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BERICHT
Osteoporosetherapie
Im Alter Knochendichte und Muskelmasse im Auge behalten
Für die Vermeidung von osteoporosebedingten Frakturen im höheren Alter sind sowohl die Knochendichte als auch die Muskelmasse der Patienten entscheidend. Entsprechend sollte die Behandlung aussehen: Eine angepasste medikamentöse Therapie, kombiniert mit einem Trainingsprogramm. Am Forum Medizinische Fortbildung (FOMF) in Zürich gab Dr. med. Gregor Freystätter von der Klinik für Altersmedizin, Universitätsspital Zürich, einen Überblick.
Osteoporose ist die häufigste Knochenerkrankung im höheren Alter. Bereits 1994 wurden von der World Health Organization (WHO) klare Diagnosekriterien veröffentlicht: Ist die Knochendichte eines Patienten oder einer Patientin gegenüber einer Referenzpopulation (gesunde 30-Jährige) um 2,5 Standardabweichungen geringer (T-Score SD ≤ -2,5) oder kam es zu einer Fraktur nach inadäquatem Trauma (low energy trauma, Bagatelltrauma), liegt eine Osteoporose vor. Für das Therapiemanagement ist es jedoch entscheidend, das Risiko für weitere Frakturen des Patienten zu kennen. Dies kann leicht über den in den meisten Knochendichtemessgeräten integrierten FRAX®(Fracture Risk Assessment Tool)Risikorechner bestimmt werden. Eine der Neuerungen der
KURZ & BÜNDIG
� Robuste Patienten ab 80 Jahren sollten wie jüngere Patienten behandelt werden.
� Bei gebrechlichen Patienten ab 80 Jahren sollte der Fokus auf Sturzprävention, Ernährung, Vitamin-D-Supplementierung und Trainingstherapie gelegt werden.
� Es sollte eine individuelle, auf die Patienten (Alter, Frakturrisiko, Begleiterkrankungen) angepasste medikamentöse Osteoporosetherapie im Sinne eines «shared decision making» geplant werden.
� Der Trend geht weg von einer antiresorptiven Therapie hin zu einer dualen Therapie (v. a. für Patienten mit unmittelbarem Frakturrisiko): Zuerst anabol und dann antiresorptiv behandeln.
� Denosumabgabe strikt alle 6 Monate, ansonsten besteht die Gefahr eines Reboundphänomens mit dem Risiko von Wirbelkörperspontanfrakturen.
� Auf den Denosumabstopp sollte eine Bisphosphonatbehandlung (z. B. Zoledronatinfusion) folgen.
� Die Adhärenz der Patienten sollte an der Schnittstelle Akutspital/Nachbehandlung sichergestellt werden.
im Jahr 2020 publizierten Osteoporoseempfehlungen der Schweizer Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO) ist eine 3-stufige Risikobewertung, mit «very high», «high», «moderate» und «low risk» (1). Auf diesen Risikoklassen basieren die ebenfalls aktualisierten Therapieempfehlungen (Abbildung).
Bewegung, Ernährung, Medikamente
Für eine erfolgreiche Osteoporosetherapie seien bestimmte Basismassnahmen wichtig, sagte Freystätter am FOMF in Zürich. Dazu gehören eine protein- und kalziumreiche Ernährung, die ausreichende Versorgung mit Vitamin D (800 IE [Internationale Einheiten]/Tag) sowie ein adäquates Training für die Muskelkraft, den Knochenaufbau und das Gleichgewicht zur Sturzprävention. Hinsichtlich der medikamentösen Osteoporosetherapie (Tabelle) existierten 2 Prinzipien, so der Altersmediziner vom Unispital Zürich: einerseits die Hemmung der knochenabbauenden Osteoklasten durch selektive Östrogenrezeptormodulatoren (SERM), Bisphosphonate (BP) und RANKL(receptor activator of nuclear factor kappa B ligand)-Inhibitoren (monoklonale Antikörper gegen RANKL, RANKL-mAb) sowie andererseits die Förderung des Knochenwachstums durch osteoanabole Medikamente wie Parathormon (PTH) oder Sclerostininhibitoren.
