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FORTBILDUNG
Emotionsfokussierte Therapie: eine neue Therapie der Depression
Aus der intensiven Forschungstätigkeit der Arbeitsgruppe um Leslie S. Greenberg hat sich in den letzten drei Jahrzehnten der Therapieansatz der emotionsfokussierten Therapie (EFT) entwickelt, welche die Arbeit mit Emotionen in den Mittelpunkt rückt (1–3). Die emotionsfokussierte Therapie eignet sich vor allem für die Behandlung von Depressionen und Angststörungen. Sie wird aber auch sehr erfolgreich bei Paartherapien (4) eingesetzt und mit gewissen Modifikationen auch bei Traumafolgestörungen (5).
Therese Hofer Lars Auszra
Imke Herrmann
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von Therese Hofer, Lars Auszra und Imke Herrmann
D ie emotionsfokussierte Therapie (6–9) hat ihre Wurzeln in der personenzentrierten Therapie (10), in der Gestalttherapie (11) und in der erlebnisorientierten Therapie (12). Sie gehört zu den empirisch fundierten Psychotherapieverfahren (13). Im Folgenden soll die EFT vereinfacht und gekürzt vorgestellt werden. Wie ihr Name sagt, wird der Schwerpunkt in der EFT auf Emotionen gelegt. Der Therapeut hilft dem Patienten, seine Emotionen besser «zu verarbeiten». Dies umfasst, sie zu identifizieren, zu akzeptieren, zu explorieren, zu verstehen und für den Fall, dass sie nicht länger hilfreich sind, zu verändern, in der Sprache der EFT: sie zu transformieren.
Die Theorie der emotionsfokussierten Therapie Emotionen Die EFT beruht auf der Annahme, dass Affekte angeboren sind. Im Laufe der Entwicklung eines Menschen organisieren sich die Affekte in einzelne Emotionen, die wir zuerst in unserem Körper spüren. Mit der Entwicklung lernen wir, sie bewusst zu artikulieren und gedanklich zu verarbeiten. Sie sind entscheidend für unsere Anpassung an die Umgebung (14–16). Werden wir angegriffen, fühlen wir uns bedroht, und die empfundene Angst motiviert uns, zu fliehen oder uns zu verteidigen. Emotionen lenken wie Scheinwerfer unsere Aufmerksamkeit auf das relevante Geschehen, helfen uns, dieses zu bewerten, und ermöglichen uns ein adaptives Handeln. Zusätzlich beeinflussen Emotionen die nachfolgenden kognitiven Verarbeitungsprozesse wie Gedächtnis- und Entscheidungsprozesse. Zusammenfassend lässt sich sagen: Emotionen informieren uns automatisch darüber, was bedeutsam ist (Information), sie helfen uns zu überleben, indem sie uns zu
adäquaten Reaktionen bewegen (Handlungstendenz), sie enthalten Wünsche, die uns zu Handlungen motivieren (Motivation), sie integrieren Erfahrungen und geben Bedeutung und Ziele vor (Bedeutung), und sie sind auch unser primäres Signalsystem (Kommunikation) (17–19).
