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SCHWERPUNKT
Das Restless-Legs-Syndrom in der Schwangerschaft
Pathophysiologische Hintergründe und therapeutische Begleitung
Das Restless-Legs-Syndrom (RLS) ist eine neurologische Erkrankung und tritt häufig in der Schwangerschaft auf. In diesem Artikel werden Charakteristika, Diagnostik und Therapiemöglichkeiten von RLS, unter besonderer Berücksichtigung der Schwangerschaft, vorgestellt.
ULF KALLWEIT, CLAUDIO L.A. BASSETTI
Das Restless-Legs-Syndrom (auch Willis-Ekbom-Syndrom genannt) ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen und wird zu den (schlafbezogenen) Bewegungsstörungen gezählt. Obwohl die Erkrankung bei 1 bis 10% der allgemeinen Bevölkerung auftritt (1), wird RLS immer noch zu selten diagnostiziert.
Symptomatik
Bei RLS kommt es typischerweise zu einem unangenehmen Gefühl respektive Missempfindungen in den Beinen (v.a. Unterschenkel). Bei einem relevanten Anteil der Betroffenen (30–50%) sind auch die Arme oder andere Körperregionen betroffen. Das unangenehme Gefühl ist mit einem starken, fast unwiderstehlichen Drang nach Bewegung der Beine (bzw. der Extremitäten) verbunden. Gelegentlich kann dieses Dranggefühl auch ohne die unangenehmen Gefühlssensationen auftreten; andererseits beschreiben Betroffene die Sensationen zum Teil auch als schmerzhaft (ca. 30%). Die genannten Beschwerden treten nur in Ruhe (bzw. Inaktivität) auf. Durch Bewegung der Beine respektive der Extremitäten kommt es in der Regel zu einer unmittelbaren, teilweisen oder vollständigen Remission der Beschwerden. Des Weiteren besteht bei RLS eine zirkadiane Störungskomponente: Die Symptome treten typischerweise abends oder auch nachts auf; zu diesen Zeitpunkten erleben die Patientinnen ihren Beschwerdehöhepunkt (2, 3). Durch die Beschwerden kommt es häufig zu einer Ein- und teilweise auch Durchschlafinsomnie. Zudem kann es vor allem in den Abendstunden zu einer Beeinträchtigung der sozialen Interaktion und Teilhabe kommen (beispielsweise können Theateraufführungen – mit längerem Sitzen – nicht gesehen werden).
Neben den abendlichen und nächtlichen Störungen kommt es auch tagsüber häufig zu Beschwerden, in der Regel Tagesmüdigkeit, zum Teil auch -schläfrigkeit (3–5). Die RLS-Beschwerden können sich (ohne, aber auch unter medikamentöser Therapie) ausweiten und zusätzliche Körperregionen betreffen und auch schon nachmittags oder sogar morgens auftreten (sog. «Augmentation»). Es bestehen Assoziationen mit verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen, insbesondere affektiven Störungen (Depression, Angststörung) (6) und vermutlich auch zu kardiovaskulären Erkrankungen (z.B. arterieller Hypertonie).
Primäre und sekundäre Formen
RLS wird in eine primäre (ca. 50%) und eine sekundäre Form eingeteilt. Das primäre RLS wiederum ist zu rund 50 bis 60% familiär/genetisch bedingt, im Übrigen sporadisch/idiopathisch.
Sekundäres RLS Eine Vielzahl von Erkrankungen respektive Ursachen stehen in einem kausalen Zusammenhang, RLS auszulösen oder auch zu verstärken. Dazu zählen beispielsweise Eisenmangel, Folsäuremangel, Niereninsuffizienz, verschiedene Medikamente (insb. Psychopharmaka), aber auch die Schwangerschaft (s.u.) (3, 4, 7). Die Diagnose «RLS» wird vor allem klinisch gestellt (siehe Tabelle 1). Neben den essenziellen Kriterien gibt es zusätzliche supportive Kriterien, die eine RLSDiagnose festigen. Dazu gehört auch das Auftreten von periodischen Beinbewegungen im Schlaf (PLMS). Diese treten bei 70 bis 90% der RLS-Patienten auf (2). Die Erkrankung verläuft in der Regel, wenn auch mit sehr variablem Verlauf und Phasen zum Teil vollständiger Beschwerdefreiheit, chronisch progredient.