SERM Raloxifen kann zu Hitzewallungen führen und ist kontraindiziert bei Thrombembolien. Es liegen Studiendaten für eine Therapiedauer von bis zu 8 Jahren vor. Raloxifen ist ein etwas schwächeres Medikament und zugelassen zur Prävention und zur Therapie der postmenopausalen Osteoporose.
Orale Bisphosphonate Bei Alendronat ist die richtige Einnahme entscheidend: 1 Tablette wöchentlich, auf nüchternen Magen in stehender Position, mit 2 Gläsern Wasser. Danach sollte bis zur Einnahme anderer Medikamente 30 bis 60 Minuten gewartet werden. Wenn Alendronat nicht richtig eingenommen werde, komme es häufig zu Ösophagusreizungen, berichtete Freystätter. Das Medikament wird nur in geringem Umfang im Magen-Darm-Trakt resorbiert. Für Alendronat existieren bis
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Niedrig
Moderat
Frakturrisiko Hoch
Sehr hoch Imminent
Wirbelkörper-
frakturen
Hüftfrakturen Jegliche MOF
Lebensstilmassnahmen, Vitamin D ± Kalzium
SERM Orale BP
BP, Denosumab
DXA nach 5 bis 10 Jahren
DXA nach 2 Jahren
TPT
Romosozumab Zol
BP, Denosumab
BP (inkl. Zol), Denosumab
Abbildung: Algorithmus zur Osteoporosetherapie gemäss Empfehlungen der Schweizerischen Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO) von 2020 (rot: unmittelbares, sehr hohes Risiko und hohes Risiko; gelb: moderates Risiko; grün: geringes Risiko; SERM: selektive Östrogenrezeptormodulatoren; BP: Bisphosphonate; Zol: Zoledronat; TPT: Teriparatid; DXA: «dual-energy X-ray absorptiometry»; MOF «major osteoporotic fractures»; nach [1])
zu 10-jährige Studienerfahrungen. Die orale Bisphosphonattherapie wird heute eher selten eingesetzt und zunehmend von der intravenösen Therapie abgelöst.
Intravenöse BP Zoledronat ist das potenteste Bisphosphonat. Es wird nur 1-mal im Jahr injiziert. Bei 10 bis 15 Prozent der Behandelten kommt es zu einer Akutphasereaktion mit grippeartigen Beschwerden bei der ersten Gabe, die jedoch gut abgefangen werden können (z. B. mit Paracetamol 2-mal täglich für 3 Tage). Zoledronat ist kontraindiziert bei einer Clearence < 35 ml/min. Ibandronat ist schwächer wirksam als Zolendronat und wird alle 3 Monate gegeben; es konnte keine Reduktion von Hüftfrakturen nachgewiesen werden.
RANKL-mAb Denosumab wird subkutan alle 6 Monate injiziert. Das Besondere: Es kann auch bei einer schweren Nierenunterfunktion (Clearance < 30 ml/min) gegeben werden. Es liegen Studiendaten für eine Gabe bis zu 10 Jahren vor. Wenn keine Anschlusstherapie gegeben wird, kommt es nach dem Absetzen dieser wirksamen Therapie zu einem Reboundeffekt mit dem Risiko für Wirbelkörperspontanfrakturen. Protektiv wirken Bisphosphonate, die sowohl vor als auch nach der Denosumabtherapie gegeben werden. Wichtige Botschaft: «Jeder Patient muss gut monitorisiert werden», so Freystätter.
Sclerostininhibitoren Romosozumab ist eine neue, monatlich subkutan zu gebende Substanz. Nach der 12-monatigen Therapie muss eine Anschlusstherapie gegeben werden. Indikationen sind ein unmittelbares respektive sehr hohes Frakturrisiko. Kontraindi-
kationen sind ein Myokardinfarkt oder ein Schlaganfall in der Anamnese.
Osteoanabole Medikamente (rhPTH 1-34) Teriparatid, rekombinantes humanes Parathyroidhormon 1–34 (rhPTH 1-34), wird als subkutane Injektion 1-mal täglich über 24 Monate verabreicht. Kontraindiziert ist es bei Hyperkalzämie und strahlentherapeutischer Behandlung des Skeletts.