Unterschiedliche Typen von Emotionen Emotionen erfüllen verschiedene Funktionen. Da je nach Funktion einer Emotion in der EFT eine unterschiedliche therapeutische Vorgehensweise gewählt wird, ist es wichtig, die verschiedenen Typen von Emotionen zu unterscheiden. In der EFT werden vier Typen von Emotionen unterschieden: primäre Emotionen, die in adaptive oder maladaptive Emotionen unterschieden werden, sekundäre Emotionen und instrumentelle Emotionen (20–22). Primäre Emotionen sind die erste unmittelbare Reaktion eines Menschen auf eine Situation. Wenn sie adaptiv sind, zum Beispiel bei Trauer als Reaktion auf einen Verlust, helfen sie, auf eine Situation angemessen zu reagieren und im Sinne unserer Bedürfnisse zu handeln. Primär adaptive Emotionen fühlen sich lebendig an und verändern sich, wenn sich die Situation ändert. Wenn primäre Emotionen maladaptiv sind, zum Beispiel in Form von Ohnmacht und Scham als Reaktionen auf eine Grenzverletzung, basieren sie auf vergangenen, häufig traumatischen Lernerfahrungen. Es sind jene alten, vertrauten Gefühle, die sich nicht verändern, auch wenn sich die Umstände ändern. Wenn ein Kind in seinem Umfeld erlebt, dass jede Form von Ärger entwertet oder mit Aggression beantwortet wird, wird es ein zentrales emotionales Schema von Ohnmacht und Scham aufbauen. Der Begriff des emotionalen Schemas wird weiter unten ausgeführt. Dieses Schema sichert einem Kind in der beschriebenen Umgebung das Überleben, es stellt den Versuch dar, sich an die ungünstigen Umstände anzupassen. Wenn dieses maladaptive Schema immer wieder auch beim Erwachse-
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Symbolisierte Bedeutung Ich fühle mich schwach,
ich kann mich nicht wehren
Motivational/ verhaltensbezogen
Sicher sein, fliehen
ANGST
Körperlich/expressiv Herzklopfen, Schwitzen, ängstlicher Gesichtsausdruck
Perzeptuell/situativ Bild des Vaters,
geschlagen werden
Abbildung 1: Das emotionale Schema Angst als Beispiel. Emotionale Schemata sind ein wichtiges theoretisches Konstrukt der EFT. Denn sie bilden das Fundament unseres Erlebens und Verhaltens.
Selbst
Verstehen
Symbolisieren Bedeutung geben
Erleben
Kognitive Prozesse: z.B. selektive
Aufmerksamkeit, kohärentes Narrativ
Emotionale Schemata
Abbildung 2: Wechselwirkungen zwischen den emotionalen Schemata und dem Selbst
nen aktiviert wird, kann es das Bedürfnis nach Selbstbehauptung dauernd unbefriedigt lassen. Primär maladaptive Emotionen sind daher keine lebendigen Emotionen auf sich verändernde Situationen, sondern alte, vertraute Gefühle, die Teil der Person geworden sind. So werden Menschen mit einem leicht aktivierbaren Schema maladaptiver Scham auf eine milde Kritik mit einem Gefühl intensiver Scham oder Wertlosigkeit reagieren: «Ich bin wertlos, ich bin schlecht», und Menschen mit einem leicht aktivierbaren Schema maladaptiver Angst werden auf jede noch so kleine Herausforderung mit intensiver Angst und dem Gefühl «Ich schaffe es nicht, ich bin schwach» reagieren. Sekundäre Emotionen sind Reaktionen auf primäre emotionale Prozesse, das heisst, sie sind mehr Reaktionen auf Gedanken oder Gefühle als auf Situationen. Sie dienen häufig dazu, als unerträglich oder bedrohlich empfundene primäre Emotionen zu regulieren. So kann sich zum Beispiel Ärger über das Erleben von Trauer schieben, damit die Trauer nicht angegangen werden muss. Sekundäre Emotionen verhindern so das Verarbeiten der primären Emotionen und gelten deshalb als dysfunktional.
Instrumentelle Emotionen dienen dazu, den andern zu beeinflussen oder zu kontrollieren. So kann jemand Trauer ausdrücken, um beim andern Mitgefühl zu wecken, oder Wut, um den anderen einzuschüchtern. Instrumentelle Emotionen können bewusst oder unbewusst ablaufen.
