Transkript
SUMMER SCHOOL
AGLA-Empfehlungen 2023
Prävention der Atherosklerose – was ist neu?
Die Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA) hat ihren Pocketguide «Prävention der Atherosklerose» überarbeitet. Die Aktualisierung erfolgte aufgrund von Änderungen der Limitationen für PCSK9-Hemmer durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG).
Steckbrief
Wer hat die Guideline erstellt? Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA) der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK)
Wann wurden sie erstellt? 2023
Für welche Patienten? Zur Primär- und Sekundärprävention der Atherosklerose: Bestimmung und Behandlung des kardiovaskulären Risikos
Was ist neu? ▲ Die überarbeiteten Behandlungsschemata berücksichtigen die
neuen Limitationen des BAG für PCSK9-Hemmer bei der Therapie von Patienten mit hohem und sehr hohem Risiko sowie bei der Therapie der familiären Hypercholesterinämie. ▲ Die Empfehlungen zur Behandlung der Hypertriglyzeridämie wurden ebenfalls angepasst.
In der aktualisierten Fassung wurden die klinischen Pfade für das Management von Patienten mit hohem oder sehr hohem Risiko angepasst. Des Weiteren haben die Experten den Text zur Behandlung der Hypertriglyzeridämie und das Kapitel zur Therapie der familiären Hypercholesterinämie (FH) überarbeitet. Die AGLA-Experten weisen darauf hin, dass die überarbeiteten Behandlungsschemata aufgrund der Limitationen des BAG für PCSK9-Inhibitoren (PCSK9: Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9) und Bempedoinsäure (Nilemdo®) von der PCSK9-Indikation in den Guidelines der European Society of Cardiology (ESC) und der European Atherosclerosis Society (EAS) abweichen.
Risikokategorisierung
Der Schwerpunkt der aktualisierten Empfehlungen liegt auf der Identifikation von Risikofaktoren, der Risikokategorisierung und der Prävention von Ereignissen. Die Zuordnung von Patienten zu den Risikokategorien «niedrig», «moderat», «hoch» oder «sehr hoch» erfolgt entsprechend dem Vorliegen von Krankheiten mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko
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ARS MEDICI 14–16 | 2023
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Hohes Risiko
ASCVD oder einem bedeutsamen Risikofaktor gehören zur Gruppe mit sehr hohem Risiko.
Hochwirksames Statin*
LDL-C < 1,8 mmol/l und Senkung ≥ 50%? Nein Heterozygote FH? Ja Ja LDL-C ≤ 2,6 mmol/l? Ja Nein Nein Ezetimib Ezetimib oder Ezetimib LDL-C ≤ 2,6 mmol/l? PCSK9-Inhibitor** Nein Ja oder Bempedoinsäure Therapie kontrolliert fortsetzen LDL-C-Kontrolle: 1-mal/Jahr, häufiger bei entsprechender klinischer Situation *Rosuvastatin, Pitavastatin, Atorvastatin **Evolocumab, Alirocumab, Inclisiran LDL-C: Low-density-Lipoprotein-Cholesterin, FH: familiäre Hypercholesterinämie, PCSK9: Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 Abbildung 1: Dyslipidämie-Management bei Patienten mit hohem Risiko (mit freundlicher Genehmigung der AGLA) (z. B . atherosklerotische kardiovaskuläre Krankheiten [ASCVD], Diabetes mellitus, chronische Niereninsuffizienz oder FH). Ohne eine solche Erkrankung wird anhand von Risikofaktoren bei «scheinbar gesunden Personen» eine Risikoschätzung vorgenommen. Dazu steht in der Schweiz der AGLA-Risikorechner zur Verfügung, mit dessen Hilfe