Robuste 80-Jährige wie Jüngere behandeln
Bislang wurden die Zulassungsstudien der pharmakologischen Therapien hauptsächlich mit fitten Patienten in einem Alter von durchschnittlich 70 bis 72 Jahren durchgeführt. Deshalb würde für die Behandlung der über 80-Jährigen die Evidenz fehlen, berichtete Freystätter. Man könne jedoch bei robusten über 80-Jährigen für die Behandlung mit Bisphosphonaten, Denosumab und Teriparatid extrapolieren. Mit anderen Worten: Sie könnten im Prinzip so behandelt werden wie jüngere Patienten. Hingegen sollte bei gebrechlichen älteren Patienten der Fokus auf die Vitamin-D-Supplementierung, die protein- und kalziumreiche Ernährung, die Sturzprävention und auf entsprechende Trainingsprogramme gesetzt werden. Solche geschwächten älteren Menschen seien, so Freystätter, besonders vulnerabel für Komplikationen, beispielsweise Infektionen, die oft zur permanenten Pflegebedürftigkeit führten. Für die Verhinderung von Frakturen im höheren Alter sei nicht nur die Knochenmasse und -qualität entscheidend, sondern auch die Muskelmasse, die mit der Knochendichte korreliere. So erhöht die mit dem Alter abnehmende Muskelkraft das Sturzrisiko erheblich: 5 bis 6 Prozent solcher Stürze verursachen dann eine Fraktur (2).
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Tabelle:
Medikamentöse Osteoporosetherapie
Substanz(klasse) SERM Orale Bisphosphonate Intravenöse Bisphosphonate RANKL-mAb Sclerostin-mAb rhPTH 1–34
Wirkstoff (Präparat)
Nebenwirkungen/
und Verabreichung
Kontraindikationen (KI)
Raloxifen (Evista®),
Hitzewallungen,
p.o. täglich
KI: venöse Thrombembolien
Alendronat (Fosamax®),
Reflux/Ösophagusreizung,
p.o. wöchentlich
KI: Clearance <30 ml/min
Ibandronat (Bonviva®),
p.o. monatlich
Zoledronat (Aclasta®),
Akute-Phase-Reaktion,
Jahresinfusion
KI: Clearance <35 ml/min
Ibandronat (Bonviva®),
i.v.-Injektion alle 3 Monate
Denosumab (Prolia®),
Hemmung Osteoklasten
s.c. alle 6 Monate
6 Monate, dann Rebound
Romosozumab (Evenity®), KI: Myokardinfarkt, Schlaganfall
s.c. jeden Monat
Teriparatid (Forsteo®),
KI: Hyperkalziämie,
s.c. täglich
Strahlentherapie Skelett
RCT
3 bis 4 Jahre 3 Jahre
3 Jahre
3 Jahre
2 Jahre
3 Jahre
12 Monate
24 Monate
Extensionsstudien 7 bis 8 Jahre 10 Jahre 5 Jahre 6 Jahre 5 Jahre 5 bis 10 Jahre
SERM: selektive Östrogenrezeptormodulatoren; RANKL: «receptor activator of nuclear factor kappa B ligand»; mAB monoklonaler Antikörper; rhPTH 1–34 rekombinantes humanes Parathyroidhormon 1–34; RCT: randomisierte, kontrollierte Studie; nach Gregor Freystätter
Diese Sturzgefahr ist bei jedem dritten älteren Patienten verantwortlich für eine ausgeprägte Sturzangst, die wiederum die Mobilität einschränkt. Die fehlende Bewegung führt wiederum zu weiterem Muskelabbau und zu erhöhter Sturzgefahr – ein Teufelskreis.
sumab alle 6 Monate. In der dritten Phase (>85 Jahre) ist häufig die Nierenfunktion der Patienten bereits eingeschränkt. Hier kommt eine Therapie mit Denosumab alle 6 Monate in Frage. Wird Denosumab beendet, sollte – eventuell niedriger dosiert – Zoledronat folgen.
