Transkript
Dermatologie
Hyperhidrose, Schmerz und Fötor
Welche Ursache haben die Beschwerden an der Fusssohle?
Ein 14-jähriger Jugendlicher mit schmerzhafter Rötung, Schwellung und Hyperhidrose der Fusssohlen kommt in die Praxis. In der klinischen Untersuchung des Patienten zeigte sich folgender Befund: Verquellung der Haut in den druckbelasteten Fusssohlenbereichen, punktförmige Hornschichtdefekte und starker Fötor. Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose?
Von Marie-Christine Reinert1, Lyubomira Vlahova3, Norman Langer3, Clemens Freiberg1, Knut Brockmann2 und Jorge Frank3
Der Jugendliche wurde erstmals im Alter von 11½ Jahren in unserer allgemeinpädiatrischen Sprechstunde vorgestellt. Seit 2 Monaten bestünden an den Fusssohlen rezidivierende erythe-
Massnahmen hätten zu keiner Linderung geführt. Das Laufen in normalen Schuhen sei kaum möglich, zum Termin erschien unser Patient trotz winterlicher Temperaturen in Pantoletten. Aufgrund der Hyperhidrose und einer
matös-livide Verfärbungen sowie stechende Schmerzen unangenehm empfundenen Geruchsentwicklung be-
und verstärkte Schweissneigung. Die im Vorfussbereich stünde nunmehr eine soziale Belastung mit Stigmatisie-
betonten Symptome hätten sich initial rechts plantar ma- rung. Mittlerweile leide er durch diese Belastungssitua-
nifestiert und sich im Verlauf auf die linke Fusssohle aus- tion an Schlafstörungen.
gedehnt. Darüber hinaus sei eine weissliche Verfärbung Im Rahmen der initialen Vorstellung war der Verdacht auf
hinzukommen. Die Veränderungen seien nach einigen eine Erythromelalgie geäussert worden – eine seltene
Tagen spontan regredient gewesen. Eine generelle Neuropathie, gekennzeichnet durch wiederkehrende
Schweissneigung und eine Affektion der Handflächen brennende Schmerzen, Überwärmung und Rötung der
wurden verneint. Der Jugendliche sei ansonsten gesund, Extremitäten. Eine molekulargenetische Abklärung
ein vorausgegangener Infekt, Gelenkbeschwerden oder wurde damals nicht durchgeführt, da der Patient im An-
ein Leistungsknick wurden nicht berichtet. Die Familien- schluss symptomfrei war.
anamnese war hinsichtlich vergleichbarer Hautverände- In der aktuellen Situation erfolgte unter dem hier dar-
rungen negativ.
gestellten Befund (Abbildung) zur differenzialdiagnosti-
In der klinischen Untersuchung zeigte sich im Bereich des
rechten Vorfusses plantar ein Erythem mit Schwellung,
Überwärmung und Berührungsempfindlichkeit. Die wei-
tere pädiatrisch-internistische sowie neurologische Un-
tersuchung war unauffällig. Laborchemisch zeigten sich
eine diskrete Leukopenie (4000/µl) mit relativer Lympho-
zytose (52%) und leichter Eosinophilie (6%) sowie eine
mässig erhöhte LDH von 421 U/l (Referenzbereich
120 – 325 U/l). Die Elektroneurografie der Beinnerven er-
gab Normalbefunde.
Es wurde zunächst eine symptomatische Therapie mit
Kühlung der Füsse verordnet. Im Rahmen einer Verlaufs-
kontrolle nach 4 Monaten zeigte sich der Patient be-
schwerdefrei.
Universitätsmedizin Göttingen: 1Klinik für Kinder und Jugendmedizin 2Sozialpädiatrisches Zentrum, Klinik für Kinder und Jugendmedizin 3Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
3 Jahre später ...
Etwa 3 Jahre später sahen wir den Patienten im Alter von fast 15 Jahren wieder. Die vorbeschriebenen Symptome seien im Intervall nur gelegentlich und über wenige Tage aufgetreten. Jedoch bestünden nun seit 3 Monaten (Herbst/Winter) persistierende Beschwerden mit zunehmender Beeinträchtigung: Beide Fusssohlen seien nahezu kontinuierlich gerötet, geschwollen und überwärmt, zudem habe er stechende Schmerzen. Lokal kühlende
Abbildung: Verquellung der Haut in den druckbelasteten Fusssohlenbereichen (li) und punktförmige Hornschichtdefekte (re) (© M.-C. Reinert).
