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Rosenbergstrasse 115
Grad noch auf dem letzten Zacken (bevor Google seinen Sitz von Zürich nach Wien verlegt hätte) hat der Bundesrat seine unselige Verordnung gekippt, mit der die Zuwanderung aus aussereuropäischen Staaten hätte halbiert werden sollen. Was zur Folge gehabt hätte, dass aufgrund des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU zwar Prostituierte aus Ungarn freien Zugangzum Schweizer Arbeitsmarkt gehabt hätten, nicht aber kanadische ITSpezialisten.
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Wollten sie schon immer wissen, wie man auf Island den Namen des Vulkans ausspricht, der die europäischen Flugsicherungsbeamten an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit und uns an jene unserer Sprechkompetenz brachte? Auf der einen Seite hilft hier ein Blick auf die offizielle Lautschrift weiter. Allerdings auch nur beschränkt, wenn man sich in den Feinheiten der Lautschrift nicht auskennt. Denn wer weiss schon, wie man «ɛ jaˌfjatlaˌjœkyt̥l» in sinnvolle Laute umsetzt? Klar ist, dass die TagesschausprecherInnen, die aus dem Doppel-L ein «tl» machten, grundsätzlich recht hatten. Wer genau wissen will, der kann sich die isländische Übersetzung von «Inselberggletscher» auch anhören, und zwar auf http://de. wikipedia.org/wiki/Media: Eyjafjallajökull.ogg. Beim vierten Abspielen erkennt man in etwa, was gemeint ist.
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Heinrich Villiger, ehemaliger Zigarrenraucher und -verkäufer hat logischerweise eigene Interessen. Dass die Eiferer von Pro Aere nicht mehr wissen, wanns im Interesse eines gedeihlichen gesellschaftlichen Zusammenlebens genug sein sollte, stösst ihm – wie vielen anderen – sauer auf.
Sauer ist er aber auch immer noch über Leute wie Thomas Zeltner, die das Gesundbleiben zur Pflicht und jegliches abweichende Verhalten (eigentlich ja nicht jegliches, sondern nur das mit Sucht oder Genuss verbundene) mindestens zur Sünde, lieber aber noch zum Straftatbestand erklärten. Villiger hat natürlich mit Ex-BAGChef Zeltner gesprochen. Aber der, so Villiger, habe einfach die EU-Verordnungen übernommen. Alles abgeschrieben. Eineinhalb Jahre hätte das BAG dafür gebraucht. Er, Villiger, habe Zeltner im Fernsehen erklärt, seine Sekretärin hätte das in einem halben Tag erledigt. Zeltner habe nur gelacht, der Schlaumeier. Aber so sei er halt: Freundlich lächeln, aber wenn man sich umdrehe, habe man den Schuh im Hintern. Fazit: Freunde werden die beiden offensichtlich nicht mehr.
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Die Glarner sind doch nicht von allen guten Geistern verlassen. Nach den aufsehenerregenden, wie einige Beobachter meinten, progressiven Entscheiden zur Gemeindefusion 2006 (aus 35 Gemeinden mach 3: Glarus Mitte, Glarus Nord und Glarus Süd) und zur Einführung (wenn auch nur hauchdünn) des aktiven Stimmrechtalters 16 im Jahr 2007, kehrte die Landsgemeinde 2010 wieder zur Normalität zurück. Nichts mit Ausländerstimmrecht, kein kostenloser öffentlicher Verkehr und keine Verschärfung der Bundesregelung beim Rauchverbot (also weiterhin Zulassung von Ausnahmen und Fumoirs). So ist die Schweiz zum Glück: Am Ende werden immer wieder (fast) alle normal.
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Normal wird hoffentlich auch wieder die FDP in Sachen Steuerpolitik im Inland und im Verhältnis zum Ausland. Normal
werden hoffentlich auch bald die Banker. Das letzte Signal dafür setzt eben diese FDP, deren politische Freunde in eben diesen Banken sitzen. Wenn schon die FDP unmissverständlich deutlich macht, dass zu viel zu viel ist (dass also ein 70-Millionen-Franken-Bonus nicht normal, niemandem vermittelbar und durch keine auch noch so gute Arbeit gerechtfertigt, sondern schlicht das Resultat krankhaften Verhaltens ist), dann solltens eigentlich auch die vordersten Banker und nicht bloss die Hinterbänkler begreifen: Sie sind daran, die allerallerletzte Gelegenheit zur Selbstregulation zu verpassen. Der nächste Schritt wird – leider, aber dann leider unvermeidlich – der Eingriff des Staats sein, der kranke Banker per Gesetz einer Therapie der Bescheidung zuweist.
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Die minderjährigen Jugendlichen, die für einen erheblichen Teil der Einbrüche und Diebstähle vor allem in den Grenzregionen verantwortlich sind, bezeichneten wir in unseren alten rassismusgesetzlosen Zeiten noch als Zigeuner. Später gewöhnten wir uns an sie als «Fahrende». Aber die politische Correctness treibt seltsame Blüten in ihrem Wahn, niemanden und schon gar nicht ganze Gruppen von Menschen mit einem negativ besetzten Attribut zu belegen. Aus Zigeunern sind so «mobile ethnische Minderheiten» geworden. Auch den Soziologen täte hin und wieder eine Lektion in Sachen Mässigung gut.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 10 ■ 2010 381