Emotionale Schemata Emotionale Schemata sind ein wichtiges theoretisches Konstrukt der EFT (siehe Abbildung 1). Sie bilden das Fundament unseres Erlebens und Verhaltens. Sie werden als innere komplexe Organisationen gesehen, die durch das Verknüpfen von individuell Erlebtem/Erlerntem auf der einen Seite und den angeborenen affektivmotorischen Programmen auf der andern Seite zustande kommen. Sie integrieren affektive, körperliche, kognitive, motivationale, verhaltensbezogene wie auch situative Prozesse. Sie sind gewissermassen eine Blaupause für unser emotionales Reagieren in einer gegebenen Situation und für den wahrgenommenen Stimulus sowie unsere Reaktion auf diesen Stimulus. Da sie überwiegend aus nonverbalen Elementen bestehen – nach Greenberg (2) sind sie «wortlose Geschichten unserer gelebten emotionalen Erfahrung» –, sind sie kognitiv nicht zugänglich und können nur über die Aktivierung der emotionalen Erfahrung, die sie hervorbringen, zugänglich gemacht werden; das heisst, emotionale Schemata können nur durch Signale aktiviert werden, die zu den Inputmerkmalen des Schemas passen. Sie ermöglichen automatisches komplexes emotionales Reagieren, da sie auf der Basis vergangener emotionaler Erfahrung helfen, zukünftige Ereignisse zu antizipieren. Somit reagieren wir nicht nur auf die angeborenen Reize wie eine rasche Bewegung oder ein Lächeln, sondern auch auf Reize, die in der Vergangenheit emotionale Reaktionen ausgelöst haben, zum Beispiel die hochgezogene Augenbraue der Mutter oder das verächtliche Lächeln des Vaters. Da die emotionalen Schemata unter anderem auch auf Erfahrungen beruhen, besteht die Gefahr, dass sie nicht nur ein flexibles adaptives Verarbeitungssystem sind, sondern bei schädlichen Erfahrungen auch dysfunktional werden können (23). Wenn zum Beispiel für eine Person zwischenmenschliche Nähe mit Gefahr verbunden war, könnte sie auf Verständnis und Zuwendung automatisch mit Angst reagieren.
Von emotionalen Schemata zum Selbst in der EFT Wir Menschen haben sowohl die Fähigkeit, Emotionen zu spüren, wie über sie nachzudenken (1). Wie schon erwähnt, entwickeln sich durch Lernen und Erfahrungen emotionale Schemata, welche in jedem Moment durch innere oder äussere Ereignisse aktiviert werden und welche wir körperlich wahrnehmen können. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf dieses körperliche Erleben, versuchen es in Sprache zu fassen, einem Gefühl zuzuordnen und darüber nachzudenken (siehe Abbildung 2). So kann sich eine Person zum Beispiel unsicher, wertlos oder selbstsicher fühlen. Dieses komplexe körperlich vermittelte Empfinden dessen, «wie wir in der Welt sind», wird in der EFT in Anlehnung an Gendlin (12) «bodily felt sense» genannt. Um die Bedeutung und den Sinn dieses körperlich vermittelten Erlebens zu erschliessen, müssen wir unsere
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Aufmerksamkeit auf dieses Erleben richten und es in Sprache symbolisieren. Auf diese Weise gelangen wir zu unserem persönlichen Verstehen der persönlichen Bedeutung unseres körperlich vermittelten Erlebens. Sodann werden wir versuchen, es in unsere fortlaufende Selbsterzählung (Narrativ) einzuflechten. Um zu einem kohärenten Narrativ zu kommen, braucht es kognitive und emotionale Prozesse, also «Kopf und Herz» (24–26). Wir Menschen sind fortlaufend im Prozess, zu entdecken, was wir fühlen, und gleichzeitig zu konstruieren, wer wir sind – unser Selbst. Nach Greenberg (1) sind wir Menschen in gewisser Sicht die Geschichten, die wir uns erzählen, um uns unser emotionales Erleben zu erklären. In der EFT ist das Selbst keine feste Struktur, sondern ein Prozess.