das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse für die nächsten 10 Jahre anhand von Alter, Geschlecht, Blutdruck, LDL(low-density lipoprotein)-Cholesterin (LDL-C), HDL(high-density lipoprotein)-C und Triglyzeriden (TG) sowie dem Raucherstatus und der Familienanamnese ermittelt wird. Für Patienten mit FH ist der AGLA-Risikoscore zur Bestimmung des kardiovaskulären Risikos nicht geeignet. Diese Personen werden mindestens in die hohe Risikokategorie eingeteilt. FH-Patienten ohne weitere Risikofaktoren gehören zur Gruppe mit hohem Risiko. FH-Patienten mit AGLA-Risikorechner http://www.agla.ch/de/rechner-und-tools/agla-risikorechner Behandlung der Hypercholesterinämie Bei Patienten mit Hypercholesterinämie richten sich die LDL-C-Zielwerte nach der jeweiligen Risikokategorie. Für Personen mit niedrigem Risiko wurde ein Zielwert von < 2,6 mmol/l festgelegt, der ohne Medikamente über Modifizierungen des Lebensstils erreicht werden soll. Bei Patienten mit moderatem Risiko kann zusätzlich ein Statin erwogen werden. Bei Patienten mit hohem Risiko sollen mit einem hochwirksamen Statin wie Rosuvastatin (Crestor® und Generika), Pitavastatin (Livazo® und Generika) oder Atorvastatin (Sortis® und Generika) eine Senkung des LDL-C-Werts auf < 1,8 mmol/l und eine Reduktion um mindestens 50 Prozent erreicht werden. Ist dies nicht möglich, wird eine Kombination der Statintherapie mit Ezetimib (Ezetrol® und Generika) empfohlen. Patienten mit heterozygoter FH und hohem Risiko erhalten in einer ersten Stufe ebenfalls ein hochwirksames Statin und bei Nichterreichen der Zielwerte zusätzlich Ezetimib. Wird der Zielwert mit Statin/Ezetimib nicht erreicht, wird die Behandlung in einer zweiten Stufe je nach Ausmass der Abweichung mit Bempedoinsäure oder einem PSCK9-Hemmer wie Alirocumab (Praluent®), Evolocumab (Repatha®) beziehungsweise Inclisiran (Leqvio®) fortgesetzt (Abbildung 1). Für Patienten mit sehr hohem Risiko empfiehlt die AGLA eine Senkung des LDL-C-Werts auf < 1,4 mmol/l und ebenfalls eine Reduktion um mindestens 50 Prozent mit einem hochwirksamen Statin. Ist dies nicht möglich, hängt die weitere Vorgehensweise davon ab, ob eine manifeste ASCVD vorliegt oder nicht. Bei Patienten ohne ASCVD raten die Experten zu einer Kombination der Statintherapie mit Ezetimib. ASCVDPatienten, bei denen mit dem hochwirksamen Statin der Zielwert von ≤ 1,8 mmol/l erreicht wird, erhalten ebenfalls Ezetimib. ASCVD-Patienten, die den Zielwert nicht erreichen, werden mit einem PCSK9-Inhibitor mit oder ohne Statin weiterbehandelt. Alternativ kann in diesen Fällen Ezetimib, gefolgt von Bempedoinsäure, appliziert werden (Abbildung 2). Sind die Zielwerte erreicht, wird die jeweilige Behandlung kontrolliert fortgesetzt. Im weiteren Verlauf werden die LDLC-Werte 1-mal pro Jahr kontrolliert oder bei entsprechender klinischer Situation auch häufiger überprüft. Behandlung der Hypertriglyzeridämie Bei allen Ausprägungen der Hypertriglyzeridämie empfehlen die AGLA-Experten als erste Massnahme eine Optimierung des Lebensstils im Hinblick auf Bewegung, Ernährung und Körpergewicht. Bei schwerer Ausprägung sollte zusätzlich ein lipidologisches Konsilium stattfinden. Bei einer moderaten Hypertriglyzeridämie (2–10 mmol/l) besteht das primäre Therapieziel darin, die LDL-C- und NonHDL-C-Werte bis zu den Zielwerten entsprechend der jeweiligen Risikokategorie zu senken. Als nicht pharmakologische Interventionen werden das Vermeiden von Alkohol, Kohlenhydraten (besonders Mono- und Disaccharide) und Übergewicht sowie eine Steigerung der täglichen körperlichen Aktivität und der Ersatz von Transfettsäuren oder gesättigten Fettsäuren durch einfach- und mehrfach ungesättigte Fettsäuren (Pflanzenöle reich an Omega-3-Fettsäuren, Meeresfisch) empfohlen. 