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DYSPHAGIE
Bedarfsdeckende Ernährung mit modifizierter Nahrungskonsistenz bei Dysphagie
CHRISTINA GASSMANN
Bei Dysphagiepatienten soll die Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr durch Konsistenzanpassung sicherer werden. Allerdings können solche Massnahmen die Nahrungszufuhr auch reduzieren und dadurch das Risiko einer Mangelernährung erhöhen, die wiederum mit erhöhter Morbidität und Mortalität einhergeht und die Dauer des stationären Krankenhausaufenthaltes verlängert. Das Mass der Konsistenz sollte deshalb individuell an die Schluckfähigkeit des Patienten angepasst und regelmässig neu evaluiert werden. Die orale Ernährung kann mithilfe einer diplomierten Ernährungsberaterin FH/HF optimiert werden, wodurch die Nährstoffversorgung verbessert beziehungsweise sichergestellt wird. Ein grosses Problem bei Dysphagiepatienten ist zudem die Flüssigkeitszufuhr. Die Compliance der Patienten, eingedickte Flüssigkeiten einzunehmen, ist oftmals schlecht. Dies kann zu reduzierter Flüssigkeitszufuhr führen und somit das Risiko für Dehydration erhöhen.
Die Dysphagie ist mit ungenügender Flüssigkeitszufuhr und Mangelernährung assoziiert. Das Risiko einer Mangelernährung erhöht sich sowohl durch die Dysphagie selbst als auch durch die bestehenden Grunderkrankungen, wie zum Beispiel Stroke, Demenz, Krebserkrankungen oder neuromuskuläre Erkrankungen (1–3). Allgemein steigert das Vorliegen einer Mangelernährung die Morbidität und die Mortalität und verlängert die Dauer des stationären Krankenhausaufenthaltes. Insgesamt verschlechtern sich damit auch die allgemeine physische und psychische Verfassung sowie die Prognose (1). Da die Mangelernährung zu einem Verlust der Muskelmasse führt und mit Beeinträchtigungen der Nervenfunktion einhergehen kann, verstärkt sie wiederum die Dysphagie. Russell et al. zeigen, dass die am Schluckakt beteiligte Muskulatur aufgrund ihres Muskelfasertyps schneller abgebaut wird als die Skelettmuskulatur. Durch den Abbau der für den Schluckakt wichtigen Muskeln, der be-
reits bei sehr geringem Gewichtsverlust eintritt, erhöht sich gleichzeitig das Aspirationsrisiko (3–5). Die Gründe für eine ungenügende orale Nahrungszufuhr können sehr unterschiedlich sein. Garcia et al. berichten, dass etwa die Hälfte aller untersuchten Dysphagiepatienten weniger essen, wobei 41 Prozent angaben, aus Angst und Panik vor dem Schlucken weniger zu essen. 36 Prozent vermeiden die Gesellschaft anderer Menschen beim Essen, und ein Drittel aller Patienten berichtet, dass sie aufhören zu essen, obwohl sie noch hungrig sind (6). Weitere Gründe für eine ungenügende Zufuhr können das falsche Menü (z.B. flüssige statt weiche Kost), die eingeschränkte Menüauswahl per se, eine unappetitliche Präsentation der Speisen, geringere Energie- und Eiweissdichte aufgrund eines höheren Flüssigkeitsgehalts durch modifizierte Nahrungskonsistenz (z.B. flüssige oder pürierte Kost) oder generell eine längere Essdauer sein (3). Nahrungskonsistenzanpassungen können also bei Dyspha-
giepatienten zu verminderter Nahrungszufuhr führen und so das Risiko einer Mangelernährung erhöhen (7).