Der therapeutische Prozess in der EFT Das emotionsfokussierte Behandlungsmodell In der EFT ist es Aufgabe des Therapeuten, eine empathische therapeutische Beziehung zu gestalten, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich der Therapeut in den Bezugsrahmen des Patienten hineinbegibt und dessen Erleben empathisch folgt. Er interessiert sich dabei weniger für die Störungsdiagnose des Patienten als für dessen emotionales Erleben und seinen Umgang damit im Hier und Jetzt der Therapiesitzung. Aus der Sicht der EFT besteht das Leiden der Patienten im Wesentlichen aus maladaptiven emotionalen Schemata und Schwierigkeiten in der emotionalen Verarbeitung. An bestimmten Stellen des Therapieprozesses schlägt der Therapeut dem Patienten Experimente vor (siehe unten), um dessen emotionale Verarbeitung und die Transformation von maladaptiven emotionalen Schemata zu fördern. Ziel der EFT ist es, Patienten zu helfen, Zugang zu adaptiven Emotionen zu erlangen und damit zu einem resilienteren und flexibleren Reagieren auf aktuelle Lebensumstände sowie einem positiveren Selbsterleben zu kommen. Die Veränderung zentraler Annahmen über das Selbst erfolgt von unten nach oben, sodass neues emotionales Erleben im Therapieprozess aktiviert wird. Der Therapeut fördert dies durch eine Kombination aus empathischem Folgen und prozessleitendem Führen. Der Therapeut hilft dem Patienten, schemabasiertes primäres Erleben zu aktivieren, Bewusstheit darüber zu erlangen, es in Worte zu fassen und es in ein kohärentes Narrativ einzuflechten. Handelt es sich beim Schema um ein primär adaptives Erleben, unterstützt der Therapeut den Patienten darin, die für ihn wichtigen Informationen und Handlungsimpulse zu sehen und für sich, gemäss der Sprache der EFT, zu utilisieren. Handelt es sich um ein maladaptives Schema, unterstützt der Therapeut den Patienten dabei, es zu transformieren (27). Dabei gilt der Grundsatz in der EFT, dass man an einem Ort ankommen muss, bevor man ihn verlassen kann, das heisst, schmerzvolles, zuvor vermiedenes Selbsterleben wird zugelassen, bewusst erlebt und formuliert (1). In einem nächsten Schritt wird der Patient darin unterstützt, Zugang zu adaptiverem Erleben zu erlangen. Durch die zeitlich nahe beieinanderliegenden Aktivierungen eines maladaptiven und eines adaptiven Schemas kann eine neue emotionale Reaktion entstehen (1). So kann ein Patient maladaptive Scham erleben, die mithilfe des Therapeu-
ten mit adaptivem Ärger auf den abwertenden Elternteil verknüpft wird. Aus dem Zusammentreffen dieser gegenläufigen Schemata kann ein neues Gefühl entstehen, zum Beispiel Stolz auf sich selbst, es doch geschafft zu haben.
Prinzipien emotionaler Verarbeitung In der EFT kennt man sechs empirisch basierte Prozesse, welche – eingebettet in eine wertschätzende empathische Beziehung – die Grundprinzipien der emotionalen Veränderung darstellen. Es sind dies Wahrnehmung, Regulation, Ausdruck, Reflexion, Transformation und korrigierende emotionale Erfahrung (1). Wir beschränken uns hier auf das wichtigste Prinzip, die Transformation. Wie schon erwähnt, sollen maladaptive emotionale Schemata durch die gleichzeitige Aktivierung adaptiver Schemata «aufgehoben» werden. Greenberg zieht als Analogie dafür das Gehenlernen des Kleinkindes heran: Aus dem Schema «Stehen» und dem Schema «Fallen» entwickelt sich das neue Schema «Gehen». Dies entspricht der Theorie Piagets (28), nach der sich Entwicklung durch Schemata höherer Ordnung aus der Synthese zweier oder mehrerer bereits existierender Schemata vollzieht.
