Transkript
Wirtschaftsförderung für Griechenland
arsenicum
D ie Neuigkeiten über die griechische Krise waren beunruhigend. Darum rief ich Kollege Stavros an, einen Allgemeinpraktiker aus Thessaloniki, der in Basel die WONCA besucht hatte. «Siga, siga», sagte er beruhigend, «nur mit der Ruhe. Das ist hier alles nicht so schlimm, wie es die Medien berichten. Wobei auch ich Tränengasopfer behandeln musste. Wirklich übel, das Zeug. Vom leichten Augenbrennen über Asthmaanfälle bis hin zum Lungenödem habe ich alles gesehen.» «Hattet ihr auch Strassenschlachten?»«Ja, aber keine tragischen Todesfälle wie in Athen. Bei uns in Thessaloniki – und letztendlich auch in Athen – war die Mehrheit der Demonstranten diszipliniert. Und haben sie nicht recht? Warum sollen die kleinen Leute wieder die Krise ausbaden und nicht die, die das Geld abgezockt, ergaunert und vernichtet haben?» Wir schimpften über Spekulanten und Banker. «Euer Joe Ackermann war übrigens hier. Angeblich will er Geld bringen», sagt Stavros. «Nie im Leben!», rufe ich. «Der holt sich nur Geld. Immer!» Stavros murmelt: «Das ist bei Bankern halt im Genom …» «Kann ich irgendwas für dich tun?» fragte ich. «Klar, schick du ASAP der Regierung ein paar Milliarden», kichert Stavros. «Du als Schweizer, du nimmst das doch aus der Portokasse. Sonst sind wir pleite, bis sich die Deutschen endlich entscheiden.» «Immerhin zahlen sie euch fast ein Viertel der Nothilfe, und das aus Steuergeldern!» «Auch wahr», stimmt er zu, «und im Gegensatz zu Frankreich hält Deutschland nicht so viele faule Staatsanleihen. «Wie geht es jetzt weiter?», fragte ich. «So wie immer – à la grecque», lachte er. «Eigentlich ist es nur ein gradueller Unterschied im sonst schon üblichen Chaos. Irgendwie geht es. Man improvisiert, schlängelt und schlägt sich durch. Hilft sich gegenseitig. Wettert gegen die da oben.» «Stichwort Wetter – wie ist es bei euch?» frage ich. «Strahlende Sonne, Lufttemperatur 27 °C, West-Nordwest-Wind von 3 Beaufort. Meerestemperatur im Golf 19 °C.» «Herrlich – ich beneide euch! Bei uns regnet es seit Tagen», seufze ich. «Komm doch! Ich habe viel Zeit, weil wir Hausärzte einen Teilstreik machen», lädt er ein. «Aber wenn du dich wieder in das eisige Meer stürzst wie das letzte Mal, dann erwarte nicht, dass ich solche Heldentaten mitmache.» «19 °C? Das ist ja badewannenwarm! Der Vierwaldstätter See hat zurzeit 10 °C», spotte ich. «Ernsthaft, willst du nicht kommen?»,
insistiert Stavros. «Jetzt über Pfingsten? Täte dir gut. Flüge gibt es ab 200 Euro. Und so wäre dein Geld sinnvoller eingesetzt als beim griechischen Staat.» «Griiiiiiechischer Wahein», trällere ich und überlege, wie ich meinen Anteil zur griechischen Wirtschaftsförderung leisten könnte. Mittels Ferien machen. Aufenthalt in einem von einer Familie geführten Mittelklassehotel oder B&B, Berücksichtigung der lokalen Gastronomie sowie des lokalen Gewerbes (Winzer, Wein- und Spirituosenhändler, Fischer, Gemüsebauern, Patisseure, Oliven- und Ölproduzenten). «Endaxi! Ich lasse euch nicht im Stich, sondern komme!», verspreche ich. «Jede Tsatsiki, den wir essen, jeder Ouzo, den wir trinken, stärkt eure Wirtschaft! Meine Frau kann dann endlich guten Gewissens die Salatschüssel- und das dazu passende Besteck aus Olivenholz kaufen.» Aus dem Hintergrund ruft meine bessere Hälfte: «Und ein Intarsien-TavliSpiel, Keramik, handgewebte Stoffe, Schmuck …!» «Seit 40 Jahren reisen wir jedes Jahr einmal zu euch», fahre ich fort, «warum sollten wir es ausgerechnet jetzt nicht mehr tun?» Stavros kontert: «Weil Olympic Air nicht pünktlich fliegen wird und der Service schlecht sein könnte.» «Die alte Olympic Air flog nie pünktlich und der Service war stets katastrophal!», kontere ich. «Die wenigen introvertierten bis unfreundlichen Menschen, die es unter 11 Millionen generell charmanten, gastfreundlichen Griechen gibt, arbeiteten dort als Luftpersonal.» «Aber wenn die Hotels schliessen? Die Restaurants nichts kochen? Die Behörden nichts tun? Die Ärzte streiken?», bangt Stavros. «Dann gibt es immer noch das Meer!», halte ich dagegen. «Und die Behörden haben noch nie etwas Nützliches getan. Weder bei uns, noch bei euch.» Dann stelle ich die Gewissensfrage: «Sei mal ehrlich, Stavros: Hältst du es für möglich, dass wir in Griechenland darben? Obdachlos, krank und hungrig sind?» «NEIN! Ausgeschlossen!», ruft er. «Eben!», sage ich und beschliesse definitiv, die griechische Wirtschaft zu stabilisieren. «Ein Gutes hat es: Wir sind die ersten, die vor dem Staatsbankrott stehen. Jetzt ist noch Geld in den Kassen der anderen», sinniert Stavros. «Wenn die Spanier und Portugiesen pleitegehen, will und kann ihnen vielleicht niemand mehr helfen …»
430 ARS MEDICI 11 ■ 2010