Therapiemanagement von Dysphagiepatienten
Die Dysphagietherapie ist oft langwierig und schwierig und muss deshalb interdisziplinär durchgeführt werden (Arzt, Radiologe, Logopädie, fazioorale Trakttherapie [FOTT; meist durch Ergo-/Physiotherapie], Pflegefachpersonen, Ernährungsberatung). Dennoch sind es meistens die Pflegefachpersonen, die mit dem Patienten am häufigsten Kontakt haben, ihn am besten beobachten und mögliche Schluckbeschwerden identifizieren können. Sie sollten auch sicherstellen, dass ernährungstherapeutische Interventionen konsequent durchgeführt werden. Wichtig ist zudem eine gute Dokumentation der Interventionen und eine regelmässige Kommunikation mit den involvierten Fachpersonen (2, 6, 8). Vor der eigentlichen Schlucktherapie stehen Sofortmassnahmen zur Sicherstel-
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lung der Ernährung und der Flüssigkeitszufuhr (Sonden) sowie der Schutz der Luftwege (Tracheotomie bei schwerer Dysphagie) im Vordergrund (8). Ziel der Ernährungstherapie ist es, eine Mangelernährung zu verhindern und durch Nahrung und Flüssigkeiten in angepasster Konsistenz ein aspirationsfreies Schlucken zu ermöglichen. Grundsätzlich wird dringend empfohlen, ernährungstherapeutische Interventionen und ein Screening auf Mangelernährung bei allen Patienten mit Dysphagie durchzuführen. Sobald Hinweise auf ein erhöhtes Mangelernährungsrisiko vorliegen, sollte eine diplomierte Ernährungsberaterin FH/HF hinzugezogen werden. Um das Risiko einer Mangelernährung zu erheben, kommen gemäss der ESPEN-Richtlinien, je nach Situation, verschiedene Screening Tools wie der Malnutrition Universal Screening Tool (MUST), das Nutritional Risk Screening (NRS) oder das Mini Nutritional Assessment (MNA) zum Einsatz (3, 9–11).
zählen zu den adaptiven Verfahren. Leider existieren keine universellen und gesicherten Richtlinien zur geeignetsten Konsistenzanpassung. Zur Standardisierung der Konsistenzen wurde 2002 die National Dysphagia Diet (NDD) durch die American Dietetic Association publiziert. Diese müssten jedoch noch durch von Fachexperten geprüfte Studien bestätigt werden. Ein weiteres Problem ist, dass keine einheitlichen Bezeichnungen zu den verschiedenen Konsistenzabstufungen bestehen. Jede Institution verfügt über eigene Menübezeichnungen und -definitionen. Die Fachgruppe Dysphagie des Schweizerischen Verbands diplomierter ErnährungsberaterInnen SVDE hat deshalb eine einheitliche Terminologie erarbeitet (Tabelle). Wichtig ist, dass spezielle konsistenzadaptierte Kostformen für Dysphagiepatienten nach Rezept zubereitet werden, da sonst die Gefahr besteht, dass die effektive Konsistenz je-
weils unterschiedlich ist (6–8). Darüber hinaus muss bei stark eingeschränkter Konsistenz unbedingt vermieden werden, dass sich nach dem Passieren, auch bei längerem Stehenlassen der Speisen, Bestandteile trennen und sich zum Beispiel Flüssigkeit absetzt (z.B. Obstpüree) (13). Das Mass der Konsistenzanpassung sollte der individuellen Schluckfähigkeit des Patienten entsprechen und regelmässig neu evaluiert werden. Teilweise werden Patienten unnötigerweise über längere Zeit auf der gleichen Konsistenzstufe belassen. Mischkonsistenzen sind für Dysphagiepatienten meist schwieriger zu schlucken und dadurch oft ungeeignet (z.B. Joghurt mit Stückchen, Bouillon mit Einlage), da die Gefahr besteht, dass einzelne Partikel nach dem Schlucken im Mund- oder Rachenraum zurückbleiben und dann aspiriert werden. Auch krümlige, bröselige Lebensmittel wie Kekse
Nahrungskonsistenz
Nahrungskonsistenzanpassungen sind bei Schluckstörungen sehr häufig notwendig. Wright et al. berichten, dass etwa 15 bis 20 Prozent aller Patienten in Langzeitbetreuungsinstitutionen mit pürierter Kost leben. Es gibt zwei Hauptgründe für die eingeschränkte Nahrungskonsistenz: Dysphagie (80%) und/oder ein schlechter Zahnstatus (20%) (3). Bei Dysphagiepatienten ist das Ziel der Konsistenzanpassung, die Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr sicherer zu machen. Mittels Videofluoroskopie und/oder FEES (fiberendoskopische Schluckevaluation) oder TOES (transorale Evaluation des Schluckens) kann überprüft werden, bei welcher Konsistenz oder Applikationsart (Tasse, Löffel) aspirationsfreies Schlucken möglich ist. Bei diesem Vorgehen lässt sich bei über 90 Prozent der Patienten eine geeignete Konsistenz beziehungsweise Applikationsart finden (7, 12). Diätetische Massnahmen wie Zusatznahrung oder das Anpassen der Nahrungskonsistenz und der Bolusgrösse an das Schluckvermögen (Andicken von Flüssigkeiten, Breikost, spezielle Dysphagiekost)
Tabelle: Nahrungskonsistenz flüssige Kost fein gemixte Kost
superweichgewürfelt
weiche Kost
Quelle: aus (9)
Beschreibung
• Die flüssige Kost ist durch ein feines Sieb passiert und mit dem Röhrchen trinkbar; muss je nach Indikation angedickt werden.