Prozessorientierte Unterscheidung der verschiedenen Typen von Emotionen Mit den unterschiedlichen Typen von Emotionen wird in der EFT verschieden gearbeitet. Während der Therapeut empathisch dem Erleben seines Patienten folgt, ist er darauf eingestimmt, ob es sich bei den emotionalen Reaktionen seines Patienten um primär adaptive, primär maladaptive, sekundäre oder instrumentelle Emotionen handelt. Ziel ist es, dem Patienten die primär adaptiven Emotionen zugänglich zu machen, die ihm helfen, seine grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen. Auch primär maladaptive Emotionen müssen sorgfältig angegangen werden, mit dem Ziel, sie zu regulieren und zu transformieren. Es sind sehr oft die primär maladaptiven Emotionen, auf die in der Therapie fokussiert wird. Die sekundären Emotionen werden empathisch exploriert, um die darunterliegenden primären Emotionen angehen zu können. So wird der Therapeut seinen Patienten vielleicht fragen: «Neben diesem Ärger, von welchem Sie mir berichten, ist da vielleicht noch ein anderes Gefühl?» Bei den instrumentellen Emotionen ist es wichtig, dem Patienten die zugrunde liegende interpersonelle Absicht bewusst zu machen. So wird der Therapeut seinem Patienten vielleicht sagen: «Ich frage mich, ob in diesem Gefühl eine Botschaft steckt.» Die Unterscheidung der verschiedenen Emotionstypen ist prozessorientiert. Je nach ihrer Funktion kann jede Emotion bei jedem Patienten jedem Emotionstyp entsprechen, je nachdem, wie sie im Moment erlebt und wie sie ausgedrückt wird.
Marker emotionaler Verarbeitungsschwierigkeiten Neben den Prinzipien emotionaler Veränderung und der prozessorientierten Unterscheidung unterschiedlicher Typen emotionalen Erlebens ist die dritte zentrale Aufgabe des Therapeuten in der EFT das Erkennen von Markern für spezifische emotionale Verarbeitungsprobleme. Marker sind verbale Äusserungen oder Ver-
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haltensweisen eines Patienten, die anzeigen, dass er mit einem spezifischen Problem emotionaler Verarbeitung ringt und gewillt ist, daran zu arbeiten. Jedem Marker ist eine bestimmte Intervention beziehungsweise eine therapeutische Aufgabe oder ein Experiment zugeordnet. Eine ausführliche Darstellung der Marker und der damit verbundenen Aufgaben und Interventionen findet sich im Buch von Greenberg, Rice und Elliott (6) sowie im Buch von Elliott, Watson, Goldman und Greenberg (7). Die wichtigsten Marker sind folgende: systematisches evokatives Erschliessen bei problematischen Reaktionen, Focusing bei einem unklaren körperlich vermittelten Gefühl, Zwei-Stuhl-Arbeit bei konflikthaften Prozessen, Zwei-Stuhl-Arbeit bei selbstunterbrechenden Prozessen, Leere-Stuhl-Arbeit bei überdauernden schmerzhaften Gefühlen gegenüber bedeutsamen anderen und empathische Bestätigung bei Vulnerabilität. Die Arbeit an den spezifischen emotionalen Verarbeitungsproblemen ist stets eingebettet und wird stets begleitet von Empathie. Nachfolgend werden die emotionsfokussierte Empathie und einige Marker erläutert.
Empathie in der EFT Ziele des empathischen Vorgehens sind, ein sicheres, validierendes Umfeld zu schaffen, in welchem sich der Patient öffnen kann, und die emotionale Verarbeitung des Patienten zu fördern. Beispiel: Patientin: «Ich war mit meinem Freund auswärts essen, anfänglich war es ganz nett, aber dann wurde es kühl, und ich habe sehr gefroren; ich habe es ihm gesagt, aber er hat weitergesprochen, wie wenn er mich nicht gehört hätte, es war eigenartig.» Therapeut: «Eigenartig ? War es verunsichernd?» (vermutende Empathie) Patientin: «Ja, er war so bei sich, er schien mich nicht zu sehen.» Therapeut: «Und als Sie so dasassen, und er weitersprach, obwohl Sie froren (evokative Empathie, Situation wieder lebendig werden lassen), wie war es für Sie?» (explorative Empathie) Patientin: «Irgendwie traurig.» Therapeut: «Traurig …ich kann mir vorstellen, Sie fühlten sich zurückgesetzt, übergangen?» (vermutende Empathie). Patientin: Seufzt. «Ja.» Therapeut: «Ja, und Sie seufzen, dieses Gefühl, übergangen zu werden, das ist irgendwie wichtig?» Patientin: «Ja, ich habe es oft mit ihm und mit anderen, dieses Gefühl, nicht wichtig zu sein.» Therapeut: «Ein altes, vertrautes Gefühl von nicht wichtig sein?» Patientin nickt (verstehende Empathie). «Ich kann mir vorstellen, dass sich das sehr schmerzhaft anfühlt.» Patientin bekommt feuchte Augen (vermutende und bestätigende Empathie). Diese Form des empathischen Folgens bildet die Basis der EFT. Sobald sich im Erleben des Patienten Marker für spezifische Verarbeitungsprobleme zeigen, beginnt der Therapeut zu führen, indem er geeignete Aufgaben vorschlägt, um aktiv mit dem Patienten am jeweiligen Verarbeitungsproblem zu arbeiten. Nach erfolgreichem Abschluss der Aufgabe oder wenn der Prozess stockt, kehrt der Therapeut wieder zum empathischen Folgen zurück.
