Transkript
INFEKTIOLOGIE
WHO-Kampagne gegen Diarrhö
Viel erreicht, doch viel bleibt noch zu tun
Die gute Nachricht vorweg: Die Anzahl der Diarrhö-bedingten Todesfälle bei Kindern ist weltweit gesunken. Die schlechte Nachricht: Noch immer ist die Diarrhö in den Ländern der Dritten Welt eine tödliche Gefahr, die jedes Jahr hunderttausende von Kindern das Leben kostet. Prof. Olivier Fontaine, WHO, berichtete am SGP-Kongress in Genf über den aktuellen Stand der Dinge.
Gemäss den aktuellen Daten der WHO sind weltweit 9 Prozent aller Todesfälle bei Kindern auf Diarrhö zurückzuführen (1). In den entwickelten Ländern ist die Diarrhö zwar nur noch äusserst selten eine Todesursache, doch komme dies auch dort zuweilen noch vor, sagte Prof. Olivier Fontaine, WHO Genf, und nannte als Beispiel eine Grössenordnung von 45 bis 80 Kindern pro Jahr in Frankreich. Weltweit ist die Diarrhö-bedingte Mortalität innert 30 Jahren um 82 Prozent gesunken, von 4,6 Millionen Kindern weltweit im Jahr 1980 auf 800 000 Todesfälle 2010: «Das bedeutet, dass mehr als 60 Millionen Leben gerettet werden konnten», sagte Fontaine.
Erfolgsrezepte
Zurückzuführen sei dieser Erfolg auf drei Strategien: Prävention und Behandlung der Dehydratation durch orale und intravenöse Substitution, kontinuierliches Stillen beziehungsweise kontinuierliche Ernährung auch bei Diarrhö und die Gabe von Antibiotika nur im Fall blutiger Durchfälle. Zu banal? «Nein», sagte Fontaine und erinnerte daran, wie unterschiedlich zuvor die Empfehlungen gelautet hatten, nämlich bei Diarrhö nichts zu essen und zu trinken und immer Antibiotika zu geben – ein Irrweg, wie man heute weiss. Neben der Förderung der allgemeinen Hygiene und der Verfügbarkeit sauberen Trinkwassers hat sicher die Entwicklung der oralen Hydratationsflüssigkeit den grössten Anteil am Erfolg. Die Zusammensetzung hat sich über die Jahre hinweg leicht verändert. Heute enthält sie 13,5 g/l Glukose, 2,6 g/l Natriumchlorid, 2,9 g/l Natriumbikarbonat und 1,5 g/l Kalium (Gesamtosmolalität: 245 mmol/l). Als einfache und wirkungsvolle Zusatzmassnahme haben sich Zinktabletten erwiesen, sodass heute von der WHO 20 mg Zink pro Tag für 10 Tage für Kinder mit Diarrhö empfohlen wird (10 mg für Kinder unter 2 Jahren). Zink hilft im Übrigen auch bei anderen Infektionskrankheiten, was man auf eine Unterstützung Zink-abhängiger Stoffwechselwege zurückführt, die für praktisch alle Funktionen des Immunsystems eine Rolle spielen.
Impfungen
Rotaviren seien für viele Diarrhö-bedingte Todesfälle verantwortlich, sagte Fontaine und sprach sich für die
entsprechende Impfung aus. Diese habe einen Wirkungsgrad von 35 bis 90 Prozent, und durch 100 Impfungen gegen Rotavirus würden schätzungsweise 3 Fälle schwerer Diarrhö verhindert, so Fontaine. Weltweit betrachtet mag das stimmen. Da Rotavirusinfektionen im Gegensatz zu den Ländern der Dritten Welt hierzulande praktisch nie tödlich ausgehen, haben BAG und EKIF 2008 entschieden, die Rotavirusimpfung in der Schweiz bis auf Weiteres als Impfung ohne Empfehlung zu belassen (2). Die Diarrhö ist nur eine der Infektionskrankheiten, die in bestimmten Regionen der Welt für viele Todesfälle bei Kindern verantwortlich sind. Seit man erkannt hat, dass in den 10 Ländern mit der höchsten Diarrhörate auch die höchste Pneumonierate zu verzeichnen ist, will die WHO künftig die Anstrengungen gegen beide Erkrankungen in einer Kampagne zusammenfassen.
Zu spät zu wenig Geld
«Es ist inakzetabel, dass so viele Kinder sterben, obwohl es wirksame Therapien gibt!», klagte Oliver Fontaine. Er kritisierte, dass im Vergleich zu anderen Krankheiten für die Bekämpfung von Diarrhö und Atemwegserkrankungen nur wenig Geld für den Erhalt eines beschwerdefreien Lebensjahrs (DALY, disease-adjusted life years) ausgegeben werde. Bei den Ausgaben steht Diabetes mit grossem Abstand an der Spitze, danach folgen kardiovaskuläre Erkrankungen, HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria. Diarrhö und Atemwegserkrankungen kommen erst auf Platz 6 und 7, wobei für den Erhalt eines beschwerdefreien Lebensjahrs bezüglich dieser beiden Krankheiten 50beziehungsweise 100-mal weniger ausgegeben wird als für Diabetes. Olivier Fontaine zeigte sich über die gesundheitspolitische Vernachlässigung der Kinder sichtlich verärgert: «Jetzt müssen wir etwas tun. Sofort!»
Renate Bonifer
Quelle: Hauptvortrag I: Olivier Fontaine: La diarrhée infantile: problème de santé publique majeur? SGP-Jahrestagung Genf, 20. bis 21. Juni 2013.
Referenzen: 1. www.who.int/gho/child_health/mortality/causes/en/index.html, Stand: 13. Juli 2013. 2.www.bag.admin.ch/ekif/04423/04429/index.html?lang=de, Stand: 13. Juli 2013.
Prof. Olivier Fontaine, WHO
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