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schen Mitbeurteilung eine Vorstellung in der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie. Dort wurde die Diagnose eines Keratoma sulcatum (englisch: pitted keratolysis) gestellt.
Auftreten und Häufigkeit
Das Keratoma sulcatum betrifft vornehmlich die Fusssohlen, und es ist weltweit bekannt. Es wird gehäuft bei Sportlerinnen und Sportlern sowie Menschen beobachtet, die berufsbedingt Schutz-/Arbeitsschuhe mit schlechter Belüftung tragen (1). Die Erkrankung betrifft insbesondere männliche Jugendliche und junge Männer, wie im hier vorgestellten Fall. In einer Querschnittsuntersuchung mit 682 männlichen Internatsschülern in der Türkei fand sich bei 2,6 Prozent der Untersuchten ein Keratoma sulcatum (2), in einer Kohorte von 184 Leistungssportlerinnen und Leistungssportlern sogar bei 13,6 Prozent (3). Die Erstmanifestation der Erkrankung erfolgt zumeist bis zum 19. Lebensjahr, wobei etwas mehr als die Hälfte der Patientinnen und Patienten bereits vor dem 11. Lebensjahr betroffen ist. Aufgrund der geringeren Prävalenz bei älteren Individuen wird eine spontane Regredienz der Hyperhidrose im weiteren Verlauf der Erkrankung vermutet (4).
Ätiopathogenese
Das Keratoma sulcatum wird durch grampositive Bakterien, insbesondere Corynebacterium spp., aber auch Kytococcus sedentarius, Dermatophilus congolensis und Actinomyces keratolytica verursacht (1, 5). Die Erreger befinden sich sowohl in den oberen Schichten des Stratum corneum (6) als auch in und zwischen den Keratinozyten im oberen Bereich des Stratum granulosum (1). Im feuchtwarmen Milieu vermehren sich die Bakterien und produzieren extrazelluläre Proteasen mit keratolytischer Aktivität, die für die charakteristischen tunnelartigen Gruben und Erosionen verantwortlich sind (7). Der teils
Wesentliches für die Praxis
● Das Keratoma sulcatum (englisch: pitted keratolysis) ist klinisch durch Hyper hidrose, unangenehmen Geruch, ödematös aufgequollene Haut sowie Schmerzen und Juckreiz an den Fusssohlen gekennzeichnet. Charakteristisch sind tunnel artige Grübchen und Erosionen.
● Ursache ist eine Infektion der Fusssohlen durch grampositive Bakterien, vorwie gend auf Höhe des Stratum corneum.
● Betroffen sind überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene, mehr Männer als Frauen.
● Die Erkrankung wird durch feuchtwarmes Milieu in okklusiven Schuhen, plantare Hyperhidrose und entsprechend verstärkte Proliferation meist residenter Keime sowie mangelnde Hygiene begünstigt.
● Differenzialdiagnostisch sollte an eine Tinea pedis, Plantarwarzen vom Mosaiktyp und ein dyshidrosiformes Fussekzem gedacht werden.
● Zu den probaten Therapiemassnahmen zählen regelmässige Fusshygiene, Behand lung der Hyperhidrose, antiseptische Seifen und, falls erforderlich, eine antibioti sche Lokaltherapie. Eine Erfolg versprechende Therapiealternative stellt insbeson dere im Kindesalter die Leitungswasser-Iontophorese dar.
sehr belastende und sozial stigmatisierende Fötor ist wahrscheinlich auf bakteriell produzierte Schwefelverbindungen zurückzuführen. Die Erkrankung wird durch okklusive Schuhe, plantare Hyperhidrose und entsprechend verstärkte Proliferation meist residenter Keime sowie mangelnde Hygiene begünstigt.