Systematisches evokatives Erschliessen bei problematischen Reaktionen Manchmal berichten Patienten, dass sie in einer Situation Mühe hatten, ihre emotionale Reaktion und ihr Verhalten einzuordnen, sie zeigen sich verwirrt und erstaunt. So berichtete zum Beispiel eine Patientin, dass sie die Korrekturen einer Arbeit von ihrem Chef zurückbekommen habe, sie habe auf das Blatt geschaut und sei in Tränen ausgebrochen, und sie habe nicht gewusst, warum. Ihr Chef sei freundlich und korrekt zu ihr. Diese Schilderung ist ein Marker für eine problematische Reaktion. Der Therapeut wird mit dem Patienten zu verstehen suchen, wie es dazu kam. Der Therapeut wird den Patienten einladen, in der Vorstellung wieder in diese Situation einzutauchen. Zuerst wird der Therapeut die Szene aufleben lassen, indem er sagt: «Da sitzen Sie also auf Ihrem Stuhl, Ihr Chef übergibt Ihnen die Korrekturen, Sie halten sie in der Hand, Sie blicken darauf und ... was passiert dann?» Ziel dieser Intervention ist es, eine Verbindung zwischen der Situation, den Gedanken und der emotionalen Reaktion des Patienten herzustellen. Auf diese Weise versteht die Patientin vielleicht, welche implizite emotionale Bedeutung die Situation für sie hat. Gelingt es ihr, gewinnt sie Zugang zum aktivierten emotionalen Schema, an welchem anschliessend gearbeitet werden kann. Im beschriebenen Fall erkannte die Patientin, deren Vater Lehrer war und sie ständig korrigierte, schliesslich: «Mir ist beim Anblick der Korrekturen bewusst geworden, dass ich meinem Vater von der Leistung her nie genügte, ich erhielt nie ein Lob von ihm, das ich so sehr gebraucht hätte, unsere Beziehung lief über seinen Rotstift.» Das systematische evokative Erschliessen ist eine wichtige Strategie, um die Wahrnehmung und die Bewusstheit emotionalen Erlebens beim Patienten zu fördern. Problematische Reaktionen kommen gehäuft zu Beginn einer Therapie vor.
Focusing bei einem unklaren körperlich vermittelten Gefühl Eine weitere Strategie, um die Wahrnehmung und die Bewusstheit emotionalen Erlebens zu fördern, ist Focusing. Focusing geht auf Gendlin (12) zurück und ist eine therapeutische Technik, die in der Gegenwart ansetzt: «Was fühle ich jetzt, in diesem Moment?» In der Konzentration auf das innere Erleben, auf die Stimme des Körpers – im Focusing «felt sense» genannt –, werden oft Emotionen spürbar, die den Weg zu einer Lösung weisen wollen. In der EFT wird es eingesetzt, wenn der Patient von einem unklaren Gefühl berichtet. Der Therapeut lädt den Patienten ein, seine Aufmerksamkeit in einer offenen Haltung nach innen zu diesem Gefühl zu richten. Er hilft dem Patienten, Worte zu finden, um dieses Gefühl zu beschreiben. Ein Patient kann dann zum Beispiel sagen: «Ich weiss nicht, woher dieses schwere Gefühl in meiner Brust kommt. Vor Jahren habe ich so gefühlt, damals war mein Vater weggezogen, und ich dachte, dass ich ihn nie mehr sehen würde ... vielleicht hängt es damit zusammen, dass jetzt meine Freundin wegzieht, ich glaube nicht, dass ich je wieder eine so gute Freundin finden werde.» Focusing ist bei Patienten hilfreich, die wenig Bewusstsein über ihr emotionales Erleben haben und/oder eher über ihre Emotionen reden, als sie körperlich zu erleben.
