ernährung, Weglassen von
Lebensmittelgruppen • restriktive Diäten, unter anderem falsch ver-
standenes diätetisches Essverhalten • falsch verstandenes Schlankheitsideal
(es gibt auch Essstörungen im Alter) • hoher Alkoholkonsum, Alkoholismus
Es gibt zahlreiche Hinweise, dass ein suboptimaler Vitamin-D- und Kalzium-Status nicht nur zu Verlust der Knochenmasse (Stimulation der Osteoklastengenese) führt und Entzündungsprozesse fördert (erhöhte Produktion proinflammatorischer Zytokine), sondern ebenso mit einem vermehrten Auftreten von Parodontalerkrankungen verbunden ist (3). Die Auswahl Vitamin-D-reicher Lebensmittel ist beschränkt: fettreiche Fische (v.a. Hering), Eigelb, Leber, Milchfett, Vitamin-D-angereicherte Margarine und Pilze folgen mit Abstand. Da insbesondere (aber nicht nur) in der älteren Bevölkerung zunehmend unzureichende Vitamin-D-Blutspiegel beobachtet werden, sollte man für eine Substitution bei älteren Menschen offen sein (3, 7, 13).
Mahlzeitenrhythmus und orale Gesundheit Lange Pausen zwischen den Mahlzeiten sind für ältere Menschen schlecht zu überbrücken; sie sind für labile Blutzuckerspiegel und Kreislaufbeschwerden anfälliger – eine Mitursache von Unfällen. Die Portionsgrösse verringert sich, weil das Sättigungsgefühl oft schneller eintritt. Regelmässige Mahlzeiten erhalten damit einen höheren Stellenwert – 4 bis 5 Mahlzeiten über den Tag verteilt sind empfehlenswert. Um den Zähnen die nötige Zeit zur Regeneration zu geben, sollte nach Möglichkeit zwischen den Mahlzeiten eine Esspause von drei bis vier Stunden eingelegt werden. Empfehlenswerte zahnfreundliche Zwischenmahlzeiten sind Quark- und Joghurtspeisen, mit und ohne Frucht. Als zusätzliche Energiespender eignen sich Nussmus oder Sahne.
Ernährung bei degenerativen Erkrankungen sowie bei Fehl-, Mangel- und Unterernährung
Praktische Aspekte Während bei den unter 70-Jährigen oft Übergewicht und damit verbundene Erkrankungen, inklusive Zahn- und Munderkrankungen, anzutreffen sind, gewinnt die Problematik der Unterernährung mit steigendem Alter zunehmend an Bedeutung. Sobald Kaubeschwerden eintreten,
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besteht die Gefahr der Mangelernährung. Besonders kritisch wird die Versorgung mit den Nährstoffen Vitamin C, Folsäure, Vitamin D und Vitamin E (5). Deshalb darf die Frage nach der Kaufähigkeit bei älteren Patienten innerhalb der Anamnese nicht fehlen. Bei akut oder chronisch kranken alten Menschen sind Ernährungsdefizite besonders oft anzutreffen. Etliche Faktoren beeinflussen die Nahrungsaufnahme im Alter (Tabelle 3). Kaubeschwerden, wie sie durch Zahnverlust oder schlecht sitzende Zahnprothesen, Druckstellen der Prothesen, Entzündungen oder Pilzinfektionen im Mundbereich, Mundtrockenheit, aber auch bei neurologischen Störungen (z.B. nach einem Schlaganfall) auftreten können, führen bei Nichtbeachtung zu Ernährungsproblemen. Patienten mit Xero-
Tabelle 3: Einflussfaktoren auf die Zahngesundheit im Alter, Probleme in Mund und Kauapparat
(zusammengestellt aus [1, 5, 9])
• krankheitsbedingte Kau- und Schluckschwäche, zum Beispiel nach Schlaganfall