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Pathophysiologisch wird bei RLS eine Störung im zerebralen Eisen-/Dopamintransport beziehungsweise Metabolismus vermutet (8).
RLS und Schwangerschaft
Bei 8 bis 30% der Schwangeren – und damit deutlich häufiger als in der allgemeinen Bevölkerung – tritt RLS im Verlauf der Schwangerschaft auf. In der ersten prospektiven Studie zu diesem Thema (9) und unter Verwendung validierter Fragebögen wurde eine Häufigkeit von 12% RLS in der Schwangerschaft festgestellt. Neben den beschriebenen typischen Charakteristika zeigte sich in dieser Studie, dass RLS durchaus auch schon im ersten Trimenon auftritt und tendenziell gegen Ende des dritten Trimenons wieder abnimmt. Verschiedene Charakteristika sind typisch für RLS in der Schwangerschaft (siehe Tabelle 2 und Abbildung 1) (7, 9, 10). Die Ursache für das häufige Auftreten der Erkrankung während der Schwangerschaft ist bisher unklar. Verschiedene Hypothesen wurden postuliert (7, 9, 10):
I Hormonelle Veränderungen Die Schwangerschaft ist durch hormonelle Veränderungen gekennzeichnet. Die Prolaktin-, Östrogenund Progesteronwerte steigen im Verlauf der Schwangerschaft und erreichen einen Höhepunkt im dritten Trimenon. Dopamin ist der stärkste Prolaktion-Inhibitor; höhere Östrogenwerte führen zu einem höheren Noradrenalin-Umsatz und haben möglicherweise dadurch einen Einfluss auf die Dopamin-Transmission. Die genannten Erhöhungen führen somit zu einer möglichen Veränderung im Dopamin-Metabolismus und damit zu RLS.
I Inaktivität Die Schwangerschaft, insbesondere im letzten Trimenon, ist oftmals ein Zustand mit reduzierter Aktivität und Bewegung. Durch eine Zunahme an Ruheperioden kommt es (schneller) zu RLS. In Studien wurden allerdings keine Unterschiede in der Aktivität von Schwangeren mit und ohne RLS festgestellt.
I Metabolische Veränderungen In der Schwangerschaft besteht regelmässig Eisenund Folsäuremangel. Beide Mangelerscheinungen können zu RLS führen.
Tabelle 1:
Essenzielle und supportive RLS-Kriterien (nach Allen et al., 2003).
Die essenziellen Kriterien müssen alle erfüllt sein.
Essenzielle RLS-Kriterien 1. Bewegungsdrang der Beine (ggf. auch der Arme), meist in Verbindung mit
unangenehmen Missempfindungen der betroffenen Extremität(en) 2. Auftreten bzw. Verstärkung dieser Beschwerden in Ruhesituationen 3. Verbesserung bzw. Beseitigung der Beschwerden durch Bewegung 4. Auftreten oder Zunahme der Beschwerden abends oder nachts
Supportive RLS-Kriterien 1. ein Ansprechen auf dopaminerge Behandlung mit Linderung des Bewe-
gungsdranges und der Missempfindungen 2. eine positive Familienanamnese für RLS 3. periodische Beinbewegungen im Schlaf (PLMS)
Tabelle 2:
Typische Charakteristika von RLS in der Schwangerschaft
I Die meisten Schwangeren erleben RLS-Beschwerden erstmalig I Multipara: 1/3 erlebt in der 2. und folgenden Schwangerschaft(en) erneut
RLS I Schwangere, die bereits vorher an RLS erkrankt waren, erleben eine Ver-
schlechterung der Symptome I RLS ist zu Beginn des 3. Trimenons am stärksten ausgeprägt und kommt
hier am häufigsten vor I Ist Ursache von ca. 50% der Schlafstörungen in der Schwangerschaft I RLS ist transient: Innerhalb der ersten 2 Wochen post partum remittieren
bei 2/3 der Betroffenen die Beschwerden vollständig I RLS in der Schwangerschaft ist ein Risikofaktor für das spätere Auftreten
von (chronischem) RLS.