408 ARS MEDICI 14–16 | 2023 SUMMER SCHOOL Sehr hohes Risiko Hochwirksames Statin* LDL-C < 1,4 mmol/l und Senkung ≥ 50%? Nein Ja Manifeste ASCVD? Ja LDL-C ≤ 1,8 mmol/l? Nein Ja Nein Ezetimib oder PCSK9-Inhibitor** Ezetimib LDL-C ≤ 1,8 mmol/l? Nein Ja oder Bempedoinsäure Therapie kontrolliert fortsetzen LDL-C-Kontrolle: 1-mal/Jahr, häufiger bei entsprechender klinischer Situation *Rosuvastatin, Pitavastatin, Atorvastatin **Evolocumab, Alirocumab, Inclisiran ASCVD: atherosklerotische kardiovaskuläre Krankheiten, LDL-C: Low-density-Lipoprotein-Cholesterin, PCSK9: Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 Abbildung 2: Dyslipidämiemanagement bei Patienten mit sehr hohem Risiko (mit freundlicher Genehmigung der AGLA). Als pharmakologische Optionen können Statine zur Errei- chung der LDL-C- und der Non-HDL-C-Zielwerte erwogen werden, da diese Medikamente auch die TG-Werte senken. Wird das LDL-C-Ziel erreicht, aber nicht das Ziel für Non- HDL-C, wird die Statindosis erhöht. Bei hohem oder sehr hohem CV-Risiko, Statineinnahme und TG-Werten > 1,7 mmol/l stehen zur Senkung der TG Omega-3-Fettsäuren
(4 g/Tag) oder Icosapent-Ethyl (Vazkepa®; 2-mal 2 g/Tag) zur
Verfügung.
Bei schwerer Hypertriglyzeridämie (> 10 mmol/l) sind die
Prävention der akuten Pankreatitis, die Senkung der TG und
die Eliminierung der Chylomikronämie die wichtigsten Be-
handlungsziele. Des Weiteren wird geraten, Grunderkran-
kungen wie eine dekompensierte Diabeteserkrankung oder
Alkoholabusus zu behandeln sowie das LDL-C und das Non-
HDL-C bis zu den Zielwerten zu senken.
Liegt keine Pankreatitis vor, wird zusätzlich zu den oben auf-
geführten nicht pharmakologischen Massnahmen eine fett-
reduzierte Ernährung (< 20% der Kalorienaufnahme) emp- fohlen. Während einer akuten Pankreatitis soll keine orale Nahrung aufgenommen und eine Rehydrierung vorgenom- men werden. Nach Abklingen der akuten Pankreatitis raten die Experten zu einer langsamen Wiedereinführung der Nah- rungsaufnahme, verteilt auf viele kleine Mahlzeiten. Zur me- dikamentösen Senkung der TG stehen Fenofibrat (Lipan- thyl®), Omega-3-Fettsäuren (4g/Tag) oder Icosapent-Ethyl (2-mal 2 g/Tag) zur Verfügung. Bei Patienten mit gemischter Hyperlipidämie (Gesamtcholes- terin > 6 mmol/l, TG > 2 mmol/l) sollen die LDL-C- und
Non-HDL-C-Werte ebenfalls auf die Zielwerte gemäss der
jeweiligen Risikokategorie gesenkt werden. Die weitere Vor-
gehensweise orientiert sich an den bereits aufgeführten Vor-
gaben für die moderate oder die schwere Hypertriglyzeridä-
mie.
s
Petra Stölting
Quelle: PDF-Pocketguide – Prävention der Atherosklerose 2023 (Fokus auf Dyslipidämie); Herausgeber: Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA) der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK)
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