• Zahnverlust, lückenhaftes, unzureichend sitzendes Gebiss, kariöse Zähne
• schlecht sitzende Zahnprothesen • Schmerzen im Mund, Infektionen/Entzün-
dungen der Mundschleimhaut • Mundtrockenheit (Xerostomie) (subjektives
Gefühl von Mundtrockenheit) • Speicheldrüsenhypofunktion (messbare Re-
duktion der Speichelsekretionsrate) Ursache: Pharmakotherapie, Strahlentherapie, Autoimmunerkrankung wie Sjören-Syndrom • lokale Dehydratation der oralen Mukosa zum Beispiel durch Mundatmen • Verlust der Schutzfunktion des Speichels • orale Mukosa trocknet aus, dünn, glanzlos, empfindlich Folge: Läsionen, Fissuren, erhöhtes Risiko für bakterielle, virale oder Pilzinfektionen (Candida) • trockene Schleimhäute verursachen Schwierigkeiten beim Sprechen und Essen • einseitige unzureichende Ernährung • durch Arthrose verursachte Störungen der Greiffunktionen gefährden nicht nur die orale Nahrungsaufnahme, sondern auch das Mundhygienevermögen
stomie meiden oft Obst und Gemüse, ballaststoffreiche Lebensmittel. Damit wächst die Gefahr des Nährstoffdefizits. Der Verlust an Muskelmasse und -kraft setzt mit zeitlicher Verzögerung und schleichend ein. Gleichzeitig besteht ein erhöhtes Risiko für Stürze und Frakturen, für die Entstehung von Wundheilungsstörungen und Dekubitus. Mit einem geschwächten Immunsystem erhöht sich das Infektionsrisiko, auch des Mundraumes (siehe Vitamin D). Ein Teufelskreis beginnt. Lebensmittel, die Kauarbeit erfordern und damit Zeit kosten, werden entweder weich gekocht, oder man wählt der Einfachheit halber gleich breiförmige Kost. Eintöniges Essen «gibt den Rest» zur Appetitlosigkeit, Anorexie und Unterernährung. Weichgekochte Nahrung ist meist arm an Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralien, häufig jedoch reich an Kohlenhydraten, die gute Wachstumsbedingungen für kariogene Mikroorganismen bieten! Dabei würde es ausreichen, harte Lebensmittelbestandteile zu entfernen (z.B. Abschneiden harter Brotrinde, Schälen von Obst), feste Lebensmittel durch weichere zu ersetzen (z.B. Kartoffeln statt Reis, Frischkäse statt Schnittkäse, Fisch statt Fleisch) oder Nahrungsmittel vor dem Verzehr mechanisch zu zerkleinern (z.B. Mixen, Pürieren, Raffeln, Reiben von Obst, Gemüse). Ein Wechsel der Zubereitungsbeziehungsweise Garmethode (z.B. Dünsten statt Braten, gekochtes Obst/Gemüse statt Rohkost, Getreideflocken gut einweichen) bringt weitere Vorteile. Viele alte Menschen freuen sich, bei der Nahrungszubereitung mithelfen zu dürfen (Abbildung 1). Das Zerkleinern von bunten Gemüsesorten für eine Rohkostplatte oder eine Gemüsesuppe, die Mithilfe bei der Herstellung von Obstsalat beseelt nicht nur die sensorischen Organe Augen, Nase und Finger, sondern unterstützt das Training koordinativer Fähigkeiten – dazu gehört auch die Mundpflege. Positive Erinnerungen an früher oder an besondere Ereignisse werden oft durch das Zubereiten bestimmter Speisen geweckt, zum Beispiel selbst gekochter Schokoladenpudding oder Griessbrei mit roter Grütze.
All das kann helfen, den Appetit anzuregen und die Angst – beispielsweise bei Schluckstörungen – vor Nahrungsaufnahme zu reduzieren.