• Fein gemixte und teilweise passierte Kost von homogener Konsistenz, die sich auch bei längerem Stehenlassen nicht verändert. • Ist ohne Kauarbeit schluckbar. • Unter Umständen ist es nötig, dass alle Komponenten die gleiche Festigkeit aufweisen.
• Muss ohne Kauarbeit am Gaumen oder im Teller mit der Gabel leicht zerdrückbar sein. • Muss zu einem Bolus formbar sein. • Mischkonsistenzen (z.B. Suppe mit Einlage) sind nicht immer sicher schluckbar; diese unbedingt mit Schluckexperten absprechen.
• Ist nicht mehr püriert und mit wenig Kauarbeit schluckbar. • Die Nahrungsmittel sind weich gekocht und enthalten keine harten Konsistenzen (wie z.B. Nüsse).
Beispiel für Lebensmittelauswahl Vollmilch, passiertes Frappé, passierte Cremesuppe, Trinknahrungen
Joghurt (evtl. passiert), Streichkäse, gemixtes Fleisch, Eierköpfli, Griess, Pudding
Weichkäse, Hackfleisch, weich gekochte Salzkartoffeln, weiches Brot ohne Rinde
alle weichen Fleischarten, alle Wurstwaren, weich gekochtes Gemüse
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oder knusprige Brötchen oder faserige, trockene Lebensmittel sowie Speisen, die schwer zu einem Bolus geformt werden können, wie beispielsweise Reis, dürften für Dysphagiepatienten ungeeignet sein (6, 8, 13). Durch die Modifikation der Nahrungskonsistenz kommt es oft zu veränderten Ernährungsgewohnheiten. Einige Lebensmittel werden gemieden, während andere vermehrt konsumiert werden. Problematisch ist auch, dass es durch längeres Kochen zusätzlich zu Verlusten an Vitaminen und Mineralstoffen kommen kann. Die Fachgruppe Dysphagie des SVDE hat Menüs von verschiedenen Spitälern sowie Essprotokolle von Patienten in verschiedenen Konsistenzen berechnet. Dabei zeichnete sich ab, dass vor allem die Energieaufnahme sowie folgende Nährstoffe nur unzureichend abgedeckt sind (9): Flüssigkeit, Eiweiss, Nahrungsfasern, Vitamin-BKomplex, Vitamin C, Vitamin D, Kalzium, Magnesium, Eisen, Zink. Dies deckt sich mit den Ergebnissen von Wright et al, die berichten, dass Patienten mit eingeschränkter Konsistenz eine tiefere Energie- und Eiweisszufuhr aufweisen (3). Es empfiehlt sich daher, die Nährstoffzufuhr bei jedem Dysphagiepatienten zu überprüfen und kritische Nährstoffe zu evaluieren. Ess- und Trinkmengen sollten protokolliert und überwacht werden (2). Um die Nährstoffversorgung zu verbessern beziehungsweise sicherzustellen, kann die orale Ernährung durch Trinknahrung und/oder Mikronährstoffpräparate (Achtung: geeignete Arzneimittelform wählen) ergänzt werden. Die Speisen selber können mit natürlichen Lebensmitteln wie Butter, Öl, Rahm, Reibkäse und anderen fetthaltigen Milchprodukten oder mit Spezialprodukten wie Eiweissund/oder Kohlenhydratpulver und/oder speziellen Fettemulsionen angereichert werden. Eine weitere wichtige Massnahme sind energie- und eiweissreiche Zwischenmahlzeiten. Bei institutionalisierten Patienten helfen eine grosse Auswahl der Speisen, die entsprechende Beschriftung sowie eine schöne Präsentation (verschiedene Farben, ansprechend ange-
richtet: z.B. schöne Dekoration des Esstisches, Teller mit abgeteilten Fächern, die ein Ineinanderfliessen der Speisen verhindern, Fleischköpfli statt Fleischpüree, Frappés in schönen Cocktailgläsern serviert etc.), um die Nahrungszufuhr zu erhöhen. Solche Massnahmen, die Bestandteil einer professionellen Ernährungsberatung sind, sollten an die individuelle Situation des Patienten angepasst werden (3, 9). Einige Studien zeigten, dass pürierte Kost, die durch spezielle Hilfsmittel (z.B. spezielle Silikonformen) ihre natürliche Form zurückerhält, (z.B. püriertes Pouletfleisch, das aussieht wie eine Hühnerkeule), dabei helfen kann, mehr zu
Bild: puerform
essen (Abbildung). Andere Studien konnten diesen positiven Effekt nicht bestätigen (6).