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Zwei-Stuhl-Arbeit bei konflikthaften Prozessen Marker für konflikthafte Prozesse tauchen sehr oft in der therapeutischen Arbeit auf. Bei konflikthaften Prozessen befinden sich zwei Selbstanteile des Patienten miteinander in Konflikt. Am häufigsten sind es selbstbewertende Prozesse, bei welchen ein kritisierender, antreibender Selbstanteil einem erlebenden Selbstanteil gegenübersteht. So sagte eine Patientin, welche eine Auseinandersetzung mit ihrem sechsjährigen Sohn hatte: «Ich fühle mich danach so schlecht, ich mache alles verkehrt; wenn Thomas sich nicht an die Abmachung hält, habe ich den Eindruck, dass ich eine schlechte Mutter sei.» Eine solch selbstbewertende Aussage ist eine Indikation für eine Zwei-Stuhl-Arbeit. Dabei wird der kritisierende Selbstanteil mit dem erlebenden Selbstanteil in einen Dialog gebracht. Die Zwei-StuhlArbeit verfolgt zwei wesentliche Ziele: Erstens soll der Patient erleben, wie aktiv er beim Aufrechterhalten des problematischen Erlebens mitwirkt. Zweitens sollen die Selbstbehauptung des erlebenden Teils und das Weicherwerden des kritischen Teils gefördert werden. Patientin (in der Rolle der internalisierten Kritikerin): «Du bist unfähig, ein Kind zu erziehen; du hast es heute wieder gesehen; du machst nie etwas richtig, einfach alles, was du machst, ist falsch.» Therapeut: «Ja, kommen Sie jetzt zu diesem Stuhl (Stuhl des erlebenden Selbst), wie ist es für Sie, das so zu hören?» Patientin: « Es tut so weh, sie hat recht, ich bin eine Versagerin.» Therapeut: «Sagen Sie ihr (der Kritikerin), wie Sie sich fühlen, was das mit Ihnen macht.» Patientin: «Ich fühle mich schrecklich, es macht mich traurig, und so hilflos, wenn du das sagst.» Später im Dialog kann die Patientin ihrem kritischen Selbstanteil sagen, dass sie zwar Fehler mache, dass sie aber deswegen keine schlechte Mutter sei und dass sie das Recht habe, von ihm unterstützt und nicht entwertet zu werden. Im weiteren Verlauf wird der kritische Teil weicher, und es wird ihr klar, dass der kritische Teil sie vor Fehlern bewahren möchte, Fehlern, die in ihrer Kindheit extrem hart geahndet wurden.
Leere-Stuhl-Arbeit bei überdauernden schmerzhaften Gefühlen gegenüber bedeutsamen anderen Die Leere-Stuhl-Arbeit wird bei anhaltenden oder wiederkehrenden schmerzlichen Gefühlen gegenüber entwicklungsgeschichtlich bedeutsamen anderen wie Eltern, Geschwistern, Partnern nach zwischenmenschlichen Verletzungen oder Trennungen eingesetzt. Ein typisches Beispiel für einen Marker ist zum Beispiel folgende Aussage eines Patienten: «Meine Mutter gab mir nie Zuneigung oder ein bisschen Anerkennung. Wenn sie mich sah, kritisierte sie mich, für mein Aussehen, mein Verhalten, für meine Leistungen für alles, aber jetzt ist sie tot, und ich muss damit leben.» In der Arbeit mit dem leeren Stuhl geht es für den Patienten darum, seine innere Repräsentation des bedeutsamen anderen in der Vorstellung auf einen leeren Stuhl ihm gegenüber Platz nehmen zu lassen und dann seine emotionalen Reaktionen zu spüren und auszudrücken. Das Ziel dieser Intervention ist, unbefriedigte Bedürfnisse dem Patienten zugänglich zu machen («Ich hätte verdient, dass du
Merksätze:
● In der emotionsfokussierten Therapie (EFT) wird der Schwerpunkt auf Emotionen gelegt.
