Transkript
KONGRESSHEFT
Ohr, Stirn oder rektal?
Welche Fiebermessung liefert die zuverlässigsten Resultate?
Die rektale Messung der Körpertemperatur gilt als Goldstandard. Sie wird in der Praxis aber häufig nicht angewendet. In einer Praxisstudie verglich Dr. med. Jan Teller, Langnau, die Resultate von Fiebermessungen mit Ohr- oder Stirnthermometern mit dem rektal gemessenen Wert.
Fieber ist bei Kindern häufig, und es gilt auch als häufigster Anlass, das Kind zum Kinderarzt zu bringen, sei es in der Sprechstunde oder im Notfalldienst. Umso erstaunlicher ist, dass Fragen bezüglich der Messmethode in der Praxis bis anhin wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die rektale Messung sei zwar der Goldstandard, aber sie gelte als invasiv und werde von Kindern, Eltern und auch einigen Ärzten nicht gut akzeptiert, sagte Dr. med. Jan Teller am SGP-Kongress in Genf: «Der Goldstandard funktioniert in der realen Welt oft nicht.» Die Datenlage für andere Methoden ist dürftig. Nur für die axilläre Messung gebe es recht gute Daten für Kinder im Alter von unter 4 Wochen, berichtete Teller. In diesem Alter scheint die axilläre Messung sehr akkurat zu sein. Bei älteren Kindern und Erwachsenen hingegen zeigten sich in Studien widersprüchliche, heterogene Resultate.
Schweizer Praxisstudie
In der Studie wurde der rektal gemessene Wert mit demjenigen aus der Messung mit einem Infrarot-Ohrthermometer und mit einem Infrarot-Stirnthermometer verglichen. Die Thermometer waren handelsübliche, in der Schweiz gängige Produkte: ein flexibles, digitales Thermometer (Microlife MT1961 von Migros), ein Infrarot-Ohrthermometer von Braun (ThermoScan 6022), ein Infrarot-Stirnthermometer von Novars (VoiceThermo wdc 6603 B). In die Studie eingeschlossen wurden Kinder im Alter von 1 bis 24 Monaten, die innert 5 Monaten wegen Fieber in Tellers Praxis kamen. Ausgeschlossen wurden Kinder mit vorbestehenden chronischen Krankheiten oder falls die Eltern die Teilnahme verweigerten, wobei Letzteres nur in 1 Fall vorkam. Die Körpertemperatur wurde bei den Kindern mit allen drei Methoden gemessen. Die Raumtemperatur lag bei 22 bis 24 °C; manche der entkleideten Kinder lagen unter einer Wärmelampe, das wurde jeweils im Protokoll der Messungen vermerkt.
Messung im Ohr ist eine Option
Insgesamt wurden 254 Kinder (117 Knaben und 137 Mädchen) mit einem medianen Alter von 7 Monaten
in die Studie eingeschlossen. Zwischen den Messungen im Ohr und auf der Stirn ergab sich kein statistisch signifikanter Unterschied. Verglich man jedoch die rektale Messung jeweils mit der Ohr- oder mit der Stirnmessung, so zeigte sich im Durchschnitt ein kleiner, aber statistisch signifikanter Unterschied: Die Ohr- und Stirnwerte waren im Durchschnitt niedriger (Ohr: -0,1 °C; Stirn: -0,15 °C), was im Grunde zu erwarten war und per se nicht gegen die Ohr-/Stirnmessung spricht. Als beträchtlich und «inakzeptabel», so Teller, erwies sich jedoch die Streubreite der Werte beim Vergleich rektale versus Ohrmessung (fast 2 °C) sowie rektale versus Stirnmessung (fast 3 °C). Trotzdem riet er «mangels Alternativen» zum Ohrthermometer, falls eine rektale Messung nicht möglich ist. Vom Gebrauch des Stirnthermometers riet er ab, da dieses nicht nur eine noch grössere Streuung aufwies, sondern auch störungsanfälliger gegenüber exogenen Faktoren wie Wärmelampen war. Jan Teller wies ausdrücklich darauf hin, dass in dieser Studie nur die drei genannten Geräte verwendet wurden und die Resultate nicht auf alle Geräte ähnlichen Typs eins zu eins übertragen werden dürften. Ob die axilläre Messung eine mögliche Alternative ist, untersucht das Team* derzeit noch.
Fazit für die Praxis
• Es gibt keine Goldstandardalternative zur rektalen Fiebermessung.
• Stirnthermometer sind nicht empfehlenswert. • Mangels Alternativen ist das Ohrthermometer eine
Option. • Letztlich ist der klinische Eindruck und nicht die ge-
messene Körpertemperatur wichtig für diagnostische und therapeutische Entscheidungen.
Renate Bonifer
*Dr. med. Jan Teller führte die Praxisstudie in Zusammenarbeit mit Dr. med. Monica Ragazzi und Dr. med. Giacomo Simonetti, Kindernephrologie Inselspital Bern, und Dr. med. Sebastiano A.G. Lava, Kinderspital Bellinzona-Mendrisio, durch.
Quelle: Freie Mitteilung CL 2: Teller J, Ragazzi M, Simonetti GD, Lava SAG: Accuracy of infrared ear and contact forehead thermometers in the private pediatric practice. SGPJahreskongress in Genf, 20. bis 21. Juni 2013.
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Dr. med. Jan Teller, FMH Kinderund Jugendmedizin, Langnau
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