Schlussfolgerungen für die Nahrungsaufnahme alter Menschen Ausreichend trinken ist die Basis für Gesundheit und Wohlbefinden. Mangelndes Durstempfinden, Medikamenteneinnahme, Vergesslichkeit und eintöniges Getränkeangebot verstärken die Folgen mangelnder Wasseraufnahme, wie Mundtrockenheit, Verstopfung, Kreislaufbeschwerden, Verwirrtheit, Unfallrisiko oder Ähnlichem. Mit zirka 1,3 bis 1,5 Liter Getränk pro Tag und etwa 700 ml durch Nahrungsmittel aufgenommener Flüssigkeit beträgt die Gesamtwasseraufnahme etwa 2 Liter. (2) Trinken ist jedoch mehr als Flüssigkeitszufuhr. Es bedeutet Erfrischen, Kühlen, Wärmen, Schmecken, Prickeln spüren, Lebensgeister wecken. Wichtig ist also, Bedarf und Bedürfnis zu befriedigen, zum Beispiel auf folgende Weise: 1. Einen Getränkevorrat schaffen. Dazu
gehören Mineralwasser (still oder medium), Kräuter- und Früchtetees, Fruchtsäfte (auch mit Vitaminen angereicherte) sowie in Massen: Kaffee, Tee, Bier und Wein. 2. Die Präsentation muss stimmen: Gut greifbare Gläser und ästhetisch schöne Gefässe erfreuen die Seele. 3. Der Zugriff muss sichergestellt werden zu den Mahlzeiten und zu jeder Zeit durch gut erreichbare Getränkebehälter. 4. Speisen mundgerecht anrichten. 5. Leicht kaubare Speisen und Lebensmittel anbieten und auf hohe Nährstoffdichte achten. Oft reicht ein Moment des Nachdenkens, um einen Ernährungszustand zu verbessern. Bei grösseren Problemen mit der Nahrungsaufnahme und dem Ernährungsstatus sollte der Rat von professionellen, kompetenten Ernährungsberaterinnen eingeholt werden. Adressen sind über Krankenkassen und die einschlägigen Berufsverbände zu erfahren. Gesundheit im Alter ist am besten in Teamarbeit zu erreichen.
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Alle, die mit älteren und alten Menschen zu tun haben, sind aufgerufen, mit wachem Blick und offenem Herzen ihre Angehörigen, ihre Patienten, ihre Mitmenschen zu begleiten und zu unterstützen.
Abbildung 2: Ein Stück Lebensqualität – gemeinsame Mahlzeiten.
Korrespondenzadresse: Dr. Gerta van Oost, Dipl. Troph. Ernährungsmedizinische Kommunikation und Beratung Lehrbeauftragte Universitätszahnklinik Köln Meerbuscher Str. 45a, D-41540 Dormagen Tel. 0041 (0)2133-269113 Fax 0041 (0)2133-269114 Internet: www.ernaehrung-vanoost.de
Die psychosoziale Bedeutung der Ernährung
Eine ausreichende Nahrungsaufnahme, eine ausgewogene Versorgung mit Nährstoffen gelingt nur, wenn das Essen schmeckt und Essen Freude bereitet.
Tisch – der Ort der Begegnung Wer kennt und schätzt sie nicht: die gemütliche, entspannte Atmosphäre beim gemeinsamen Essen zu Hause, bei Freunden, beim Feiern? Wer lässt sich nicht gerne zum Essen einladen? Wie viele Kontakte finden beim Essen statt? Wie gerne erinnert man sich an ein Festmahl mit köstlichen Speisen? Der Tisch ist der Ort, an dem sich Familie und Freunde treffen, wo man miteinander spricht, Neuigkeiten austauscht und miteinander feiert (Abbildung 2). Gemeinsame Mahlzeiten sind mehr als nur Nahrungsaufnahme; sie fördern den Appetit, heben die Stimmung, lösen die Zunge, verbinden Menschen und Kulturen. Alleine essen lässt dagegen oft keinen rechten Appetit aufkommen oder verleitet zum planlosen Naschen.
Mahlzeiten strukturieren den Tag Feste «Mahl-Zeiten» geben bereits Kindern in der Erziehung Orientierung, Sicherheit und Zuverlässigkeit. Das Gleiche trifft auf die Situation älterer Menschen, insbesondere alter Menschen zu. Mahlzeiten geben dem Tag eine Struktur, eine Einteilung, einen Rhythmus. Nicht nur physiologisch, sondern auch psycho-
logisch ist es wichtig, den Tagesablauf regelmässig zum «Auftanken» zu unterbrechen. Frühstück, Mittagessen und Abendessen erinnern uns an die jeweilige Tageszeit! Unbedachtes, häufiges «Zwischendurchessen» von minderwertigen Nahrungsmitteln macht nicht nur konfus und unzufrieden, sondern gibt den Zähnen keine Gelegenheit zur Regeneration.