● Der Therapeut hilft dem Patienten, seine Emotionen besser «zu verarbeiten» und sie zu transformieren.
● In der EFT ist es Aufgabe des Therapeuten, eine empathische therapeutische Beziehung zu gestalten.
● Ziel der EFT ist es, Patienten zu helfen, Zugang zu adaptiven Emotionen zu erlangen und damit zu einem resilienteren und flexibleren Reagieren auf aktuelle Lebensumstände sowie einem positiveren Selbsterleben zu kommen.
● Die EFT ist ein evidenzbasiertes psychotherapeutisches Verfahren, das in seiner Wirksamkeit als Gesamtverfahren wie auch in Bezug auf einzelne Interventionen sehr gut empirisch belegt ist.
für mich da gewesen wärst.»). Dadurch verändert sich die Sichtweise auf den anderen, und das Selbst ändert sich. Es kann zur Auflösung der schmerzlichen Gefühle kommen, wenn es gelingt, die unerfüllten Bedürfnisse gegenüber dem bedeutsamen anderen loszulassen: «Ich höre auf, darauf zu hoffen, dass du mich jemals als den anerkennen wirst, der ich bin.» Den anderen besser zu verstehen: «Ich spüre, dass du mich geliebt hast, aber du warst durch deine Krankheit überfordert.» Oder dem anderen zu verzeihen: «Ich verzeihe dir, ich spüre, dass dir alles zu viel war und du dein Bestes zu tun versuchtest.»
Forschungsbefunde Im Jahr 2008 wurde die emotionsfokussierte Therapie in die Liste der wissenschaftlich fundierten Verfahren der Depressionsbehandlung der American Psychological Association (29) aufgenommen. Vorgängig konnte die Wirksamkeit der EFT bei der Behandlung von Depression und interpersonalen Traumata belegt werden (30). In einer Vergleichsstudie mit kognitiver Verhaltenstherapie war die EFT gleich effektiv (31). Zusätzlich zu der dargestellten Prozess-Veränderungs-Forschung liegt eine Fülle von Befunden zu den einzelnen therapeutischen Aufgaben vor, so zum Beispiel für die ZweiStuhl-Arbeit bei konflikthaften Spaltungen (32), dem Leeren-Stuhl-Dialog (33) oder dem systematischen evokativen Erschliessen bei problematischen Reaktionen (34).
Schlussfolgerung
Die emotionsfokussierte Therapie ist ein evidenzbasier-
tes psychotherapeutisches Verfahren, das in seiner
Wirksamkeit als Gesamtverfahren wie auch in Bezug
auf einzelne Interventionen sehr gut empirisch belegt
ist. Mehr Informationen zur EFT sowie zur Fort- und
Weiterbildung in EFT finden sich auf der Webseite des
Deutschen Institutes für Emotionsfokussierte Therapie
(IEFT): www.ieft.de
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Korrespondenzadresse:
Dr. med. Therese Hofer
Lindenhofspital
3012 Bern
E-Mail: theres.hofer@bluewin.ch
Interessenskonflikte:
Therese Hofer: keine
Lars Auszra: keine
Imke Herrmann: keine
Literatur:
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2. Greenberg, L. S.: Emotion-focused therapy. Washington DC 2010: American Psychological Association.
3. Greenberg, L. S. & Paivio, S. C.: Working with emotions in psychotherapy. 1997; New York: Guilford.
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