Flüssigkeit Der schnelle Transport dünner Flüssigkeiten wie Wasser, Kaffee oder Säfte birgt Risiken für einige Patienten. Dies gilt vor allem bei mangelhafter Zungenmotorik, da solche Patienten nicht in der Lage sind, die Flüssigkeit im Mund zurückzuhalten (Leaking), aber auch für Patienten mit beeinträchtigtem Atemwegsschutz oder bei reduziertem kognitivem Bewusstsein. Zudem wird die Flüssigkeit häufig nicht so deutlich wahrgenommen wie festere Konsistenzen, sodass der Schluckreflex, vor allem aufgrund des geringeren Gewichtes oder des neutralen Geschmacks (z.B. Wasser), zu spät getriggert wird. Ein vorzeitiges Abgleiten in den geöffneten Kehlkopf kann die Folge sein. Gepaart mit unzuverlässigen Schutzreflexen kön-
nen die fehlgeschluckten Flüssigkeiten schwerwiegende Folgen für die unteren Atemwege haben, bis hin zur Pneumonie (6, 13). Der Einsatz von eingedickten Flüssigkeiten ist eine der häufigsten Interventionen in Spitälern und Institutionen für Langzeitbetreute. Das Eindicken hilft, die Geschwindigkeit, die Richtung, die Dauer und die Clearance des Bolus zu kontrollieren und kann so bei einigen Patienten das Risiko für Aspirationen senken (7, 14). Die Empfehlung für das Eindicken der Getränke erfolgt meist durch die Logopädie/ Schlucktherapeuten. Für die Umsetzung sind jedoch Patienten oder Betreuende zuständig. Wird das Betreuungsteam ungenügend über die entsprechenden Massnahmen informiert, unterbleibt die
konsequente Umsetzung (14). Für das Eindicken von Getränken gibt es verschiedene Verdickungsmittel, aber auch unterschiedliche trinkfertige Produkte. Problematisch ist, dass je nach Flüssigkeit (Saft vs. Milch) oder Temperatur (warm vs. Zimmer-
temperatur oder kalt) trotz gleicher Menge Verdickungspulver jeweils eine andere Textur entstehen kann. Garcia et al. zeigen, dass viele Patienten Flüssigkeiten erhalten, die entweder zu sehr oder zu wenig eingedickt werden. Dies erhöht wiederum das Risiko für Aspirationspneumonien. Gebrauchsanweisungen oder Empfehlungen, die zu vage oder zu allgemein formuliert sind, verschärfen das Problem zusätzlich. Zu stark eingedickte Flüssigkeiten können mehr Mühe beim Rachenclearing bereiten. Zudem werden oft auch Geschmack und Textur der Getränke negativ beeinflusst, was wiederum die Appetitlichkeit beeinträchtigt. Häufig herrscht auch die Meinung: «je dicker, desto besser» vor (6, 14). Die Compliance der Patienten, eingedickte Flüssigkeiten einzunehmen, ist jedoch häufig schlecht. Stark eingedickte Getränke (teilweise auch als honigartig eingedickt bezeichnet) sind den Patienten oft zuwider – sogar nektarartig eingedickte Getränke werden von mehr als 10 Prozent der Patienten nicht akzeptiert. Die schlechte Akzeptanz eingedickter Flüssigkeiten kann jedoch zu reduzierter Flüssigkeits-
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zufuhr führen und erhöht so das Risiko einer Dehydration (7). Dies bleibt leider ein noch ungelöstes Problem. Wichtig ist, dass sich das Betreuungsteam dessen bewusst ist und die Trinkmenge regelmässig evaluiert. Eine alternative Therapie, das «Frazier water protocol» von 1984, erlaubt Dysphagiepatienten den Konsum von uneingedicktem Wasser zwischen den Mahlzeiten nach spezifischen Richtlinien. Dieses Vorgehen wird jedoch kontrovers diskutiert, da nicht genügend Studien zur Evidenzsicherung vorhanden sind (6, 7).
Was es sonst noch zu beachten gilt
Ein wichtiger Punkt bei der Behandlung von Dysphagiepatienten ist eine gute Information des sozialen Umfeldes, damit beispielsweise gut gemeinte, aber ungeeignete Mitbringsel vermieden werden. Auch das Betreuungsteam sollte regelmässig geschult werden, da dessen Einstellung den Patienten beeinflussen kann (6). Hilfe beim Essen durch geschulte Personen kann bei Patienten mit Dysphagie zu höherer Energie- und Eiweisszufuhr führen. Zudem ist eine ruhige Umgebung ohne Ablenkungen für Patienten mit Schluckstörung essenziell. Dem Patienten soll das eigene Esstempo gewährt werden. Zudem ist eine optimale Sitzposition während des Essens wichtig. Spezielle Hilfsmittel (z.B. Besteck, Trinkgefässe) zum Essen und Trinken können die Patienten zusätzlich unterstützen (7, 8, 13). Besonders wichtig ist auch die Mundhygiene. Studien zeigen, dass die optimale Mundhygiene des Patienten sowie die Händedesinfektion der Kontaktpersonen das Pneumonierisiko von Dysphagiepatienten möglicherweise senken können (12).
