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IMPFUNGEN
«Jugendliche und Erwachsene gegen Pertussis impfen!»
Interview mit Prof. Dr. med. Ulrich Heininger, Basel
Seit gut einem Jahr sollen auch Erwachsene gegen Pertussis geimpft werden, insbesondere wenn sie Kontakt mit Säuglingen haben. Die neue Regelung wurde damals zwar allgemein begrüsst, im Detail jedoch auch kritisiert, unter anderem, weil die Auffrischimpfung von Jugendlichen im Alter von 11 bis 15 Jahren nicht ausdrücklich empfohlen wurde, sofern diese als Kinder alle fünf vorgesehenen Pertussisimpfungen erhalten hatten. Angesichts neuer Daten hat die EKIF (Eidgenössiche Kommission für Impffragen) im Schweizer Impfplan 2013 eine sechste Standarddosis Pertussis für Jugendliche eingeführt.
P ÄDIATRIE: Herr Professor Heininger, viele Kollegen in der Praxis waren verunsichert, weil die EKIF Ende 2011 die Pertussisimpfung nur für Erwachsene von 25 bis 29 Jahren empfahl, nicht aber für Jugendliche, wenn diese als Kinder alle fünf Impfdosen erhalten hatten. Was empfiehlt die EKIF heute? Prof. Dr. med. Ulrich Heininger: Wenn jemand jünger als 25 Jahre oder älter als 29 Jahre ist und regelmässig Kontakt zu Säuglingen jünger als sechs Monate hat oder aktiven Kinderwunsch, dann soll man jederzeit gegen Pertussis impfen. So steht es auch ausdrücklich in den neuen Empfehlungen. In der Tat gibt es gute Gründe, dass eine weitere, sechste Impfung im Jugendalter sinnvoll ist. So zeigen Studiendaten, die nach der EKIF-Empfehlung Anfang 2012 publiziert wurden, dass der Impfschutz gegen Pertussis bereits fünf Jahre nach der Impfung erheblich zurückgeht. Nehmen wir einmal an, dass der Impfschutz gegen Pertussis nach den fünf Impfungen im Kindesalter 90 Prozent beträgt, dann wäre nach der 2012 publizierten Studie nach fünf Jahren bereits mit einem Rückgang auf 48 Prozent zu rechnen. Wenn es zu Beginn gar nur 85 Prozent Impfschutz wären, dann wäre nach fünf Jahren praktisch gar kein Schutz mehr da. Der wahre Wert wird wahrscheinlich irgendwo in der Mitte liegen. Angesichts dieser neuen Daten hat die EKIF jetzt im Impfplan 2013 die sechste Standarddosis Pertussis für Jugendliche eingeführt. Die Impfung für Erwachsene im Alter von 25 Jahren wird somit zur chronologisch siebten Pertussisimpfdosis im Schweizer Impfplan.
Warum ist es wichtig, Jugendliche und Erwachsene gegen die Kinderkrankheit Pertussis zu impfen? Heininger: Es ist eine verbreitete, aber falsche Ansicht, Pertussis sei ausschliesslich eine Kinderkrankheit – in Wahrheit betrifft sie Personen jeden Alters. Unsere Impfstrategie für die Erwachsenen zielt in allererster Linie darauf ab, junge Säuglinge vor Pertussis zu schützen. Der typische Keuchhusten ist nur
die Spitze des Eisbergs. Auch oligosymptomatische oder gar asymptomatische Personen oder Patienten mit anhaltendem Husten können mit Bordetella pertussis, dem Pertussiserreger, infiziert sein und ihn deshalb auch übertragen. Wir wissen, dass gut die Hälfte der Säuglinge und Kleinkinder mit Keuchhusten von ihren Eltern oder Geschwistern angesteckt wurden. 89 Prozent der hospitalisierten Patienten mit Pertussis in der Schweiz sind Säuglinge. Wir sollten also nicht nur Kinder, sondern auch die den Säugling umgebenden Erwachsenen gegen Pertussis impfen, um einen möglichst guten Schutz zu erreichen.
Wenn das so ist, könnte man die Pertussisimpfung ja gleich für alle Erwachsenen empfehlen, bei denen eine Diphtherie-Tetanus-Auffrischung fällig ist. Warum wird das nicht gemacht? Heininger: Das ist eine gute und berechtigte Frage. Hier spielen letztlich Überzeugungskraft und Kosten eine Rolle. Ich persönlich halte es für eine gute Idee, alle Erwachsenen gegen Pertussis zu impfen. Entweder sofort, wenn Kontakt mit Säuglingen zu erwarten ist, oder routinemässig, wenn die letzte Diphtherie-Tetanus-Impfung länger als 20 Jahre zurückliegt und sowieso aufgefrischt werden muss; bei bestimmten Personen, wie beispielsweise Immunsupprimierten oder über 65-Jährigen, beträgt das Intervall nur zehn Jahre. Oder wenn – was gar nicht so selten vorkommt – der Impfstatus unbekannt ist. Es gibt Länder, in denen das so empfohlen wird, beispielsweise in Frankreich, Deutschland, den USA und Australien. Ob das einmal zu einer offiziellen EKIF-Empfehlung wird, vermag ich nicht abzuschätzen.
