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EXPERTENBRIEF NR. 33 DER GYNÉCOLOGIE SUISSE SGGG
In der GYNÄKOLOGIE werden – nach Auswahl der Herausgeber – an dieser Stelle aktuelle Expertenbriefe publiziert (verifizierte Printform).
Expertenbrief Nr. 33
(siehe auch: http://sggg.ch/de/members_news/1005)
Kommission Qualitätssicherung Präsident Prof. Dr. med. Daniel Surbek
Aktuelle Empfehlungen zur Präkonzeptionsberatung
Die Hälfte aller Schwangerschaften entsteht ungeplant. Deshalb ist es wichtig, auch anlässlich von Routinekontrollen bei Frauen im fertilen Alter Themen der Schwangerschaft anzusprechen und zu beraten, auch wenn eine Schwangerschaft nicht bewusst in Planung ist.
Regina E. Bürki, Gero Drack, Peter D. Hagmann, Irène Hösli, Jacques Seydoux, Daniel Surbek
Dank Schwangerschaftsvorsorge ist es in den westlichen Industrieländern gelungen, die mütterliche und kindliche Mortalität und Morbidität stark zu senken. Trotzdem bleibt auch in der sonst medizinisch hoch versorgten Schweiz noch Raum für Verbesserung. So liegt zum Beispiel die Frühgeburtsrate bei über 8%, bei unter 18-jährigen Müttern sogar bei mehr als 10%. Ein Teil der Ursachen dafür sind I fehlende oder späte Inanspruchnahme der angebotenen
Vorsorgeleistungen oder auch I fehlende rechtzeitige Erkennung von Risikofaktoren für
angeborene Fehlbildungen oder I zu erwartende schwerwiegende Komplikationen. Es wurde mehrfach gezeigt, dass eine gezielte Beratung und Intervention vor der Schwangerschaft das Outcome einer folgenden Schwangerschaft für Mutter und Kind signifikant verbessern kann. Da bis zu 50% aller Schwangerschaften ungeplant sind, ist die Antikonzeptionsberatung grundsätzlich ein wichtiger Bestandteil der allgemeinen gynäkologischen Vorsorge bei der Jahreskontrolle.
Zielsetzungen der Präkonzeptionsberatung
Dazu gehören die frühzeitige Risikoeinschätzung, die allgemeine Gesundheitsförderung, die spezifische Intervention zur Veränderung oder Eliminierung von Risikofaktoren und die Beratung bezüglich Schwangerschaft.
Das Vorgehen in der Praxis
Die Präkonzeptionsberatung beinhaltet in der Regel die drei Bereiche Risikoidentifikation, Beratung und Intervention. Die Risikoeinschätzung entspricht dabei einer systematischen Evaluation und Identifizierung von Risikofaktoren mittels Anamnese (bei Patientin, Partner, Familie) und indizierter gezielter Spezialuntersuchungen, eventuell durch Spezialisten aus entsprechenden Fachgebieten. Davon ableitbar sind die allgemeine Gesundheitsförderung und spezifische Interventionen, welche vorsehen: I Information und Instruktion über gesundheitsfördernde
Massnahmen im Rahmen der periodischen Kontrollvisiten
I Veränderung oder Eliminierung von Risikofaktoren wie präkonzeptionelle optimale Einstellung von internistischen Erkrankungen
I Ersetzen von teratogenen Medikamenten durch weniger risikoreiche Alternativen
I Gewichtsnormalisierung I Reduktion oder Elimination von Suchtstoffen I Optimierung von Lifestylefaktoren und I Vorplanung von pränatalem Testing bei der Anamnese von
Erbkrankheiten. Die Patientinnen und ihre Partner sollten darauf aufmerksam gemacht werden, dass Schadstoffe und ungesunde Lebensweise schon in den allerersten Wochen vor Erkennung einer Schwangerschaft einwirken.
Bereiche der Präkonzeptionsberatung
Folgende Bereiche stehen im Rahmen der Präkonzeptionsberatung im Vordergrund: I Ernährung und Ernährungszusätze
G Beginn von Folsäure- und Multivitaminsupplementierung schon 2 bis 3 Monate vor der Schwangerschaft, also bei Absetzung der Empfängnisverhütung
G Ermutigung adipöser Patientinnen, schon vor einer Schwangerschaft ein möglichst normales Gewicht zu erreichen, um adipositasassoziierte Risiken wie Gestationsdiabetes, Frühgeburt, hypertensive Erkrankungen und Sectio zu reduzieren
G Normalisierung des Gewichts bei Frauen mit BMI < 18 und Abklärung/Behandlung von eventuellen Essstörungen
G Beratung über allgemeine Grundsätze einer gesunden und ausgewogenen Ernährung mit Empfehlung von Supplementen bei sehr einseitigen Extremdiäten (vegan, makrobiotisch, etc.).
I Suchtmittel und Drogen G Patientinnen und ihre Partner sollten ermutigt und, wenn nötig, aktiv mit Beratung und medikamentöser Therapie unterstützt werden, schon vor Absetzen der Empfängnisverhütung mit dem Rauchen aufzuhören oder dieses zumindest drastisch zu reduzieren (bei Bedarf Raucherentwöhnungsprogamm) G Abgabe der klaren Empfehlung, schon vor der Schwangerschaft respektive spätestens bei deren
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Eintreten auf Alkohol sowie sämtliche Drogen und Suchtmittel gänzlich zu verzichten. Im Falle einer perikonzeptionellen Einnahme von Alkohol und/oder Drogen soll die Schwangere jedoch nicht verunsichert werden. Es gibt wenig wissenschaftliche Evidenz, dass gelegentlicher geringer Alkoholkonsum eine schädigende Wirkung auf den Embryo/Fetus hat.