Essen und Trinken – Genuss mehrmals täglich! Essen und Trinken befriedigen das Genussbedürfnis mehrmals täglich und gehören damit zu den Highlights des Tages, die zur Lebensqualität betragen. Je stärker Fähigkeiten und Aktivitäten eines Menschen im Alter zurückgehen, umso grösser werden Bedeutung und Zeit des Mahles. Speisen sollten primär gut schmecken, zudem gesund und verträglich sein; Genuss ist die Quelle von Lebensfreude, Vitalität, Wohlbefinden und Kreativität. Prof. K.-H. Bässler, Mainz, hat die Bedeutung und die Kunst des Geniessens treffend beschrieben: «Durch die Genussfähigkeit unterscheidet sich der Mensch vom Tier. Leben kann man auch ohne Zucker, ohne Alkohol, ohne Kaffee, Tee und Tabak. Aber zum Leben gehört Genuss. Und Genuss ist die Wiege von Kultur, Kunst und allem, was menschliches Leben angenehm macht. Die Kunst des Lebens besteht darin, die Genüsse vernünftig in Massen so in die Gesamt«diät» einzubauen, dass sie der Gesundheit nicht schadet.»
Literatur: 1. Benz C. Orale Ursachen der Mangelernährung im Alter. Vortrag auf der 11. Dreiländertagung der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V. (DGEM), der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft Klinische Ernährung (AKE) und der Gesellschaft für Klinische Ernährung der Schweiz (GESKES) am 15. Juni 2012. 2. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE), Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), Schweizerische Gesellschaft für Ernährungsforschung (SGE), Schweizerische Vereinigung für Ernährung (SGV): D-A-CH – Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Umschau Braus Verlag Frankfurt 2000. 3. Hildebolt Charles F. Effect of Vitamin D and Calcium on Periodontitis. J Periodontol 2005; 76: 1576–1587. 4. Institut der Deutschen Zahnärzte (Hrsg): Vierte Mundgesundheitsstudie (DSM IV), Köln 2006. 5. Schrader E. Mangelernährung im Alter. Vortrag auf dem Deutschen Zahnärztetag 2011, Frankfurt/M. 6. Sigusch BW, Staudte H, Pfitzner A, Klinger G, Glockmann E. Reduktion klinischer Entzündungsparameter bei Parodontitis durch Grapefruitverzehr. Parodontologie 2004; 15: 45–50. 7. Stangl GI. Vitamin D. Aktuel Ernährungsmed 2013; 38: 118–126. 8. Staudte H, Sigusch BW, Bitsch R, Glockmann E. Die Bedeutung der Ernährung für die orale Gesundheit. ZWR Das Deutsche Zahnärzteblatt 2003; 112: 368–376. 9. Staudte H, Sigusch BW. Einfluss der mastikatorischen Funktion auf die Ernährung. ZWR Das Deutsche Zahnärzteblatt, 2010; 119: 110–116. 10. Staudte H. Die Rolle der Ernährung und einzelner Ernährungsfaktoren bei der Parodontitis. Dissertation, Universität Jena, 2005. 11. Volkert D. Mangelernährung im Alter. Ernährung im Fokus 2011; 98–102. 12. Volkert D, Bauer JM, Frühwald T, Gehrke I, Lechleitner M, Lenzen-Grossimlinghaus R, Wirth R, Sieber C. DGEM Steering Committee: Klinische Ernährung in der Geriatrie, Teil des laufenden S3-Leitlinienprojektes Klinische Ernährung. Aktuel Ernährungsmed 2013; 38: 164–187. 13. Zittermann A. Vitamin-D-Mangel in Deutschland: Unterschätzt in seiner Häufigkeit und Bedeutung. Vortrag Ärztekammer Nordrhein 30.11.2011.
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