Und wie oft müsste man dann die Erwachsenen gegen Pertussis impfen? Heininger: Ab dem Alter von 11 Jahren genügt grundsätzlich eine einzige Pertussisimpfdosis! Damit wird ein ausreichender Schutz gegen Pertussis gewährleistet, unabhängig von der Anzahl früherer Pertussisimpfun-
Prof. Dr. med. Ulrich Heininger, Leitender Arzt an der Abteilung für Infektiologie und Vakzinologie des Universitäts-Kinderspitals beider Basel, ist Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF).
Erwachsene gegen Pertussis zu impfen, zielt in allererster Linie darauf ab, junge Säuglinge zu schützen.
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IMPFUNGEN
Aktuelle Impfempfehlung der EKIF für Diphtherie, Tetanus und Pertussis
Neu wird im Schweizer Impfplan 2013 empfohlen, dass Jugendliche im Alter von
11 bis 15 Jahren standardmässig eine sechste Pertussisimpfdosis erhalten sollen.
EKIF und BAG empfehlen eine einmalige Impfung gegen Pertussis (pa) für alle Er-
wachsenen im Alter von 25 bis 29 Jahren zum Zeitpunkt der dT-Impfung mit einem
dTpa-Kombinationsimpfstoff. Diese Empfehlung gilt darüber hinaus unabhängig vom
Alter für alle Erwachsenen und Jugendlichen, welche regelmässigen Kontakt mit
Säuglingen unter 6 Monaten haben (Risikogruppe) und in den letzten 10 Jahren nicht
gegen diese Krankheit geimpft wurden (eine Impfung im Erwachsenenalter). In dieser
Situation soll die Impfung gegen Pertussis so bald als möglich durchgeführt werden.
Bei Erwachsenen ist das Intervall zwischen den Auffrischimpfungen gegen Diphtherie
(d) und Tetanus (T) im Alter von 25 bis 64 Jahren im Gegensatz zu früher von 10 auf
20 Jahre verlängert worden (ausser bei Immunsupprimierten und über 65-Jährigen).
Die dT-Auffrischimpfungen sollen demnach im Alter von 25, 45 und 65 Jahren und an-
schliessend unverändert alle 10 Jahre erfolgen.
Die Kosten für die dT-/dTpa-Auffrischimpfungen/Primovakzination von Erwachsenen
werden gemäss diesen Empfehlungen von der obligatorischen Krankenversicherung
übernommen. Die Kosten für zusätzliche Impfungen, welche bei Reisenden indiziert
sind, müssen durch diese selber getragen werden. Gegebenenfalls können diese Kos-
ten durch eine Zusatzversicherung abgedeckt sein.
RBO
Tabelle 1: Impfschema für die dT-/dTpa-Auffrischimpfungen bei Erwachsenen in Abhängigkeit von Alter, dT-Impfstatus und Intervall seit letzter Tetanusimpfung
Intervall seit letzter Tetanusimpfung (T)
16–24 Jahre < 10 Jahre ≥10 Jahre 25–29 Jahre < 2 Jahre ≥ 2 Jahre 30–64 Jahre < 20 Jahre ≥ 20 Jahre ≥ 65 Jahre < 10 Jahre ≥ 10 Jahre vollständig geimpft keine bis zum gegen Diphtherie/ 25. Geburtstag Tetanus (dT) unvollständig 1–3 x dT* geimpft gegen Diphtherie/Tetanus (dT) keine 1 x dTpa 1 x dTpa/ 0–2 x dT keine 1 x dT* 1–3 x dT* keine 1 x dT* 1–3 x dT* *Prinzipiell gilt: 1 x dTpa unabhängig vom Alter bei regelmässigem Kontakt mit Säuglingen unter 6 Monaten und wenn noch keine Impfung im Erwachsenenalter erfolgte und die letzte Pertussisimpfung (pa) mindestens 10 Jahre zurückliegt. Das minimale Intervall seit der letzten Tetanusimpfung beträgt 4 Wochen. Impfstoffe für Jugendliche und Erwachsene in der Schweiz: T: Tetanol pur®; dT: Td-pur®; dT-IPV (mit Polio): Revaxis®, Td-Virelon®; dTpa: Boostrix®; dTpa-IPV: BoostrixPolio®. Tabelle 2: Empfehlung 2013 für Pertussisimpfungen im Kindes- und Jugendalter Dosis 1 bis 4 in den ersten 24 Lebensmonaten Dosis 1: 2 Monate Dosis 3: 6 Monate Dosis 2: 4 Monate Dosis 