Schwangerschaft
tRLS nRLS pRLS
betroffene Frauen (%)
Monate Abbildung: Anteil der Schwangeren mit RLS im Verlauf der Schwangerschaft: pRLS = vorbestehendes RLS; nRLS = neu aufgetretenes RLS; tRLS = GesamtRLS (nach Manconi M, et al. [10])
I Genetische Faktoren, die zum Auftreten von RLS in der Schwangerschaft führen. Aktuell werden Studien dazu durchgeführt.
Vermutlich ist nicht nur ein Faktor für das Auftreten von RLS von Bedeutung, sondern die Kombination beziehungsweise das gemeinsame/gleichzeitige Vorkommen mehrerer der genannten und gegebenenfalls weiterer, bisher nicht identifizierter Faktoren.
Schwangerschaftund Geburtskomplikationen
In einer aktuellen Studie wurde über das häufigere Auftreten von Präeklampsie bei Schwangeren, die an RLS leiden, berichtet (18% vs. 3%, p = 0,03) (11, 14). Eine andere Studie führte eine höhere Häufigkeit an Kaiserschnittgeburten bei Schwangeren mit RLS an (58% vs. 45%, p = 0,027) (12). Die übrige bisher vor-
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SCHWERPUNKT
liegende Literatur berichtet über keine signifikanten Unterschiede bezüglich etwaiger Schwangerschaftsoder Geburtskomplikationen von Schwangeren mit RLS gegenüber Frauen ohne die Erkrankung (7). Auch gab es keine Unterschiede bezüglich Komplikationen beim Fötus und beim Neugeborenen. Es gilt weiter zu untersuchen, ob RLS als assoziiert oder als Risikofaktor für bestimmte Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen anzuführen ist.
Therapie
Zur Behandlung des Restless-Legs-Syndroms stehen im Wesentlichen nur medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Einige nicht medikamentöse Therapien, die von vielen Patienten als (kurzfristig) hilfreich berichtet werden, sind Massagen, Reiben, Kühlung oder auch Wechselbäder der betroffenen Extremitäten. Die medikamentöse Behandlung beinhaltet üblicherweise die Therapie mit einem Dopaminagonisten oder Levodopa. Alternativen sind bestimmte Opiode und einzelne andere Substanzen aus der Gruppe der Antikonvulsiva (Gabapentin, Pregabalin). In Einzelfällen können, insbesondere bei RLS mit schwerer Insomnie, auch kurz bis mittellang wirksame Benzodiazepinrezeptoragonisten kurzfristig eingesetzt werden. Auch ist die Behandlung mit Eisen wirksam (3, 13). Die genannten Medikamente sollten – abgesehen von Eisen – nicht in der Schwangerschaft eingesetzt werden. Zwar konnte in einer kleinen Fallserie mit RLS-Patientinnen, die unter einem Dopaminagonisten oder Levodopa schwanger wurden, keine erhöhte Anzahl an Malformationen des Kindes oder von Schwangerschaftskomplikationen feststellen, dennoch bleibt der Einsatz der konventionellen RLS-Pharmaka für die Schwangerschaft kontraindiziert (14).
Merkpunkte
I Das Restless-Legs-Syndrom (RLS) ist eine häufige
neurologische Erkrankung und tritt in 8 bis 30% der
Schwangerschaften auf.