Drei Altersphasen
Neben der im FRAX®(Fracture Risk Assessment Tool)-Score berücksichtigten Osteoporoserisikofaktoren wie Alter, Glukokortikoideinnahme, rheumatoide Arthritis, Frakturen, Rauchen oder Alkohol seien auch andere, nicht im FRAXScore aufgeführte Risikofaktoren beim Management von Osteoporosepatienten zu beachten, und zwar Inaktivität, verminderte Kognition, Sarkopenie, Visuseinschränkung, Schlaganfall, Vitamin-D-Mangel, Hypogonadismus, niedriger Body-Mass-Index (BMI), Antiepileptika- und H2-Blocker-Therapie oder Malnutrition. Am Unispital Zürich werde die Osteoporosetherapie in 3 Lebensphasen eingeteilt, so Freystätter: In Phase 1 befinden sich die «jungen Alten» (65 bis 75 Jahre), die eine Risikoevaluation mit Sturzabklärung und Knochendichtemessung erhalten. Ist ihre Nierenfunktion in Ordnung, wird gern eine jährliche Zoledronatinfusion über 3 Jahre gegeben. Ganz wichtig seien dabei die zusätzlichen Basismassnahmen mit der Verabreichung von Kalzium (800–1000 mg/Tag), Vitamin-D und Protein, sagte der Referent. Gerade Muskeln bräuchten Protein, weshalb eine ausreichende Versorgung damit sehr wichtig sei. So habe man gesehen, dass Menschen mit einer höheren Proteinzufuhr auch eine bessere Knochendichte hätten, so Freystätter weiter. Auch aktive Trainingsmassnahmen sollten in Phase 1 fester Bestandteil der Therapie sein, wie auch in allen anderen Altersklassen. In der zweiten Phase (75 bis 85 Jahre) eignet sich – abhängig von der Knochendichte – Romosozumab (1-mal monatlich über 1 Jahr), wenn keine Kontraindikationen vorliegen. Die Anschlusstherapie besteht aus Deno-
Schwierige Situation im Altersheim
Patienten im Alters- und Pflegeheim werden fast nie in klini-
sche Osteoporosestudien eingeschlossen und bekommen ge-
mäss Literatur nur in 5 bis 10 Prozent der Fälle eine medika-
mentöse Osteoporosetherapie (3). Gründe dafür seien die bei
den Betroffenen verbreitete Polypharmazie, Schluckbe-
schwerden, chronische Niereninsuffizienz, Multimorbidität,
kognitive Störungen und die häufige Immobilität, berichtete
Freystätter. In der Klinik für Altersmedizin des Stadtspitals
Zürich Waid berät eine eigene «Fracture Liasion Nurse»
Osteoporosepatienten, die in die Akut- und Übergangspflege
austreten. Auf Wunsch werden die Seniorinnen und Senioren
dann in ein Qualitätsprojekt eingeschlossen, in dessen Rah-
men eine telemedizinische Konsultation stattfindet. Sie mün-
det in einer Empfehlung für den Hausarzt und das Behand-
lungsteam.
s
Klaus Duffner
Quelle: Vortrag «Sinnvolle Osteoporose-Therapie beim älteren Menschen» von Dr. med. Gregor Freystätter, Universitätsspital Zürich, am FOMF Update Refresher Allgemeine Innere Medizin am 6. Juni 2023 in Zürich.
Referenzen: 1. Ferrari S et al.: 2020 recommendations for osteoporosis treatment ac-
cording to fracture risk from the Swiss Association against Osteoporosis (SVGO). Swiss Med Wkly. 2020 Sep 29;150:w20352. 2. Bischoff-Ferrari HA: Fracture Epidemiology Among Individuals 75+. In: Bischoff-Ferrari HA (Ed) Osteoporosis in Older Persons. 2009; London: Springer, 97-109. 3. Cherubini A et al.: Polypharmacy in Nursing Home Residents: What Is the Way Forward? J Am Med Dir Assoc. 2016;17(1):4-6.
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