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Psyche und Sozialversicherung. Luzerner Beiträge zur Rechtswissenschaft
Gabriela Riemer-Kafka, Ordinaria für Sozialversicherungsund Arbeitsrecht an der Universität Luzern und Leiterin des Luzerner Zentrums für Sozialversicherungsrecht LuZeSo, hat die Beiträge des letztjährigen 14. Luzerner Zentrumtages von Oktober 2013 zu dem Thema «Psyche und Sozialversicherung» in einem Tagungsband herausgegeben. Wer das wenig aufwendig, fast unauffällig gestaltete Büchlein bereits kennt, weiss, dass sie dies zu Recht getan hat, kommen doch ausgewiesene juristische und medizinische Experten zu Wort. Die vielseitigen Problemfelder um die Beurteilung und Umsetzung von Arbeits-, Erwerbsund Wiedereingliederungsfähigkeit von psychisch Kranken im Rahmen des Schweizer Sozialversicherungsrechts werden praxiserfahren beziehungsweise theoretisch hochgradig versiert und mit spürbarem Interesse am Detail dargestellt. Die aktuellen Entwicklungen werden aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Dabei wird besonders auf die derzeitige Rechtspraxis im Zusammenhang mit der IV-Gesetz-Revision 6a und den Umgang mit den «pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage» («PÄUSBONOG») eingegangen. Sehr zu empfehlen ist beispielsweise der Beitrag von Jörg Jeger. Der Rheumatologe und rehabilitationsmedizinische Chefarzt der MEDAS Zentralschweiz stellt vor dem Hintergrund der ausserordentlichen versicherungsmedizinischen Bedeutung von Schmerz die Funktionalität und mögliche Dynamik von Behinderungen und die Bedeutung von Persönlichkeit, Ressourcen und salutogenetischen Aspekten für den Verlauf, zum Beispiel bei der Fibromyalgie, dar. Die umfassende, auch historisch fundierte Auseinandersetzung mit den sogenannten «Försterkriterien», der bundesgerichtlichen «Überwindbarkeitspraxis» und «Morbiditätskriterien» sowie der IVG-Revision mündet in «5 Thesen zur Auswahl der Invaliden» und instruktive Empfehlungen.
Paul Hoff, Chefarzt und stellvertretender klinischer Direktor an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, führt mit seinem Abriss der psychiatrischen Konzeptgeschichte der letzten 200 Jahre aus, wie zeitabhängig diagnostische Klassifikationen sind, dass die aktuell üblichen (ICD-10 und DSM-5) auch «Begrenztheiten» aufweisen und dass eine psychiatrische Diagnose keine unmittelbaren Rückschlüsse in juristischem beziehungsweise sozialversicherungsrechtlichem Kontext zulässt. Mit einer äusserst detailreichen und differenzierten, durch zahlreiche Gesetzestexte unterlegten Darstellung der «Auswirkungen der 6a IV-Revision aus juristischer Sicht» präsentiert Silvia Bucher, Rechtsanwältin und Lehrbeauftragte der Universität Zürich, eine Zusammenfassung, die es dem Leser erleichtert, sich in diesem unwegsamen juristischen Terrain endlich zurechtzufinden. Renato Marelli, langjähriger Präsident der Gesellschaft für Versicherungspsychiatrie, weist ausführlich in die spezielle Problematik psychiatrischer Gutachten und die Entwicklungsgeschichte der entsprechenden Leitlinien ein. Aufsätze zu Fragen psychischer Erkrankungen im Kontext beruflicher Vorsorge und bei der Wiedereingliederung in die Arbeitswelt vervollständigen dieses weitgespannte thematische Spektrum des Tagungsbandes. Fazit: Der interdisziplinäre Dialog erweist sich einmal mehr als äusserst anregend. Wie gut, dass die hervorragenden Referate in dieser Form auch einer breiteren (Fach-)Leserschaft zugänglich gemacht werden. Und wie schön, dass noch weitere Luzerner «Zentrumstage» folgen werden.
Dr. med. Kristin Rabovsky, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
Psyche und Sozialversicherung Luzerner Beiträge zur Rechtswissenschaft Gabriela Riemer-Kafka Schulthess Verlag, Zürich 2014 69 Franken 224 Seiten ISBN: 978-3-7255-7028-7
&30 5/2014
PSYCHIATRIE NEUROLOGIE