I Überprüfung des Impfstatus G Nachimpfungen gemäss Impfplan und Empfehlungen des BAG (inkl. HPV-Impfung) G Besprechung und allenfalls präkonzeptionelle Abklärung der in einer Schwangerschaft zu überprüfenden relevanten Infektionskrankheiten (Hepatitis B, HIV).
I Vorbestehende Erkrankungen G Erfassung vorbestehender Erkrankungen und Evaluation auf deren Interaktion mit einer zukünftigen Schwangerschaft: – Welche Risiken bestehen durch die Erkrankung selbst für die Schwangerschaft (Beispiele: fetale Herzfehler bei perikonzeptionell schlecht eingestelltem Diabetes, Präeklampsie bei vorbestehender essenzieller Hypertonie)? – Wie beeinflusst eine Schwangerschaft den mittel- und langfristigen Krankheitsverlauf (Beispiele: vorbestehende Niereninsuffizienz mit Verschlechterung in der Schwangerschaft und konsekutiver Dialysepflichtigkeit, Dekompensation einer Herzinsuffizienz in der Schwangerschaft bei vorbestehender valvulärer Herzkrankheit oder pulmonal-arterieller Hypertonie)? – Welche Risiken für die Schwangerschaft sind mit der medikamentösen Therapie der Erkrankung verbunden (Beispiele: Antiepileptika und Risiko für Neuralrohrdefekte, ACE-Hemmer und Risiko für fetale Nierenschädigung, orale Antikoagulanzien für Kumarin-Embryopathie)?
Ziel dabei muss es sein, die Risiken zu erkennen, die Patientin darüber zu informieren und zu beraten und gegebenenfalls eine spezifische Intervention vorzunehmen: medikamentöse Therapieumstellung bei teratogenen Medikamenten (z.B. bei Antiepileptika oder Antidepressiva, Überprüfung der Möglichkeit des Sistierens einer medikamentösen Therapie vor, zu Beginn oder während der ganzen Schwangerschaft, optimale Einstellung internistischer Erkrankungen wie z.B. Diabetes). Dabei handelt es sich meist um kardiovaskuläre, nephrologische, hämatologische, rheumatologische, endokrinologische, psychiatrische oder neurologische Erkrankungen. Hier sollte die Präkonzeptionsberatung interdisziplinär erfolgen (in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Fachkollegen).
I Vorbelastete Schwangerschaftsanamnese G Status nach Sectio: Beratung betreffend Intervall zwischen Schwangerschaften und Uterusrupturrisiko bei vaginaler Geburt G Status nach Präeklampsie: nephrologische Abklärung, eventuell Thrombophilieabklärung, medikamentöse
Präventionsmöglichkeit in der Folgeschwangerschaft G Status nach Spätabort/früher Frühgeburt: Präventions-
möglichkeit medikamentös (Progesterontherapie, antiinfektive Therapie) oder operativ (Cerclage/totaler Muttermundverschluss) in der Folgeschwangerschaft G Status nach habituellen Aborten: Abklärung Antiphospholipid-Antikörpersyndrom, Möglichkeiten der Prävention (Acetylsalicylsäure, niedermolekulare Heparine) G Status nach fetaler Fehlbildung, Chromosomenanomalien oder genetischer Erkrankung des Kindes: genetische Beratung, spezifische genetische Untersuchung der Eltern, Möglichkeit der Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik, Möglichkeit der Prävention (z.B. hoch dosierte Folsäureprophylaxe bei vorausgegangener Spina bifida und anderen Mittelliniendefekten) G Status nach Hämorrhagie und Status nach Schulterdystokie: Wiederholungsrisiko.
I Vorbestehende gynäkologische Krankheiten und Besonderheiten G Zervixdysplasie G Sexuell übertragbare Infektionen: Chlamydien, bakterielle Vaginose, Herpes genitalis, Lues, HIV G Genitalmalformation: Uterus duplex, Uterus unicornis und so weiter (Risiko Spätaborte, Frühgeburten, intrauterine Wachstumsretardierung).
I Verschiedenes G Beratung über sportliche Aktivitäten G Empfehlung zur Überprüfung des Zahnstatus G Überprüfung psychosozialer Belastungen (inkl. häusliche Gewalt) G bei fortgeschrittenem mütterlichen Alter: Beratung über die Abnahme der Fertilität und die Zunahme von Schwangerschaftskomplikationen sowie Chromosomenanomalien mit zunehmendem mütterlichem Alter.
Bei einigen der oben beschriebenen Präkonzeptionsthemen ist eine spezifische präventive Intervention möglich; bei anderen geht es darum, die Frau aufzuklären über Risiken, welche eventuell erst während einer später eintretenden Schwangerschaft diagnostizierbar und therapierbar werden.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Daniel Surbek Universitäts-Frauenklinik Inselspital Bern E-Mail: qsk-sggg@insel.ch
Datum des Expertenbriefs: 18.8.2010
Deklaration von Interessenkonflikten: Die Autoren haben keine Interessenkonflikte.
Referenzen und Ressourcen BAG: Empfehlungen für eine ausgewogene Ernährung BAG: Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit BAG: Schweizerischer Impfplan: www.infovac.ch Schaefer, Spielmann und Vetter: Arzneiverordnung in Schwangerschaft und Stillzeit Briggs, Freeman und Yaffe: Drugs in Pregnancy and Lactation
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