Enterale Ernährung
Reicht die orale Flüssigkeits- und/oder Nahrungsaufnahme trotz adäquater diätetischer, pflegerischer und therapeutischer Massnahmen nicht zur Deckung des Nährstoff- und Flüssigkeitsbedarfes aus, ist eine alleinige oder ergänzende enterale Ernährung über eine Sonde indiziert oder zu evaluieren (10). Die Entscheidung für oder gegen Sondenernährung
muss jedoch immer individuell unter Berücksichtigung des (mutmasslichen) Patientenwillens, der vorhandenen Komorbiditäten, des Krankheitsgrades und der Prognose getroffen werden (10). Die Art der Applikation sowie die Art und Lage der Sonde (nasogastral/nasojejunal oder perkutane Sonden) hängen von der voraussichtlichen Dauer der möglichen Chance auf Besserung der Dysphagie und den Diagnosen ab (9). Zur Notwendigkeit einer enteralen Ernährung bei Dysphagie gibt es sehr wenige eindeutige Daten. Einige wichtige Grundsätze sind in den Leitlinien der DGEM zu finden. Die Ernährung über eine Sonde schliesst das Risiko einer Aspiration nicht völlig aus, da Mageninhalt in die Speiseröhre und die Atemwege zurückfliessen kann. Auch ob das Risiko für eine Aspiration bei duodenaler oder jejunaler Sondenlage im Vergleich zu gastraler Ernährung reduziert ist, kann nicht abschliessend belegt werden (10, 13). Wenn immer möglich sollte die orale Ernährung beibehalten werden: Schlucken und Essen sind notwendig, um die oropharyngeale Muskulatur zu trainieren und zu rehabilitieren. Zudem ist Essen und Trinken ein wesentlicher Teil der Lebensqualität (15). Es konnte zudem gezeigt werden, dass das Vorhandensein einer nasalen Sonde, vor allem bei dünnlumigen Sonden, den Schluckakt nicht behindert und es nicht zu vermehrter Aspiration kommt (16). Da die parenterale Ernährung bei Dysphagiepatienten einen geringen Stellenwert hat und nur angewendet werden sollte, wenn keine enterale Ernährung möglich ist, wird sie in diesem Artikel nicht näher behandelt.
Fazit
• Ernährungstherapie sollte nicht erst bei schwerer Mangelernährung beginnen, sondern möglichst frühzeitig, sobald Hinweise auf Ernährungsrisiken vorliegen. Das Gewicht sollte regelmässig kontrolliert werden (2, 10).
• Medizinisches Personal sollte über die Gefahren einer ungenügenden Energie- und Nährstoffzufuhr bei Dysphagiepatienten und/oder bei eingeschränkter Nahrungskonsistenz mehr
sensibilisiert und aufgeklärt werden (3). • Familienangehörige und Betreuende sollten über eine eventuell vorliegende Dysphagie informiert werden. So können gut gemeinte, aber ungeeignete Mitbringsel (wie z.B. Süssigkeiten o.a.) vermieden werden. • Für alle Personen, die Dysphagiepatienten betreuen, sind ein adäquates, regelmässiges Training und ausreichende Informationen essenziell. Dies gilt vor allem auch für Personal, das für das Eindicken der Getränke verantwortlich ist (2, 14). • Einschränkungen der Konsistenz sollten nicht als generelle Intervention eingesetzt werden. Es ist wichtig, regelmässig zu überprüfen, ob und welche Einschränkungen wirklich erforderlich sind (3). • Es ist essenziell, Flüssigkeiten richtig einzudicken (6, 14). • Jeder Patient muss individuell beurteilt und betreut werden. Unter Umständen müssen bei einem Patienten Interventionen durchgeführt werden, die sonst generell als ungünstig beschrieben werden (13). • Eine gute Mundhygiene sollte bei allen Patienten mit Dysphagie zum Standard gehören (2, 13).
Korrespondenzadresse: Christina Gassmann Dipl. Ernährungsberaterin FH Ernährungsberatung Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100, 8091 Zürich E-Mail: christina.gassmann@usz.ch
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