4: im Alter von 15 bis 24 Monaten Impfstoff: DTPa-IPV-Hib-HepB (Infanrix® hexa) oder DTPa-IPV-Hib (Infanrix® DTPa-IPV+Hib oder Pentavac®) Dosis 5 im Alter von 4 bis 7 Jahren Impfstoff: DTPa-IPV (Infanrix® DTPa-IPV oder Tetravac®) Dosis 6 im Alter von 11 bis 15 Jahren Impfstoff: dTpa (Boostrix®) oder dTpa-IPV (Boostrix-IPV®) Quelle: Zusammengefasst nach Schweizer Impfplan 2013. gen – also auch dann, wenn es die erste Pertussisimpfung in diesem Alter ist. Wir wissen aber nicht genau, wie lange eine Pertussisimpfdosis bei Erwachsenen schützt. Welches Auffrischintervall anzusetzen ist, wird die Zeit zeigen. Wir müssen uns jetzt, im Jahr 2013, noch nicht festlegen. In zehn Jahren wissen wir sicher mehr und können dann hoffentlich auf einer guten Datenbasis eine Empfehlung aussprechen. Wie sieht es mit der Sicherheit der Pertussisimpfung aus? Diese ist ja nur mit einem Kombinationsimpfstoff möglich, sodass sich auch die Frage stellt, wie lange die letzte Tetanus- beziehungsweise Diphtherie-Tetanus-Impfung zurückliegen sollte? Heininger: Wir wissen, dass bei 5 bis 10 Prozent aller Erwachsenen nach der Diphtherie-Tetanus-PertussisImpfung, also dTpa, eine Lokalreaktion mit Rötung, Schwellung und Schmerzen an der Einstichstelle auftritt. Dabei spielt es erstaunlicherweise praktisch keine Rolle, ob die letzte Diphtherie-Tetanus-Impfung vier Wochen, vier Monate, vier oder zehn Jahre zurückliegt. Insofern ist der Abstand zur letzten dT- beziehungsweise T-Impfung eigentlich belanglos. Die EKIF empfiehlt pragmatisch ein Minimalintervall von vier Wochen. Auch wenn jemand erst vor Kurzem gegen Diphtherie und Tetanus geimpft worden ist, braucht man also keine Angst vor dem erhöhten Nebenwirkungsrisiko der dTpa-Impfung zu haben. Wie sieht es in der Schwangerschaft und Stillzeit mit der Pertussisimpfung aus? Heininger: Es wird jetzt schwangeren Frauen im zweiten und dritten Trimenon empfohlen, sich gegen Pertussis impfen zu lassen, es sei denn, sie wurden bereits in den vergangenen fünf Jahren gegen Pertussis geimpft, was kaum der Fall sein dürfte, oder waren nachweislich, das heisst PCR-gesichert, in den vergangenen fünf Jahren an Keuchhusten erkrankt. Die Impfung der Schwangeren wird nicht nur in der Schweiz, sondern seit Kurzem auch in Grossbritannien und den USA empfohlen. Analog zur Influenzaimpfung in der Schwangerschaft steht dahinter zum einen die Idee, die schwangere Frau selbst zu schützen, und zum anderen die Hoffnung, dass die Pertussisimpfantikörper der Mutter, welche über die Plazenta auf den Feten übergehen, das Neugeborene vor Pertussis schützen. In der Fachinformation des hierzulande verfügbaren dTpa-Impfstoffes steht, dass der Fötus bei der Impfung, wie bei allen inaktivierten Impfstoffen, keinen Schaden nimmt, die Impfung jedoch mangels ausreichender Daten nur gemacht werden sollte, wenn sie dringend benötigt wird und die möglichen Vorteile überwiegen. Nach Ansicht der EKIF überwiegen diese Vorteile. Wird die Impfung in der Schwangerschaft versäumt oder abgelehnt, soll sie der Mutter baldmöglichst nach der Geburt gegeben werden. Die Impfung steht nicht im Widerspruch zur Impfstoffzulassung, selbst wenn sie ihr Kind stillt. Die weltweiten Erfahrungen mit der Impfung gegen Diphtherie und Tetanus in der Schwangerschaft oder Stillzeit sind sehr positiv und unterstützen somit indirekt auch die Pertussisimpfempfehlung. Das Interview führte Dr. Renate Bonifer. 34 1/13