Klinisches Erscheinungsbild
Charakteristischerweise finden sich beim Keratoma sulcatum eine Hyperhidrose (96%), Geruchsbelästigung (89%), ödematös aufgequollene Haut (70%), Schmerzen und Juckreiz (6). In Abhängigkeit von der jeweiligen Studie variiert die Häufigkeit der Schmerzen zwischen 11 Prozent bei Takama et al. (6) und 47 Prozent bei Blaise et al. (1). Auch unser Patient beklagte im Tagesverlauf belastende Schmerzen, insbesondere in den druckbelasteten plantaren Arealen wie Zehen, Ballen und Ferse (Abbildung). Weiterhin typisch für das Krankheitsbild sind grübchenförmige Hornschichtdefekte, die zu grösseren kraterartigen Läsionen konfluieren können (6). Der Lokalbefund kann nach dem Baden oder Duschen durch das Aufquellen des Stratum corneum noch ausgeprägter sein (1).
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnostisch hatten wir bei der Erstvorstellung des Patienten aufgrund der führenden Schmerzsymptomatik an eine Erythromelalgie gedacht. Die Ery thromelalgie ist eine seltene autosomal-dominante Neuropathie, die durch wiederkehrende brennende Schmerzen, Überwärmung und Rötung der Extremitäten gekennzeichnet ist. Ätiologisch liegen Mutationen im SCN9A-Gen zugrunde, welches für einen spannungsabhängigen Natriumkanal kodiert. Eine Linderung kann in der Regel durch kühlende Massnahmen erzielt werden, wohingegen Behandlungsansätze mit Analgetika und Natriumkanalblockern schwierig und oft unbefriedigend sind (8). Darüber hinaus sollten in der Differenzialdiagnose des Keratoma sulcatum auch eine Tinea pedis, Plantarwarzen vom Mosaiktyp, ein dyshidrosiformes Fussekzem und eine lokalisierte idiopathische Keratolyse sowie umschriebene Keratinisierungsdefekte bei hereditären nonsyndromalen und syndromalen Hauterkrankungen berücksichtigt werden.
Diagnostik
Die Diagnose wird in erster Linie klinisch gestellt. Sie kann gegebenenfalls durch einen Abstrich und anschliessenden kulturellen Erregernachweis ergänzt werden.
Therapie
Als Basismassnahme sollte auf eine adäquate Fusshy giene mit regelmässigem Waschen und gründlichem Abtrocknen der Füsse geachtet werden. Es empfiehlt sich das Tragen von Socken aus Baumwolle mit täglichem Wechsel und Waschen bei mindestens 60 °C. Okkludierendes Schuhwerk sollte gemieden werden, und Berufsund/oder Sportschuhe sollten adäquat passen, um Reibung mit der Folge einer Hyperkeratose zu vermeiden (1). Sollten diese Massnahmen nicht ausreichend sein, können antiseptische Seifen zur Anwendung kommen, gefolgt von einer antibiotischen Lokaltherapie mit Erythro-
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mycin- oder Clindamycin-haltigen Externa, die mit Benzoylperoxid kombiniert werden können (5, 9, 10). Zur symptomatischen Behandlung der plantaren Hyperhidrose steht die topische Therapie mit Aluminiumchlorid-haltigen Externa zur Verfügung (11), wobei deren Anwendung aufgrund möglicher Irritationen insbesondere im Kindesalter limitiert ist. Nach Schulung der Patientinnen und Patienten und gegebenenfalls auch deren Eltern ist die Leitungswasser-Iontophorese eine Erfolg versprechende Therapiealternative und insbesondere im Kindesalter zu erwägen. Hierunter können sich ein Erythem und Brennen entwickeln, sehr selten treten Bläschen, Xerosis cutis und Rhagaden auf. Als mögliche Kontraindikationen sind Metallimplantate, kardiale Vorerkrankungen oder Epilepsie zu beachten (12). Eine weitere Therapieoption ist die intraläsionale Injektion von Botulinumtoxin, welches die sympathische Stimulation der ekkrinen Schweissdrüsen unterbindet und somit als Zweitlinienbehandlung zu Verfügung steht. Dessen Anwendung plantar ist jedoch off-label, sie bedarf einer dementsprechenden vorherigen Aufklärung, und sie ist aufgrund der Schmerzhaftigkeit je nach Alter der Patientinnen und Patienten gegebenenfalls eingeschränkt (13).
Korrespondenzadresse: Dr. med. Marie-Christine Reinert Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Strasse 40 D-37075 Göttingen E-Mail: marie-christine.reinert@med.uni-goettingen.de
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift Kinderärztliche Praxis 3/2021. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgte mit freundlicher Genehmigung durch die Autorin und den Verlag Kirchheim.
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Interessenlage: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag besteht.
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