I RLS hat einen relevanten Einfluss auf Schlaf,
Schlafqualität, Tagesbefindlichkeit und ist unter an-
derem mit psychischen Erkrankungen assoziiert.
I RLS ist eine klinische Diagnose.
I In der Schwangerschaft tritt RLS am häufigsten
zu Beginn des 3. Trimenon auf und remittiert in der
Regel innerhalb von 2 Wochen post partum.
I Möglicherweise ist RLS mit Präeklampsie assozi-
iert.
I Eisen-(Folsäure)-Substitution ist Therapie der ers-
ten Wahl in Schwangerschaft und Stillzeit.
Die orale Eisentherapie führt häufig nicht zu einer
ausreichenden und dauerhaften Verbesserung der
RLS-Beschwerden. Die enterale Eisenresorption ist
streng limitiert und liegt zwischen 2 und 40%, je nach
Serumferritinwert. Um diesen Mechanismus zu um-
gehen, ist die intravenöse Applikation von Eisen er-
forderlich.
Einige Daten deuten auf eine gute Wirksamkeit und
Verträglichkeit einer intravenösen Eisentherapie bei
RLS in der Schwangerschaft hin (15).
I
Dr. med. Ulf Kallweit (Korrespondenzadresse) E-Mail: ulf.kallweit@insel.ch
Prof. Dr. med. Claudio Bassetti Universitätsklinik für Neurologie Inselspital 3010 Bern
Quellen: 1. Ohayon MM, Roth T.: Prevalence of restless legs syndrome and periodic limb movement disorder in the general population. J Psychosom Res. 2002; 53: 547–54. 2. Allen RP et al.: Restless legs syndrome: diagnostic criteria, special considerations, and epidemiology. A report from the restless legs syndrome diagnosis and epidemiology workshop of the National Institute of Health. Sleep Med. 2003; 4: 101–19. 3. Stiasny K, et al.: Clinical symptomatology and treatment of restless legs syndrome and periodic limb movement disorder. Sleep Med Rev. 2002; 6: 253–65. 4. Bassetti C, et al.: Restless legs syndrome: A clinical study of 55 patients. Eur Neurol. 2001; 45: 67–74. 5. Kallweit U, et al.: Excessive daytime sleepiness in idiopathic restless legs syndrome: Characteristics and evolution under dopaminergic treatment. Eur Neurol. 2009; 62: 176–217. 6. Winkelmann J, et al.: «Anxietas tibiarum». Depression and anxiety disorders in patients with restless legs syndrome. J Neurol. 2005; 252: 67–71. 7. Manconi M, et al.: Pregnancy as a risk factor for restless legs syndrome. Sleep Med. 2004; 5: 305–08. 8. Salas RE, et al.: Update in restless legs syndrome. Curr Opin Neurol. 2010; 23: 401–06. 9. Hübner A, et al. : Characteristics and determinants of restless legs syndrome in pregnancy: A prospective study. Neurology 2013; 80: 738–42. 10. Manconi M, et al.: Restless legs syndrome and pregnancy. Neurology. 2004; 63: 1065–69. 11. Ramirez JO, et al.: Is preeclampsia associated with restless legs syndrome? Sleep Med. 2013; 14: 894–96. 12. Vahdat M, et al.: Prevalence and associated features of restless legs syndrome in a population of Iranian women during pregnancy. Int J Gynaecol Obstet. 2013; 123: 46–49. 13. Silber MH, et al.: Willis-Ekbom Disease Foundation Revised Consensus Statement on the Management of Restless Legs Syndrome. Mayo Clin Proc. 2013; 88: 977–86. 14. Dostal M, et al.: Pregnancy outcome following use of levodopa, pramipexole, ropinirole, and rotigotine for restless legs syndrome during pregnancy: a case series. Eur J Neurol. 2013; 20: 1241–46. 15. Vadasz D, et al. Intravenous iron sucrose for restless legs syndrome in pregnant women with low serum ferritin. Sleep Med. 2013; 14: 1214–16.
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